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KUNST UND KULTUR
DES i8. JAHRHUNDERTS
IN DEUTSCHLAND
KUNST UND KULTUR
DES i8. JAHRHUNDERTS
IN DEUTSCHLAND
VON
HERMANN SCHMITZ
VERLAG F. BRUCKMANN A.-G. * MÜNCHEN
NIAY24 1945
INHALT
Seite
Einleitung
1. Überblick über die Kunst des Jahrhunderts. Die Stilepochen: Barock,
Rokoko und Frühklassizismus i
2. Politischer und sozialer Zustand Deutschlands im Zeitalter des Barock g
3. Die Geistesbildung im deutschen Barock 21
4. Die großen Feste 30
5. Die Stellung der Baukunst im 18. Jahrhundert 47
6. Die Baumeister, die Bauherren und der Baubetrieb. Stadtbaukunst . . 54
7. Das geistige Wesen des Katholizismus im deutschen Barock und Rokoko 65
8. Der katholische Kirchenbau des Barock 75
g. Der katholische Kirchenbau des Rokoko g4
10. Der Protestantismus des 18. Jahrhunderts in Deutschland 108
11. Der protestantische Kirchenbau 113
12. Die weltliche Architektur des Barock. Die Schlösser, Abteien, Bürgerhäuser 125
13. Die Schloß- und Hausarchitektur im Rokokozeitalter 151
14. Die Deckenmalerei 167
15. Innenausstattung der Schlösser. Das Ornament des Barock und Rokoko 180
16. Die Möbel des Barock und Rokoko igS
17. Die Bildhauerkunst des Barock 20g
18. Die Bildhauerkunst des Rokoko 231
ig. Die Ölmalerei 242
20. Schmiedekunst und Waffen 260
21. Gold und Silber 267
22. Das Porzellan 274
23. Die Fayence . . 2gi
24. Die geschnittenen Gläser 2g8
25. Die Kunst des Theaters 303
26. Die Gartenkunst 313
27. Der Geist des deutschen Rokoko 325
28. Der Umschwung zum Frühklassizismus in der Baukunst 335
29. Die Wandlung in den übrigen Künsten 347
30. Das geistige Leben und die Dichtung im letzten Drittel des Jahrhunderts 358
Ausgang des Jahrhunderts 366
Anmerkungen und Zusätze 373
EINLEITUNG
Keine Epoche der Kunst- und Geistesgeschichte Deutschlands verlangt so
gebieterisch eine gründliche Darstellung, wie das i8. Jahrhundert.
Die Geringschätzung, die die nachfolgenden Generationen dem i8. Jahr-
hundert entgegenbrachten, hat längst einer lebhaften, stetig wachsenden Zu-
neigung Platz gemacht. Doch erst der nach einem geschlossenen Stil stre-
benden Gegenwart sind der tiefer liegende Gehalt und der einheitliche
Charakter der künstlerischen Äußerungen dieses Jahrhunderts völlig klar ge-
worden. Insbesondere hat die moderne Architektur die in der Baukunst des
i8. Jahrhunderts liegenden Werte erkannt und aus deren Studium den reich-
sten Vorteil gezogen. Für die Erzeugnisse der Malerei, der Bildnerei und
aller übrigen Kunstzweige -des 1 8. Jahrhunderts verbreitet sich die Schätzung
von Tag zu Tag. Die Museen, die Sammler, die Künstler und Gelehrten
wetteifern in der Sammlung und Sichtung des fast unübersehbaren Stoffes.
Dieses Buch unternimmt es nun, weiteren Kreisen der Kunstfreunde ein Bild
der Kunst und Geistesbildung Deutschlands im i8. Jahrhundert zu liefern.
Der Blick soll in erster Linie auf die eigentümliche Leistung der deutschen
Kunst in diesem Zeitalter gelenkt werden. Die besondere Stellung Deutsch-
lands im großen Rahmen der europäischen Kunst des i8. Jahrhunderts soll
ins Licht treten. Das Beste ist damals in Deutschland ohne Einschränkung
auf dem Gebiete der Baukunst und der in ihrem Dienste stehenden dekora-
tiven Künste geschaffen worden. In der freien Bildnerei und erst recht in
der Ölmalerei ist Deutschland — von vereinzelten Ausnahmen abgesehen —
weit hinter den Italienern und Franzosen, und hinsichtlich der Malerei auch
hinter den Engländern, zurückgeblieben.
Der Höhepunkt des künstlerischen Lebens des Jahrhunderts liegt in dessen
erster Hälfte, in der Epoche des Barock und Rokoko. Die Vorstufe
dazu bildet das letzte Drittel des 17. Jahrhunderts. Das Ausleben der Barock-
und Rokokoströmung und ihre Umwandlung in den sogenannten Frühklassi-
zismus umfaßt die spätere Hälfte des 18. Jahrhunderts, genauer den Zeit-
raum vom Ende des Siebenjährigen Krieges ab. Der Schwerpunkt unserer
Darstellung liegt in der Herausarbeitung des deutschen Barock und Rokoko.
Die Entwicklung des Barock in dem späteren 1 7 . Jahrhundert und das Fort-
wirken der in dem Barock und Rokoko lebendigen Kräfte bis an den Aus-
gang des 18. Jahrhunderts bilden die notwendige Begleitung zu dem Haupt-
thema. So klärt sich die Stellung des 18. Jahrhunderts in der Gesamtge-
schichte unseres geistigen Lebens, das Verhältnis zu dem voraufgehenden
Zeitalter der Reformation und Renaissance, sowie zu dem nachfolgenden
19. Jahrhundert.
Unser hauptsächlichstes Augenmerk ist darauf gerichtet, den einheit-
lichen, das Jahrhundert von Anfang bis zu Ende durchziehenden künst-
lerischen Geist zu erfassen. Die äußeren und inneren Verhältnisse Deutsch-
lands sind soweit berücksichtigt worden, als dies zum Verständnis der
Kunstgeschichte unerläßlich ist. Das Kulturleben unseres Volkes ist
hier also nur in seinem Verhältnis zur Kunst behandelt. Allein
auch in dieser Hinsicht konnten viele grundlegende Fragen nur flüchtig ge-
streift werden, um die Darstellung nicht ins Uferlose zu erweitern. Dahin
gehört die Beziehung der deutschen Musik des 18. Jahrhunderts zur Blüte
unserer Baukunst, ferner die zwischen der erlahmenden bildnerischen Fähig-
keit und der stetig wachsenden dichterischen Schaffenskraft im späteren
18. Jahrhundert, die Wandlung der philosophischen, insbesondere der ästhe-
tischen Anschauung von Leibniz über Wolf und Baumgarten zu Kant und
endlich zu Schiller.
Das hier entworfene Gemälde des i8. Jahrhunderts gibt dem Leser kein
Bild der Kulturzustände dieser Epoche. Eine solche Darstellung
gehört in das Gebiet der eigentlichen Kulturgeschichte; sie kann nicht Auf-
gabe der Kunstgeschichte sein. Es fehlt leider bisher für das deutsche
1 8. Jahrhundert eine objektive Kritik der gesamten Lebensverhältnisse, wie
sie für Frankreich Taine in dem ersten Bande der „Origines de la France
moderne" geliefert hat. Auch für Deutschland würde eine solche Erzählung
ein Bild reich an Wertvollem und Nützlichem, aber doch nicht ohne tiefe
Schatten ergeben. Als die Kehrseite des Glanzes würde aus Memoiren, aus
Aktenstücken und Briefen ein Meer von Leidenschaften, von Intrigen, von
leerem Schein, von Elend und Jammer sichtbar werden. Die Menschen des
Barock und Rokoko waren im Grunde nicht anders wie heute und zu jeder
Zeit. Unter der Allongeperücke, unter dem Zopf und im kurzgeschnittenen
Haar sind die Gehirne, unter dem schwerbestickten Staatsgewand, unter
dem geblümten Seidenfrack und unter dem schlichten Tuchrock die Herzen
die gleichen geblieben. Aber der Gegenstand unserer Betrachtung ist eben
nicht die Wirklichkeit in diesem Jahrhundert Leibnizens, Friedrichs des
Großen, Kants und Goethes, sondern die daraus hervorwachsende Schöp-
fung des künstlerischen Genius. In den bleibenden Werken der Kunst ver-
körpert sich nicht das alltägliche Dasein, sondern ein höheres Leben geistiger
Ideen, das den rauhen Tag, der es geboren, überdauert.
I.ÜBERBLICK ÜBER DIE KUNST DES JAHRHUNDERTS
DIE STILEPOCHEN: BAROCK, ROKOKO U. FRÜHKLASSIZISMUS
Als Glied im Kreise der europäischen Kunst des 1 8. Jahrhunderts hat
Deutschland an den großen Wandlungen des europäischen Geschmacks in
diesem Zeitraum Anteil. Diese Veränderungen nehmen aber den besonderen
Verhältnissen unseres Vaterlandes gemäß einen von der Gesamtentwicklung
in bestimmter Weise abweichenden Verlauf. Das Jahrhundert, das uns hier
beschäftigt, fällt in die Epoche, wo der Barockstil in Europa seinen
Höhepunkt erreicht hat und mit dem Rokoko in sein letztes Stadium tritt.
Man kann das Wesen und die Geschichte der deutschen Kunst dieses Zeit-
raums nicht verstehen, ohne ihre Stellung in dem großen Bilde der europä-
ischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zu kennen.
Nur wenige Jahrzehnte bedurfte Deutschland, um sich aus den Trümmern
des Dreißigjährigen Krieges neuverjüngt zu erheben. In dem letzten Drittel
des 17. Jahrhunderts lebte die künstlerische und geistige Kraft wieder auf
und mit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert entfaltete der deutsche
Genius aufs herrlichste seine Schwingen.
Schmitz, 18. Jahrh. i I
Nun beruhen aber die Grundlagen, auf denen die neue Kunst Deutsch-
lands sich aufbaut, nur zum geringsten Teile in den bodenständigen Über-
lieferungen des Landes. Die heimische Spätrenaissance hat zwar besonders
in den Kunsthandwerken der süddeutschen Reichsstädte durch den Dreißig-
jährigen Krieg hindurch fortgelebt. Eine Fülle von künstlerischer und hand-
werklicher Geschicklichkeit hat sich in diesen Kreisen von den Vätern auf
die Söhne vererbt. Nürnberg und Augsburg haben in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts den Ruhm, den sie in der Renaissanceepoche erworben,
behauptet. Allein der Aufschwung des deutschen Kunstlebens im letzten
Drittel des 17. Jahrhunderts ist in der Hauptsache durch die Anknüpfung
an den Barockstil Italiens, der Niederlande und Frank-
reichs erfolgt. Während die deutschen Gaue von der Kriegsfurie ver-
wüstet und die deutschen Gemüter durch die politischen und religiösen
Kämpfe zermürbt wurden, hatte sich in Italien und damit im Zusammen-
hang in den Niederlanden und in Frankreich der künstlerische Geist unge-
hindert entfalten können. In Rom, in Antwerpen, in Amsterdam und in
Paris hat sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts die europäische
Kunst von der Spätrenaissance befreit und den Barockstil geschaffen. Das
wichtigste Kennzeichen dieses Stils ist die zusammenfassende große Form,
ob es sich um die Architektur, um die Bildnerei oder um die Malerei handelt.
Der Barock erwächst auf den von der Renaissance unter Benutzung antiker
Formen und Ideen geschaffenen Grundlagen. Eigentümlich ist der neuen
Anschauung das Streben nach stärkerem räumlichen plastischen und male-
rischen Ausdruck, verbunden mit tieferer Beseelung. Eine Fülle neuer Be-
handlungsweisen und technischer Mittel, sowohl in der großen Kunst wie in
dem Kunsthandwerk — man denke z. B. an die Keramik — , kommt damit
empor. Eine Reihe äußerer Umstände haben die Aufnahme des Barock in
Deutschland nach dem Dreißigjährigen Kriege befördert. Die durch die Re-
formen der Päpste und die Wirksamkeit der Orden neu gestärkte katho-
lische Kirche war in erster Linie die Vermittlerin der barocken italienischen
Kirchenkunst nach dem Süden Deutschlands. Der protestantische Kirchen-
bau im Norden Deutschlands entwickelte sich in Fühlung mit dem der Nie-
derländer und der französischen Hugenotten.
Die Hauptträger der weltlichen Kunstpflege waren jetzt die Fürsten, deren
Macht aus dem Westfälischen Frieden so stark wie nie zuvor hervorgegan-
gen war, und der ebenfalls wieder gekräftigte Adel. Und diese Kreise wur-
den ganz von selbst darauf gewiesen, dem modernen Kunst- und Lebensstil
der italienischen Höfe und alsbald dem des alle überstrahlenden Hofes
Ludwigs XIV. nachzueifern. Die Umgangsformen, die Bildung und Etikette
Abb. I. Kaiser Leopold I., von Steinle, Elfenbein. Wien, Staatsmuseum
Abb. 2. Kaiser Karl VI., von Solimena (Ausschnitt)
Wien, Staatsgalerie
der Mehrzahl der deutschen Fürsten und der höfischen Gesellschaft kleide-
ten sich in italienische und französische Formen. Dieser Wandlung hat
zweifellos die nach dynastischen Gesichtspunkten betriebene Politik der
Fürsten Vorschub geleistet. Waren doch mehrere von ihnen, wie Kaiser
Leopold I., Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern, Jan Wilhelm von der
Pfalz mit spanischen und italienischen Prinzessinnen verheiratet. Im Norden
knüpfte die Verbindung der Häuser Brandenburg und Anhalt mit dem der
Oranier die Verbindung mit Holland.
Die Kunst in Deutschland ist also zunächst ein Teil der europäischen
Barockkunst, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ein interna-
tionaler Besitz der Kirche, der Fürsten und des Adels geworden war. Wie
die Kunst der Renaissance, so hüllt sich auch die des reifen Barock in die
Formen der Antike. Überwiegend sucht sie in den darstellenden Künsten
eine Schönheitsidee und nicht die unmittelbar angeschaute Natur zu gestal-
ten. Auch darin ist sie eine Fortsetzung der Grundströmungen der Renais-
sance.
Es ist nun daran zu erinnern, daß schon in der Zeit vor dem Dreißig-
jährigen Kriege die Kunst in Deutschland eine Reihe von Ansätzen zu dem
klassischen und idealisierenden Geschmack der italienischen Spätrenaissance
aufzuweisen hat. Man denke an die in Italien gebildeten Niederländer und
Deutschen am Hofe Rudolfs II. in Prag, an Baumeister, wie an Schick-
hart in Stuttgart, an Holl, den Erbauer des Augsburger Rathauses, und an
Sustris, den Schöpfer der Münchner Jesuitenkirche St. Michael, an Bild-
hauer wie Pieter Candid in Augsburg und München und endlich an den
ersten römischen Maler deutscher Nation Elzheimer aus Frankfurt. Neben
[München, Prag und Wien ist Salzburg unter den Erzbischöfen Wolf Dietrich
und Marcus Sittich ein Vorort der italienisierenden Richtung im ersten
Drittel des 17. Jahrhunderts. Noch während der ersten, für den Kaiser und
die katholische Liga glücklichen Hälfte des Dreißigjährigen Krieges geht
diese Entwicklung weiter, wofür die unter Kurfürst Maximilian von Bayern
entstandenen Teile der Residenz in München, eine Reihe von Kirchengrün-
dungen dieses Fürsten und des Herzogs Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neu-
burg, wie auch Wallensteins Palast- und Gartenschöpfungen in Böhmen
zeugen. Die Schriften des trefflichen Ulmer Stadtbaumeisters Furttenbach,
der auch in Italien gereist war, zeigen das Umsichgreifen wenigstens der
Theorien in der späteren Epoche des Krieges. Die nach dem Kriege einset-
zende Kunsttätigkeit bildet mithin eine Fortführung der in der Spätrenais-
sance eingeleiteten Bewegung.
Der im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts beginnende Barock in Deutsch-
land ist aber keine aus der künstlerischen Kraft des Landes von innen heraus
kommende Erscheinung, wie der italienische, niederländische und franzö-
sische. Das wird durch die große Zahl jetzt einwandernder oder von den
Fürsten berufener italienischer, niederländischer und französischer Künstler
dargetan. S i e sind die Träger der neuen Ideen, aber nicht die Bauhand-
werker und die Zimmerleute der deutschen Reichsstädte, die Tischler, Silber-
schmiede, Glas- und Fayencemaler, die Elfenbeindrechsler, die Waffen-
schmiede, Eisenschneider und Schlosser von Nürnberg und Augsburg, die
freilich beim Wiederaufbau mitwirken. Die Frühzeit des deutschen
Barock umfaßt die Jahrzehnte von rund 1660 bis 1690, also die Epoche
Kaiser Leopolds L, des Kurfürsten Ferdinand Maria von Bayern und des
Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg.
Die Reife des deutschen Barock beginnt im letzten Jahrzehnt
des 17. Jahrhunderts und dauert bis in die Mitte der dreißiger Jahre des
18. Jahrhunderts. Die markantesten Fürsten dieser Epoche sind Kaiser
Joseph I., sowie namentlich sein Bruder und Nachfolger Karl VI. (171 1 bis
1740), ihr großer Feldherr und Staatsmann, Prinz Eugen von Savoyen, nicht
zu vergessen; dann Max Emanuel von Bayern, Friedrich I. von Preußen und
August der Starke von Sachsen und Polen. Mehrere geniale Meister haben
die Gedanken des Barock im deutschen Sinne fort- und umgebildet: Schlüter,
Bernhard Fischer von Erlach, Lukas von Hildebrandt, Pöppelmann und
Balthasar Neumann, der letztere bereits in die Folgezeit hinüberführend.
Die italienische Strömung kreuzt sich in den Schöpfungen dieses Zeitraums
mit der mehr und mehr eindringenden französischen, dem Stil Louisqua-
torze. Die in Frankreich auf das Louisquatorze folgende „R e g e n c e" ist in
Deutschland nur in der Ornamentik des späteren Barock zu beobachten.
Seit der Mitte der dreißiger Jahre geht der Barock in den Rokokostil
über. Der Rokokostil bringt den der deutschen Kunst eigentümlichen Raum-
sinn zur höchsten Entfaltung. Das Barockornament lockert sich unter An-
regung von Seiten des französischen Louisquinze zum Rocailleornament.
Der Kurfürst Karl Albert von Bayern, der kurze Zeit und ohne Glück als
Karl VII. den Kaiserthron innehatte, und sein Bruder, der Kölner Kurfürst
Clemens August, Friedrich der Große und Maria Theresia sind die wichtig-
sten fürstlichen Vertreter des Rokokozeitalters in Deutschland. Als über-
ragende Künstler sind der schon genannte Balthasar Neumann in Würz-
burg, Francois Cuvillies und der Kirchenbaumeister Johann Michael Fischer
in München, sowie der Freiherr von Knobelsdorff in Berlin aus der Fülle
trefflicher Meister hervorzuheben. Das Rokoko erreichte um die Mitte des
Jahrhunderts den Höhepunkt. Seine Nachblüte endete aber erst gegen 1770.
6
Abb. 3. Max Emanuel von Bayern, von Vivien. München, Pinakothek
Mit diesem Zeitpvmkt beginnt eine abermalige Wandlung. Wir kommen
zur dritten Generation des Jahrhunderts, zur Epoche des Frühklassi-
zismus. Der Name ist nicht glücklich, allein besser als der des ..Louis-
seize", der nur für die gleichzeitige Ent^vicklung Frankreichs berechnet ist,
oder gar der des ..Zopf". Die Kaiser Joseph II. und Leopold II.. Kurfürst
Carl Theodor von der Pfalz, Friedrich Wilhelm II. von Preußen und Karl
August von Weimar sind unter den Regenten dieses Abschnitts die bekann-
testen. In dem letzten Drittel des Jahrhunderts verschmelzen sich die in dem
Barock und Rokoko ■«•irkenden Kräfte langsam mit neuaufkommenden
künstlerischen Grundsätzen. EndHch aber verfallen sie unter dem Druck
ge^valtiger äußerer und innerer Umwälzungen der Auflösung. Um die Wende
zum neuen Jahrhundert sinken zugleich mit dem alten deutschen Reiche die
aristokratischen Mächte dahin, deren durch den Dreißigjährigen Krieg be-
gründete Vorherrschaft die Entfaltung der Kunst und Kultur des Barock
und Rokoko bedingt hatte.
Die Gliederung Ln die Hauptstilabschnitte ist natürlich nur ein Schema
nach äußerlichen Kennzeichen, das uns den Verlauf der fortgehenden Ent-
vricklung klären hilft. Dieser Verlauf selbst geht ohne Unterbrechung seinen
Weg. Er spiegelt den Gang der sinnlichen und seelischen Empfindung un-
seres Volkes in der Epoche seit dem Dreißigjährigen Kriege bis zum Ende
der alten Reichsherrlichkeit.
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2. POLITISCHER UND SOZIALER ZUSTAND
DEUTSCHLANDS IM ZEITALTER DES BAROCK
Um die Entwicklung und den besonderen Charakter des deutschen Barock
zu verstehen, ist es unerläßlich, sich die politischen und gesellschaft-
lichen Verhältnisse im damaligen Deutschland zu vergegenwärtigen.
Die Grundlagen der deutschen Verfassung sind durch den Dreißigjährigen
Krieg nicht wesentlich geändert worden. Der Kaiser des Heiligen Römischen
Reiches Deutscher Nation wurde nach wie vor von den Kurfürsten gewählt
auf Grund der Goldenen Bulle Karls IV. aus dem 14. Jahrhundert, deren
wichtigstes Original in dem Frankfurter Römer aufbewahrt wurde. Die Ab-
hängigkeit des erwählten Reichsoberhauptes von den Kurfürsten und Stän-
den war indessen durch den Krieg nur noch größer geworden. Die Macht des
Kaisers im Reiche war beschränkter als je vorher. Der Westfälische Friede
hatte Deutschland geradezu in eine Reihe souveräner Staatsgebilde gelockert.
Die Fürsten des Reiches hatten ihre eigenen Steuerrechte, ihre eigene Münze,
eigene Rechtsprechung und Armee. Der Friede von Münster und Osna-
brück hatte den Fürsten sogar das Recht zugestanden, auf eigene Faust
Bündnisse zu schließen. So wurde der unerhörte Zustand, den der Dreißig-
jährige Krieg geschaffen, verewigt, daß deutsche Reichsfürsten mit auswär-
tigen Mächten verbündet gegen Kaiser und Reich zu Felde zogen. Nur mit
äußerster Schwierigkeit vermochte der Kaiser in den Zeiten gemeinsamer
Gefahr ein Heer aus dem Reiche zusammenbringen. Jedes Hilfskorps, jede
Geldbewilligung der Fürsten und Stände mußte der Kaiser mit der Gewäh-
rung neuer Privilegien erkaufen. Die ganze Politik scheint ein Tauschge-
schäft von Regimentern und Geldsummen gegen Titelerhöhungen, Steuer-
rechte, Monopole und Landerwerbungen zu sein. Aber auch die Reichsfür-
sten ihrerseits hatten mit den Unabhängigkeitsbestrebungen ihres landsäßigen
Adels zu käm.pfen. Was konnten bei solchen verwickelten Verhältnissen die
Zentralbehörden, der in Regensburg in Permanenz tagende Reichstag, das
Reichskammergericht, das erst in Speier, dann in Wetzlar saß, der Reichs-
hofrat in Wien ausrichten? So geht denn Straßburg und das Elsaß an Lud-
wig XIV. verloren, so wird die Pfalz verwüstet und den Franzosen eine stra-
tegische Stellung am Oberrhein überlassen.
Der Kaiser freilich ging den übrigen Fürsten voran in der Verfolgung
einseitiger Hausinteressen. Das Haus Habsburg hatte seine Herrschaft
durch den Krieg in den österreichischen Stammlanden und in Böhmen unter
tätiger Mithilfe der Kirche neubefestigt. Unter der unglaublich langen
Regierung Leopolds I. (Abb. i), unter Joseph I. und Karl VI. (Abb. 2)
breitete sich die Macht Habsburgs infolge der glänzenden Siege des Prinzen
Ludwig von Baden. Karls von Lothringen und des Prinzen Eugen donauab-
wärts über Ungarn aus. Die Verschwägerung des Hauses mit den italieni-
schen Dynastien eröffnete die politischen Beziehungen zu Italien. Sogar die
spanische Krone schien wie zu Karls V. Zeiten dem Kaiserhause zuzufallen,
als durch den Einspruch der Bourbonenmonarchie der große Spanische Erb-
folgekrieg ausbrach. Siegreich fechten Habsburgs und des Reiches Waffen
im Süden Deutschlands, in den belgischen Niederlanden und in Italien — .
Prinz Eugen gewinnt die Schlachten von Höchstädt, bei Turin, bei Malpla-
quet und Audenarde, in denen zuerst Brandenburgs Fahnen den Franzosen
entgegentreten. Der Frieden von Utrecht 17 13 und der von Rastatt und Ba-
den 17 14, die den Krieg beendigen, sichern dem Kaiser die belgischen Nieder-
lande und einen Teil der italienischen Besitzungen. Es beginnt jetzt unter
Karls VI. Regierung eine außerordentliche Blüte des wirtschaftlichen und
des künstlerischen Lebens in Österreich. Wien wird für die nächsten dreißig
Jahre der Mittelpunkt für die Baukunst, die Bildnerei, die Malerei, für Musik
und Oper im deutschen Reiche. Im Anschluß an die kaiserlichen Erblande
entwickeln sich nach dem Dreißigjährigen Kriege die übrigen katholischen
Gebiete im Reiche, deren Schwerpunkt im Süden Deutschlands lag. Die
Scheidung zwischen dem katholischen und dem protestantischen Deutschland
blieb, wie man sich erinnern muß, nach dem großen Religionskriege bestehen.
Mißtrauisch standen sich die katholischen und protestantischen Reichsstände
gegenüber. In den katholischen, namentlich in den geistlichen Fürstentü-
mern, arbeitete die Gegenreformation ruhig weiter, wenn auch mehr mit den
Mitteln des sanften Drucks und der Überredung als mit roher Gewalt. Die
protestantischen Landschaften gaben an Unduldsamkeit oft wenig nach. Die
Restaurierung des Landesglaubens in den Zeiten nach dem Dreißigjährigen
Kriege kam der Stärkung der absoluten Fürstenmacht zustatten, was natür-
lich doppelt für die geistlichen Gebiete gilt. Der mächtigste katholische
Reichsfürst war der Kurfürst von Bayern, der nicht nur die Kurwürde son-
dern auch die Oberpfalz aus dem Dreißigjährigen Kriege davontrug. Eine
glänzende Persönlichkeit war der Kurfürst Max Emanuel (Abb. 3), der
Schöpfer von Schleißheim und Nymphenburg. In jugendlichen Jahren hatte
er an der Seite Österreichs vor Belgrad hohen Kriegsruhm errungen. Die
10
Abb. 4. Joh. Wilhelm von der Pfalz, Bronze von Grupello (1711). Düsseldorf
II
Abb. 5. Karl Philipp von der Pfalz, von Goudreaux. München, Pinakothek
12
Teilnahme am Spanischen Erbfolgekriege im Bunde mit Ludwig XIV.
brachte ihm die schweren Niederlagen von Höchstädt und am Schellenberg
und langjährige Verbannung aus seinem Lande. Neben dem bayerischen er-
hob sich unter den katholischen Fürstenhäusern als das glänzendste das kur-
pfälzische. Es ging hervor aus der Linie Pfalz-Neuburg, dem Wolfgang Wil-
helm, einer der eifrigsten Restauratoren des Katholizimus vor dem Dreißig-
jährigen Kriege, angehörte. Im Rahmen des deutschen Barock um 1700 haben
aus diesem Hause Jan Wilhelm (Abb. 4), der Verschönerer Düsseldorfs —
der Hauptstadt der kurpfälzischen Herzogtümer Berg und Jülich — , sowie
sein Bruder Karl Philipp (Abb. 5), der Erbauer des Mannheimer Schlosses,
Bedeutung. Am Oberrhein ist noch die Markgrafschaft Baden anzureihen.
Markgraf Ludwig Wilhelm, der berühmte Türkensieger, gründete die Resi-
denz Rastatt, und seine Gattin Susanna ist die Schöpferin des köstlichen Lust-
schlößchens Favorite. Die große Zahl kleinerer katholischer Reichsfürsten,
Grafen und Herren, die namentlich in Schwaben und am Main saßen, können
wir übergehen. Dagegen verlangen die geistlichen Fürsten eine kurze Be-
trachtung. In alter Kraft blühen die drei ehrwürdigen Kurstifter Mainz,
Trier und Köln, und neuverjüngt haben sich aus dem Dreißigjährigen
Kriege die Bistümer Bamberg und Würzburg am Main, Eichstätt, Pas-
sau, Salzburg, Freising und Augsburg im Süden und endlich im Nordwesten
Münster und die westfälischen Hochstifte erhoben. Überall hatten willens-
starke Männer den Krummstab ergriffen und mit dem alten Glauben zugleich
eine verbesserte Staatswirtschaft hergestellt. Aus der Reihe dieser bedeuten-
den Kirchenfürsten des späteren 17. und des beginnenden 18. Jahrhunderts
seien hier hervorgehoben : der Erzbischof Thun in Salzburg, Carl Caspar
von der Leyen in Trier, Kurfürst Lothar Franz von Schönborn in Mainz
und Bamberg, der Gründer der untergegangenen vielgerühmten Favorite in
Mainz, der Schlösser von Bamberg und Pommersfelden; der Fürstbischof
Damian Hugo von Schönborn in Speier, der Schöpfer Bruchsals; der Reichs-
vizekanzler Josephs I. und Karls VI., der staatskluge Friedrich Karl von
Schönborn, Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, der eigentliche Er-
bauer der Residenz in Würzburg; in Münster Bernhard von Galen und Fried-
rich Wilhelm von Plettenberg, der Schöpfer des Schlosses Nordkirchen, und
in Paderborn Ferdinand von Fürstenberg. Die Domkapitel, die das Land ver-
walteten und den Fürsten wählten, wurden aus dem eingesessenen Adel ge-
bildet. Mit Vorliebe wählten sie wieder den Bischof aus dem Landesadel.
Auch die Söhne der souveränen Häuser gelangten mehrfach auf die Bischof-
sitze. So hatte das Haus Bayern wiederholt den Kölner Erzstuhl inne, und
ein Sohn des Max Emanuel, Clemens August, vereinigte mit dem Kölner
13
Erzstift die westfälischen Bistümer nebst der Deutschmeisterwürde, deren
Sitz in Mergentheim war. Die Besetzung dieser hohen geistlichen Fürsten-
tümer spielte eine bedeutende Rolle in der Politik der um die Vorherrschaft
in Deutschland ringenden Mächte Habsburg, Bayern und Preußen. Schließ-
lich sind noch die großen Reichsabteien zu nennen, an denen wiederum Süd-
deutschland, vor allem Schwaben und Franken, reich war. Da in ihnen nicht
nur die Stiftsherren, sondern selbst die Äbte aus dem landständigen Bürger-
und Bauernstand hervorgingen, so waren sie ein besonders günstiges Feld
für das Wachstum eines volkstümlichen Kulturlebens.
Unter den protestantischen Staaten steht an der Spitze Brandenburg-
Preußen. Der Große Kurfürst hatte den Staat durch die Einverleibung der
Bistümer Magdeburg, Halberstadt und Minden vergrößert und völlig neu
aufgebaut. Sein Sohn Friedrich I. fügte den Glanz der Königskrone hinzu.
Das stehende Heer, vom Großen Kurfürsten seit 1660 nach schwedischem
Muster gegründet, wurde durch Friedrich Wilhelm I. zu einer bis dahin
unerreichten Schlagfertigkeit gebracht. Einheitliche Uniformierung, Gleich-
schritt und Salvenfeuer wurden hier unter Mitwirkung des Fürsten Leopold
von Anhalt ausgebildet. Der karge und vielfach sumpfige Boden wurde unter
der Regierung der drei Herrscher durch Entwässerungswerke und sorgfäl-
tigen Landbau verbessert. Hunderttausende fleißiger Kolonisten, darunter
viele um ihres Glaubens aus Frankreich vertriebene Protestanten, fanden
Aufnahme und brachten landwirtschaftliche, gärtnerische und handwerkliche
Fertigkeiten in ihre neue Heimat. Auch die vertriebenen böhmischen und
mährischen Brüder fanden Aufnahme. Den von dem Erzbischof Firmian aus-
gewiesenen Salzburger Protestanten wies Friedrich Wilhelm I. Distrikte in
Ostpreußen an und erbaute ihnen die Stadt Gumbinnen. Auch Cleve und
Mark, die preußischen Enklaven am Niederrhein, wurden der Segnungen der
musterhaften Verwaltung der preußischen Könige teilhaftig. In einer viel
glücklicheren Lage als das dünn bevölkerte brandenburgisch-preußische Land
befand sich von Hause aus das südlich angrenzende, durch den Handel und
Verkehr volkreicher Städte, durch Bergbau und Industrie seit langem ausge-
zeichnete Kurfürstentum Sachsen, dessen Kurfürsten durch geschickte Po-
litik die Furie des Dreißigjährigen Krieges den Grenzen ferngehalten hatten.
Am sächsischen Hofe entwickelte sich mit am frühesten die glänzende Kultur
des Barock. Ihren Höhepunkt erreichte sie mit August dem Starken, der
seit 1698 auch König von Polen war (Abb. 6). Allerdings war der Kurfürst
zwecks Erlangung dieser Würde zum Katholizismus übergetreten. Das Haus
Hannover, das die neunte Kurwürde innehatte, gelangte 17 14 auf den eng-
lischen Königsthron. Damit kamen die hoffnungsvollen Ansätze einer boden-
14
Abb. 6. August der Starke von Sachsen, von Silvestre. Dresden, Gemäldegalerie
15
ständigen höfischen Kultur nicht zur Entfaltung. Politisch war Hannover mit
England durch Personalunion verbunden. Das Haus Hannover hat zwei der be-
deutendsten Frauen auf deutschen Fürstenthronen hervorgebracht, Sophie Char-
lotte, die Gründerin Charlottenburgs, die Großmutter, und Sophie Dorothea,
die Mutter Friedrichs des Großen. Bedeutungsvoll für die künstlerische Kul-
tur des Barock waren ferner die Herzöge von Braunschweig, Landgraf Karl
von Hessen, der Gründer der Neustadt Cassel und der Kaskade von Wil-
helmshöhe, die Fürsten von Anhalt und Waldeck, der Markgraf von Baden-
Durlach, Begründer der Residenz Karlsruhe, ferner Herzog Eberhard
Ludwig von Württemberg, der Schöpfer Ludwigsburgs, der Landgraf
von Hessen-Darmstadt, die Markgrafen von Ansbach und von Bayreuth und
von den thüringischen Fürsten u. a. die Herzöge von Gotha und Weimar.
Mit der Steigerung der absoluten Fürstenmacht war allerdings der Rück-
gang der Städte verbunden. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind
die städtischen Rechte vielerorts gebrochen worden, z. B. durch den Großen
Kurfürsten in Ostpreußen, durch den Herzog von Wolfenbüttel in Braun-
schweig, durch Bischof Bernhard von Galen in Münster. Würzburg und
Mainz gingen ihrer reichsstädtischen Rechte verlustig. Viele Städte verarm-
ten durch die Verschiebungen der Handelswege. Köln und Lübeck waren
nur ein Schatten der Größe zur Zeit der Hansa. Von den süddeutschen
Reichsstädten bewahrten Nürnberg und Augsburg einen Schimmer ihres frü-
heren Glanzes. Dagegen erlangten neben den Residenzen die Handelsstädte
Frankfurt, Leipzig und Hamburg eine wachsende Bedeutung.
Die Fürsten verstanden es, durch Besitznahme vieler öffentlicher und pri-
vater Rechte, wie des Salzhandels, der Forsten und der Jagd, der Zölle und
der Manufaktur-Monopole, ihre Einnahmen beträchtlich zu erhöhen. Da-
durch wurde die beispiellose Bautätigkeit der Fürsten ermöglicht, die das
hervorstechendste Merkmal der Barockepoche ist. In dem Bauwesen sahen
sie zugleich die wichtigste Förderung des Geldumlaufs im Lande. Die ganze
Handels- und Gewerbepolitik beruhte wesentlich auf dem zuerst von Colbert
in Frankreich durchgeführten Merkantilsystem, d. h. möglichste Zollabsper-
rung der Grenzen und Deckung des Bedarfs durch die inländische Industrie.
Es wurde schon darauf hingewiesen, welche bevorzugte Stellung damals
der Adel einnahm. Mit der Fürstenmacht hatte sich die Lage des Adels, die
seit dem Ende des Mittelalters gesunken war, wieder gehoben. Die Fürsten
verknüpften ihre Interessen mit denen des Adels. Ihm standen allein die Mi-
nister- und höheren Beamtenstellen, sowie die Offizierslaufbahn offen. Der
Gütererwerb war nahezu auf den Adel beschränkt. So erklärt sich die große
Zahl der Adelspaläste in Wien, in Prag, in München, in Dresden, in Münster,
16
Abb. 7. Karl Albert von Bayern, Schule des Desmarees. Berlin, ehem. K gl. Schloß
Schmitz, i8. Jahrh. 2 17
in Berlin und in anderen Residenzen. So auch die Erscheinung, daß es nur
immer wenige Namen sind, die neben dem Fürsten als Kunstmäzene stetig
wiederkehren; und zwar sind es meistens die Namen der Staatsminister und
Günstlinge. In Wien z. B. die Liechtenstein, die Starhemberg, die Schön-
born, die Trautson, in Dresden Graf Flemming, Feldmarschall Wackerbarth,
Graf Brühl, in Berlin Minister Kreuz, Danckelmann, Kamecke. Am ungünstig-
sten war in diesem Jahrhundert die Lage der Bauern. Sie blieben in den mei-
sten Territorien leibeigen, zum Boden gehöriges Inventar. Neben den Fron-
diensten waren für sie besonders die fürstlichen Jagdgesetze drückend, wo-
durch sie oft um den Ertrag ihrer Arbeit gebracht wurden. Nichts ist merk-
würdiger als das Fortbestehen der feudalen Zustände in diesem Jahrhundert
der Aufklärung.
Somit ist die monarchische und aristokratische Tendenz des Barockzeit-
alters gekennzeichnet. Nur sie, nur der Wille einzelner konnte Deutschland
aus den verworrenen Zuständen des 17. Jahrhunderts herausführen. Nur der
Absolutismus und die Aristokratie vermochten die Grundlagen zu schaffen,
auf denen das Zeitalter des Barock erwuchs. Und das gleiche gilt auch von
der Kunst. Im Gegensatz allerdings zu Frankreich hat die in viele Wege ge-
spaltene Entwicklung Deutschlands nicht entfernt den großartigen Zug an-
genommen, den die Erscheinung Ludwigs XIV. und seiner Zeitgenossen zur
Schau trägt. Aber dafür ist Deutschland auch vor der einseitigen Überspan-
nung der absolutistischen und aristokratischen Vorherrschaft, vor dem tiefen
Elend der unteren Schichten und schließlich vor den Greueln der Revolution
verschont geblieben.
Aus dem weiteren Gang der Dinge in Deutschland sei noch kurz erinnert
an den Krieg Preußens, Dänemarks, Sachsens und Rußlands gegen Karl XII.
von Schweden, der August den Starken im Besitze Polens bestätigte und
Preußen um Hinterpommern mit Stettin vergrößerte. Kaiser Karl VI. konnte
als den wichtigsten Erfolg langwieriger Verhandlungen die Pragmatische
Sanktion verzeichnen, durch die die Thronfolge seiner Tochter Maria The-
resia gesichert wurde. Er vermählte sie dem Prinzen Franz von Lothringen,
der dann Großherzog von Toskana wurde. Zwei seiner Schwestern vermählte er
den Kurprinzen von Sachsen und Bayern. Der Polnische Erbfolgekrieg zwi-
schen dem Kaiser und Frankreich, 1734 — 1735, endete mit der Anerkennung
Augusts III. von Sachsen als Königs von Polen, dagegen mit dem Verlust des
Herzogtums Lothringen — dessen Hauptstadt Nancy der äußerst kunstsin-
nige Stanislaus Leszcinsky von Polen als Residenz erhielt. Denkwürdig ist
dieser Feldzug, da hier der größte Staatsmann und Feldherr der Barock-
epoche, der greise Prinz Eugen, Seite an Seite ritt mit dem größten Staats-
18
und Kriegsgenie des Rokokozeitalters, dem dreiundzwanzigjährigen Kron-
prinzen Friedrich. In diesen Jahren, wo Friedrich sein Rheinsberg, und
seine Schwester Wilhelmine, die Markgräfin von Bayreuth, die Eremitage be-
gannen, wandelt sich der Barock bereits zum Rokoko. Mit dem Jahre 1740,
dem Todesjahre Kaiser Karls VI. und Friedrich Wilhelms I., mit der Thron-
besteigung der Maria Theresia und Friedrichs II., beginnt die Blütezeit des
deutschen Rokoko. -
19
Abb. 8. August der Starke, Kupfer, getrieben von Wiedemann. Dresden
20
3. DIE GEISTESBILDUNG IM DEUTSCHEN BAROCK
Wie die Grundlagen der deutschen Barockkunst, so beruhen die der höfi-
schen und aristokratischen Bildung dieser Zeit auf der Kultur der höfi-
schen Kreise Italiens und Frankreichs. Um 1700 wurde das Französische die offi-
zielle Umgangssprache der deutschen Höfe. In Wien und München herrschte
daneben das Italienische. Die lateinische Sprache diente zu Staatsschriften
diplomatischen und genealogischen Charakters, zu Inschriften der Festtro-
phäen, der fürstlichen Grabmäler, die von eigenen Hofhistoriographen abge-
faßt wurden. Das Verhältnis der Fürsten zur antiken Literatur, Geschichte
und Mythologie ging nur so weit, als sie darin ein Mittel zu ihrer eigenen und
zur Verherrlichung ihres Hauses sahen. Sie alle lassen sich als antike Heroen
darstellen: Leopold I. (Abb. i) und sein Nachfolger, der Große Kurfürst
und Friedrich L, August der Starke (Abb. 8) und Max Emanuel. So
erscheinen sie nicht nur in den Götterfestzügen, sondern auf Gemälden,
auf Denkmälern und in Statuetten. Der rauschende Stil dieser römischen
Barockhelden auf den trabenden oder dem en Courbette aufbäumenden rams-
nasigen Pferde offenbart das Ideal, das sich der Barock von ,,der Römer Zei-
ten" und ,,der Antiquen ihrem Gout" zurechtgemacht hat. Aus dem gleichen
Pathos sind die allegorischen Darstellungen der antiken Götterwelt geboren,
die jetzt die Decken der Schlösser verherrlichen — die von den Malern der
Berliner Akademie gemalten Decken der Paradekammern König Friedrichs I.
im Berliner Schloß sind das beste Beispiel — , aus demselben Pathos die Göt-
ter und Helden der italienischen Oper, die in Wien von Metastasio gedichtet
wurden. Und die bald tragischen, bald lyrischen Gestalten der griechischen
und römischen Geschichte, der französischen Tragödien und Romane sowie
in den heißbegehrten flandrischen und französischen gewirkten Bildteppichen
gesellen sich hinzu. Man suchte nur sich selbst in der Antike. Weitaus am
höchsten standen in der allgemeinen Schätzung die schweren und dramatisch
bewegten spätrömischen Gruppen, der Laokoon, der Farnesische Herkules,
der Apoll von Belvedere, die Mediceische Venus, der Gladiator, der Zentaur
und der Faun, die in den päpstlichen Gärten immer wieder bewundert und
studiert werden. Sie finden sich bereits in malerischer Umstilisierung in den
Kupferstichen von Joachim Sandrarts teutscher Akademie, einem Werk, das
21
für die Vermittlung des römischen Barock und der römischen Altertümer
grundlegend wurde. Wir finden Gipsabgüsse dieser römischen Werke z. B.
auch in der Berliner Akademie zur Zeit Schlüters. Erst damals begannen in
Deutschland eigentliche Antikensammlungen sich von den Kunst- und Wun-
derkammern des 17. Jahrhunderts loszulösen. In Berlin entstand die Samm-
lung Friedrichs I., in Wien die des Prinzen Eugen, in Dresden die Augusts
des Starken, wozu 1723 der Grundstein durch den Ankauf der brandenburgi-
schen Sammlung gelegt wurde. Allein das wissenschaftliche Interesse trat
vor dem dekorativen Interesse in den Hintergrund, was allein schon durch
die barocken Ergänzungen der Torsi dargetan wird. Nicht das antike Rom,
sondern das Rom des Barock, wie es die Stiche des Falda und später des Pira-
nesi darstellen, beschäftigt die Phantasie der Gesellschaft und der Künstler.
Hier, in dem Rom des 17. Jahrhunderts, in dem Rom Urbans VIII., Inno-
zenz' X. und Alexanders VII. Chigi, in dem Rom des Bernini und Borromini
liegen die Quellen für so viele deutsche Gedanken dieser Zeit. Die Reise nach
Rom gehört zur Ausbildung der Fürsten, Edelleute und Künstler, die etwas
auf sich halten. Von Rom und anderen Mittelpunkten des italienischen Ba-
rock übernehmen unsere Höfe die italienische Oper, die italienische Musik
und italienische Karnevals- und Festgebräuche, die während der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts eine tiefgehende Einwirkung auf die Kultur der deut-
schen Gesellschaft ausgeübt haben. Noch Friedrich der Große sendet seinen
Baumeister Knobelsdorff und seinen Kapellmeister Graun nach Rom und Ve-
nedig, um für die neubegründete Berliner Oper Sänger, Tänzer und Musiker
anzuwerben.
Neben der italienischen Kunst- und Geistesströmung gewinnt seit rund
1700 die französische höfische Kultur zusehends an Einfluß. Von Paris und
Versailles geht namentlich die elegantere Lebensform aus. An den Hof des
Sonnenkönigs reisen die jungen Prinzen und ausgesuchte Künstler, um den
neuesten Geschmack in allen Dingen der feineren Lebensführung, der Eti-
kette, der Mode wie des Bau- und Gartenwesens zu studieren. Ludwig XIV.
wurde vorbildlich für das in strenger Steigerung geregelte Hofzeremoniell.
Wie der König speiste, wie er empfing, wie er aufstand und zu Bette ging,
wurde nachgeahmt. Am stärksten ist die Berührung mit seinem Hofe bei
Max Emanuel von Bayern und seinem Bruder Joseph Clemens, dem Kölner
Kurfürsten und Erbauer der Schlösser Bonn und Poppelsdorf, die beide in
Paris in der Verbarmung gelebt hatten. Man versteht es, daß die großen Pa-
riser Schloßbaumeister de Cotte und Boffrand die Berater des Geschmacks
dieser und einer Reihe anderer deutscher Fürsten wurden. Der Wiener Hof
unter Karl VI. stand stärker unter der Einwirkung der spanisch-italieni-
22
23
sehen Etikette, wie denn auch die Wiener Baukunst von der französischen
weniger berührt worden ist. Besonders empfänglich zeigten sich dem franzö-
sischen Geschmack gegenüber die Damen. Wir finden die Neigung bereits bei
der GemahHn Friedrichs I., Sophie Charlotte. Auch Sophie Dorothea hat ent-
gegen ihrem bäuerischen Gemahl, Friedrich Wilhelm I., der französischen
Bildung gehuldigt. Sie hat die Neigung dafür auch ihren Kindern Friedrich
und Wilhelmine eingepflanzt. Die Überlegenheit der französischen Geistes-
kultur über die deutsche war in der Tat bedeutend. Eben hatten Dichtung
und Philosophie in Frankreich ihren Höhepunkt erreicht. Die Sprache hatte
eine unübertreffliche Klarheit gewonnen. Was konnten wir den Geistesheroen
des Siecle de Louis Quatorze, was den Racine, Corneille, Moliere, la Fontaine,
Fenelon, Bossuet, in deutscher Sprache an die Seite stellen? Gegen das große
französische Theater erschienen die Schauspiele des Gryphius und anderer
Deutscher des 17. Jahrhunderts wie Hanswurstiaden. Die deutsche Dichtung
hatte sogar gegenüber der Zeit des Opitz, des Angelus Silesius und des Grim-
melshausen an Kraft und Ausdruck verloren. Den Höfen diente sie neben
dem Lateinischen zur Verzierung und Verherrlichung der großen Feste. Aus-
führliche Beschreibungen in bombastischer Sprache, von Kupfern begleitet,
wurden von den bestallten Hofpoeten herausgegeben. Am brandenburgisch-
preußischen Hofe wirkten in diesem Sinne Canitz und Besser; der letztere
ging nach Friedrichs I. Tode an den Hof Augusts des Starken, wo ihm Jo-
hann Ulrich von König folgte. Die Schöpfung von Königs Muse ist das Ge-
dicht ,, August im Lager", worin das von August dem Starken seinen Gästen
Friedrich Wilhelm I. und dem Kronprinzen Friedrich 1730 bei Radewitz ge-
gebene Lustlager besungen wird. Pietsch feierte den Sieg Karls VI. über die
Türken bei Belgrad, und Günther den Kriegsruhm des Prinzen Eugen in lan-
gen Oden. Bedeutsamer ist die Wirksamkeit der Hofhistoriographen. In
ihren Arbeiten zur Geschichte der Dynastien ist eine Fülle historischer, ge-
nealogischer und pragmatischer Forschung aufgespeichert, die heute noch
der Geschichtswissenschaft reichen Stoff liefert. Drei der trefflichsten Köpfe
des deutschen Barock sind hier zu nennen : Puffendorf, der Geschichtsschrei-
ber des Großen Kurfürsten, Thomasius und Leibniz (Abb. 10), der die Ge-
schichte des Hauses Braunschweig-Lüneburg zu bearbeiten hatte. Auch sie
mußten sich fast ausschließlich des Lateinischen bedienen. Leibniz schrieb
daneben auch Französisch. Die Bestrebungen der beiden letzteren Männer,
dem Deutschen Eingang in die Gelehrtenwelt zu verschaffen, blieben zu-
nächst noch ,,unvorgreiffliche Gedanken". Für den Hof war die Wissenschaft
dienstbarer Geist. Die Freundschaft Leibnizens mit Sophie Charlotte, die er
mehrmals in dem Schlosse Charlottenburg besuchte, und der die Theodice ge-
24
Abb. 10. Leibniz, von Andreas Scheits
Braunschweig, Gemäldegalerie
widmet ist, ist eine der wenigen Ausnahmen. Der Gelehrte wünscht sich wie-
derholt von Hannover nach Paris oder London, da er niemanden findet, mit
dem er sich besprechen kann. ,,Es ist hier zu Lande nicht hofmännisch," sagt
er, ,,sich von gelehrten Dingen zu unterhalten." ,,Als er begraben wurde,"
berichtet sein Schüler Eckardt, ,,war das einzige zu verwundern, daß, da der
ganze Hof ihm zu Grabe zu folgen invitiert war, außer mir kein Mensch er-
schienen, so daß ich dem großen Mann die letzte Ehre einzig und allein er-
wiesen." Im Mittelpunkt der Interessen der höfischen Gesellschaft standen
andere Dinge; neben der Diplomatie und dem Staatswesen das Militär, die
Jagd, die festliche Geselligkeit und damit zusammenhängend die Baukunst
und die Gartenkunst.
Ganz besonders sticht in dem höfischen Leben die mit höchster Kunst aus-
gebildete Etikette hervor. Es wird mit äußerster Peinlichkeit bei den
Staatszeremonien jeder Schritt, jede Geste beachtet. Der Zutritt zu den Au-
25
Abb. 1 1 . L. de Silvestre, Marie Josepha von Österreich. Dresden, Gemäldegalerie
26
dienzgemächern des Fürsten führte durch eine Flucht von Vorzimmern, die
eine stufenweise Steigerung der Würde und des Prunks einhielten. Bei Be-
suchen fremder Fürstlichkeiten wird jedesmal genau verzeichnet, wie weit
der Gastherr den Fremden entgegengeht, ob er sie, was wohl nur bei kgl. Ho-
heiten geschah, vor dem Schloßaufgang im Ehrenhofe, ob er die 'Ankommen-
den an der Treppe oder erst in seinen Gemächern empfing. Bei der Zusam-
menkunft Karls VI. mit Friedrich Wilhelm I. bei Karlsbad wird die Einrich-
tung getroffen, daß die beiden hohen Herren zugleich von beiden Seiten in
den Saal treten, damit kein Rangunterschied zum Ausdruck kommt. Die
Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth erzählt in ihren ,,Memoires", dem
zweifellos geistvollsten deutschen Werk dieser Gattung, welche Schwierig-
keiten beim Besuch des markgräflichen Paares am Hofe des Fürstbischofs
Karl Friedrich von Schönborn in Pommersfelden die Etikettefragen bereiten.
Es wird mit dem Zeremonienmeister lange vorher hin- und hergestritten über
die Anrede, die dem Fürstbischof zukommt, ob „Hoheit", ,,Euer Gnaden"
oder nur ,,Euer Lieben." Nachdem dieses glücklich vorüber, kommt es den-
noch zu den üblichen Rangstreitigkeiten zwischen den reichsgräflichen
Schwestern des Fürstbischofs und den Damen des markgräflichen Gefolges.
Es herrscht eine allgemeine Sucht nach Titelerhöhungen, nach Orden und
nach glänzendem Prunk. Dem Hof-, Militär- und Beamtenadel strebten die
edlen und patrizischen Geschlechter der großen Reichsstädte nach. Auch die
emporgekommenen reichen Familien des Kaufmanns- und Gewerbestandes
gaben ihrer Lebensführung den vornehmen Anstrich der höfischen Ge-
sellschaft. Ohne Kenntnis der gesellschaftlichen Verhältnisse ist die barocke
Schloßarchitektur nicht zu verstehen. Ganz merkwürdig mutet uns die Be-
obachtung an, daß die kunstvolle Etikette von den Zeitgenossen selbst so
häufig als ein Zwang empfunden wird, dem sie sich dennoch wie einer höhe-
ren Macht beugen. Fast stets kommt es bei den großen Empfängen und Krö-
nungsfesten zu Ohnmachtsanfällen der gefeierten Fürsten. Die Last der
Perücken und der goldgestickten Staatsgewänder trug das Ihrige dazu bei.
So flüchtet sich denn der prunkliebende Max Emanuel in seine Klause imi
Nymphenburger Park, und Kaiser Karl VI., der auf strengste spanische Eti-
kette hielt, fühlte sich am glücklichsten auf der Jagd mit wenigen Freunden.
Ein Mann, wie Friedrich Wilhelm L, war geradezu ein ausgesprochener
Feind allen Prunkes, der Galanterie und der französischen Bildung. Er trug
stets die blaue Uniform des Potsdamer Garderegiments und saß am liebsten
mit Jagdgenossen in seinen Jagdschlössern Stern bei Drewitz und Königswu-
sterhausen. Es leben eben trotz der fremden Bildungstünche die eingebore-
nen Kräfte auch in dem Barockzeitalter fort. Ein Beweis ist auch die Lise-
27
lotte von der Pfalz, die den Bruder Ludwig XIV. heiratete, aber inmitten der
französischen Hofgesellschaft ihr urwüchsiges Naturell bewahrt. Das gilt in
viel höherem Maße von den breiten Schichten des Volkes, des kleinen Bür-
gertums und des Bauernstandes'). Unbekümmert um die Courtoisie und Mode
der höheren Stände ging die breite Masse des Volkes ihre alltägliche Bahn
fort. Eine überragende Stellung in der Geistesbildung dieser Kreise kommt,
wie wir später zeigen werden, damals noch der Kirche zu. Welch ein starker
Strom ungebrochener nationaler Kraft wirkte noch in den Volksbüchern, in
den Wander- und Kriegsliedern, wie im ,, Prinz Eugenius der edle Ritter", in
Sinn- und Kernsprüchen, in Sitten und Hausrat des Volkes weiter! Es ist
allerdings nicht zu leugnen, daß durch die Vorherrschaft der fremden Bil-
dung in den höheren Schichten eine in vollem Sinne volkstümliche Kunst und
Kultur, wie im Zeitalter Dürers, außerhalb der Kirche erschwert wurde. Es
liegt in diesen Zuständen teilweise auch die Quelle für die tiefe Kluft zwi-
schen den Gebildeten und dem Volke. So sagt Herder zur Kennzeichnung
dieser Epoche: „Mit wem man Deutsch sprach, der war ein Knecht, ein Die-
ner. Dadurch also hat die deutsche Sprache nicht nur den wichtigsten Teil
ihres Publikums verloren, sondern die Stände selbst haben sich dergestalt in
ihrer Denkart entzweit, daß ihnen gleichsam ein zutrauliches gemeinschaft-
liches Organ ihrer innigsten Gefühle fehlt. Ohne eine gemeinsame Landes-
und Muttersprache, in der alle Stämme als Sprossen eines Baumes erzogen
werden, gibt es kein wahres Verständnis der Gemüter, keine gemeinsame pa-
triotische Bildung, keine innige Mit- und Zusammenempfindung, kein vater-
ländisches Publikum mehr."
Und doch hat sich auch damals das unverwüstliche und so starken Gefah-
ren der Überfremdung ausgesetzte eingeborene Gefühl unseres Volkes be-
hauptet. Am stärksten gestaltet es sich in der Baukunst. In ihr vereini-
gen sich Vornehme und Volk zu gemeinsamer Arbeit. Ein einheitlicher Puls-
schlag ist den besten Schöpfungen gemeinsam. Viele der großen Baumeister
und Bildner steigen aus der Tiefe des Volkes, aus dem Maurer-, dem Zimme-
rer-, Stukkatoren- und Tischlerhandwerk empor. Damals kamen auch stetig
und langsam aus dem kleinen Handwerkerstande Fabrikantenfamilien auf,
wie unter den Garnbleichern, Färbern und Waffenschmieden im Bergischen
und unter den Webermeistern Sachsens, die den Grund zur Blüte der Indu-
strie in der Spätzeit des Jahrhunderts legten. Endlich ist noch der großen
Chemiker der Barockepoche zu gedenken, unter denen Tschirnhausen und
Böttger, die Erfinder des Porzellans, und Kunkel, der Verbesserer der Glas-
fabrikation, hervorragen. Es ist doppelt bewunderswert, daß gerade aus dem
phantastischen Brauen und Brodeln dieser Adepten- und Goldmacherküchen
28
so viele sachliche Ergebnisse hervorgegangen sind. Am hellsten aber er-
leuchtet den Eingang des Jahrhunderts der Genius des Leibniz. Er ist der
tiefste und reichste Geist des deutschen Barock, fast bedrängt von seiner all-
umfassenden Gelehrsamkeit und dem rastlosen Forscherdrang. Die mathe-
matischen und logischen Ideenreihen des Des Cartes und die Erfahrungen
der englischen Philosophen und Naturwissenschaftler vereinigen sich in sei-
nem System. Die beseelte Monade und die prästabilierte Harmonie seines
Weltbildes bezeichnen eine ähnliche Bereicherung und Erweiterung der Ge-
danken des Barock, wie sie auch die Baukunst auf deutschem Boden voll-
zieht. Als die dritte im Bunde gesellt sich zu ihnen die deutsche Musik des
Barock, die in Händel und Bach gipfelt.
29
^UJie (^lut lull ^luti LLxdcn^.
4. DIE GROSSEN FESTE
Keinen sinnfälligeren Ausdruck für den Seelenzustand des Barock gibt es
als die Art, wie er seine Feste feierte. Am Ende des 17. Jahrhunderts er-
reichte die Festeskultur des höfischen Europa einen vorher und nachher nie
wiedergesehenen Glanz. Damals kamen die in der Renaissance entsprossenen
Keime zur üppigsten Entfaltung. Der Festbetrieb des deutschen Barock
steht wie selbstverständlich in engster Fühlung mit dem der italienischen
Höfe; die Götterfestzüge, die Ballette, die Turniere, Ringelstechen und Kar-
nevalsfeste, die Karussels und Tierhetzen, die Komödien und Opern, die na-
mentlich am Hofe Leopolds I., Josephs I. und Karls VI. in Wien, Max Ema-
nuels in München, der Johann George und Augusts des Starken in Dresden
aufgeführt werden, sind Nachbildungen italienischer Feierlichkeiten. Ita-
30
liener wie Burnacini, die Galli Bibiena und andere Festdekorateure haben
dabei eine wichtige Rolle gespielt. Das italienische Fest- und Maskeraden-
wesen drang aber nicht nur in das geistige und künstlerische Leben der deut-
schen Höfe — es befruchtete auch die deutschen Gemüter, so daß deren Vor-
stellungs- und Gedankenwelt im Beginn des i8. Jahrhunderts daraus starke
Anregungen schöpfte. Große deutsche Baumeister wie Fischer von Erlach,
Hildebrand, Neumann, Schlaun usw. treten als Festarrangeure auf. Die von
ihnen und ihren Zeitgenossen ausgestatteten und geleiteten Staatszeremo-
nien, Kirchen-, Freuden- und Trauerfeiern eröffnen uns erst das volle Ver-
ständnis für den Sinn ihrer architektonischen Schöpfungen. Rufen wir uns
die längst verklungenen rauschenden Feste ins Gedächtnis, erfüllen wir die
Prozessionswege und das Innere der Kirchen, erfüllen wir die Straßen, die
Schloßplätze und Höfe, die Gärten und Teiche, die Säle und Galerien der
Schlösser, ihre Opernhäuser und Kapellen mit den farbenbunten Scharen, die
sie an solchen Tagen belebten : dann erst gewinnt das Bild des Barock seine
Rundung. Der Barock als Ausdruck eines hochgesteigerten Lebensgefühls
wird dann erst im ganzen Umfang verständlich. Die zahlreichen kostspieligen
Kupferwerke und bis ins Einzelne gehenden Beschreibungen, in denen die
Epoche die wichtigsten Ereignisse der Art festgehalten hat, beweisen über-
dies, daß sie darin mehr als bloß vorübergehende Vergnügungen gesehen hat.
Sie hat ihre Feste mit demselben Ernst wie die monumentalen Bau- und
Kunstangelegenheiten behandelt. Uns sind die Zeugnisse hierüber nicht we-
niger als die anderen Kunstschöpfungen unentbehrliche Quellen des Denkens
und WoUens unserer Vorväter aus dem 1 8. Jahrhundert-).
Der moderne Mensch, der nichts so sehr verlernt hat, als das wahre Feste-
feiern, muß sich vergegenwärtigen, daß die großen Feierlichkeiten des Barock
nur auf dem Grunde des damals noch vorhandenen künstlerischen Gemein-
samkeitsgefühls von Hoch und Niedrig erwachsen konnten. In ihnen findet
das freudig erregte Volksgemüt seinen höchsten Ausdruck. Bei den Kirchen-
und großen Heiligenfesten und Wallfahrten selbstverständlich. Aber auch die
Einzüge, Sieges- und Krönungsfeiern der Fürsten, ihre Vermählungs- und
Totenfeste wurden von dem ganzen Volke als Zuschauern, ja als Mitwirken-
den erlebt. Es wäre ganz töricht zu glauben, daß Kurfürst Friedrich III. von
Preußen, als er aus eigener Machtvollkommenheit sich und seiner Gemahlin
die Königskrone aufs Haupt setzte, dies bloß aus persönlicher Eitelkeit und
Prunksucht tat : Nein, das ganze Preußenvolk fühlte sich in dieser Handlung
mittätig erhoben. Die reichen freiwilligen Krönungssteuern aus dem ganzen
Lande beweisen das zur Genüge. Gewiß muß man manche Übertreibung in
den Schilderungen der bestallten Hofpoeten auf ihr Maß beschränken. Auch
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ist nicht zu vergessen, daß eben der Barock ein mit allen Mitteln arbeitender
Meister in der Inszenierung war. Dennoch ist ein Hof- und Krönungsfest
von dem aufrichtigen Freudeempfinden der breiten Massen getragen gewe-
sen. Man muß dem Hofmarschall von Besser Glauben schenken, wenn er
den Volksjubel bei der Königsproklamation in Königsberg beschreibt. Unter
dem Donner der Geschütze und demTrompetenschall von allen Türmen ,, ent-
stand auf dem Markte ein so lautes und allgemeines Freudengetümmel, daß
es von Gasse zu Gasse, ja von einer Stadt zur anderen erschallte und die An-
kommenden vom Lande zu ihrer Verwunderung mit darunter verwickelt
wurden, bevor sie noch wissen konnten, was ein so unverhofftes und in den
preußischen Grenzen nie erlebtes Frohlocken bedeuten sollte." Bei der Krö-
nungsfeier in der Schloßkirche bewirkten die in dem Feuer der Brillanten
strahlende Krone und die goldbestickten scharlachroten Ornate des könig-
lichen Paares bei allen Anwesenden gesteigerte Begriffe von ihrer Herrlich-
keit. Besonders schimmerte die Krone aus den dicken Buckeln des natürlich
gekrollten kohlschwarzen Haares der Sophie Charlotte desto heller hervor,
so daß alle Anwesenden von dem Anblick wie betroffen waren. Um den Jubel
des Volkes zu steigern, wurde diese Königskrönung, wie stets auch die Kai-
serkrönung, damit beschlossen, daß Münzen unter die Menge geworfen und
ihr ein gebratener Ochse und Wein als Symbol des Überflusses und der
Wohltätigkeit preisgegeben wurden. Die herzliche Teilnahme des Volkes an
den Feierlichkeiten seines Kaiserhauses beleuchtet die Erzählung, die Goethe
als Knabe von älteren Frankfurtern erfuhr. Als Franz I. nach der Krönung
im Dom in dem seltsamen Ornat an einem Balkonfenster neben dem Römer
seiner jungen Gemahlin Maria Theresia gegenübertrat und sich ihr sozusagen
als ein Gespenst Karls des Großen dargestellt, habe er wie zum Scherz beide
Hände erhoben und ihr den Reichsapfel, das Zepter und die wundersamen
Handschuh hingewiesen. Darüber sei die junge Kaiserin in ein unendliches
Lachen ausgebrochen, welches dem ganzen Volke zur größten Freude und
Erbauung gedient, indem es darin das gute und natürliche Ehgattenver-
hältnis des allerhöchsten Paares der Christenheit mit Augen zu sehen ge-
würdigt worden. Als die Kaiserin nun ihrem Gemahl ein lautes Vivat zurief,
wollte das Freudengeschrei des Volkes gar kein Ende nehmen.
Die Kaiserkrönung zeichnete sich natürlich als die ehrwürdigste Feier des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation durch den Prunk, den die
Kurfürsten und Stände des Reiches entwickelten, vor allen übrigen Festen
aus. Die tagelangen Einzüge, Empfänge und Begrüßungen, die Wahlhand-
lung, die Krönung und Salbung im Dom, die anschließenden Festtafeln, Illu-
minationen und Volksbelustigungen vollzogen sich in einer genau geregelten
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Schmitz, iS.Jahrh, 3
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Abb. 13. Ein Damenfest unter August dem Starken
Ordnung. Der Aufbau dieser Zeremonien, wo jeder Schritt beinahe von dem
Obrist-Hofmarschall geregelt war, ihre Steigerung zum Höhepunkt der Fei-
er, die Verknüpfung sinnvoller historischer Bedeutung mit kostbarem Wap-
pen-, Herolds- und Livreenprunk: dies allein erhob bereits die Feier zum
Kunstwerk. Es sei auf die Darstellung der römischen Königskrönung in der
Reichsstadt Augsburg 1690 verwiesen. Hier ziehen nacheinander unter Ka-
nonen- und Trompetenschall alle die Fürsten oder ihre Gesandten ein, die
diese erste Epoche des deutschen Barock kennzeichnen, mit einem unabseh-
baren Gefolge von Karossen, mit Domherren, Kavalieren, Ministern, davor
und dahinter Trabanten, Pagen und Garden, alle in bunten Samt- und Sei-
dengewändern : Die Kurfürsten, voraus der Erzkanzler Anselm Franz von
Mainz, Johann Hugo von Trier, Joseph Clemens von Köln, Philipp Wilhelm
von der Pfalz, Max Emanuel von Bayern, Johann Georg III. von Sachsen,
Friedrich III. von Brandenburg usw.
Alle Künste, die bildenden, die redenden und die Musik, standen im Dienst
der Sache. Die Architektur aber leitete das Ganze. Mächtige Ehrenpforten
als Nachbildungen römischer Triumphbogen, Ehrensäulen und Denkmäler
bildeten den Mittelpunkt des von einheitlichen Gedanken beherrschten Fest-
schmuckes. Beim Einzug Friedrichs I. nach seiner Krönung in die Residenz
Berlin waren sechs großeEhrenpf orten errichtet, die auf das Schloß zuführten.
Der Chronist berichtet ausdrücklich: ,,Sie standen in einer Reihe, wurden
in Perspektive gesehen und erschienen dem Durchziehenden nicht an-
ders als entweder die in einem Palast hintereinander gelegenen, reich aufge-
34
Abb. 14. Einzug Josephs I. in Nürnberg, 1704 (Ausschnitt)
schmückten Gemächer, oder als die bei den Karussels gewöhnlichen Schran-
ken mit Neugierigen auf beiden Seiten." Den Endpunkt dieser Dekorationen
bildete das eben vollendete Portal Schlüters mit den vier majestätischen Säu-
len am Schloßplatz (Abb. 16). Durch dieses betrat der Festzug den gewal-
tigen Säulenhof Schlüters, dessen Mitteltrakt das zur Flucht der glänzenden
Paradekammern hinaufführende Treppenhaus umschließt. So erst enthüllt
sich uns der triumphale Gedanke in dem Schloßbau Schlüters. Fischer von
Erlach, der große österreichische Zeitgenosse Schlüters, entwarf die Tri-
umphbogen zum Einzug seines Herrn Josephs I. als römischen Königs in
Wien i6go, deren einer eine Quadriga mit vier sprengenden Rossen zierte.
Die Festbauten Fischers werden bezeichnenderweise von seinem Freunde
Wagner von Wagenfels als Triumphe des deutschen Meisters über die
Welschen gefeiert. ,, Dieses war ein schöner Triumpf- und Ehren -Tag, in
welchem nicht allein Ihre Königliche Majestät, als wie ein, zur Frolockung
des sämmtlichen Volcks vom Himmel herabgeschickter Engel in das weltbe-
herrschende Wien mit einer unvergleichlichen und von der Teutschen Weiss-
heit wohlangeordneten Pracht Siegprangend eingeritten, sondern an wel-
chem auch die Teutsche Kunst und Geschicklichkeit wider die Hochachtung
der Ausländer in den Gemüthern aller Zuschauer einen sehr herrlichen Sieg
erhalten hat." Die architektonische Ordnung, die den Festen des Barock zu-
grunde liegt, wird auch in den Balletten, Turnieren und Karussels eingehal-
ten. Das zum Karneval 1722 im Zwinger in Dresden abgehaltene „Caroussel
Comique" ist eine von Kavalieren und Damen in Masken der italienischen
3*
35
Abb. 15. Vom Seitenflügel des Zwingers in Dresden
von Pöppelmann, um 1720
36
Abb. i6. Südportal des Berliner Schlosses, von Andreas Schlüter, 1701
37
Abb. 17. Gesamtansicht des Zwingers in Dresden, Gemälde von Canaletto
Charakterkomödie aufgeführte Quadrille. Scaramuzi, Crispini, Harlequini,
Pantaloni, Dottori, Bringhelli, Policinelli und Capitani ziehen in rhythmischer
Ordnung von Charivarimusiken geleitet in die Arena. Es folgen allegorische
Kämpfe und Turniere — acht welsche Ritter bekämpfen die Elemente, alles
möglichst ,,egal und in gleicher Distance", und mit derselben zeremoniösen
Regelmäßigkeit vollzieht sich die anschließende Festtafel in der Bildergalerie.
Wie sehr dieser ordnende Grundzug des Barock selbst das militärische Exer-
zieren, Lager- und Uniformenwesen beseelte, ja daß er von dem künstle-
rischen Empfinden mit vollen Zügen genossen wurde, beweist das von August
dem Starken zu Ehren Friedrich Wilhelms I. und des Kronprinzen Friedrich
im Juni 1730 bei Mühlberg an der Elbe abgehaltene, von den Zeitgenossen
verherrlichte Lustlager der polnisch-sächsischen Armee. Für diese martiali-
schen Lustbarkeiten wurde eine Ebene von drei deutschen Meilen planiert, in
deren Mitte sich der königliche Pavillon erhob. Der Sinn für strenge Ord-
nung geht so weit, daß die abgeschlagenen Bäume ,,in Klaftern sehr ordent-
lich in zwo Linien gesetzt am Horizont stunden, und daß die geschickte Auf-
stellung nicht genugsam zu bewundern war". König August hatte für sich
selbst ein Palais aus Holz mit kostbar tapezierten Zimmern, mit Küche, Kel-
lerei, Konditorei, Galanteriebutiken und Kaffeehäusern errichten lassen, wo
Janitscharen und Mohren aufwarteten — alles auf grün gestimmt — , wäh-
rend das preußische Hauptquartier in prächtigen Zelten logierte. Die Armee
38
Abb. i8. Der Pavillon des Zwingers in Dresden, von Pöppelmann, um 1720
39
kampierte in Ordre de Bataille in zwei langen Linien, an deren Ende je eine
steinerne Pyramide aufragte. Jedes Regiment in seinen prächtigen Unifor-
men und Farben um seine Fahnen und Standarten geordnet. Der ,,Accura-
tesse und Proprete" dieses Zeltlagers zollt der Berichterstatter Bewunderung.
Den Höhepunkt der Übungen bildet der Parademarsch und das Exerzieren,
das Quareesbilden, die Handgriffe nach dem Trommelschlag, das Feuer in
Gliedern und dergleichen Vorführungen, worin die sächsische Armee der preu-
ßischen nacheiferte. Zum Beschluß wurde ein vierzehn Ellen langer Kuchen
gebacken, wozu ein besonderer Ofen gebaut war. Unter Leitung eines Ober-
landbaumeisters wurde der Kuchen von einem Zimmermann zerlegt; also
auch in diesem echt barocken Scherz wird doch die architektonische Seite
nicht vergessen!
Die Plastik und Malerei entfalteten im Bunde mit der Architektur ihre
ganze Kraft, um den Festen Gehalt und Form zu geben. Figurenreiche alle-
gorische Gruppen und Gemälde schmücken die Ehrenpforten und Denkmäler.
Der hochgesteigerte Ruhmsinn findet hier das Feld seiner Betätigung. So
sind die Triumphpforten und Ehrenpyramiden, durch die August der Starke
nach seiner polnischen Königskrönung in Danzig einzieht, mit Darstellungen
,,der von seiner kgl. Majestät vollführten Heldentaten" geschmückt; ,,der
König erscheint ganz geharnischt im Purpurmantel gemalt als unüberwind-
licher Monarch in freundlicher doch königlicher und heroischer Gestalt",
über ihm Fama und Virtus, gegen die zwei giftige Nattern anzischen. Ähn-
lich werden Max Emanuel und Therese Kunigunde bei der Rückkehr aus der
Verbannung nach München im Juli 17 15 durch Ehrendenkmäler gefeiert. Sie
erscheinen auf einer Ehrenpforte nach dem Leben gemalt ,,in vollkommener
Freudsvergnügung sitzend" von Tugenden und Göttern umgeben. Auf dem
Festwege werden sie begrüßt durch einen Lustberg mit Wasserfällen und
grünenden Bäumen, dazwischen die Bilder ihrer Lustschlösser, ferner durch
ein Bassin in Form einer wassersprühenden Galeere, sowie durch Statuen
und Gruppen antiker Gottheiten, die in sinnbildliche Beziehungen zum Ruhm
des Hauses Bayern gesetzt sind.
Selbst in den Trauerfestlichkeiten wird der Gedanke des Heldenruhmes
betont, ja hier wirkt er im Gegensatz zur Schaustellung von Todestrauer und
Schrecken und der Vergänglichkeit doppelt stark. In dem „Castrum doloris",
der feierlichen Aufbahrung des fürstlichen Leichnams in der völlig schwarz
ausgeschlagenen Kirche, tritt die rauschende Inszenierung der Barockgefühle
in einer Weise zutage, die uns Nachfahren besonders schwer verständlich
ist. Was ist hier wirklicher Schmerz, was ein selbstgefälliges Wühlen im
Schmerze? Ähnlich wie angesichts vieler religiöser Kunsterscheinungen be-
40
Abb. 19. Pagodenburg im Park von Nymphenburg, um 1720
wegt uns die Frage : wo geht der Ausdruck wirklichen Gefühls in theatralische
Schaustellung über? Der Historiker steht an einem Punkt, wo er der Ver-
gangenheit nicht mehr ins Herz sehen kann. Gibt es einen größeren Gegen-
satz als eine solche Totenfeier, wie sie Fischer von Erlach seinem Herrn, Kai-
ser Joseph I., in der Augustiner- Hofkirche, Eosander seiner Herrin, Sophie
Charlotte, im Berliner Dom und Effner dem Kurfürsten Max Emanuel in der
Theatinerkirche anrichtete, mit einem modernen Leichenbegängnis? Kaiser
Josephs Katafalk steht zwischen den vier Mittelpfeilern der Kirche, die, in
Trajanssäulen verwandelt, die glorreichen Taten des Kaisers wie in Metall
gegossen darstellen. Die Totenbahre mit schweren goldgestickten Trauer-
decken, deren vier Ecken römische Klageweiber halten, ist umgeben von Fi-
guren in der traurigsten Stellung, Matronen, die das römische Reich und die
Provinzen Österreichs darstellen. In der Höhe schwebende Engel und dahin-
ter eine Apotheose auf Wolken, über welche der Kaiser als Imperator auf
einer von zwei Adlern gezogenen Biga emporfährt. Darüber ein Baldachin
mit der Kaiserkrone und Genien mit Schrifttafeln: die herabfallenden Dra-
perien des Baldachins sind in den Seitenschiffen an Wolkenballen aufge-
knüpft. Über dem Eingang zu dem kaiserlichen Begräbnis brach aus einem
Vorhange „das Gerücht" — der Ruhm — hervor, auf dessen Trompetenfahne
der in den alten Triumphen gebräuchliche Zuruf: Jo Triumpfe!
41
Abb. 20. Galakutsche von der Kaiserkrönung in Frankfurt, 1764. Berlin, Schloßmuseum
Der Barock suchte, wo es möglich war, die Festdekorationen auch in Stein
und Stuck über die Vergänglichkeit des Tages hinaus zu verewigen. Nament-
lich dort, wo er die Bürgschaft dauernden Ruhmes wünschte. Besonders am
Berliner Schloß macht sich das Ruhmesstreben noch heute geltend; so an
dem von posaunenblasenden geflügelten Genien belebten Triumphbogen
Eosanders nach der Schloßfreiheit zu, ferner in der von Eosander geschaffe-
nen Bildergalerie, wo das königliche Paar an den Decken erscheint, von Mu-
sen umgeben, während die Laster von Genien in wildem Kampfe über die
Gesimse heruntergeschleudert werden; der höchste Festjubel entfaltet sich in
dem Schlüterschen Rittersaal, wo aus den vier Ecken plastische Scharen, die
Gesimse durchbrechend, zur Decke emporströmen und sich, gemalt, mit
Wolken zum Zenith aufschwingen, den Ruhm des Erbauers dieses Schlosses,
des Zeughauses und des Charlottenburger Schlosses unter Posaunenge-
schmetter der Ewigkeit verkündend. Das Prunkbüfett, das nach Eosanders
Zeichnung von Augsburger Goldschmieden ausgeführt wurde, diente zum
Schmuck des Krönungsfestes im Jahre 1703 und ist ausgesprochenermaßen
eine verewigte Festdekoration. Die äußerste Verschwendung mit Prunksilber
trieb August der Starke auf seinen Festen; so ließ er 17 19 bei der Vermäh-
lungsfeier des Kurprinzen mit der Kaisertochter ein Riesenbüfett mit silber-
nen Pokalen, Schwenkkesseln, Becken und Leuchtern errichten. Diese Ver-
mählungsfeierlichkeiten gehen über alles hinaus, was uns sonst überliefert ist.
Noch halten einige der mit Federn besteckten Pferdegeschirre im Histori-
42
Abb. 21. Schlittenpferd Augusts des Starken, 1719. Dresden, Histor. Museum
sehen Museum die Erinnerung an die abgehaltenen Schlittenfahrten fest
(Abb. 21). Das Dresdener Grüne Gewölbe birgt einen Teil des von Ding-
linger und anderen geschaffenen Prunksilbers des Königs. Die großartigste
steingewordene Festarchitektur ist der Zwinger in Dresden (Abb. 18). Es ist
nichts weiter als ein großer viereckiger Festplatz mit Galerien für die Zu-
schauer, umgeben mit Pavillons und Sälen, den August der Starke durch Pöp-
pelmann seit dem Jahre 1709 im Anschluß an die wochenlangen Schaustellun-
gen und Lustbarkeiten aufführen ließ, die er damals seinem Verbündeten
Friedrich IV. von Dänemark gegeben hatte. Desgleichen sind die reichge-
schmückten Gnadensäulen, die man in Österreich zum Dank für überstan-
43
dene Türkengefahren und Pestseuchen errichtete, in Stein umgesetzte Fest-
gerüste; die berühmteste, die Pestsäule auf dem Graben in Wien mit dem
zwischen Engeln knieenden Kaiser Leopold I., von Burnacini unter Mitwir-
kung des jungen Fischer von Erlach und Rauchmüllers geschaffen, war ur-
sprünglich in Holz aufgeführt worden. Vollends sind die pompösen fürst-
lichen Grabmäler nur zu verstehen als dauernd gewordene Trauergerüste,
an blei-, bronze- und zinngegossenen Särgen entfaltet sich stellenweise
ein unglaublicher Prunk. Wahrhaft tiefempfundene plastische Schöp-
fungen sind die Särge Friedrichs I. und der Sophie Charlotte von Schlüter
in der Berliner Domgruft (Abb. 22). Der ganze Apparatus Funebris, der den
Katafalk des Castrum Doloris umgab, findet sich häufig auf dem Sarkophag
und dem hohen Aufbau wieder. Die klagenden Tugenden, die posaunenden
Engel, die Totengerippe, die Inschrifttafeln, die Pyramiden, die Draperien,
Fahnen, Standarten, Waffen, Kanonen und Pauken. So steht Prinz Ludwig
von Baden, der Türkensieger, inmitten seiner Kriegstrophäen auf dem Rie-
sen-Epitaph im Chor der Kirche in Baden-Baden. Adler und Engel stürzen
sich auf die Türkenkrieger herunter. Man glaubt kriegerische Fanfaren und
Paukenwirbel zu hören. Gerade die Siege über die Türken haben in den Fest-
triumphen und Grabmälern ihre Verherrlichung gefunden. Prinz Eugen wird
von Permoser in einer rauschenden marmornen Apotheose im Belvedere ge-
feiert — der Held sucht dem Ruhmesgenius die Posaune zuzuhalten! — , ähn-
lich August der Starke im Dresdener Großen Garten.
In diesen Triumphen kommt die Freude des Barock am Lauttönenden zu
Wort. Er liebt die schmetternden Posaunen, die Janitscharenmusik, Schal-
meien, Trommeln, Pauken und Messingbecken, und das Dröhnen der Kano-
nen. So auch starke Lichteffekte, den strahlenden Blitz und dunkle Wolken.
Immer und immer weisen die Festchronisten darauf hin. So heißt es von der
Vermählungsfeier Friedrichs I. im Dom, die Eosander ausschmückte, die Illu-
mination mit Wachslichtern hätte den Eindruck erweckt, als sei die ganze
Kirche von der Sonne beleuchtet gewesen. Auf dem Triumphbogen beim Ein-
zug Augusts des Starken in Danzig sieht man einen Donnerpfeil aus feuriger
Wolke: einen sich aufschwingenden Adler; die Sonne über einer Landschaft
strahlen: dann wieder die Sonne aufgehen und nachtvertreibend. Den Ab-
schluß jedes großen Barockfestes bildet daher eine Riesenillumination, ein
Luft- und Wasserfeuerwerk von Kanonenschlägen begleitet. ,, Berlin schim-
merte nicht, sondern brannte gleichsam in allen Gassen von Lichtern, Lam-
pen, Fackeln und Freudenfeuern", berichtet der Chronist von der Illumina-
tion des Krönungsfestes und fühlt sich an den Brand Roms unter Nero er-
innert. Unter einem Regen von Streitfeuern, Wasser- und Landschwärmern
44
Abb. 22. Metallsarkophag Friedrichs I. Schlüter, um lycS. Berlin, Domgruft
45
und Schlangen wird auf dem Wallgraben die Rückkehr der Flotte Jasons als
allegorische Verherrlichung der Majestäten mit Beistimmung aller Seegötter
aufgeführt. Unterdessen wird aus hundert Geschützen und Mörsern unter
Leitung des Generalfeldzeugmeisters Prinz Philipp von Schwedt zwei Stun-
den lang kanoniert. „Die ganze Gegend geriet in Zittern und Beben, gleich
als wenn Himmel und Hölle unter einander fallen." Zum Liboriusfest in Pa-
derborn entwarf der Artillerieoffizier Schlaun ein Wasserfeuerwerk, dessen
Zeichnung noch erhalten ist. Den Vogel schießt wiederum das Lustlager Au-
gusts des Starken an der Elbe ab. Es wird beschlossen durch die Illumina-
tion eines prächtigen Schlosses mit einem heidnischen Göttertempel, als Alle-
gorie in kunstvollster Perspektive von Italienern gemalt. Unter dem Donner
von sechzig Kanonen, unter dem Pauken- und Trompetenschall der versam-
melten Armeemusiken leuchtet eine Inschrift auf ,,Sic fulta manebit", wäh-
rend Streitfeuer, Lauffeuer, Lustkugeln und Raketen durcheinander zischen.
Nun zieht die königliche Lustflotte vorüber, mit tausend Lämpchen beleuch-
tet, unter den Klängen der darauf stationierten königlichen Hofkapelle. Vor-
an ein riesiger Walfäsch, ,, Feuerfax" genannt, von vier feuerspeienden Del-
phinen begleitet. An der Spitze der Fregatten, Brigadinen, Schaluppen und
Gondeln der Buzentaurus, das Schiff der Kronprinzessin mit vergoldeter
Schnitzarbeit bedeckt. Von ihm erklang im Vorüberziehen eine ,,Egloga dal
Campo di Radewitz", von einer italienischen Frauenstimme gesungen und von
Virtuosen akkompagniert. Auch hier beschließt das Zusammenspiel sämt-
licher Trompeten, Waldhörner, Pauken und übrigen Instrumente unter dem
unaufhörlichen Krachen der Kanonen die Feier.
Architektur, Natur, rauschende Wasser, Beleuchtung und Musik kommen
zu zarteren poetischen Stimmungen zusammen auf einem nächtlichen
Gartenfest der Sophie Charlotte im Schloßpark von Oranienburg. Ein Som-
mersaal, durch den eben aus Frankreich zurückgekehrten Eosander von
Laub- und Blumenwerk errichtet, dem Triumph der Liebe geweiht, öffnet
sich plötzlich und die Festgesellschaft erblickt eine Springbrunnengrotte in
magischer Beleuchtung. Peleus und Thetis und ein Chor von Flußgöttern,
auf den Felsstufen lagernd,' besingen die Götter, Menschen und Tiere be-
zwingende Macht Amors, von Oboen, Theorben, Flöten oder dem Orchester
begleitet, ,,so bei der stillen Nacht und unter dem Geräusch der Kaskade
die Luft nicht anders als mit einem angenehmen Widerschall erfüllen konnte."
46
5. DIE STELLUNG DER BAUKUNST IM i8. JAHRHUNDERT
Ein Hauptkennzeichen des deutschen Barock ist die überragende Stellung
der Architektur innerhalb der bildenden Künste. Darin offenbart sich, daß
das Barockzeitalter für uns den Beginn einer neuen Epoche darstellt, ähnlich
wie es für das Mittelalter die Zeit des romanischen Stils gewesen ist; die Ar-
chitektur wird wiederum eine Mutter der Künste. Ja, sie ordnet jetzt in noch
höherem Grade den ganzen Kreis des Wirkens, der die Bewohnung, die
Fruchtbar- und Nutzbarmachung, die Verbesserung und Verschönerung der
Erde umfaßt. Die Grundgedanken der Baukunst durchdringen auch die übri-
gen Künste. Das Zier- und Stückwerk der deutschen Spätrenaissance wird
nicht mehr geduldet. Durchgreifend» Pläne werden die gebieterische Forde-
rung der Zeit. Die deutschen Städte ehielten bis über den Dreißigjährigen
Krieg die gedrängte winklige Bauart bei. Eingezwängt in die hohen Mau-
ern und Türme, um ihre Kirchen gedrängt, erscheinen sie noch auf Merlans
schönen Kupferstichen. Nur enge Tore gewähren Ein- und Auslaß. Nur ge-
wundene Hohlwege und schmale Zugbrücken bilden den Zugang. Mit dem
Barock entstehen regelmäßige Vorstädte mit geraden Straßen, mit rechtecki-
gen Plätzen und breitgelagerten Häusern, namentlich dort, wo die Hugenot-
ten zuziehen, so in Berlin, in Schwedt, in Kassel, in Ansbach und Erlangen.
Residenzstädte nach genauer Planung entstehen zugleich mit den Schlössern,
wie in Mannheim, in Karlsruhe, in Ludwigsburg, in Ludwigslust und Saarbrük-
ken. DerWillederFürstenbestimmtnichtnurdasNetzderStraßen, sondern ge-
47
Abb. 23. Residenz in Würzburg, von Balthasar Neumann, um 1730, Mittelteil
48
bietet auch strenge die gleichmäßige Höhe und Farbe der Häuser. Die neuen
Formen der Befestigungskunst, die strahlenförmigen flachen Bastionen, die ge-
raden Glacis und Gräben, die regelmäßigen Tore und überhaupt die Militärbau-
ten, die Wachtgebäude, Kasernen, Soldatenwohnungen und Arsenale haben die
Regelmäßigkeit im Städtebau befördert. Die großen französischen und hol-
ländischen Lehrmeister im Festungsbau, Vauban, der die Festung Neubreis-
ach angelegt hat, und Coehoorn wirkten umgestaltend auch auf den Städte-
bau. Neben den Kupferwerken, unter denen Belidors Ingenieurkunst den er-
sten Rang einnimmt, verbreiteten holländische, französische und italienische
Ingenieure die neuen Gedanken in Deutschland. Die Planung und Befesti-
gung Berlins von Memhard, die Befestigung von Wesel durch de Bodt, die
Festungswerke von Rastatt, Philippsburg, Küstrin, Magdeburg und Stettin
sind wichtige Denkmäler der Art. Das Ingenieur- und Artilleriekorps stellte
denn auch zahlreiche Meister für den Hochbau.
Einen beträchtlichen Aufschwung nahm in dem Barockzeitalter auch der
Wasser-, der Kanal- und Hafen-, der Schleusen- und Mühlenbau. Hier stand
wieder Brandenburg-Preußen an der Spitze, wo sich durch die Holländer eine
tüchtige Schule in diesen Fächern bildete. Seit den Tagen des Großen Kur-
fürsten und seiner Gemahlin Luise Henriette von Oranien, der Gründerin
Oranienburgs, ist von den Hohenzollern Bewundernswertes darin geschaffen
worden. Hand in Hand mit diesen Arbeiten ging die Trockenlegung der
Brüche, die Befestigung der Flugsandstrecken und die Anlage von Koloni-
stendörfern. Auch diese Aufgaben wurden von den Fürsten in die Hände der
ersten Architekten des Landes gelegt, und nur so erklärt sich das Gepräge:
der Ordnung und der Regelmäßigkeit, der Solidität der Arbeit, das den Dorf-
gründungen anhaftet. Aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. ist die Entwässe-
rung des Fehrbelliner Luchs und großer Strecken in Ostpreußen, aus der des
großen Königs die des Netze- und Wartebruchs, des Maduesees in Pommern
hervorzuheben. Daneben entwickelte sich in dieser Epoche zukunftsfroh der
Salinenbau — für den z. B. der Hamburger Sonnin gearbeitet hat — der Bau
von Bade- und Brunnenhäusern, von Windmühlen, Hebekrähnen, Eisenhüt-
ten und endlich der Bergbau. Balthasar Neumann war ein Meister in dem
technischen Bauwesen. Außer den preußischen Herrschern haben sich die
meisten anderen deutschen Landesherrn, besonders Kaiser Karl VI., die
Braunschweiger, die Herzöge von Württemberg und Hessen-Kassel, die Kur-
fürsten von Sachsen und die Fürstbischöfe von Würzburg und Speier usw.
unbestreitbare Verdienste um die Entwicklung des Fabrikwesens erworben.
Unter den Zeichnungen der meisten großen Baumeister des deutschen Barock
und der Folgezeit finden sich Entwürfe zu technischen Gebäuden und Anla-
Schmitz, iS.Jahrh. 4 49"
gen. Es wäre eine schöne und zeitgemäße Aufgabe, dieses Material bekannt-
zumachen. Gerade darin enthüllt sich die gesunde und selbstverständliche
künstlerische Arbeitsweise des 1 8. Jahrhunderts, und es erschließen sich will-
kommene Ausblicke auch in die abseits der reichen Prunkarchitektur liegen-
den Leistungen der Zeit. Auffallend vernachlässigt wurde dagegen der Bau
der Landstraßen. Der Zustand derselben war fast mittelalterlich. Alle Reise-
beschreibungen der Zeit wimmeln von Berichten über Stürze der Postwagen
und Kutschen. Gründe der Landesverteidigung und der Handelserschwerung
durch das Merkantil- und Zollsystem haben diesen Zustand begünstigt. Denn
wie meisterhaft die Zeit den Straßenbau verstand, beweisen die herrlichen
breiten und schnurgeraden Alleen, die von den Landschlössern ins Land
strahlen. Beispiele sind die Alleen aus Max Emanuels Zeit um Schleißheim,
die Friedrich Wilhelms I. um Potsdam, die zwischen Bonn und Poppeisdorf.
Und die vom Schlosse Schwedt ausgehenden, darunter die berühmte mit vier
Baumreihen besetzte Mittelallee nach Mon-Plaisir. Hierher rechnen auch die
sternartig angelegten meilenlangen Schneisen, mit denen die für die Parforce-
jagd bestimmten Wälder durchzogen wurden (z. B. der Wald bei Moritz-
burg). Beiläufig ging mit der hohen Jagdkultur des 1 8. Jahrhunderts eine
musterhafte Forstpflege zusammen. Noch heute genießt Deutschland vor
allen anderen Ländern die Segnungen der Waldpflege und des Jagdschutzes
seiner Fürsten. In Wald und Flur betätigte sich auch eine zur höchsten
Kunst gediehene Landesvermessung.
Zum Verständnis dieser umfassenden Wirksamkeit der Baumeister muß
man sich vergegenwärtigen, daß die Architektur des Barock auf den streng-
sten mathematischen Grundlagen beruhte. Die Ausbildung der Architekten
ging zusammen mit der der Ingenieure. Nicht nur in den Grundrissen und
Aufrissen, sondern selbst in den schmückenden Säulenordnungen und Glie-
dern wurde die strengste Gesetzmäßigkeit gefordert. Daher gehörte die Entj-
Wicklung der fünf Säulenordnungen nach Moduln unter Zugrundelegung de^
Vignola zu dem ABC der Architekten des 1 8. Jahrhunderts. Aber nicht nur
das rein Architektonische, die Festigkeit und Statik der Gebäude : alle Glie--
der sind der mathematischen Herrschaft Untertan. So erklärt die deutsche
Vorrede zur Übersetzung des Belidor : Keineswegs seien die Zieraten bloß
ungefähre Einfälle, sondern auch sie erhielten erst von den mathematischen
Regeln ihre wesentliche Schönheit. Selbst für einen scheinbar so unbeküm-
mert schaffenden Meister wie Balthasar Neumann, den Erbauer des Würz-
burger Schlosses, ist die mathematische Grundlage seiner Pläne nachgewie-
sen worden (Rotunde von Fünfkirchen). In dieser mathematischen Regelung
der Grundrisse und der Verhältnisse beruht der unleugbare Vorrang der fran-
50
Abb. 24. Treppenhaus im Schloß von Pommersfelden, um 1720
51
zösischen Architekten des Barock. Eine geradezu geniale, anschaulich ge-
wordene mathematische Veranlagung tritt uns in den Gebäuden und Gärten
der französischen Baumeister Ludwigs XIV. und seiner Nachfolger entge-
gen. Genau so stark wie Racine, Corneille und Moliere auf die poetischen
Gemüter Deutschlands, wie Descartes auf die philosophischen Geister: so muß-
ten die Kupferwerke der französischen Architekten auf alle baukünstlerisch
empfindenden Leute in Deutschland wirken. Die vorzüglich zum Ausdruck
architektonischer Dinge befähigte französische Sprache verlieh den Lehren
des neuen Geschmacks doppelten Nachdruck. Daher wurden de Cotte und seine
Genossen die Lehrmeister der jungen deutschen Fürsten und ihrer Baumeister.
Die Architektur wurde wie am französischen Hofe so auch an den deut-
schen Fürstenhöfen ein Teil der Erziehung der Prinzen. Als Balthasar Neu-
mann nach Paris reiste, berichtet er seinem Herrn, dem Würzburger Fürst-
bischof, wie der Bischof von Speier und der Bischof von Straßburg, Rohan,
in dem vorgelegten Würzburger Schloßplan mit dem Zirkel die Höhen und
Weiten der Zimmer abmessen. Die Bautätigkeit des Fürsten galt gewisser-
maßen als Gradmesser seiner politischen Macht. Sie gehört zum Thema der
Gesandtenberichte, der fürstlichen Briefe und der Konversation. Keiner un-
ter den deutschen Fürsten hat die Baukunst mit feinerem Geiste und liebe-
voller umfaßt als Friedrich der Große. Selbst aus dem ersten Schlesischen
Feldzug bittet er Knobelsdorff dringlich um genaue Beschreibungen und
Zeichnungen seiner Neubauten am Charlottenburger Schlosse und zwar um
jedes Kapitell mit allen Einzelheiten.
Angesichts der hier gekennzeichneten umfassenden Stellung der Baukunst
in der Kultur des i8. Jahrhunderts wird die hohe Bedeutung verständlich, die
den großen fürstlichen Baumeistern zukam. Sie leiteten nicht nur das Bau-
und Gartenwesen in seinem ganzen Umfang, sondern, wie schon dargetan
die großen Freuden- und Trauerfeste, die Feuerwerke und selbst die Opern.
Durch Verleihung höherer Militärchargen ^vurden sie den adeligen Ständen
gleichgesetzt. Umgekehrt ist die Betätigung von Adeligen, wie des Ritter
von Grünstein in Mainz, des Knobelsdorff und Gontard in der Architektur
ein Beleg für die hohe Achtung, deren sich diese erfreute. Neben diesen Män-
nern sind die Generale von Welsch in Mainz, Neumann in Würzburg und
Schlaun in Münster sowie der Münchner Oberbaudirektor Effner und der
nassau-saarbrückensche Oberbaudirektor Stengel aus der Reihe der vielseiti-
gen Bauintendanten hervorzuheben.
Zu diesen Verhältnissen kommen noch einige Umstände hinzu, die man
sich gegenwärtig halten muß, wenn man die Grundzüge der deutschen Ba-
rockarchitektur voll und ganz erkennen will.
52
Abb. 25. Rathausturm zu Bamberg, Mitte 18. Jahrhunderts
53
Abb. 26. Amalienburg in Nymphenburg, von Cuvillies, um 1725
6. DIE BAUMEISTER, DIE BAUHERREN
UND DER BAUBETRIEB. STADTBAUKUNST
Die verschiedensten Strömungen kamen zusammen, um im letzten Drittel
des 17. Jahrhunderts den großen und allgemeinen Aufschwung der Bau-
kunst in Deutschland zu bewirken. In den österreichischen und bayerischen
Landen hatten sich seit Ferdinands III. und des Kurfürsten Maximilian Zeiten
in immer wachsender Menge italienische Baumeister, Steinarbeiter, Maurer,
Stukkaturen und Quadratoren niedergelassen. Sie stammten meist aus den
oberitalienischen Landschaften am anderen Fuß der Alpen, vom Comersee
und aus der Lombardei. Namentlich der Kirchen- und Klosterbau wurde ihre
Domäne. Doch gewannen sie auch im Schloßbau eine beherrschende Stellung.
Noch um die Wende zum 18. Jahrhundert wirkten eine ganze Reihe italieni-
scher Baumeister, die freilich meist schon seit einer oder zwei Generationen
angesessenen Familien entsprossen, in den süddeutschen Residenzen: in Wien
Burnacini und Martinelli, der Schöpfer der beiden Liechtensteinschen Paläste,
in Würzburg Petrini, der Erbauer der Stiftshaugkirche, des Juliushospitals
und des Schlosses Seehof, in Baden-Baden Rossi, um nur einige wenige vor-
wegzunehmen. Fruchtbare Stukkatoren waren die Carlone in Österreich und
Bayern, und Simonetti, der in Berlin und Magdeburg wirkte. Die ganze erste
Hälfte des Jahrhunderts blieb namentlich der Theaterbau und die Bühnende-
koration in den Händen der Italiener, vorzüglich der Familie Galli aus Bi-
biena bei Bologna, deren umfassende Tätigkeit als Festdekoratoren berührt
worden ist. In ihren Schloßfassaden verraten die meisten dieser um 1 700 tätigen
Oberitaliener die Schulung an den strengen Formen der Nachfolger Palladios.
54
Zur gleichen Zeit hatten in Norddeutschland die niederländischen Baumei-
ster aus der Schule des Kampen und des Pieter Post Fuß gefaßt. Nehring,
Smids, Rütger von Langesfeld und Ryckwarts sind einige der wichtigsten
Namen. Wie durch die italienischen Bauhandwerker der Steinschnitt, die
Stuck- und Mörteltechnik, so wurde durch die holländischen der Ziegelbau
neubegründet. Mit der Wende zum i8. Jahrhundert dringen daneben in grö-
ßerer Zahl Franzosen ein. Die ältere strengere Schule vertreten die dem Hu-
genottenkreise angehörenden Baumeister La Chieze in Berlin und Dieussart,
der einiges in Mecklenburg und das alte Schloß in Bayreuth baute, Du Ry in
Kassel, Cayart, der Erbauer der Langen Brücke und der Französischen Kirche
in Berlin, ebendort de Bodt, der Schöpfer des Berliner Zeughauses und der
Festungstore in Wesel, der nachher in Dresden wirkte und Augusts III. Leh-
rer in der Architektur wurde. Ferner in Berlin La Gajette und in Dresden
Longuelune. Am Rhein wirken d'Hauberat, der für das Schloß in Mannheim
Entwürfe lieferte und in Frankfurt das schöne Palais Thurn und Taxis er-
baute; in Darmstadt de la Fosse, der Erbauer des nur teilweise ausgeführten
landgräflichen Schlosses. Späterhin folgen St. Pierre in Bayreuth, der Schöp-
fer des dortigen Schlosses und der Fassade des Opernhauses, in Bonn Le-
veilly, Baumeister des Michaeltores und des Rathauses; in Berlin Legeay, der
die Hedwigskirche entwarf; in Stuttgart de la Guepiere. Der Hauptmeister
des Münchner Rokokos ist der aus den belgischen Niederlanden stammende,
in Paris gebildete Cuvillies. In der späteren Hälfte des Jahrhunderts hat die
Einwanderung französischer Baumeister keineswegs nachgelassen. Man
denke auch an die heimisch gewordenen Hugenottenfamilien der Du Ry in
Kassel und der Gilly in Berlin.
Also auch auf dem Gebiete der Baukunst zunächst eine starke Überfrem-
dung Deutschlands in diesem Jahrhundert! Nun wird allerdings die Bau-
kunst, die von außen hereinkommt, von den Kräften des Bodens, auf dem sie
ihre Werke errichtet, schon an sich beeinflußt. Die fremden Meister werden
durch den Baugrund, durch das Material und das Klima und die Gewohnhei-
ten der neuen Heimat sich anzupassen gezwungen. In den deutschen Bau-
und Handwerksmeistern, die zur Ausführung mit herangezogen wurden, war
auch keineswegs das alte Können durch den Dreißigjährigen Krieg hindurch
völlig erstorben. Mancherlei Bauten, die bald darnach entstanden, zeugen
von dem fortwirkenden Handwerk und einem gesunden, wenn auch derben
künstlerischen Sinn. So sei an die Baumeisterfamilie Richter in Weimar er-
innert, die im Schloß-, Landhaus- und steinernen Brückenbau Beachtenswer-
tes schuf; namentlich an den protestantischen Kirchenbau, den in Frankfurt
der Stadtbaumeister Heßler, in Hamburg Corvinus und in Braunschweig
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Korb vertreten. Ihr Schaffen ist teilweise eine Fortsetzung der vor dem
Kriege durch die Wolfenbütteler und Bückeburger Kirchen eingeschlagenen
selbständigen Bahn des evangelischen Kirchenbaues. Das Nachleben goti-
scher Gewölbe- und Fensterformen bezeugt insbesondere die Entwicklung
dieses Zweiges aus dem Schöße des städtischen Bauhandwerks. Ähnlich ha-
ben einige von den Jesuiten mit Hilfe der heimischen Handwerker erbauten
nordwestdeutschen Kirchen Nachklänge gotischer Formengebung. In Ober-
bayern hatte sich längst neben den Italienern eine Schule angesessener Bau-
meister, Maurer und Stukkatoren ausgebildet, die mit den Renaissance- und
Barockformen wohl umzugehen verstand. Ihr Hauptsitz war die Gegend von
Wessobrunn. Eine ganze Reihe oberbayerischer Landkirchen zeigt, daß auch
die Raumgedanken der Renaissance, die die Münchener Michaelskirche zuerst
ausgesprochen hatte, den Baumeistern des Landes in Fleisch und Blut über-
gegangen waren. An keiner anderen Stätte ist die Verschmelzung der ita-
lienischen modernen Bauweise mit den heimischen Kräften, so wie die unun-
terbrochene Fortführung aus der Renaissance in den Barock hinein deutlicher
ausgesprochen als in Salzburg. Die erzbischöfliche Residenz und der Dom
sind dafür bedeutsame Zeugen. Das ganze Gepräge dieser Stadt mit ihren
weißgetünchten, gerade abschließenden Häusern mutet überhaupt schon halb-
italienisch an. Die deutsche Kunstfertigkeit scheint sich namentlich noch auf
dem Gebiete des Zimmerhandwerks ihren alten Ruf in kunstvollen Holz-
verbindungen bewahrt zu haben. Aus dem Zimmererhandwerk wachsen
Korb in Braunschweig, Bahr in Dresden und andere Meister hervor. Über-
haupt ist es beachtenswert, wie viele der nun auftretenden deutschen Bau-
meister dem Bauhandwerker- und Stukkatorengewerbe entstammen. Daß in
der Möbelkunst und in den übrigen Zweigen der Raumausstattung die deut-
sche Kunst in noch höherem Maße aus eigenem den Weg ins 1 8. Jahrhun-
dert fand, sei hier schon kurz angedeutet.
Die deutschen zünftigen Handwerker konnten nicht ruhig zusehen, wie die
von den Fürsten und der Kirche geförderten fremden Künstler ihnen das
Brot wegnahmen. Überall erheben sich Beschwerden dagegen. Bewegtesten
Ausdruck hat ihnen Fischer von Erlachs Freund, Johann Wagner, 1691 gege-
ben in dem ,,Ehrenruff Teutschlands, der Teutschen und ihres Reichs". War
doch gerade in der Kaiserstadt die Stellung der deutschen Bauleute fast
schon ein Jahrhundert daher von den Italienern beeinträchtigt worden. Aber
mit Klagen war nichts getan, denn die Ausländer hatten die siegreiche Macht
der neuen Barockideen auf ihrer Seite. Mit Stolz und Zuversicht zu dem un-
verwüstlichen Genius unseres Volkes müssen wir nun blicken auf die Reihe
großer Männer, die sich an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert erhoben
58
und die fremden Formen und Gedanken mit dem Pulsschlag des eigenen
Blutes erfüllten. Es sind zunächst Johann Dientzenhofer, Bernhard Fischer
von Erlach, Lukas von Hildebrand, Andreas Schlüter und Pöppelmann. Diese
haben durch erneute Studien in Italien den Geist der barocken Architektur
erst eigentlich vollständig in Deutschland heimisch gemacht. Sie und eine
Anzahl trefflicher Meister haben den deutschen Barock aus den Fesseln der
älteren italienischen, holländischen und französischen Richtung befreit und
mit warmem Leben erfüllt. Auf ihren Schultern steht die zweite Generation
großer Baukünstler, zu denen Cuvillies, Neumann, Schlaun, Thomann und
Knobelsdorff gehören. In dieser Generation erreicht der deutsche Raumsinn
den Höhepunkt. Auf der anderen Seite ist die Einwirkung der französischen
Baukunst in der Grundriß- und Aufrißlösung und im Ornament durchgedrun-
gen. Neben dem unmittelbaren Eingreifen der Franzosen, das uns im hellsten
Lichte die Bautätigkeit des Kölner Kurfürsten Joseph Clemens vor Augen
bringt, hat das Studium dieser zweiten Architektengeneration in Paris die
Aufnahme der französischen Formen beschleunigt. Effner, Cuvillies, Neu-
mann, Knobelsdorff und viele andere haben Paris besucht. Endlich gewannen
die musterhaften Kupferwerke der Pariser Schule, die Schriften Blondels,
des Courdemoy, des Briseux und des Boffrand den größten Einfluß in den
deutschen Baubüros. Auch in Deutschland erschienen theoretische Werke
und Kupferpublikationen. Goldmann, ein Schlesier, später Professor in Lei-
den, und sein Schüler Sturm, Professor in Frankfurt an der Oder, behandel-
ten die mathematischen, statischen und praktischen Fragen. Paul Decker, der
in Berlin unter Schlüter gearbeitet, verbreitete durch seinen ,, fürstlichen Bau-
meister" den prunkenden Barockgeschmack der Schlüterschen Richtung.
Ähnlich wirkte Schübler durch seine Kupferwerke, während Kleiner in
Mainz die Bauten und Gartenschöpfungen der Schönborn in Wien, in Fran-
ken und in Mainz bekannt machte. Seine in Augsburg gestochenen Kupfer
brachten namentlich die von Hildebrand und seinen Schülern geschaffenen
Bauten und Innenräume der Schönbornschen Schlösser in weitere Kreise. Im
großen und ganzen betätigt sich in all diesen Büchern mehr das Gefallen an
malerischen Wirkungen und an schmückendem Zierat. Niemals wird man sie
mit den bis heute ihre Weltgeltung behauptenden Lehrbüchern der Pariser
Baumeister in einem Atem nennen dürfen. Auf dem Gebiete des Ornamentes
fehlen uns die genialen Zeichner, wie sie Frankreich in Marot, Berain, Meis-
sonier usw. besaß. Die Kupferwerke dieser Meister wurden von den Augs-
burger Kupferstechern für den Gebrauch des heimischen Handwerks aus-
genutzt.
Wirft man einen Blick auf die Entstehung der großen Bauwerke, der Kir-
59
chen und Schlösser, so trifft man hier auf Vorgänge, die unserer Vorstellung
vom künstlerischen Schaffen befremdend erscheinen. Der Wille des Bauherrn
bestimmt den ersten Plan und beherrscht bis zuletzt die Ausführung. Bauten,
die der Fürst auf seinen Reisen gesehen, wünscht er nachgeahmt. Nun wird
eine Sammlung von Kupferwerken zusammengebracht, und auf Grund dieser
Vorlagen muß der Architekt, dem Wunsche des Bauherrn gemäß, seine Pläne
entwerfen. Nicht selten werden auch von anderen Architekten Entwürfe ein-
gefordert. Es kommt sogar vor, daß die Gedanken aus den fremden Entwür-
fen einfach mitverarbeitet werden, ohne die Erfinder weiter zu Rate zu zie-
hen. Dann werden ferner die fertigen Pläne anderen Architekten vorgelegt,
die darin Korrekturen vornehmen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die
Geschichte des Würzburger Schlosses. Neumann mußte nach Paris, um seine
Schloßpläne von de Cotte und Boffrand prüfen zu lassen. Die beiden Franzo-
sen strichen den rechten Flügel des Treppenhauses und nahmen andere Ver-
änderungen vor. Später hat der Fürstbischof Friedrich Carl von Schönborn
noch den Hausarchitekten der Familie, Lucas von Hildebrand, in Wien zu
Rate gezogen. Bei dem Schloß in Pommersfelden, dem unmittelbaren Vor-
läufer des Würzburger Schlosses, scheinen nacheinander drei verschiedene
Baumeister hinzugezogen zu sein : Johann Dientzenhofer, dem die Flügel,
Maximilian von Welsch, dem das Corps de Logis, und Lucas von Hildebrand,
dem wahrscheinlich eine starke Beteiligung an der inneren Austattung zuzu-
schreiben ist. Welche Schwierigkeiten aus diesem Zusammenwirken ver-
schiedener Baumeister an ein und demselben Bau entstehen mußten, läßt sich
denken. Für die Baugeschichte erwächst daraus eine Kette kaum oder gar
nicht zu lösender Fragen. Nun kommt noch ein Punkt hinzu : die Arbeitstei-
lung. Der große Baumeister war natürlich viel zu sehr beschäftigt, um seine
Entwürfe alle selbst auszuzeichnen, geschweige denn auszuführen. Soll doch
ein Mann wie Knobelsdorff, der allerdings von Hause aus nur Liebhaber war,
überhaupt keine geometrischen Risse gezeichnet haben, sondern nur male-
rische Perspektiven! In Krüger hatte er sich einen Schüler herangebildet, der
seine Ideen erst in die mathematische Sprache der Architektur umsetzte. Nun
erst die Ausführung. Auch sie lag sehr oft in der Hand eines anderen, mehr
praktisch geschulten Baumeisters. Endlich wurden die Verzierungen, der
Schmuck der Gesimse, der Giebel und Kapitelle von Bildhauern meist ganz
selbständig nur nach den allgemeinen Maß- und Linienandeutungen des Bau-
künstlers ausgeführt. Diese Bildhauer sind schöpferische Künstler, im Besitze
eigener Einfälle und Formen. Sie greifen zuweilen geradezu bestimmend in
das Ganze der Komposition ein, wie etwa Tietz in Bamberg, Würzburg und
Trier, und Feill in Trier, am Erbdrostenhof und am Schloß in Münster. Na-
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mentlich in der Innenaustattung wurde dem Können und der Phantasie der
Bildhauer vielfach freie Hand gelassen. So wurden die süddeutschen Stukka-
turen zu den Bauten am Main, im Kölnischen und im Westfälischen herange-~
zogen. Die Gemächer Friedrichs des Großen in den Knobelsdorffschen Bau-
ten verdanken ihre Ausstattung den Bildhauern Nahl und Hoppenhaupt.
Aus all dem Gesagten leuchtet ein, wie schwierig oft die Feststellung der
persönlichen Leistung des einzelnen fallen muß. Es herrscht in den großen
Bauunternehmungen ein Zusammenwirken vieler Kräfte, wie in der goti-
schen Epoche. Aber eben dieses Zusammenwirken kennzeichnet das gesunde
Denken des 1 8. Jahrhunderts auf dem Gebiete der Baukunst. Alle Künstler
und Handwerker ordnen sich dem Willen des Bauherrn und des Baumeisters
unter. Es ist ein einziges Orchester, in dem alle Instrumente, jedes seine Par-
titur verfolgend, beseligt dahinschreiten. Aber das Zusammenspiel liegt in
der Hand der großen Baumeister. Es wäre verfehlt, wollte man nun zugun-
sten der Gemeinsamkeitsarbeit die Leistung der schöpferischen Genies völlig
ausschalten. Alle Bauten Knobelsdorffs, so verschiedene Baumeister und Bild-
hauer an ihnen mitgewirkt, tragen den Stempel seines Geistes und den des
großen Königs bis in jede Einzelheit hinein. Jeder Raum von Balthasar Neu-
manns Meisterhand umfängt unser Gemüt in gleicher Weise. Immer weht
um die aus der Wand befreiten schlanken Säulen, in den freischwebenden
,, kunstverdruckten Gewölbern, so außer Circul gehen" der gleiche Atem, und
dieser belebt auch die über die Wände und Gesimse aufsteigenden Stuck-
schnörkel.
Hier legt sich uns das baukünstlerische Schaffen des Jahrhunderts an sei-
ner Wurzel bloß. Das Gefühl für Verhältnisse, für Maße durchwaltet die
großen Linien wie alles einzelne. Die Größe des Bauwerkes zu den Nachbar-
gebäuden, zu dem Vorplatz, zum Garten und zur Straße, die Abstimmung des
Denkmals und des Brunnens in die Räumlichkeit des Platzes hinein sowie die
Abmessung und die Schmückung der Innenräume : Alles steht in glücklicher
Maßbeziehung zueinander.
Das sind die Früchte der strengen mathematischen Erziehung, die die Ar-
chitektur seit der Renaissance in Italien und in höherem Grade noch seit dem
17. Jahrhundert in Frankreich durchgemacht hat.
Diese zur Mathematik gewordene raumgestaltende Kraft des Barock hat
zunächst in der Stadtbaukunst des 17. und 18. Jahrhunderts in Deutsch-
land ihren Niederschlag gefunden. Die ältesten, von Franzosen oder franzö-
sisch geschulten Baumeistern abgesteckten Stadtgrundrisse halten eine mög-
lichst schachbrettartige Teilung in rechteckige Bauquartiere ein. Die Häuser
werden durchgängig niedrig und langgestreckt gebildet, jedoch werden die
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Ecken, die Plätze und die Enden der Straßen durch mehrstöckige Gebäude
betont. Die Oberstadt Kassel, vom ältesten Du Ry, die französische Kolonie
in Schwedt, die von Friedrich Wilhelm I. ausgebauten neuen Viertel Berlins
und Potsdams, Gumbinnen, ferner Mannheim und Erlangen sind dafür Bei-
spieles). Mit dem fortschreitenden Barock wuchs die Kunst der Gruppierung
um große Hauptachsen und weite Plätze von bewegterer Grundrißgestaltung.
Man erkennt das an der Anlage Karlsruhes um den runden, von Laubengän-
gen eingerahmten Schloßplatz, an dem Domplatz in Fulda, an dem Schloß-
platz in Würzburg, an den drei Platzgründungen, wodurch Friedrich Wil-
helm I. seine Erweiterung Berlins nach Westen bekrönte. Sie sind das
,, Quarre", der heutige Pariser Platz, das ,,Oktogon", der heutige Leipziger
Platz, und das ,, Rondell", der heutige Belle-Aliance-Platz. Die in einem Zuge
fortgehende, von Palästen flankierte Wilhelmstraße stellte dazwischen die
Verbindung her. Meisterwerke der ausgereiften Stadtbaukunst sind das Ron-
dell vor dem Schloß in Nymphenburg mit der abzweigenden Mittelprome-
nade, die den Ausgangspunkt einer nicht weiter geführten neuen Stadt bilden
sollten. Der großzügige Raumsinn des deutschen Rokoko offenbart sich z. B.
in der Anlage des ,, Forum Friedericianum" mit dem Opernhaus und dem Palais
des Prinzen Heinrich, der jetzigen Universität, in Berlin; ferner in dem run-
den Königsplatz und dem weiten, ehemals durch das Autor begrenzten recht-
eckigen Friedrichsplatz sowie in der abgerissenen halbkreisförmigen Kolon-
nade an der Rennbahn in Kassel (Abb. 30), sämtlich nach der Mitte des Jahr-
hunderts vom jüngeren Du Ry geschaffen. Ihnen reihen sich an die etwa
gleichzeitig entstandenen Werke Gontards in Berlin, wie seine Brückenkolon-
naden und der Ausbau des Gendarmenmarktes, ferner der wundervolle, von
Alleen eingefaßte Schloßplatz in Münster und der aus einem Rondell und
einem weiten Rechteck gebildete Platz zwischen dem Schloß und der Kirche
in Ludwigslust, entstanden unter Zugrundelegung Legeaischer Pläne.
Nach dieser allgemeinen Einführung in das baukünstlerische Schaffen des
Jahrhunderts gehen wir dazu über, den Verlauf der Baugeschichte von den
Anfängen des Barock bis zum Höhepunkt in der Mitte des Jahrhunderts dar-
zustellen. Füglich geschieht dies am besten, indem die beiden wichtigsten
Gebäudegattungen der Zeit, der Kirchenbau und der Schloßbau,
nacheinander betrachtet werden. Es ist selbstverständlich, daß beide, so sehr
die Grundlagen und Einwirkungen voneinander abweichen, in den Grund-
zügen der Entwicklung gleichen Schritt halten.
64
Abb. 31- Kanzel in Bogenhausen von Günther
Mitte i8. Jahrhunderts
DAS GEISTIGE WESEN DES KATHOLIZISMUS IM
DEUTSCHEN BAROCK UND ROKOKO
Zum Verständnis der katholischen Kirchenkunst des deutschen Barock ist
es unumgänglich, sich ein Bild von dem Wesen des katholischen Lebens in
dieser Epoche zu machen. Nach dem Dreißigjährigen Kriege hatten der Ka-
tholizismus und ebenso der Protestantismus eine innere Erneuerung erfahren.
Die Neubelebung des religiösen Empfindens in dem Barockzeitalter hat
Ranke folgendermaßen gekennzeichnet: „In den früheren Zeiten war das
Christentum mehr Sache der Überlieferung, der naiven Annahme, des von
Zweifeln unberührten Glaubens gewesen. Jetzt war es eine Sache der Über-
Schmitz. 18. Jahrh. 5
65
Abb. 32. Altar von Auwera in der Würzburger Augustinerkirche
66
Zeugung, der bewußten Hingebung geworden. Von hoher Bedeutung ist es,
daß man zwischen den beiden Bekenntnissen zu wählen hatte, daß man ver-
werfen, abfallen, übertreten konnte. Die Person ward in Anspruch genom-
men, ihre freie Selbstbestimmung herausgefordert. Hierdurch geschah es,
daß die christlichen Ideen alles Leben und Denken nur noch vollständiger
durchdrangen." Der Katholizismus war durch die Arbeiten des Trienter Kon-
zils und der Gegenreformation mit neuer Stoßkraft erfüllt worden. Die Ein-
heitlichkeit und die Ordnung der Liturgie waren wiederhergestellt worden.
Der Begriff der Heiligung durch die Kirche, die Verehrung des Leibes und
Blutes Christi hatten sich vertieft. Eine straffe Organisation trat an Stelle
der gelockerten Kirchenzucht. Der eingreifenden Tätigkeit der deutschen Kir-
chenfürsten wurde bereits gedacht. Ihre Arbeit erfuhr die kräftigste Unter-
stützung durch die Orden. Allen voran durch die Jesuiten. Dem Orden des
hl. Ignatius von Loyola war in erster Linie die Befestigung des katholischen
Glaubens in den schon schwankend gewordenen südlichen und westlichen
Gauen Deutschlands zu verdanken. Meisterhaft verstanden es die Väter Jesu,
gerade das einfache, in den Kriegszeiten verwahrloste Volk durch Predigt,
Gottesdienst und leichtverständliche Katechese zurückzugewinnen. Das Kol-
legium Germanicum und das Kollegium Romanicum in Rom wurden Pflanz-
schulen für deutsche Prediger, Seelsorger und Gelehrte. Überall entstanden
nun Kollegien und Gymnasien, die das humanistische Studium zur Grundlage
hatten und den berühmten protestantischen Lateinschulen nachzustreben
suchten. Die Jesuiten faßten auch Fuß an den katholischen Universitäten, in
Ingolstadt, in Wien, in Köln und Würzburg usw. Sie verlangten von den
akademischen Lehrern die Ablegung der Confessio fidei. Ihr Einfluß war bis
über die Mitte des 1 8. Jahrhunderts in ständigem Steigen, das beweisen auch
die prachtvollen Jesuitenkirchen in Schlesien, in Mannheim, in Heidelberg, in
Büren und in Würzburg. Sie vermochten Leibniz und den Prinzen Eugen an
der Gründung einer Akademie der Wissenschaften in Wien zu verhindern.
Ihre Bekehrungen in der Pfalz erregten noch den Unwillen des Kronprinzen
Friedrich im Polnischen Erbfolgekrieg. Nach der Eroberung Schlesiens sucht
er sie zu gewinnen, indem er u. a. einer ihrer berühmten Wallfahrts- Madon-
nen ein neues Seidenkleid schenkt. Mit den Jesuiten wetteiferten in der Seel-
sorge, in der Erziehung und der Armenpflege eine Reihe weiterer reorganisier-
ter oder neubegründeter Orden, die Serviten (Franziskaner), die Dominika-
ner, die Augustiner, die Observanten, die Kamaldulenser, die Karmeliter, die
barmherzigen Brüder vom hl. Johannes de Deo. Ihnen zur Seite gehen die
Frauenorden, die durch einige von Frankreich herkommende Neugründungen
Zuwachs erhalten, durch die Salesianerinnen, die nach dem hl. Franz von Sa-
5* 67
les genannt werden, die Kongregation der hl. Therese, die Vinzentinerinnen,
vom hl. Vinzenz gegründet, die lotharingischen Chorjungfern, die die Erzie-
hung adeliger Mädchen übernahmen. Strenge Unterwerfung unter die Re-
geln, hingebende Frömmigkeit, und tätige Arbeit am Wohl der Nächsten, be-
sonders der Ärmsten, sind das Kennzeichen des wiederhergestellten Ordens-
lebens.
Mit der Neuformung des Gottesdienstes wandelte sich die Kirchenausstat-
tung. Mit dem Drang nach tieferer Erfassung des Glaubens ging die Be-
seelung des künstlerischen Ausdrucks Hand in Hand. Die Verehrung zum
Herzen Jesu spricht sich in der feierlichen Aufstellung des Allerheiligsten
aus. Die strahlende vergoldete Riesenmonstranz, die die Hostie umschließt,
steht nun auf dem Hochaltar unter einem triumphbogenartigen Säulenbalda-
chin, der von heiligen Heerscharen bevölkert ist. Das Auge der Andächtigen
folgt dem beseligt aufwärts gerichteten Blick der Heiligen zu den Gewölben,
wo die himmlischen Heerscharen im lichten Äther schweben. Es ist der alte
Glaube, aber erfüllt mit neuer Hingebung, mit Siegeszuversicht. Es sind die
alten Klänge und Geheimnisse, aber in volleren Akkorden ertönend. So wie
die römische Kirchenmusik des Barock in ihren Oratorien die alten Weisen
des Dies irae. Dies lila, des Stabat Mater Dolorosa, des Salve Regina und des
Te Deum in reicheren Harmonien erbrausen läßt. In den Schall der Orgel
mischt sich der Jubel der Geigen, der Posaunen und der Pauken. Nach dem
römischen Muster entstehen die trefflichen Domkapellen der deutschen Bi-
schofssitze, die eine Hauptquelle für die Entfaltung der Musik in den katho-
lischen Ländern Süd- und Westdeutschlands werden 4).
Die Heiligenverehrung erfüllt sich mit neuer Inbrunst. In den Kreis der
Bekenner und Märtyrer der Kirche treten Männer und Frauen aus der jüng-
sten Kampfperiode des Glaubens, so der hl. Ignatius und Franz Xaver, der
Missionar Ostindiens, beide erst von Gregor XV. heilig gesprochen, Karl
Borromäus, Franz von Paul, Johannes Nepomuk. Das tausendjährige Jubi-
läum vieler Domstifter und Benediktinerabteien veranlaßt die Auffrischung
des Gedächtnisses an die ersten Begründer und Bekehrer. Ihr Leben wird er-
forscht, ihre Taten werden dargestellt. Die süddeutschen Deckengemälde
schildern mit Vorliebe Ereignisse aus der Gründungs- und Wundergeschichte
der Kirchen, die sie schmücken. Über dem Grab des Frankenapostels Kilian
in Würzburg und über dem Grabe des hl. Bonifatius in Fulda wachsen präch-
tige Kirchen empor. Die Statuen der ältesten Bischöfe umstehen das Grab
des Bonifatius hinter dem Chor des Fuldaer Domes: die ersten Bischöfe von
Würzburg stehen auf der Mainbrücke, die von der Stadt hinüberführt zum
Fuß des Marienbergs, der die älteste Kirchengründung St. Kilians trägt. Da-
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durch wird das alte Verhältnis des Volkes zu den Heiligen des Landes er-
neuert; die Liebe zum Stifte und zur Heimat bekräftigt. Scharen von Heili-
gen bevölkern nicht nur das Äußere und Innere der Kirchen. Sie werden auf-
gestellt auf Plätzen und Märkten, auf Brücken und Toren, an den Häuser-
fronten, auf Wegen und Stegen. Kruzifixe, Passions- und Schmerzensgrup-
pen und Kapellen werden an Kreuzwegen, in Wiesen und auf Höhen er-
richtet. Sie sind noch heute die Merkmale der katholischen Landschaften.
An ausgezeichneten Punkten entstehen Passionswege mit den zwölf Leidens-
stationen. Einen solchen schuf Bischof Bernhard von Galen in der Heide vor
Münster an der Prozessionsstraße nach Telgte. Bei Fulda ziehen sich vom
Franziskanerberg die Stationskapellen über den waldigen Bergrücken zum
Kalvarienberg hinauf. Da oben steht unter alten Bäumen die in Stein ge-
hauene Kreuzigung in lebensgroßen Figuren auf einer Plattform, deren Balu-
strade von sechs Engeln mit den Marterwerkzeugen bekrönt ist : Maria, Jo-
hannes und zwei Engel blicken schmerzvoll zum Gekreuzigten empor. Die
hochgewundenen verzerrten Schacher sind auf den Seiten, und am Fuß des
Kreuzes das Totengerippe in einer Felsengrotte. Den Gläubigen umweht ein
Schauer an dieser dunkeln Waldesstätte. Der Kreuzweg zum Würzburger
Käppele auf der anderen Mainseite steigt in Absätzen den steilen Berg hinan;
jede dieser Plattformen ist von drei Kapellen mit den lebensgroßen Leidens-
stationen von Wagners und von Auweras Hand unter vier alten Platanen be-
setzt. Bis obenhin ist die Stiege zwischen Mauern eingeschlossen, so daß sich
erst von der Höhe vor dem Käppele der überraschende Blick in das Maintal
und die unten gelagerte Stadt eröffnet.
Zahlreiche Wallfahrtskirchen werden prächtig erneuert — wie Andechs
und Ettal — und neue gebaut. Die Perle darunter ist Vierzehnheiligen, Bal-
thasar Neumanns Schöpfung. Sie ist an einer Stelle errichtet, wo vor Jahr-
hunderten einem armen Hirten die vierzehn Nothelfer erschienen waren. Mit
bewegten Umrissen steigt der Bau auf einer kahlen Bergkuppe, dem Näher-
kommenden aus dem Gebüsch und Gestrüpp herauswachsend, gegen den
Himmel. Von den Höhen des Main- und Donautals, von den Bergen um die
oberbayerischen Seen grüßen zahlreiche andere herab. Der Wunder- und Re-
liquienglaube hat sich neu belebt. Aus Rom bringen die weltlichen und geist-
lichen Fürsten neu entdeckte Märtyrergebeine als Geschenke des Papstes ins
Land. Sie werden in reich bestickte und betreßte Seiden- und Goldgewän-
der gehüllt, in kunstvollen gläsernen Gehäusen in die Predellen der Altäre
eingesetzt; oder auch in reich getriebene silberne Reliquienschreine gebettet.
Daß die Pontifikal- und Meßgewänder mit schwerer Seiden-, Gold- und Per-
lenstickerei geschmückt werden, ist selbstverständlich?).
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Abb 34. Grabmal des Fürstbischofs von Ingelheim (f 1695)
im Dom zu Mainz
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Abb. 35. Grabmal des Dompropstes von der Leyen (t 1714). im Dom zu Mainz
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Höchst merkwürdig und für das künstlerische Leben von tiefgehender Be-
deutung ist die innige Verschmelzung der religiösen und der weltlichen An-
gelegenheiten, die für den Barock in den katholischen Ländern bezeichnend
ist. Sie ist der Grundstein für die wahrhaft volkstümliche Kunst der Kirche
in diesen Gebieten. Und hier scheinen sich die Gegensätze zwischen den
fürstlichen und adeligen Ständen und dem dritten und vierten Stand zu ver-
söhnen. Die aristokratische Grundtendenz des deutschen 1 8. Jahrhunderts
offenbart sich darin in ihrer glücklichsten Gestalt. Mitten unter dem andäch-
tigen Volk thronen die in Stein verewigten geistlichen Fürsten auf ihren
Grabmälern in den Domkirchen (Abb. 34 u. 35). Wie lebend knien sie dort im
vollen Schmuck des Pontifikalornates vor dem Kruzifix beim festlichen Hoch-
amt, oder sie sind hingelagert auf ein reich befranstes Pfühl, den perücken-
umrahmten Kopf milde und hoheitsvoll dem Beschauer zuwendend. Die Spit-
zen des Chorhemdes, des Kragens, die Stickereien der Kasula und der Hand-
schuhe sind voller Sorgfalt in dem Marmor verewigt. So majestätisch und
nicht anders wollte das Volk seine Landesherren sehen. Es erblickte in ihnen
den Vater aller, den Beistand der Armen und Unterdrückten. Ein Altarbild,
das Sandrart für S. Walburg in Eichstätt malte, stellte mit des Künstlers
eigenen Worten dar: ,,den Fürstbischof auf einer Galerie im bischöflichen
Ornat und Pontifikal von allen dero und des Hochstifts Kapitelherren um-
geben ganz andächtig gen Himmel fahrend als gleichsam flehentlich ansu-
chend um Hilfe für eine große Menge armer, blinder, lahmer, kranker und
bresthafter Leute." Die Vereinigung des geistlichen und weltlichen Regi-
mentes in den Reichsstiftern hat die Durchdringung geistlicher und weltlicher
Dinge am stärksten ausgeprägt. Die großen Klosterbauten sind zugleich
riesige Residenzen, Güterverwaltungen und Wirtschaftsanlagen. In den Ak-
tenschränken der geistlichen Herren an Rhein, Mosel und Main liegen neben
den geistlichen die Domänen-, Forst-, Militär-, Jagd-, Weinbau-, Kellerei-
und anderen Sachen. ,, Unter dem Krummstab ist's gut leben" hieß es in diesen
gesegneten Gauen. Die Lichtseiten dürfen allerdings nicht über die Schatten-
seiten der geistlichen Herrschaften hinwegtäuschen; gerade sie haben der
staatlichen Ohnmacht Deutschlands und zuzeiten selbst den entwürdigenden
militärischen und politischen Eingriffen der Fremden Vorschub geleistet. Als
die preußischen Husaren über den Thüringer Wald in die Mainbistümer
drangen, vermochten ihnen die zusammengewürfelten und schlecht ausgebil-
deten Kreistruppen der Bistümer keinen nennenswerten Widerstand zu lei-
sten, und bei Roßbach zerstoben ihre Kontingente mit den Franzosen vor der
Seydlitzschen Kavallerie.
In vieler Hinsicht hat das katholische Glaubensleben im Zeitalter des Ba-
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rock eine Verjüngung und Vertiefung erfahren. Der gewaltige Aufschwung
der kirchlichen Kunst ist dafür der sinnliche Ausdruck. Es entzieht sich un-
serem Urteil, wie sich in dem Barock das Verhältnis zum Göttlichen in seinen
Tiefen gewandelt hat. Aber das ist mit Händen zu greifen: es ist ein grund-
verschiedener Seelenzustand gegenüber dem, der in der mittelalterlichen
Kirche wirksam war. Dieses unbedingte Zusammenwachsen der geistigen
und sinnlichen Kräfte, des Religiösen und des Weltlichen, das die Epoche des
romanischen und frühgotischen Stils bezeichnet, war im Barockzeitalter un-
möglich. So fehlt denn auch der kirchlichen Kunst des Barock und Rokoko
die zwingende Vereinigung des religiösen Geistes mit der strengen hierati-
schen Form. Niemals kommen uns vor dem mittelalterlichen Kirchenkunst-
werk Zweifel an der selbstentäußernden tiefgläubigen Empfindung des Be-
stellers und des Künstlers. Die kirchliche Kunst des Barock bewegt sich
häufig an der Grenze, wo die Frage entsteht : ist das nun echte Rührung oder
Empfindelei? Mischt sich in die seelische Hingebung nicht allzusehr das sinn-
liche Gefallen an der schönen Form? Täuscht uns der Künstler durch den
schimmernden Schein über die fehlende Gemütskraft hinweg? So ganz eigen-
tümliche Schwärmereien, wie die Magdalenenkapelle im Bonner Schloßpark
mit ihrer Gesellschaft von Blumengärtnern, eine Institution des Kurfürsten
Joseph Clemens, wie die ruinenartige, halb gotische Magdalenenklause des
greisen Max Emanuel, seines Bruders, im Nymphenburger Schloßpark und
die der Markgräfin Susanna im Park der Favorite erregen allerdings den Ver-
dacht einer Spielerei mit Glaubensgefühlen. Die Markgräfin kasteite und gei-
ßelte sich hier in dem gelben Dämmerlicht in Gesellschaft von heiligen Wachs-
figuren mit natürlichen Haaren und Gewändern. Mit der heiligen Familie aus
bekleideten Puppen setzt sie sich zu Tische. In einem Franziskanergewand
läßt sich die ,, große Sünderin" in der von ihr erbauten, mit Stuckmarmor und
Stickerei reichgeschmückten Schloßkapelle in Rastatt beisetzen. Allein was
schon anläßlich der barocken Mummenschänze gesagt wurde, gilt auch in die-
sem Falle. Es gibt einen Punkt, wo der Geschichtsschreiber die innersten
Triebe einer Zeit vergeblich zu durchschauen sucht. Was also in der kirch-
lichen Bewegung des katholischen Barock Hingebung, wahre Inbrunst, was
Verzückung, was Selbstberauschung und mit dem Sinnlichen liebäugelnde
Verzärtelung des Gefühls darstellt, bleibe auf sich beruhen. Tatsache ist der
gewaltige Aufschwung des religiösen Sinnes und zusammen mit ihm der
kirchlichen Kunst, in erster Linie der Baukunst.
74
Abb. 36. Karlskirche in Wien, von Bernh. Fischer von Erlach, 1716 — 1725
8. DER KATHOLISCHE KIRCHENBAU DES BAROCK
Die Geschichte der deutschen Kirchenbaukunst zerfällt in zwei große Haupt-
abschnitte. Der erste, der des mittelalterlichen Stils, beginnt mit der
romanischen Kunst seit der karolingischen Epoche. Er läuft in den spätgoti-
schen Stil aus, der durch das i5. und teilweise selbst bis tief ins 17. Jahrhun-
dert hinein nachlebt. Der zweite Hauptabschnitt erstreckt seine Anfänge bis
in die Spätrenaissance, bis ins ausgehende 16. Jahrhundert hinein. Schritt
vor Schritt, und durch die schweren Kriegszeiten in seinem Laufe mannig-
fach gehemmt, erobert er, den letzten gotischen Stil verdrängend, ja stellen-
weise sich mit ihm vermengend, im 17. Jahrhundert den katholischen Kir-
chenbau Deutschlands. Seine große Zeit beginnt im letzten Drittel des
75
17- Jahrhunderts, als zugleich mit dem Aufschwung des religiösen Lebens die
kirchlichen Kreise eine allgemeine Baulust ergriff. Dieser zweite Ab-
schnitt der deutschen Kirchenbaukunst ist der Gegenstand
unserer Betrachtung. Mit ihm beginnt ganz unleugbar eine neue Epoche, die
sich in ihrem ganzen Wesen von der mittelalterlichen unterscheidet. Allein,
während der romanische Stil im lo. und ii. Jahrhundert eine eigentümliche
Verkörperung des monumentalen Empfindens unseres Volkes ist, seinem gan-
zen Gehalt und Ausdruck nach eine unmittelbare jugendfrische Erfassung
architektonischer Grundgedanken : knüpft die neuzeitliche deutsche Kirchen-
baukunst an eine fremde eben ausreifende Entwicklung an. Ihr Ausgangs-
punkt ist die weiträumige Kirchenbaukunst der Spätrenaissance und des Ba-
rock in Italien.
Indessen, wenn nun auch die Formen der Grundrisse und des Aufbaues ab-
geleitete sind, so bedeutet dennoch auch dieser neue Stil für die deutsche
Kunst wieder einen Anfang. Es ist nämlich eine völlig von der mittelalter-
lichen Entwicklung abweichende Gestaltungsform, die mit dem italienischen
Kirchenbau Eingang findet. An die Stelle des gebundenen Organismus der
gotischen Kirchenform, des einheitlichen Gleichgewichtssystems, setzt sich
der klare, von geschlossenen Wänden begrenzte Raum. Die Gliederung der
Wände durch die der Antike nachgebildeten Träger und Gesimse gibt den
Wänden eine Selbständigkeit gegenüber dem Raum und der Decke, die dem
gotischen Kirchenbau gänzlich fremd war. Auch die Fassaden erhalten eine
Vorlage aus Säulenordnungen und wagerechten Gesimsen.
Die Aufnahme des italienischen Kirchenbaustils war in Österreich und in
Bayern bereits vor und während des Dreißigjährigen Krieges erfolgt, als im
Westen und Norden Deutschlands sich noch die Gotik behauptete. Das erste
Zeugnis, die von Herzog Wilhelm V. von Bayern am Ende des i6. Jahrhun-
derts errichtete Jesuitenkirche St. Michael in München, ein einziger großar-
tiger tonnenüberwölbter Raum, fand vielfache Nachahmung in den Landkir-
chen zwischen Inn und .Salzach. Ihr schließen sich auch die von Hans Krum-
per erbauten Kirchen in Weilheim usw. an. Mitten im Dreißigjährigen
Kriege entstehen die vom Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neu-
burg errichteten hallenartigen Jesuitenkirchen in Neuburg an der Donau und
in Düsseldorf'^). Zeigt sich in all den genannten Bauten eine Abwandlung der
italienischen Grundformen zugunsten heimischer Gewohnheiten, so ist der
gleichfalls noch in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges begonnene
Dom in Salzburg das erste Denkmal eines im reifen italienischen Geschmack
durchgeführten Gebäudes. Ein weites tonnenüberwölbtes Langhaus mit Ka-
pellennischen wird von einem gleichbreiten Querschiff durchschnitten und
76
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Abb. 37. Dom in Salzburg, begonnen von Solari 16 14, vollendet nach Mittel 7. Jhh.
77
mündet in einem gerundeten Chor. Über der Durchschneidung von Langhaus
und Querhaus, über der Vierung, erhebt sich eine hohe Kuppel. Erst nach
dem Dreißigjährigen Kriege wird der Bau beendet. Jetzt treten — teilweise
durch italienische Architekten und Maurer ausgeführt — an vielen Orten
Süddeutschlands Werke des neuen Stils ans Licht. In Wien bezeichnen die
von Tenkala entworfene Dominikanerkirche und die von einem Mitgliede der
Carlone unter Benutzung einer gotischen Anlage erbaute Kirche der Neun
Engelchöre am Hof Marksteine der ersten Stufe des Barock. Aus den fünf-
ziger und sechziger Jahren stammen die Kirche des Benediktinerklosters
Lambach zwischen Linz und Salzburg, die von Michael Behr aus Vorarlberg
entworfene und von Serro ausgeführte Stiftskirche in Kempten in Südschwa-
ben mit dreischiffigem Langhaus in Verbindung mit einem achteckigen Zen-
tralbau; ferner die drei Karmeliterkirchen in München (schräg gegenüber
der Dreifaltigkeitskirche), in Regensburg und in Würzburg, die letztere, auch
Reuererkirche, 1662 — i66g von Petrini. Auch die späteren Werke Petrinis,
die hochgelegene Stephanskirche in Bamberg, 1677 — 1680, und sein Haupt-
werk, die große Kirche des Stiftes Haug in Würzburg mit achteckiger Kup-
pel, schließen sich dieser ersten Gruppe barocker Kirchen an, denen endlich
aus Westfalen die noch schlichteren Bauten der Franziskanerkirche in Pa-
derborn und der Ägidiikirche in Münster zurechnen. Die Mehrzahl dieser
Kirchen sind einschiffig mit Kapellennischen, seltener dreischiffig. Die Ge-
wölbe sind teils noch kreuzförmig zwischen breiten Gurten oder tonnenartig.
Das gemeinsame künstlerische Merkmal ist die äußerste Strenge der Gliede-
rung. Sowohl die meist gedoppelten Pilaster an den Wänden im Innern und
an den Fassaden im Äußeren, als auch die Gesimse zeigen harte schmucklose
Profile. In der Bildung dieser Glieder wirkt die strenge klassische Richtung
der Renaissance fort. An den Fassaden macht sich ebenfalls die für die Re-
naissance bezeichnende Vorblendung der Pilasterordnung und Gesimse gel-
tend (Dom in Salzburg [Abb. 37], Karmeliter in Regensburg, Neun Engel-
chöre in Wien, St. Stephan in Bamberg, Observanten in Münster). Die
Kapitelle sind durchgehends schwer und glatt und die Gebälke ausladend.
Der Grundzug dieser frühbarocken Kirchen ist der einer nüchternen Klarheit
und fast gewaltsamen Strenge. Sie teilen diese Eigenschaften, wie hier vor-
wegzunehmen ist, mit den gleichzeitigen Schloßbauten. In dieser unbedingten
architektonischen Haltung, unter Vermeidung überflüssigen Zierats, stellen
sich die Schöpfungen des Frühbarock von rund 1650 — 1690 scharf den bis
über den Dreißigjährigen Krieg hinaus nachwirkenden spielerischen Spät-
renaissanceformen gegenüber. Neben den zweigeschossigen, mit Dreiecks-
giebel und Seitenvoluten bekrönten Fassaden nach dem Vorbild des Gesü
78
Abb. 38. Theatinerkirche in München, von Barelli, 1663 — 1674
79
sind mehr deutsch empfundene schmale Fassaden gebräuchlich, mit zwei Pi-
lastern dreigeteilt, oder von zwei Viereckstürmen flankiert; letztere in Kemp-
ten, am Stift Haug, an der Wallfahrtskirche auf dem Schönenberg bei Ell-
wangen. Aber nicht nur die langrechteckige Kirchenform der italienischen
Renaissance, auch der Zentralbau hat, w^enngleich nur vereinzelt, Eingang
gefunden (Wallfahrtskirche in Telgte vom älteren Pictorius, Dreifaltigkeits-
kirche in Kappel von Leonhard Dientzenhofer, Mariahilfkirche in Freystatt
von Viscardi). Überaus lehrreich ist ein Vergleich dieser ersten Stufe des
deutschen katholischen Kirchenbarock mit der gleichzeitigen protestantischen
Kirchenbaukunst im Norden Deutschlands. Doch davon später.
Neben der Gruppe schlichterer und provinziellerer Kirchenbauten entste-
hen jetzt zwei großartige und reicher ausgestattete Kirchenbauten in der
Hauptstadt München und in der Bischofsresidenz Passau, die beide von Ita-
lienern ausgeführt, in der Tat die italienischen Barockgedanken in lebendi-
gerer Gestalt auf deutschem Boden verkörpern. Sie stellen also eine Fortset-
zung des mit dem Dom zu Salzburg begonnenen Weges dar. Die in München
in den Jahren von 1663 — 1674 von Agostino Barelli aus Bologna für den
Kurfürsten Ferdinand Maria und seine Gemahlin Henriette Adelaide von
Savoyen nach dem Muster derTheatiner-Mutterkirche in Rom erbaute Thea-
tinerkirche St. Cajetan zeigt eine dem Dom in Salzburg verwandte Grundan-
lage (Abb. 38). Nur geht die Wirkung des hohen Raumes und der Kuppel
über den noch renaissancemäßigen Salzburger Dom weit hinaus. Die mäch-
tigen doppelten korinthischen Halbsäulen, zwischen den tiefen, mit Durch-
gängen versehenen Kapellen, die wuchtigen Gesimse und die reiche Gliede-
rung und Stuckverzierung der Tonnengewölbe machen den Eindruck größe-
rer Fülle und Bewegung. Diesen vermittelt noch weit stärker der Dom in
Passau (Abb. 39). Er ist nach 1662 von Lurago im Anschluß an eine mittel-
alterliche Basilika im Barockstil ausgebaut worden und hat seine jetzige Ge-
stalt nach einem Brande von 1680 durch I. B. Carlone erhalten. Die Drei-
schiffigkeit ist aus dem romanischen Bau übernommen worden; die Neben-
Schiffjoche wurden mit Flachkuppeln überdeckt. Sie wirken im Gesamtbilde
kaum noch mit. Beherrschend und von gewaltiger Wirkung ist der hohe und
Vi/eite, von mächtigen korinthischen Pilastern flankierte und mit streng ge-
gliederten Kuppelgewölben überdeckte Raum des Mittelschiffs. In feier-
lichem Schritt leitet er zu dem kuppelüberwölbten Querschiff, hinter dem
sich die weite Rundung des Chores majestätisch öffnet. Nicht nur der Raum,
auch die Ausschmückung wird von einem so großen einheitlichen Zuge be-
seelt, wie er uns in den bisher genannten Kirchen nicht entfernt begegnet ist.
Zum erstenmal tritt hier ein Kennzeichen des reifen Barock in Erscheinung,.
80
Abb. 39. Dom in Passau, von I. F. Carlone nach 1680 dekoriert
Schmitz, iS.Jahrh. 6 8l
das uns in den Kirchen und in den Prachtsälen der reifen Barockarchitektur
immer wieder begegnet : die überreiche Ornamentik entwickelt sich erst in
dem oberen Teil des Gebäudes, an den Kapitellen, den Arkadenzwickeln, an
den Gesimsen und in gedrängter Fülle an den Quergurten und Füllungen der
;, Tonnengewölbe. Die überschüssige Kraft sammelt sich nach oben hin: ein
wichtiges treibendes Moment in dem Barock. Ein verwandtes Beispiel aus
der Schloßarchitektur ist der gleichzeitige große Prachtsaal im Palais des
Dresdener Neuen Gartens. Es ist zu beachten, daß die plastische Stuckorna-
mentik dieser Barockräume des späteren 17. Jahrhunderts bei aller Üppigkeit
sich der schweren Pilaster- und Gesimsgliederung ein- und unterordnet. Als
ein schönes Zeugnis dafür kann die um 1700 von Christian Tumb erbaute
Stiftskirche Höfen bei Friedrichshafen (jetzt Privatbesitz des württembergi-
schen Königshauses) gelten. Am Ausgang des Jahrhunderts hatten die ein-
heimischen Stukkatoren, namentlich die Schule von Wessobrunn in Ober-
bayem, das schwere krause Akanthusornament des älteren Louisquatorze in
ihren Stil umgebildet. Sie haben zahlreiche Kirchen und Klöster Oberbayerns
und Südschwabens stuckiert, und neben den Carlone und anderen Italienern
eine ehrenvolle Stellung errungen.
Mit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert beginnen die strengen und
rauhen Formen des älteren Barock sich mit größerer Wärme und stärkerem
Ausdruck zu erfüllen. Es tritt eine neue Generation von Kirchenbaumeistern
auf den Plan, in der nun offenbar den deutschen Künstlern die führende Stel-
lung zugefallen ist. Als die hervorragendsten Meister sind Johann Dientzen-
hofer in Bamberg und Bernhard Fischer von Erlach und Lucas von Hilde-
brand in Wien anzusehen. Für diese, wie für die Anfänge des reifen Ba-
rock auch in der deutschen Schloßarchitektur, ist zu beachten, daß die füh-
renden Baumeister nur teilweise an die in Deutschland heimisch gewordene
ältere Barockschule anknüpfen. Von entscheidendem Gewicht ist das unmit-
telbare Studium dieses neuen Geschlechtes in Italien, sei es in Rom selbst
oder in den oberitalienischen Mittelpunkten der barocken Baukunst. Mit der
selbständigen Erfassung der barocken Baugedanken an ihren Quellen ver-
bindet sich die wachgewordene umbildende eigene Formenempfindung. Auf
die erste klärende und vorbereitende Epoche des Barock in Deutschland folgt
nun die zweite, die Zeit der Reife. Man vergleiche einen Bau der älteren
Schule, wie die Jesuitenkirche St. Martin in Bamberg von Leonhard Dient-
zenhofer, mit dem Dom in Fulda, einer Schöpfung des Johann Dientzenhofer!
Kurz nach seiner Rückkehr aus Rom hat der Meister im Jahre 1704 den Bau
unter dem Fürstabt Adalbert von Schleif ras begonnen: im Jahre 17 12 wurde
der Bau vollendet (Abb. 40). An die Stelle der nüchternen Derbheit des Mei-
82
Abb. 40. Dom in Fulda, von Joh. Dientzenhofer, 1704 — 1712
6- 83
sters der älteren Schule, wie sie der breite einschiffige, von Kapellennischen
begleitete Raum St. Martins zeigt, ist in Fulda eine sichere Abstimmung des
Grundrisses und des Aufbaues getreten. Das kurze tonnenüberwölbte Mittel-
schiff steht in abgewogenem Verhältnis zu dem breiten kurzen Querschiff, zu
dem Kuppelraum über der Vierung, zu dem gerundeten Chor und auch zu
den kuppelüberwölbten Nebenschiffen und vorderen Kapellen. Die Fähigkeit
harmonischer Raumgestaltung nach den Grundsätzen der Italiener, die Jo-
hann Dientzenhofer offenbart, ist doppelt anzuerkennen, da die Maße des
Baues, an römischen Verhältnissen bemessen, beschränkt sind. Die maßstäb-
liche Übertragung räumlicher Gedanken in kleinere Dimensionen, ohne den
monumentalen Grundcharakter zu beeinträchtigen, setzt gewiß ein reifes bau-
künstlerisches Können voraus. Auch der figürliche und ornamentale Schmuck
zeigt im Vergleich mit den Dekorationen etwa der Wessobrunner Stukkato-
ren einen Zug monumentaler plastischer Auffassung. Er beschränkt sich auf
große freiplastische Figuren, die in Nischen zwischen den Pfeilern und im
Zylinder der Kuppel aufgestellt sind. Die doppelgeschossige zweitürmige
Fassade (Abb. 41) unterscheidet sich durch die Verkröpf ung der Gesimse,
durch die vorgezogene Mitte und die organische Durchdringung der Glieder
scharf von den vorgeblendeten strengen Pilasterstellungen der älteren deut-
schen Kirchenfronten (vgl. wieder St. Martin in Bamberg). Erst jetzt sind
die deutschen Meister in die Kompositionsgedanken des italienischen Barock
völlig eingedrungen; erst jetzt begreifen sie deren Wesen, das in der Ver-
schmelzung aller Einzelglieder zu einem auf- und abschwellenden Ganzen be-
ruht. Mehr noch als die Fuldaer Domfassade zeigen das der Entwurf Zuc-
calis zur Münchner Theatinerkirche und die flach einwärts geschweifte Fas-
sade der Neumünsterstiftskirche in Würzburg von Greising (oder Pezzani).
Deren Inneres mit dem hohen achteckigen Westchor ist eine Fortent-
wicklung über Petrinis Stifthaugkirche. Johann Dientzenhofer hat sich
in seinem späteren Hauptwerk, der um 17 18 erbauten Klosterkirche in Banz
bei Bamberg, von der noch gebundenen und basilikalen Fuldaer Grundform
losgelöst. Der einschiffige, kurze, mit fliachrunden Kapellen versehene Raum
erhält durch die Schrägstellung der Pfeiler und durch die Verschneidung der
im Grundriß elliptischen Gewölbe, wie durch die Schweifung der Emporen
einen einheitlichen Zug. Der Drang nach Freiräumigkeit ersetzte die durch
Gurten getrennten Kreuzgewölbe und schmalen Tonnen allgemein durch
Kuppeln. Die im übrigen altertümliche Martinskirche in Bamberg ist
dafür eines der frühesten Beispiele. In voller Reife erscheint die Kuppelwöl-
bung in der großartigen Klosterkirche von Weingarten zwischen Ulm und
Friedrichshafen, die um 1720 von Frisoni erbaut wurde. Auch der Zentral-
84
Abb. 41. Dom in Fulda, von Job. Dientzenhofer, 1704 — 1712
85
bau hat den Aufschwung mitgemacht, wie z. B. die Dreifaltigkeitskirche
in München von Viscardi dartut, deren korinthische Säulenstellungen noch
den Zusammenhang mit dem älteren Barock verraten.
Die zentralen Raumgedanken haben inzwischen die großartigste Gestal-
tung erfahren in den Kirchenbauten Bernhard Fischer von Erlachs in Wien.
Auch er hat, wie Dientzenhofer, in Rom studiert. Er kommt aus dem Kreise
Carlo Fontanas. Seine Bauten knüpfen in gleichem Grade wie die des Dient-
zenhofer an die strenge, nur fortgeschrittenere klassische Richtung des römi-
schen Barock an, während die Strömung des Borronini mehr in Einzelheiten
eingewirkt hat. Als Raumschöpfer aber läßt Fischer den Dientzenhofer weit
hinter sich zurück. Fischer von Erlach und Schlüter stehen da, fast unver-
mittelt emporkommend, als die beiden größten deutschen Genien am Eingang
des 1 8. Jahrhunderts. Gleich eines der frühesten Hauptwerke Fischers, die
mächtige Kollegiatskirche in Salzburg, überrascht durch den machtvollen,
fast zentralen Kirchenraum auf kreuzförmiger Grundlage mit vier freistehen-
den Pfeilern. Ebenbürtig ist die im Halbrund herausgebuchtete Fassade mit
dreitoriger Vorhalle und ovalen Fenstern darüber, von zwei schweren kurzen
Türmen flankiert (Abb. 42). Man muß nur die strenge Pilasterverblendung
des nahen Domes und dessen Inneres vergleichen, um zu erkennen, welcher
große zusammenfassende Zug dem reifen deutschen Barock gegenüber dem
frühen eigen ist. Fischer krönt sein Lebenswerk im Kirchenbau mit der noch
gewaltigeren Raumschöpfung der Karlskirche in Wien, die im Auftrag Kai-
ser Karls VI. von 1716 — 1725 erbaut wurde (Abb. 36). In dem Wettbewerb
trug er den Sieg über Ferdinando Galli Bibiena davon. Die Karlskirche stellt
die höchste Fortbildung des Zentralbaugedankens mit ovalem Mittelraum
dar, die in Rom im 17. Jahrhundert entwickelt worden war. An den ovalen
Mittelraum setzen sich vier tonnengewölbte kurze Kreuzflügel und dazwi-
schen niedrige ovale Kapellen, die sich mit einer Arkade und Empore nach
dem Mittelraum öffnen. Als Schöpfung des reifen Barock gestaltet die
Karlskirche den ovalen Mittelraum im Vergleich zu den Nebenräumen und
Kapellen zu beherrschender Höhe und Weite aus. Der Gläubige wird in den
dunkleren Kapellen und Nebenräumen vorbereitet auf den von oben belichteten
hochsteigenden Kuppelraum. Der Blick wird überrascht und emporgerissen
zur Kuppel, wo die himmlischen Heerscharen schweben. Die Durchblicke
steigern diese Wirkung. Und doch ein durch und durch architektonisch be-
handeltes Gefüge mit strenger Pilastergliederung und sparsamem plasti-
schem Schmuck. Das Äußere zeigt eine sechssäulige Tempelvorhalle korin-
thischer Ordnung mit zwei freistehenden Trajanssäulen davor; diese antike
Baugruppe bildet den Vordergrund zu dem von zwei stumpfen Türmen be-
86
Abb. 42. Kollegiatskirche in Salzburg, von Bernh. Fischer von Erlach, um 1700
87
Abb. 43. Jesuitenkirche in Grüßau, vollendet um 1740
88
gleiteten Kuppelbau. Die Vermutung, daß Fischer Eindrücke aus Rom wie-
dergibt — d. h. den Anblick antiker Gebäude im Zusammenwirken mit dem
St. Peter und anderen Kuppelkirchen — hat große Wahrscheinlichkeit für
sich. Jedenfalls äußert sich hier wie in Fischers phantastischem Kupfer-
-werke „Entwurf einer historischen Architektur" die Neigung des deutschen
Barock für die alte römische Herrlichkeit. Aber zu gleicher Zeit doch auch
die souveräne Umsetzung, die der Barock den römischen Formen zuteil wer-
den ließ, die uns schon anläßlich der heroischen Fürstenbildnisse beschäftigt
hat. Zwei weitere bedeutsame Zentralbauten der Wiener Schule dieser
Epoche sind die Peterskirche dicht beim Graben mit späterer Fassade von
Altomonte und die ähnliche Salesianerinnenkirche links vom Belvedere.
Der Langhausbau der österreichischen Barockschule in der Zeit Karls VI.
bleibt hinter dem Zentralbau in der Steigerung der Freiräumigkeit nicht zu-
rück. Aus der kaum übersehbaren Fülle stattlicher Kloster-, Wallfahrts- und
Pfarrkirchen, die nach dem Spanischen Erbfolgekrieg bis ans Ende der drei-
J5iger Jahre in Wien und Österreich entstanden, ragen die Werke Jakob Pran-
dauers hervor, so die Klosterkirchen von Melk und Dürnstein. Ähnlich wie
Dientzenhofers Klosterkirche in Banz haben diese einschiffigen, breiten, von
Kapellen begleiteten Räume durch flache Schweifung der Wände und Empo-
ren ein bewegteres einheitlicheres Raumbild gewonnen. Man schreitet zu
immer weiteren Kuppelspannungen fort. Ein Glanzstück ist die weite Mittel-
kuppel in Herzogenburg. Nach Tirol, nach Böhmen, Mähren, Schlesien und
Ungarn breitet sich der Wiener Kirchenstil aus. Zu seinen Ablegern gehören
die großen Klosterkirchen Leubus und Grüßau und die Johanneskirche in
Liegnitz. Die weiten Kuppelgewölbe werden mit Fresken geschmückt —
auch für die Deckenmalerei ist Wien in dieser Zeit der Mittelpunkt des deut-
schen Südostens. Säulenreiche Altarbauten füllen die Chöre und Kapellen.
Stuckverzierungen, Bemalung und Vergoldung steigern die Wirkung zu
einem einheitlichen farbigen Eindruck. Allein die reinen und großen Archi-
tekturschöpfungen Fischer von Erlachs und Prandauers bilden überragende
Gipfel in einer großen Menge von Werken, die in der prunkenden Ausstat-
tung ihre Stärke suchen. Besonders viele böhmische und schlesische Kirchen-
bauten des Barock vertreten diesen schwerfälligen und derben Durchschnitt.
Im einzelnen, in der Gesimsbehandlung des Inneren und des Äußeren, strei-
fen sie zuweilen ans Barbarische, namentlich dort, wo das slawische Volks-
tum mitwirkt. Man würde den wahrhaft schöpferischen und gedankenklaren
Leistungen der führenden Meister unrecht tun, wollte man sich durch die
zeitgemäße Barockbegeisterung dazu verleiten lassen, nun all diesen in so un-
glaublicher Fruchtbarkeit entstandenen Kirchenbauten einen monumentalen
89
Charakter beizumessen. Vieles ist eben nur Volkskunst, freilich gute und den
malerischen Sinn erfreuende Volkskunst.
Wie mächtig jetzt Deutschland von der barocken Raumempfiindung ergrif-
fen wird, bezeugen die im ersten Drittel des Jahrhunderts überall erfolgenden
Umwandlungen des Inneren der mittelalterlichen Kirchen. Namentlich die
ehrwürdigen romanischen Dome und Benediktinerkirchen mußten zum tau-
sendjährigen Jubiläum der Stifte neue Gewänder anlegen. Hier tritt nun der
Gegensatz zwischen der Raumbildung des mittelalterlichen Stils und dem des
Barock in willkommener Weise zutage. Der strenge und ernste Rhythmus,
die Gebundenheit der Gewölbekonstruktion und die enge Pfeilerstellung der
romanischen Basiliken mußten dem Barock unerträglich sein. In den älteren
Neuausstattungen um 1700, die uns etwa die Dome von Passau, von Würz-
burg und Hildesheim veranschaulichen, bleibt unter der Stuckverkleidung
noch die Raumgliederung des romanischen Stils in einzelne Abschnitte zu
spüren. Alsbald setzt man aber an die Stelle der flachen Kassettendecke und
der Kreuzgewölbe ein einziges flaches Spiegelgewölbe, das nur ein oder zwei
langovale Bildfelder erhält. Die langgezogenen geschweiften Stuckumrah-
mungen ziehen unbekümmert um die Stützenstellung der Arkaden dahin.
Selbstverständlich wird jetzt das Gewölbe stets durch vorgelegte Pilaster ge-
tragen, wodurch die Vereinheitlichung des Raumes gesteigert wird. Die Er-
weiterung der Fenster in den Oberwänden des Mittelschiffs, häufig bis in die
Stichkappen des Gewölbes, leitet einen einheitlichen Lichtstrom von oben
hinein. Die glänzendsten Virtuosen in solcher Neueinkleidung waren der
Maler Kosmas Damian Asam und sein Bruder, der Stuckierer Egid Quirin
Asam in München. Sie wachsen aus der Dekoratorenschule von Wessobrunn
hervor. Ihre Hauptschöpfungen der genannten Art, der Dom in Freising und
St. Emmeram in Regensburg, sind erstaunliche Zeugnisse raumbildender
Kunst. Das Zusammenwirken des Malers und Stuckierers kommt in erster
Linie auch der einheitlichen und zarten Farbenwirkung zugute. Die Heilig-
geistkirche in München veranschaulicht die Umwandlung einer spätgotischen
Hallenkirche durch die Meister. Die Rundsäulen werden zu schlanken Pfei-
lern mit Pilastervorlagen und erhalten aufgelockerte korinthische Kapitelle.
Auf ihnen sitzen hohe, lebhaft profilierte Kämpferstücke mit weit ausladen-
den Gesimsen als Träger der schmal ansetzenden, dann spiegelartig verflach-
ten, bemalten und stuckierten Gewölbe. Die Gebundenheit des gotischen Ge-
wölbsystems, die Zerschneidung der Gewölbe durch die Stern- und Netzfigu-
ren der Spätgotik wird damit aufgehoben. Unter den Neuschöpfungen der
Gebrüder Asam bezeichnet die von ihnen selbst errichtete Johannes Nepomuk-
kirche in München 1733, ein langovaler Raum, und die runde Kirche zu Wel-
90
Abb. 44. Johanniskirche in München, von den Gebrüdern Asam, um 1730. Fassade
91
Abb. 45. Johanniskirche in München, von den Gebrüdern Asam, um 1730. Chor
92
tenburg die letzte Steigerung des malerischen und plastischen Ausdrucks im
barocken'Kirchenraum (Abb. 44 u. 45). Durch plastische Figuren und Bauteile
und durch halb oder ganz verdeckte Lichtquellen gewinnt die Beleuchtung
dieser Räume einen märchenhaften Zauber. Die Häufung aller Glieder, die
Schweifung der Gesimse und der Wände und namentlich die Verdeckung von
Gewölbansätzen und Raumanschlüssen wirken mit der starken Vergoldung
und Farbengebung zusammen, diesen Räumen einen völlig malerischen Cha-
rakter zu geben. Die letzten Werke der Asam gehören schon fast ganz dem
frühen Rokoko an.
Die Fassaden und Türme der Kirchen im ersten Jahrhundertdrittel haben
den hier gezeichneten Entwicklungsgang vom Strengen zum plastisch Be-
wegten begleitet, wenn auch in gemäßigter Weise. Die Schweifung der Fas-
saden und das stärkere Vorspringen der Säulen, Pilaster und Gesimse gegen-
über der flachen und in einer Ebene bleibenden Front des früheren Barock
bezeichnen die Fassaden von Banz, von Weingarten, von Melk und zahl-
reiche, in den dreißiger Jahren entstandene Fassaden in Österreich und in
Schlesien. Eine der spätesten, um 1740 vollendeten Schöpfungen ist
die zweitürmige Fassade der Kirche in Grüßau in Schlesien, über deren
schweren Reichtum sich Friedrich der Große während des Siebenjährigen
Krieges seinem Vorleser Katte gegenüber ausspricht (Abb. 43). Es scheint,
als wenn Lukas von Hildebrand, Fischer von Erlachs großer Wiener Zeitge-
nosse, zur Ausbildung des so bezeichnenden zweitürmigen schmalen Fassa-
dentyps der österreichischen Barockkirchen beigetragen hat. Hand in Hand
mit der zunehmenden Schwingung der Fronten und der Verkröpfung der
Glieder geht die stetig wachsende Schweifung, Einschnürung und Schwel-
lung der beiden Turmaufsätze. Auch hierfür bieten die österreichischen Kir-
chen die reichste Fülle von Lösungen. Eine Schiffahrt donauabwärts von
Linz nach Wien führt uns ununterbrochen an gelb- und weißgetünchten Klo-
ster- und Pfarrkirchen vorüber, deren lustig geschwungene Turmhauben ge-
radezu ein Abzeichen des alten glücklichen Österreichs sind.
93
9. DER KATHOLISCHE KIRCHENBAU DES ROKOKO
In der einführenden Übersicht über die hauptsächlichsten Stilepochen der
deutschen Kunst des 1 8. Jahrhunderts wurde darauf hingewiesen, daß eine
Grenze zwischen dem Barock und dem nachfolgenden Rokoko schwer zu zie-
hen ist. Das Rokoko ist vielmehr, wie angedeutet wurde, eine Weiterentwick-
lung der in dem Barock wirkenden Kräfte. Das gilt in ganz besonderem
Maße von dem Kirchenbau. Die Mehrzahl der Kirchenbaumeister des Roko-
kozeitalters — mit anderen Worten des Zeitraums von rund 1735 bis um
1765 — gehört mit ihren Frühwerken noch zum Barock. In der Bildung und
Gliederung des Raumes, d. h. in den Grundrissen, in dem Aufbau und der
Wölbungsform schließen sie sich unmittelbar an die Meister der ersten Ge-
neration des 18. Jahrhunderts an. Es ist auch schwer festzulegen, in wel-
chem Zeitpunkt eine entscheidende Änderung in diesen wichtigsten Bezie-
94
Abb. 46. Hochaltar in der Kirche in Diessen am Ammersee, um 1730
95
Abb. 47. Kirche von Vierzehnheiligen, von Balthasar Neumann
Mitte 18. Jahrhunderts
96
Abb. 48. Vierzehnheiligen, von Balthasar Neumann, Mitte 18. Jahrhunderts
hungen eintritt. Wie eingangs gesagt, ist das äußere Merkmal des Rokoko-
stils das von Frankreich übernommene Rokokoornament, die Rocaille, der
Schnörkel, und nach deren ungefährem Auftreten in Deutschland wird der
Beginn des neuen Stils datiert. Es leuchtet aber ohne weiteres ein, daß eine
von so starken raumbildenden Faktoren getragene Entwicklung wie die des
deutschen Kirchenbaues dieser Zeit, nur in untergeordnetem Grade durch ein
neues Ornament bestimmt werden kann.
Die fruchtbarste Schule des Barockzeitalters, die österreichische, ist auf
dem fortgeschrittenen Standpunkt, den sie in der Spätzeit Karls VI. erreicht
hatte, im wesentlichen während des Rokoko geblieben. Die große Zahl der
Schmitz, 18. Jahrh. 7
97
Abb. 49. Kirche in Berg am Laim, von Joh. Michael Fischer, Mitte 18. Jahrhunderts
98
Wiener Vorstadtkirchen, die unter Maria Theresia erba,ut wurden, gehen in
dem weiträumigen, von Kapellennischen begleiteten Innenraum und in dem
mit zwei Zwiebelhauben bekrönten Äußeren über die in dem Barock geschaf-
fenen Grundzüge nicht eigentlich hinaus. Die Meister Altomonte und Johann
Gerl und der Tiroler Kirchenbaumeister Gumpp stellen den Ausklang der
großen Zeit Fischer von Erlachs, Hildebrands und Prandauers dar.
Anders ist es in Bayern, im katholischen Schwaben und am Main. In die-
sen Gauen beginnt erst jetzt, mit den dreißiger Jahren, die Glanzepoche des
Kirchenbaues. Hier ist unzweifelhaft das endgültige Ergebnis eine Umgestal-
tung des Barock, eine Durchdringung der Barockgedanken mit neuem seeli-
schen und formalen Ausdruck. Drei große Meister haben dem süddeutschen
Kirchenbau der neuen Generation Gestalt gegeben: der Franke Balthasar
Neumann in Würzburg, ein dem Schlüter und Fischer von Erlach an Genie
gleichkommender Künstler, sowie die Bayern Dominikus Zimmermann von
Landshut und Johann Michael Fischer in München.
Balthasar Neumann knüpft an die von Johann Dientzenhofer in Franken
ausgebildete Kirchenbauweise an. Seine früheren Schöpfungen, die 1727 für
die Grafen Schönborn erbaute Kirche zu Wiesentheid, die von ihm nur voll-
endete dreischiffige Klosterkirche in Schönthal und namentlich die nur im
Modell erhaltene dreischiffige basilikale Abteikirche von Münsterschwarzach
bewahren noch die regelmäßigen Grundriß-, Pfeiler- und Kuppelformen des
Barock. Der in diesen Bauten entwickelte Raumsinn gelangt zur Keife in
dem Jahrzehnt von 1740 — 1750. Die Würzburger Schloßkapelle und die Kir-
chen von Vierzehnheiligen (Abb. 47) und von Neresheim/) (Abb. 51) verdan-
ken diesem Jahrzehnt ihre Entstehung. Die Grundrisse der rechteckigen Bau-
ten setzen sich aus lauter Ovalen zusammen. An ein weites Mitteloval schlie-
ßen sich bald quer, bald längs gelagerte kleinere Ovale an. Aber dem Auge
erscheint durch die Verschneidung der auf freistehenden, äußerst schlanken
Säulen und Säulenpaaren ruhenden Gurten und Gewölbekappen der Raum
als eine Einheit. Eine Einheit allerdings reich an stetig wechselnden Durch-
blicken und Überschneidungen. Eine Vereinigung von ruhiger Klarheit und
drängender Bewegung, wie sie nur auf den höchsten Gipfeln der Kunst ge-
lingt. Solche Gipfel sind aber Vierzehnheiligen und Neresheirn.
Während Balthasar Neumann aus der technischen und der Festungsbau-
kunst heraus zu einem so großartigen Baukonstrukteur heranwuchs, ging
Dominikus Zimmermann aus der südbayerischen ländlichen Bau- und Stuk-
katurschule hervor. Auch seine Frühwerke, z. B. die Kirche Maria Mödingen
bei Dillingen (1716 — 1768), gehören durch die regelmäßigen Rechtecksab-
schnitte der Grundrißteilung durchaus zum Barock. In der um 1730 erbauten
T ' 99
Abb. 50. Kirche zu Zwiefalten, von Job. Michael Fischer, Mitte 18. Jahrhunderts
100
Wallfahrtskirche von Steinhausen, auf einsamer Höhe vom Kloster Schussen-
ried errichtet, und noch freier in der Wallfahrtskirche Wies beim Kloster
Steingaden, dem um die Mitte des Jahrhunderts geschaffenen Hauptwerk,
hat er sich vollständig von dieser Überlieferung freigemacht. Diese Kirchen
sind oval gebildet, mit einem kuppelüberspannten Mittelraum auf frei-
stehenden Pfeilern und den als Umgang für die Wallfahrtsprozessionen
gebildeten Seitenschiffen. In Steinhausen sind selbst die in der Längsachse
des Hauptovals ansetzenden Räume der Vorhalle und des Chores abgerundet.
Nicht nur das Innere mitsamt den Pfeilern und Gesimsen, auch das Äußere
des Baukörpers nimmt an der Schwingung teil. Sogar die Fenster werden in
geschweiften Linien ausgeschnitten.
Der dritte im Bunde und der fruchtbarste, der Münchner Stadtbaumeister
Johann Michael Fischer, knüpft in seinem frühesten Bau der St. Annakirche
am Lechel in München (unfern des Nationalmuseums) noch an die von Vis-
cardi in der Dreifaltigkeitskirche gegebene zentrale Raumform mit Kapellen-
nischen an. Aber hier schon offenbart sich in dem Eindruck des ovalen, flach-
überwölbten Raumes mit drei breiten Nischen und halbrund herausgebuchte-
tem Chor ein Losringen von den regelmäßigen Linien des älteren Barock.
Fischer, dem über dreißig Kirchen zugeschrieben werden, erreicht den Gipfel-
punkt seines Schaffens etwa gleichzeitig mit den beiden eben genannten Mei-
stern um 1740. In der Mehrzahl seiner Kirchen wird der Raum im Grundriß
aus drei oder mehr fast kreisförmigen Ovalen gebildet, deren mittelstes, an
Breite und Höhe die andern weit überragend, den Eindruck beherrscht. Der
Blick des Eintretenden wird in der Vorhalle schon zur weiten und hohen Mit-
telkuppel hinangezogen, aber dort nicht festgehalten, sondern an den flach-
runden Nischen und abgeschrägten Wandpfeilern nach hinten geleitet. Die
vortretenden Wände und Säulen verdecken den Ansatz des dahinter gelager-
ten Chores, die flachgebogenen Quergurten überschneiden die hinteren Kup-
peln. So auch hier wie in Neumanns Kirchen Ruhe und Bewegung in Einem.
Doch in Fischers Schöpfungen überwiegt viel stärker noch die malerische
Wirkung; man steht am Eingang wie gebannt von einer Erscheinung. Im
Anschaun des Raumbildes ist man aller Wirklichkeit, aller Erdenschwere
entrückt. Die wichtigsten Denkmale der reicheren Grundrißlösung sind St.
Michael in Berg am Laim, (Abb. 49), nur eine Stunde Weg von München,
erbaut 1737 — 1751, eine Stiftung des Clemens August von Köln, und lehrreich
im Vergleich mit der frühen St. Annakirche in der Stadt selbst, großartiger noch
die Kirchen in Rott am Inn (175g— 1763), in Ottobeuren und Altomünster (1763
bis 1762). Der Eindruck des einheitlichen zusammenfließenden Raumes ist
nicht sehr viel anders dort, wo Fischer die Langrechteckform beibehalten
lOI
muß, wie etwa in den Klosterkirchen von Diessen am Ammersee und in Zwie-
falten (1737 — 1766; Abb. 50).
Um diese Gipfelpunkte der Kirchenkunst des Rokoko lagern sich eine
Reihe weiterer Werke her, die eine verwandte Empfindung aussprechen. Aus
der dem südlichen Schwaben benachbarten katholischen Schweiz ragen her-
vor die Klosterkirche von Maria Einsiedeln und die von Peter Thumb aus
Konstanz 1756 — 1769 erbaute Kirche des altehrwürdigen Stiftes St. Gallen.
Das breite Mittelschiff erweitert sich in der Mitte zu einem ovalen hohen
Kuppelraum, um den die Nebenschiffe herumgeleitet sind. Also ist auch hier
ein ähnlicher Weg beschritten wie in Bayern und Franken, der seinen Aus-
gang nimmt von der Klosterkirche in Weingarten. Im südlichen Schwaben
stellt die Klosterkirche von Wiblingen bei Ulm in der Verschmelzung des
Langhauses mit einem ovalen Mittelraum den Ausklang der schwäbischen
Rokokokunst im Anfang der siebziger Jahre dar. Wie die neuen Raumgedan-
ken selbst das altheimische Hallensystem in ihrem Sinne umgestalten, das
veranschaulicht unübertrefflich statt vieler anderer Beispiele die von Valen-
tin Thomann von 1748 — 1760 erbaute Peterskirche in Mainz. Die Gewölbe
scheinen auf den überschlanken gegliederten Pfeilern zu schweben wie Zelt-
tücher, die vom Winde hochgetrieben sind. Natürlich drängte diese Epoche
noch viel mehr als der Barock darauf, den mittelalterlichen Kirchen ihren
eigenen Charakter aufzuprägen. Ist in der Barocküberkleidung immer noch
das Grundgerüst der mittelalterlichen Anlage zu fühlen, so vernichtet dieses
der Rokokomeister von Grund aus. Aus der zwölfeckigen Klosterkirche in
Ettal wird ein Kuppelraum, dem durch die aus der Mauer herausgeschweifte,
auf Säulen ruhende Orgelempore die in sich ruhende Grundlinie des Kreises
genommen wird (vgl. Abb. 33). Aus der auf waldiger Höhe über dem Ammersee
gelegenen Wallfahrtskirche zu Andechs, ehemals einem langgestreckten drei-
schiffigen Bau der Gotik, wird durch Wegbruch der Pfeiler und durch
Schweifung der Wände ein einziger, aus drei hintereinander gelagerten, sich
durchschneidenden Ovalen gebildeter Raum. Am erstaunlichsten enthüllt
sich die Raumkunst des Rokoko in der Dominikanerkirche in Würzburg
(jetzt Augustinerkirche). Sie ist von Neumann 1744 auf der Grundlage eines
gotischen Baues unter Beibehaltung des Chores neu erbaut worden. Über-
raschend ist der räumliche Eindruck, den der schmale und langgestreckte
Raum des Mittelschiffs durch die im Vordergrunde schräg aufgestellten Al-
tarbauten, wie durch die dem Blicke fast entfliehende Malerei und Stuckde-
koration der Decke erweckt. Auch der reine Zentralbau, sei es rund oder
kreuzförmig, erhält einen der Zeit gemäßen Ausdruck, wie das Käppele von
Neumann in Würzburg und die nach seinen Entwürfen ausgestattete Cle-
102
Abb. 51. Kirche zu Neresheim, von Balthasar Neumann, Mitte 18. Jahrhunderts
Ausstattung Louisseize
103
menskirche in Münster bekunden, während in der gleichzeitigen, nach Le-
geais' Entwürfen erbauten katholischen Hedwigskirche in Berlin ein stren-
gerer Zug waltet.
In der Raumkunst der süddeutschen Kirchenbaumeister des Rokoko haben
wir einen der Höhepunkte des Jahrhunderts. Ja, in gewissem Sinne verkör-
pert sich der eigentümliche Grundzug der deutschen Kunst des Jahrhunderts
in diesen Schöpfungen am reinsten. Und das gilt vom Ganzen wie vom Ein-
zelnen. Den aufgelockerten, von der Luft durchspielten Kapitellen der schlan-
ken Säulen und Pilaster scheinen Gebälke und Decken eine federleichte
Last geworden. Die Gebälke selbst, die hohen Architrave und die weit aus-
ladenden Gesimse werfen sich zugleich mit der Schwingung der Wände vor-
wärts und aufwärts. Sie werden verkröpft und gebrochen und von herauf-
rankenden Schnörkeln überspielt. Am stärksten in Dominikus Zimmermanns
Bauten, dessen Bruder, der Stukkator Johann Zimmermann, daran mitwirkte,
mehr zusammengehalten bei Fischer und am sparsamsten bei Neumann, der
von Hause aus Konstrukteur erst mit den vierziger Jahren die üppige Stuck-
dekoration von Oberbayern übernahm. Die oberbayerischen und südschwä-
bischen Kirchen haben zugleich mit den architektonischen Formen die des
Ornamentes aufs äußerste gelockert. Sie boten das Feld, auf dem die Stukka-
turen von Wessobrunn jetzt zur höchsten Blüte gediehen. Auf die Gebrüder
Asam folgten eine ganze Reihe höchst fruchtbarer Meister, die das Rocaille-
ornament dem Kirchenbau in kongenialer Weise dienstbar machten. Neben
Johann Zimmermann, dem Dekorateur der Kirche in Berg am Laim, ragt her-
vor Johann Michael Feichtmayer, der mit Georg Ubelher und Franz Schefller
die Klosterkirche in Amorbach ausstattete, sowie die Bauten Fischers in
Diessen, Rott am Inn und Ottobeuren dekorierte. Mit der völligen Auflö-
sung der plastischen Dekoration in den Rokokoschnörkeln geht die Erleich-
terung der Decken durch vertiefte Gemälde Hand in Hand. Die Maler und
Stukkatoren greifen ineinander. Die plastischen Schnörkel, Engel und Hei-
ligenfiguren fluten über den Bildrand hinüber, wie sie auch über die Gesimse,
mit Wolkenballen vereinigt, herauf- und herabfließen. Die Wände sind weiß-
getüncht, und Pilaster, Füllungen und Gesimse sind durch helle Farben, vor-
herrschend Blau, Grün und Gelb, gehoben. Die lichte Farbenstimmung wird
durch die Führung des Lichtes gesteigert. Die oberen Fenster sind meist hin-
ter Stichkappen, Gewölbgurten und Gesimsausladungen verdeckt. Das Licht,
oft wie aus unsichtbaren Fernen herkommend, erfüllt die weiten Räume mit
seinem lebendigen Odem. Je nach dem Stande der Sonne sammelt sich hier
milder Glanz, dort weicher Schatten. Die Goldschnörkel und Strahlenglorien
der Altarbauten schimmern in den Lichtwellen, und wie in Feuerfluten stre-
104
ben Engel und Heilige empor. Auch jetzt drängt, wie im Barock, aller pla-
stische Schmuck nach oben. Aber am Rande der Decke, am untern Ansatz
der Kuppel, wogt er zurück und ballt sich zusammen. Da weitet das Gemälde
den Blick. Sehnend folgt das Auge der Gläubigen den aufwärtsziehenden
Wolken und seligen Chören ins lichte Himmelsgewölbe hinein. Will man den
Genius der deutschen Kunst des i8. Jahrhunderts verstehen, so muß man we-
nigstens einige Kirchen der Art in Wirklichkeit sehen. Wenn irgendwo die
Photographie zur Wiedergabe von Raumeindrücken unfähig ist, so in diesem
Falle.
Der freien Entfaltung des Rokoko in dieser Gruppe süddeutscher Kirchen
steht das Festhalten an strengeren Formen gegenüber. Die Kirchenbauten
des Couven in Aachen, wie die große Kuppelkirche in Burtscheid, und die
des Schlaun im Münsterschen haben allerdings in der Raumgestaltung die
Vereinheitlichung mitgemacht, dagegen bleiben die plastischen Formen in
der Bewegung gemäßigter. Das findet teilweise seine Erklärung darin, daß
beide den heimischen Backsteinbau mit Sandsteingliedern weiter entwik-
keln, der bereits um 1700 im Kirchenbau der Aachener Gegend durch Meffer-
datis, und im Münsterschen durch Pictorius und Lambert von Korfey ausge-
bildet wurde. Eigentümlich ist die Stellung der Jesuitenkirchen abseits des
Hauptstromes der Entwicklung, an dem bezeichnenderweise der altheimische
Benediktinerorden den stärksten Anteil hat. Während die von dem Kurfür-
sten Philipp von der Pfalz 1712 begonnene Jesuitenkirche in Heidelberg eine
Hallenkirche mit schweren Pfeilern darstellt, nimmt die von demselben Für-
sten 1733 nach Plänen Alessandro Galli Bibienas begonnene große! Mannhei-
mer Jesuitenkirche St. Ignatz und Franz Xaver die tonnenüberwölbte ein-
schiffige Raumform mit Seitenkapellen auf, die das Hauptschema des
17. Jahrhunderts gewesen war. Auch die spätesten, erst in den sechziger Jah-
ren entstehenden Jesuitenkirchen in Büren (mit Kuppel in der Mitte, von
Roth aus Mergentheim) und von Würzburg (St. Michael) und Mainz (St. Ig-
natz von I. P. Jäger) nehmen in gewissem Sinne die strengen Formen der
Spätrenaissance, des Gesü und seiner Tochterkirchen wieder auf. Freilich ist
die Raumbildung zeitgemäß erweitert. Aber hier erscheint — und besonders
in der Einzelbehandlung bereits eine bewußte Abwendung von dem Rokoko
— eine Rückehr zu klassischen Gliedern. Damit weisen diese Schöpfungen
des deutschen Kirchenbaues in die beginnende Epoche des Frühklassizismus.
Es ist höchst merkwürdig, daß gerade die Jesuiten für ihre Kirchen zuerst
das Gewand des Aufklärungszeitalters wählten. Die stattlichen Neubauten
waren kaum beendet, als die Gesellschaft Jesu, diese Hauptträgerin des er-
neuerten Katholizismus, der Auflösung durch ein päpstliches Breve verfiel.
105
WtM.m TTTIt iX^
Abb. 52. Hofkirche in Dresden, von Chiaveri, Mitte 18. Jhh.
106
Der Außenbau der Rokokokirchen folgt der Bewegung des Inneren, jedoch
mit Einschränkung. Die Mitschwingung der Außenwände des ganzen Baukör-
pers erfolgt nur stellenweise. So bei den oberbayerischen weißverputzten
Landkirchen Zimmermanns und seiner Richtung. Im allgemeinen teilt sich
die Bewegung nur der Fassade und den Türmen mit. Die Fassade von Vier-
zehnheiligen veranschaulicht im Vergleich mit der der gegenüberliegenden Klo-
sterkirche von Banz die Steigerung des plastischen Ausdrucks zugleich mit dem
Schwung der Formen (Abb. 47). Im ganzen ist die plastische Kraft nach oben
und nach der Mitte zusammengedrängt. Die mit beschwörend erhobenen
Armen in scharfen Umrissen auf dem gebrochenen und verkröpften Dach-
gesims stehenden Heiligenfiguren und die tiefeingeschnürten Zwiebelhauben
der Türme stellen den Ausklang der die Masse ergreifenden Bewegung
gegen den Himmel dar. Die freieste Auflösung erreicht in diesem Zeitpunkt
eine italienische Kirchenschöpfung auf deutschem Boden, die katholische Hof-
kirche in Dresden (Abb. 52). Siewurde von dem aus Warschau berufenen Römer
Gaetano Chiaveri für August III. von Polen und Sachsen erbaut. Es ist die
letzte Schöpfung der malerischen Richtung des römischen Barock. Das lang-
ovale, reichgegliederte und statuengeschmückte Gebäude und der zierlich
durchbrochene Turm wirken mit der Kuppel der Frauenkirche zusammen,
um das Dresdener Stadtbild zu dem schönsten des deutschen 18. Jahrhun-
derts zu machen. Wir haben also die beachtenswerte Tatsache, daß Deutsch-
land die letzte Entfaltung der malerischen Strömung auch des italienischen
Barock ermöglicht hat. Diese durch Borromini begründete Richtung hat
entscheidend mitgewirkt, die deutschen Kirchenbaumeister des Rokoko aus
dem strengen Stil des älteren Barock herauszuführen. Es sind vorzüglich die
ovalen Grundrißlösungen des Borromini und seiner Schule, die den deutschen
Baumeistern die Anregung dazu gaben, sich von den Rechtecksformen freizu-
machen. Unstreitig haben sie aber diese Gedanken in großartigster Weise
und zu völlig neuen Schöpfungen um die Mitte des Jahrhunderts verarbeitet.
Ein großer Teil der deutschen Kirchen des Barock und Rokoko sind
Klosterkirchen. Ihr Äußeres ist daher oft erst als Mittelpunkt und Bekrö-
nung der weitläufigen Abtei- und Kollegienbauten voll zu würdigen. Wie
diese Kirchen und Gebäudegruppen sich der Umgebung einfügen, ob sie ein-
gebaut in die Straßen unserer alten Städte, ob sie hingelagert in weiten
Flußtälern oder auf waldigen Bergrücken aufwachsen: darin offenbart sich
der starke innere Zusammenhang der künstlerischen Kultur des Katholizis-
mus mit dem deutschen Boden und dem deutschen Volkstum im 18. Jahr-
hundert.
107
10. DER PROTESTANTISMUS DES i8. JAHRHUNDERTS
IN DEUTSCHLAND
Das 1 8. Jahrhundert ist auch eine Blütezeit des protestantischen Kirchen-
baues in Deutschland gewesen. An Glanz und Fruchtbarkeit, an Fülle be-
deutender Schöpfungen kann dieser sich zwar mit dem katholischen des
Barock und Rokoko nicht vergleichen. Aber er hat eine innere und eigen-
tümliche Bedeutung, die in einer Schilderung des deutschen i8. Jahrhunderts
eine besondere Besprechung fordert.
Vergegenwärtigen wir uns zuerst in Kürze seine historischen und geisti-
gen Grundlagen.
Das Bild der deutschen Geistesbildung des Barock und Rokoko wird be-
zeichnet durch die Scheidung in die katholischen und protestantischen Ge-
biete. So schweres Unheil die Religionsspaltung in dem Dreißigjährigen
Kriege über unser Vaterland gebracht hat: so unermeßlich ist das Leben
unseres Volkes später dadurch bereichert worden. Und wie sich in der zwei-
ten Hälfte des 17. Jahrhunderts der wieder befestigte Katholizismus ver-
jüngt und gekräftigt erhob und die Kultur der ihm treugebliebenen Land-
schaften belebte, so gewann jetzt auch der Protestantismus neue Kräfte, die
das geistige Wesen des evangelischen Deutschlands durchdrangen und be-
fruchteten. Entscheidend tritt auch hier eine positive glaubensfreudige und
tatfrohe Richtung in den Vordergrund. Mit der Vertiefung des religiösen
Lebens verbindet sich die Ausprägung fester Formen. Die Predigt gewinnt
einen hohen Schwung. In Leipzig, in Halle, in Berlin, in Hamburg und
Königsberg entstehen geradezu Schulen trefflicher Kanzelredner. Aufs
großartigste entfaltet sich die geistige Macht des evangelischen Glaubens in
dem Orgelspiel. Namentlich in den Hansestädten, in Lübeck (Buxtehude), in
Hamburg (Reincken) und in den thüringisch-sächsischen Gebieten, in den
Stammlanden des Protestantismus, kommen hervorragende Organisten auf.
Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts erhebt sich mit Johann Sebastian
Bach, der einer alten Organistenfamilie in Eisenach entsproß, die protestan-
tische Kirchenmusik auf den Höhepunkt. Unbedingt mußte doch die sich
darin offenbarende rhythmische Seelenkraft auch in dem Kirchenbau gestal-
tend wirken. Die äußeren und die inneren Bedingnisse liegen allerdings an-
108
ders und zunächst weniger günstig als auf katholischer Seite. Der Prote-
stantismus trug gerade im Gegensatz zum Katholizismus in sich einen Kern
des nach innen gerichteten Denkens, der dem sinnlichen Ausdruck und dem
schönen Schein entgegen war. Verständigkeit und Sachlichkeit suchen sich
neben dem Gefühl in einem Grade zu behaupten, der dem Katholizismus
fremd ist. Diesen Gegensatz, der für die verschiedenartige künstlerische Ge-
staltung der beiden Konfessionen so bedeutsam ist, hat wiederum Ranke
trefflich gekennzeichnet. „In dem Katholizismus war nicht jene Energie der
ausschließenden Dogmatik, die den Protestantismus beherrschte; es gab
wichtige Streitfragen, welche man (in dem Katholizismus) unausgemacht
ließ : Enthusiasmus, Mystik und die tiefere, nicht bis zur Klarheit des Gedan-
kens durchzubildende Sinnesweise, die sich aus religiösen Tendenzen von
Zeit zu Zeit immer wieder erheben muß, ward von dem Katholizismus in sich
aufgenommen, geregelt, in den Formen klösterlicher Asketik dienstbar ge-
macht, von dem Protestantismus dagegen zurückgewiesen, verdammt und
ausgestoßen. Eben darum brach denn auch unter den Protestanten eine
solche Gesinnung, sich selbst überlassen, in mancherlei Sekten hervor und
suchte sich einseitig aber frei eigene Bahnen." Indessen muß uns gerade das
dennoch von dem Protestantismus auf dem Felde des Kirchenbaues Geschaf-
fene doppelt interessieren. Indem er das Gotteshaus aus seinen sachlichen
Bedürfnissen ganz neu bilden mußte: so wurde er von vornherein mehr auf
die selbständige Gestaltungskraft gewiesen. Es war ihm die klare Aufgabe
gestellt, einen Raum zu schaffen, wo der Prediger von der ganzen Gemeinde
gehört und gesehen wurde und wo er mit ihr das Abendmahl nahm, einen
Raum, der dem Gemeindegesang und Orgelspiel eine gute Akustik bot. Auf
den reichausgestatteten Chor und die Kapellen mit den Altären konnte der
Protestantismus verzichten. Der lutherische Gottesdienst gestattete aller-
dings eine reichere Ausschmückung der Kanzel, der Orgel und des Altares;
eine beliebte Lösung war die Vereinigung aller drei zu einer Gruppe. Auch
ließ er die Errichtung von Grabmälern usw. zu, wie uns die Hansastädte
zeigen, deren protestantisch gewordene gotische Hallenkirchen sich mit Epi-
taphien, Familienkapellen und Gestühlen füllen. Stellenweise gewinnt im
Anfang des Jahrhunderts selbst der pathetische Prunk der Zeit Eingang in
die lutherischen Gotteshäuser. Grundsätzlich ablehnend gegen jede an den
Katholizismus erinnernde Ausstattung bleiben dagegen die Reformierten
und die Kalvinisten. Das Gepräge nüchterner Verständigkeit ist ihrem Kir-
chenbau wie ihrer ganzen Denkweise gemein. Für sie, denen das Abendmahl
nur eine symbolische Handlung, eine Erinnerung an das Opfer Christi, ohne
dessen Gegenwart, bedeutet, ist die Kirche ausgesprochenermaßen Versamm-
109
lungsort der Gemeinde. Die Presbyterial- und Synodal-Verfassung der re-
formierten Kirche gab dieser das schärfste demokratische Gepräge. Zweifel-
los liegen darin Züge, die aus dem Gesamtbilde der Kultur des i8. Jahrhun-
derts in Deutschland, wie es bis hierher gezeichnet worden ist, herausfallen.
Das reformierte Bekenntnis wurde bezeichnenderweise durch die gewerb-
fleißigen Hugenotten und Niederländer vertreten, und findet besonderen An-
klang in den industriereichen Gegenden des Bergischen Landes, der Pfalz
usw. Sinnesverwandt sind die ebenfalls so arbeitsamen und geschickten böh-
mischen und mährischen Brüder, die Sozinianer und Herrnhuter, denen be-
sonders die Hohenzollern ihren Schutz gewährten, sowie die Mennoniten, die
sich in Altena ansiedelten.
Für die Vertiefung des religiösen Empfindens im Protestantismus des
Barock ist die bezeichnendste Erscheinung der Pietismus. Der Begründer
dieser auf Beseelung des Glaubenslebens und auf Durchdringung mit den
Gedanken sozialer Arbeit gerichteten Strömung war Spener, der in Frank-
furt, in Halle und Berlin predigte. Sein Schüler August Hermann Franke
begründete um 1700 das Hallesche Waisenhaus, die große Erziehungs-,
Bibel- und Missionsanstalt, die von weitreichendem Segen für das religiöse
Leben des Bürgertums in Preußen wurde. Allerdings suchte die orthodoxe
Theologie die hier und anderwärts so zahlreich ans Licht dringenden Son-
derbestrebungen zu unterdrücken. Ihre Gegnerschaft erfuhr auch Leib-
nizens Plan einer Vereinigung der evangelischen Kirchen mit der katho-
lischen. Sie vermochte den strenggläubigen Friedrich Wilhelm I. zur Ab-
setzung des Philosophen Wolf von seiner Professur in Halle zu bewegen.
Der Schwerpunkt des geistigen und künstlerischen Lebens im Protestan-
tismus liegt in Mittel- und in Norddeutschland. Die von dem Süden Deutsch-
lands abweichenden Charakterzüge wirken natürlich bei der Ausprägung
der protestantischen Kirchenkunst entscheidend mit. Der engen Verbindung
der süddeutschen Kirchenkunst mit Rom und Italien steht im Norden die-
jenige mit dem reformierten Frankreich und Holland gegenüber. Der prote-
stantische deutsche Norden tritt damit in Fühlung mit dem großen Kultur-
kreis der Küsten der Ostsee und der Nordsee. Die vorwiegend bürgerliche
Grundrichtung des Protestantismus verknüpft insbesondere die Handels-
und Industriekreise der Städte Norddeutschlands mit den Niederlanden und
mit England. Ja, es spinnen sich bereits auch durch die Auswanderungen
Beziehungen mit dem angelsächsischen Nordamerika an. Die äußeren und
inneren Umstände bewirkten in dem protestantischen Deutschland auch, ab-
gesehen von der Religion, eine in vielen Beziehungen von den katholischen
Landschaften abweichende Geistesentwicklung. Die Möglichkeit der Ent-
IIO
Abb. 53. Dreifaltigkeitskirche in Berlin, Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrh.
III
faltung des nationalen Denkens war an sich eine größere, da der Gottesdienst
in der Landessprache gehalten wurde. In der Lutherischen Bibelübersetzung
und dem evangelischen Gesangbuch besaß das evangelische Bürgerhaus zu-
gleich einen unerschöpflichen Born der deutschen Sprache. War doch mit der
Bibelübersetzung die neuhochdeutsche Sprache erst erwachsen. Zieht man
in Betracht, daß die Bibel und das Gesangbuch fast durch das ganze 1 8. Jahr-
hundert hindurch die einzigen Bücher des werktätigen deutschen Bürger-
und Bauernhauses waren, so leuchtet die bedeutende Rolle ein, die diesen
Büchern für das spätere Emporkommen des deutschen Schrifttums zu-
kommt. Allerdings ist es bezeichnend für den geringen Gehalt künstlerischer
Bildgestaltung in dem Protestantismus des i8. Jahrhunderts, daß die Bibel-
illustration auf die tiefste Stufe sank. Sie zehrte an dem Schatz des 1 5. Jahr-
hunderts, soweit Holzschnitt und Kupferstich in Frage kommen. Die reli-
giöse Ölmalerei kommt über eine leere Nachahmung der Niederländer aus
den Zeiten Rembrandts kaum hinaus.
Während der Katholizismus im i8. Jahrhundert die Gefühlsseiten unseres
Volkes, insbesondere in der Musik und der Raumkunst, aufs herrlichste be-
fruchtet hat, wirkte der Protestantismus auf die Entfesselung des geistigen
Lebens positiv ein. Seine Verdienste sind darin vielleicht noch größer in
mittelbarer Hinsicht, negativ, indem er in höherem Grade das persönliche
Denken, Empfinden und Forschen begünstigte. Daher der Aufschwung des
philosophischen Geistes von Leibniz bis Kant und der des dichterischen Gei-
stes in der zweiten Hälfte des i8. Jahrhunderts, der in der Hauptsache auf
das protestantische Nord- und Mitteldeutschland beschränkt blieb. Selbst die
großen süddeutschen Dichter, Wieland, Goethe und Schiller, gingen aus
protestantischen Familien hervor. Es ist da auch die protestantische Nord-
schweiz mit Haller und Bodmer zu nennen, während ja die katholischen
Stände mit dem katholischen Schwaben zusammen eine hohe Blüte der
barocken Kirchenbaukunst erlebten. Das Herzogtum Württemberg und die
protestantischen Markgrafschaften Baden-Durlach, Ansbach-Bayreuth, die
Landgrafschaft Hessen-Darmstadt sowie die Reichsstädte, voran Ulm, Nürn-
berg und Frankfurt, sind nicht zu vergessende Enklaven des evangelischen
Lebens inmitten des katholischen Südens und haben auch für den protestan-
tischen Kirchenbau eine gewisse Bedeutung.
II. DER PROTESTANTISCHE KIRCHENBAU
Die Anfänge des protestantischen Kirchenbaues Deutschlands liegen be-
reits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die evangelische Predigt-
und Gemeindekirche findet ihre erste eigene Lösung in der gleichen Epoche,
die dem katholischen Kirchenbau der Gegenreformation neues Leben gab. Es
ist überaus bezeichnend, daß die deutschen protestantischen Kirchen dieser
ersten Stufe Gedanken aufnehmen, die im deutschen Kirchenbau der Spät-
gotik ausgebildet waren. So sind die großen Kirchen von Wolfenbüttel und
Bückeburg und die erste St. Michaelskirche in Hamburg (164g — 1651) als
Hallenkirchen mit Kreuzgewölben auf Rundpfeilern gebildet. Die von dem
v/ürttembergischen Baumeister Schickhart errichtete einschiffige, im rech-
ten Winkel gebaute Kirche in Freudenstadt ist sogar mit gotischen Netzge-
wölben überdeckt. Der einschiffige rechteckige Raum wurde in der Zeit nach
dem Dreißigjährigen Kriege die gebräuchlichste Form der protestantischen
Kirche. So kunstlos er ist, so bot er den Bedürfnissen der Predigt, des Ge-
meindegesanges und des Orgelspiels Befriedigung, wobei die Stellung der
Kanzel in der Mitte der Längsachse und die Herumgruppierung der Kirchen-
bänke eine beliebte Lösung war. Diese Fassung schlägt auch der Ulmer
Stadtbaumeister Furttenbach in einer nach dem Dreißigjährigen Kriege er-
schienenen Schrift als die beste, namentlich für unbemittelte und ländliche Ge-
meinden, vor. Die Altstädterkirche in Erlangen und die Kreuzkirche in
Augsburg, vorzüglich die Katharinenkirche in Frankfurt am Main von dem
Stadtbaumeister Melchior Hessler, sind einige Beispiele der Jahrzehnte
nach dem Kriege. Der klare und wohlräumige Raum der Frankfurter Katha-
rinenkirche mit flachen Kreuzgewölben und gotischen Fenstergliederungen
ist ein Zeugnis der selbständig formenden Kraft des deutschen Protestan-
tismus, die auf andere Weise gleichzeitig in den Kirchenliedern des Paul
Gerhardt und der geistlichen Dichter zutage tritt. Vergegenwärtige man sich
nur, daß mit der Reihe der eben aufgezählten protestantischen Kirchen
gleichlaufen im katholischen Deutschland die Michaelskirche in München,
der Dom in Salzburg, die Theatinerkirche in München und der Dom in
Passau: Wie tritt uns in diesen nebeneinander hergehenden Erscheinungen
Schmitz, 18. Jahrh. 8 II3
der tiefgehende Unterschied zwischen den beiden religiösen Hauptrichtun-
gen Deutschlands vor Augen! Wie bedeutsam insbesondere die bodenstän-
digen praktischen Grundlagen im protestantischen und die italienischen im
katholischen Kirchenbau!
Allein die Fortentwicklung des protestantischen Kirchenbaues im Sinne
des Barock erfolgte nun keineswegs aus eigener Kraft, sondern durch mäch-
tige, von dem westlichen Protestantismus, von dem reformierten Frank-
reich und Holland ausgehende Anregungen. In Frankreich hatte de Brosse
und in den Niederlanden hatten Hendrik de Kaiser und vollends Hendrik
Dankerts in Amsterdam während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
dem evangelischen Kirchenbau eine höhere Kunstform aufgeprägt. Sie haben
der um Kanzel und Altar gruppierten Gemeindeversammlung in dem Zen-
tralbau die geeignetste Behausung gegeben. Die hauptsächlichsten der
um einen Mittelpunkt geordneten Grundrisse sind das Sechs- und Achteck,
der reine Kreis und, namentlich bei stattlicheren Kirchen, das griechische
Kreuz, beziehungsweise ein zentraler Mittelraum mit ganz kurzen gleich-
langen Armen. Diese Arme boten teilweise den Platz für Altar und Orgel,
teilweise für die Treppen zu den Emporen. Die meist in Holz ausgeführten
galerieartigen Emporen, die schon in den älteren protestantischen Kirchen
zu Hause waren, hatten in dem hohen Zentralbau die beste Möglichkeit, sich
in Geschossen übereinander zu entwickeln. Die Hauptträger der neuen Kir-
chenlösungen sind natürlicherweise die nach Deutschland auswandernden
Protestanten aus Frankreich und den Niederlanden. Schon im Jahre 1622
wird die achteckige reformierte Kirche in Hanau von vertriebenen Nieder-
ländern erbaut. Im Jahre 1654 wird ihr eine weit größere, im Zwölf eck ge-
brochene Kirche von den reformierten Wallonen hinzugefügt. Beide Kirchen
sind mit riesigen steilen Schieferdächern bedeckt. Als kreuzförmige Kirchen
gehen zeitlich voran die 1643 begonnene reformierte neue Kirche in Emden
und die 1662 erbaute in Kissenbrück in Braunschweig. Im Achteck sind die
französische Kirche in Kassel vom ältesten Dury, die kleine Kirche beim
Schlosse Oranienbaum in Dessau und die in Malberg bei Karlsruhe aus dem
letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Geradezu eine Nachblüte erlebt die hol-
ländische Kirchenbauschule in Brandenburg-Preußen um 1700. Die reichere
Kreuzform, teilweise mit dreieckig oder fünfeckig gebrochenen Abschlüssen,
v/ird hier fortgebildet. In Zerbst in Anhalt, südlich von Berlin erbaut Cornelisz
Ryckwaerts die Dreifaltigkeitskirche im Jahre 1683. Die wahrscheinlich
von Nehring seit 1690 erbaute reformierte Burgkirche in Königsberg in
Preußen, mit doppelten, fünfeckig gebrochenen Querarmen, ist eine Nach-
bildung der neuen Kirche im Haag. Formverwandt ist die von Nehring be-
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Abb. 54. Aufriß der evangelischen Kirche in Buch, von Wiesend, um 1730
115
gonnene, von Grünberg weitergeführte Parochialkirche an der Klosterstraße
in Berlin — noch ohne den Turm — ein griechisches Kreuz mit dreiseitigen
Abschlüssen. Vereinfachungen stellen zwei von Grünberg erbaute Kirchen
dar: die kreuzförmige Johanneskirche in Dessau und die neue, um 1700 er-
baute Kirche auf dem Gendarmenmarkt in Berlin in Fünfecksform. Kreuz-
kirchen sind ferner die von dem Markgrafen Georg Wilhelm erbaute Ordens-
kirche in der Vorstadt St. Georgen bei Bayreuth (1705 — 1718), die 1708
begonnene Nikolai kirche in Schwerin von dem Ingenieur Runz und die
schlesischen Gnadenkirchen in Hirschberg und Landeshut mit ringsum lau-
fenden Holzemporen. Sie sind infolge der von Karl XII. mit Kaiser Joseph I.
im Jahre 1706 getroffenen Konvention von Altranstädt errichtet worden
und schließen sich der St. Katharinenkirche in Stockholm an. Der schwe-
dische Kirchenbau steht wiederum in Fühlung mit dem holländischen; des-
gleichen der dänische. Von Kopenhagen verbreiten sich die Zentral-
kirchen, so auch die Kreuzanlagen durch das zugehörige Schleswig-Holstein
nach Altona und Hamburg.
Der protestantische Kirchenbau im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts
geht in künstlerischer Hinsicht selbstverständlich unmittelbar zusammen mit
dem gleichzeitigen Schloßbau Norddeutschlands, da es doch überwiegend die
gleichen holländischen und französischen Baumeister und Kupferwerke sind,
auf denen beide beruhen. Aber es verbinden ihn wenigstens geistesverwandte
Züge auch mit dem katholischen Kirchenbau Süddeutschlands in der gleichen
Epoche. Das ist die durchgehende architektonische Strenge im Grundriß und
im Aufbau, die, wie man sich erinnert, bereits als Merkmal der katho-
lischen Kirchen des deutschen Frühbarock zu beobachten ist. Die prote-
stantischen Kirchen gehen diesbezüglich freilich sehr viel weiter. Nicht nur
die Grundrisse, auch der Aufbau hält sich in klaren mathematischen For-
men. Langgezogene Fenster und flache Mauerstreifen bilden meist die ein-
zige Belebung der Außenwände. Dem entspricht die einfache Behandlung
des Inneren mit flacher Decke oder hölzernem Gewölbe; Altar, Kanzel
und Emporen von größter Schlichtheit und alles geweißt. Es steckt in dieser
Kunst ein Zug der Sachlichkeit, der sie den Baumeistern unserer Zeit zum
eifrigsten Studium empfiehlt. Zumal die einfachen Putzbauten der Dorf-
siedlungen Friedrichs III. und Friedrich Wilhelms I. in der Mark Branden-
burg und die Backsteinbauten der Städte und Dörfer Schleswig-Holsteins.
Die Kirchenbaukunst der norddeutsch-hoUändisch-hugenottischen Schule ist
nicht weniger von klaren sinnlichen Raumvorstellungen erfüllt, als die der
italienisch-süddeutschen, nur sind sie anderer Art. Eine mehr theoretische
Bedeutung haben die um 1710 erschienenen Kirchenentwürfe des Mathe-
116
matikarchitekten Leonhard Sturm, eines Schülers des Mathematikers Gold-
mann an der Universität Leiden. Doch haben die Entwürfe des in Frank-
furt an der Oder, in Berlin, in Mecklenburg und in Braunschweig tätigen
Sturm auf die weitere Entwicklung des protestantischen Kirchenbaues ge-
ringen Einfluß gehabt. Dieser beginnt eben jetzt — also wenig später als der
katholische Kirchenbau — die gewonnenen strengen Grundformen mit grö-
ßerer Wärme zu durchdringen, und da ist es gerade die Kreuzkirche, gegen
die sich Sturms errechnete Vorschläge wenden, die der Gegenstand reicherer
Durchbildung wird.
Drei Hauptsitze des evangelischen Lebens werden jetzt Mittelpunkte des
protestantischen Kirchenbaues in der Reifezeit des Barock : Berlin unter dem
tiefgläubigen Friedrich Wilhelm I., Dresden und Hamburg-Altona mit
Schleswig-Holstein. Ein vierter Mittelpunkt ist das Bergische Land mit
Barmen und Elberfeld als den wichtigsten Städten. In Berlin bezeichnen
den Übergang von den älteren Formen die Garnisonkirche und die Jerusa-
lemerkirche von Gerlach, in Potsdam die Heiliggeistkirche von la Gayette.
Den Höhepunkt stellen dar die in den dreißiger Jahren entstandenen Bauten
der Garnisonkirche in Potsdam von Gerlach (Abb. 57), der im Jahre 1809
durch Brand zerstörten großen Petrikirche von Gerlach und Grael (1730),
sowie der beiden kreisrunden, mit kurzen Kreuzarmen versehenen Kirchen
an der Mauerstraße: die Dreifaltigkeitskirche (Abb. 53) und die Böhmische
Kirche (Abb. 55). Die Potsdamer Garnisonkirche in Kreuzform und ebenso die
Berliner Dreifaltigkeitskirche in Kreisform, beide mit Emporen auf Pfei-
lern, offenbaren die Steigerung des Raumsinnes und der plastischen Gliede-
rung, die in den dreißiger Jahren den protestantischen Kirchenbau von der
flachen und geometrischen Gestaltungsweise des Frühbarock weggeführt
hat. Das bedeutendste Denkmal dafür muß die ebenfalls kreuzförmige, im
Innern mit kreisartig geführten Emporen ausgestattete Petrikirche gewesen
sein. Das Äußere der Berliner Kirchen erhält durch die hohen, im obersten
Geschoß reichdurchbrochenen Türme eine lebhaftere Betonung. Die hoch-
ragenden Türme waren eine Liebhaberei Friedrich Wilhelms I., die ihm in
Holland erweckt worden ist. Der Ausgangspunkt der eigentlich Berliner Fas-
sung ist der wundervolle Münzturmentwurf Andreas Schlüters. An der Spitze
steht der noch strenge, von Gerlach 1713 — 17 14 erbaute Turm der Parochial-
kirche; es folgen der schlanke Sophienkirchturm in Berlin und der der Heilig-
geistkirche in Potsdam, beide von Grael, und der 1730 erbaute, eingestürzte
großartige Turm der Petrikirche, als Glanzstück endlich der schön nach
oben verjüngte und durchbrochene Turm der Potsdamer Garnisonkirche.
In seinem Gewölbe stehen die schmucklosen Särge Friedrich Wilhelms I.
117
Abb. 55. Böhmische Kirche in Berlin, um 1735
und Friedrichs des Großen — die Kirche selbst ist mit den ruhmreichen
Fahnen des Gardekorps und des brandenburgischen Armeekorps ausgestat-
tet. Aus dem obersten Turmgeschoß klingen die alten Choräle des Glocken-
spiels trostreich über die alte Preußenstadt und die Havellandschaft hin.
Aus der Mark selbst verdient die nach Plänen Wiesends von Dietrichs erbaute,
innen und außen stattliche kreuzförmige Kirche in Buch aus dem Anfang der
dreißiger Jahre Beachtung (Abb. 54)''). Mit Friedrichs des Großen Regierung
kam der monumentale protestantische Kirchenbau zum Stillstand. An der
Entfaltung zum Rokokostil hat er nicht teilgenommen. Wie sehr der große
118
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Abb. 56. Frauenkirche in Dresden, von Bahr, um 1730
König der inneren Fühlungnahme mit dem religiösen Wesen der Kirchen-
kunst ermangelte, beweist der Umstand, daß er Knobelsdorff beauftragte,
der alten schlichten protestantischen Nikolaikirche auf dem Markt in Pots-
dam eine Kopie der Fassade von Sa. Maria Maggiore in Rom vorzublenden.
Eine Komposition im reichsten römischen Spätbarock von Fuga, gewisser-
maßen eine Theaterkulisse !
In Dresden und Sachsen entfaltete sich der Kirchenbau gleichfalls im
zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts zu größerem Reichtum. Es ist die Bür-
119
gerschaft, die von der Baulust Augusts des Starken jetzt zur Errichtung statt-
hcher Kirchen angespornt wird — der katholisch gewordene König förderte
diese dessen unbeschadet nach besten Kräften. Die Loslösung aus dem stren-
geren Schema des Frühbarock unternahmen bereits die zentralen kreuzför-
migen Kirchen von Bahr in Schmiedeberg (17 13 begonnen) und in Forch-
heim in Sachsen und Hohnstein bei Pirna aus den zwanziger Jahren. Die
von Pöppelmann und Bahr erbaute Dreifaltigkeitskirche in Dresden-Neu-
stadt, ein Rechteck im Grundriß, bezeugt durch die schöngeschwungenen
ovalen mehrgeschossigen Emporen auf durchgehenden Pfeilern den gleichen
Fortschritt wie in Berlin — übrigens wurde Pöppelmann bei den Entwürfen
der Berliner Petrikirche zu Rate gezogen. Das großartigste Denkmal nicht
nur des Dresdener, sondern des deutschen protestantischen Barock über-
haupt, ist die im Jahre 1726 begonnene Frauenkirche, das Meisterwerk
Bährs, deren Bau sich bis in den Ausgang der Barockepoche hingezogen hat
(Abb. 56). Die Gedanken des protestantischen Zentralbaues, die sich seit
dem 17. Jahrhundert entwickelt hatten, werden hier mit höchster Gestal-
tungskraft zur letzten Vollendung gebracht. Das Innere ist kreisförmig mit
fünf galerieartigen Emporen zwischen mächtigen durchgehenden korinthi-
schen Pfeilern, die zugleich die hohe Kuppel tragen helfen. Das Äußere hat
vier schräggestellte Treppentürme und dazwischen pilastergeschmückte Vor-
lagen mit den Eingängen und einem herausgebuchteten Chor. Das etwas
schachtartige Innere ist durch die Überschneidung der langen Fenster nicht
günstig beleuchtet. Vor dem ovalen Chor baut sich auf geschweiftem Grund-
riß eine Kanzeltribüne mit dem Altar und hohem Säulenaufbau und der
Orgelempore dahinter auf. Diese von oben beleuchtete, prächtig ausgestat-
tete Gruppe inmitten der zu verglasten Betstübchen eingerichteten Logen
und der Galerien darüber erinnert fast an gleichzeitige katholische Barock-
kirchen. Bährs Kuppelraum bleibt aber an Raumwirkung weit zurück hinter
solchen Schöpfungen wie der Karlskirche oder der Peterskirche in Wien.
Dennoch wird man auch dem Inneren der Frauenkirche die Bewunderung
nicht versagen, wenn man sich klar macht, eine wieviel schwierigere Auf-
gabe die künstlerische Lösung der protestantischen Predigt- und Gemeinde-
kirche bot. Unbestritten ist die Schönheit des Äußeren. In dieser Hinsicht
ist die Frauenkirche eine der großartigsten architektonischen Schöpfungen
Deutschlands. Der Körper des Gebäudes hält an den langen Rundbogenfen-
stern, und strengen Pilastergliederungen der protestantischen Überlieferung
fest. Um so freier und herrlicher erhebt sich die, auf hohem eingeschweiftem
Unterbau ruhende steile Kuppel mit unvergleichlich steigendem Umriß em-
por. Bekrönt mit einer schlanken Laterne und umgeben von den vier
120
kandelaberartig geschwungenen Aufsätzen der vier Ecktürme, bietet sie ein
Bild von Kraft und Zierlichkeit, von Ernst und Frohsinn. Wie der ganze
Bau, so ist auch die Kuppel aus großen Eibsteinquadern aufgemauert, die
fast schwarz geworden sind. Aber in dem Sonnenlicht leuchtet die Stein-
masse immer noch genug, um das kühne plastische Leben zur Geltung zu
bringen. Die Verbindung von Strenge und erhabener Heiterkeit dieser groß-
artigsten Schöpfung des protestantischen Kirchenbaues offenbart einen der
Bachschen Kirchenmusik im Innersten verwandten Geist. Die unermüdet
durch dauernde Widerwärtigkeiten und feindselige Anfechtung zum Höch-
sten durchdringende Persönlichkeit des Ratszimmermeisters Bahr kann uns
zugleich als ein Typus der von einem unbesiegbaren Gottvertrauen erfüllten
evangelischen Männer gelten, die für das deutsche 1 8. Jahrhundert so be-
zeichnend sind. Aus dem Jugendleben Jung Stillings und Klödens und an-
deren Lebensbeschreibungen wird uns diese Grundstimmung im protestan-
tischen Bürgertum Norddeutschlands verständlich. In das Rokokozeitalter
führt den Dresdener Kirchenbau des Meisters Schüler Schmidt hinüber. Die
T-förmige Stadtkirche in Großenhain (1748), die rechteckige Annenkirche
(seit 1766) und die fast quadratische, mit flachrundem Chor schließende,
1764 begonnene Kreuzkirche in Dresden bezeugen in der weiträumigeren
Anordnung der im Oval gebogenen mehrgeschossigen Emporen zwischen
hohen Pfeilerarkaden den fortgeschrittenen Raumsinn dieser Epoche.
Um die Mitte des Jahrhunderts erheben sich auch einige Meister aus dem
Kreise der Kirchenbaukunst der Niederelbe und Schleswig-Holsteins zu
jener Vervollkommnung des einheitlichen zentralen Kirchenraumes, die zu
gleicher Zeit, wenn auch in ganz anderer Weise, von den großen süddeut-
schen katholischen Zeitgenossen erstiegen worden war. Es ist doppelt be-
merkenswert, daß auch diese Schule, die auf den schlichten Backsteinformen
beruhte, jetzt in ihren Raumbildungen den Flug aus der Strenge des älteren
Barock zur Freiräumigkeit unternommen hat. Drei große Kirchen, alle auf
kreuzförmigem Grundriß, sind dafür die Hauptzeugnisse : die Hauptkirche
inAltona, nach dem Vorbild der Kopenhagener Garnisonkirche von Cai Dose
in Schleswig erbaut, die Hamburger Georgskirche in der Vorstadt St. Georg
von dem Stadtzimmermeister Johann Leonhard Prey und, der Gipfelpunkt
der norddeutschen protestantischen Kirchenraumkunst : die große Ham-
burger Michaelskirche, die von 1750 — 1762 durch Sonnin erbaut wurde.
Die bekanntlich im Jahre 1906 durch einen Brand schwerbeschädigte
Kirche ist ein Kreuz mit ganz kurzen Armen und vier freistehenden
mächtigen Pfeilern in der Vierung. Der weite Mittelraum ist mit einem
flachen Muldengewölbe überdeckt. Die an sich schon äußerst freie Raum-
Wirkung wird aufs glücklichste durch eine einzige Empore gehoben, die von
kieeblattförmigem Grundriß, durch ihre geschweifte Brüstung den großen Zug
des Raumes wie durch ein breites Band betont. Die Kirche vermochte die
bisher größtmögliche Zuschauermenge zu fassen, 3000 bei lockerer und 6000
bei gedrängter Besetzung. Das Äußere teilt mit den Backsteinkirchen der
niederelbisch-schleswig-holsteinschen Gebiete die Beschränkung auf strenge
Pilaster, die nur in ihrer reicheren Verkröpfung ihre Entstehungszeit im
Rokokozeitalter verraten. Der erst 1777 — 1786 von Sonnin errichtete Turm
mit off ener Säulenlaube im obersten Geschoß wendet sich bereits dem Klassi-
zismus zu. Die Lebensumstände des genialen Hamburger Baumeisters wer-
fen ein Streiflicht auf die in dem norddeutschen Protestantismus wirkenden
geistigen Kräfte. Als Sohn eines Predigers in der Priegnitz geboren (1709)
studierte Sonnin zuerst in Halle Theologie. Er bildete sich in der Mathe-
matik an den Schriften Wolfs und Eulers und befaßte sich auch mit der
Philosophie, insbesondere mit der prästabilierten Harmonie, die damals in
Halle noch Leibniz' Schüler, Wolf, lehrte. In Hamburg erlernte er dann den
Mechanikerberuf und wurde erst als reifer Mann durch einen dortigen Bürger
zur Beschäftigung mit der Architektur veranlaßt. Gleich sein erster Bau war
die Michaelskirche, in deren Bauleitung er dem Stadtzimmermeister Prey
beigeordnet wurde. Sonnins Leistungen auf dem Gebiete der Baumechanik,
der Statik, der Mathematik, in allen praktischen Zweigen der Baukunst
m-üssen hier übergangen werden. Ein Vergleich seiner Hauptschöpfung mit
dem größten protestantischen Kirchenbau seines Landsmannes Schinkel auf
dem Markt in Potsdam, der Nikolaikirche von 1830, ist lehrreich zur Er-
kenntnis der Unterschiede zwischen dem protestantischen Kirchenbau des
18. und dem des 19. Jahrhunderts. Sonnins Raum ist trotz aller klaren Ver-
ständigkeit von der Wärme des lebendigen Raumsinnes erfüllt, dahingegen
Schinkels viereckiger zentraler Kuppelbau, als ein Werk mehr des abstra-
hierenden Verstandes unter der vorherrschenden geistigen Energie unver-
gleichlich ärmer an wohlräumiger Wirkung ist. Gerade in dem protestan-
tischen Kirchenbau tritt jener eingangs charakterisierte Grundzug in der
Baukunst des 18. Jahrhunderts, die anschaulich empfundene Mathematik, zu-
tage. Die letzte monumentale Schöpfung der Barock- und Rokokoepoche ist
die ebenfalls kreuzförmige Ludwigskirche in Saarbrücken, die als Krönung
eines neuen Stadtviertels von Stengel unter dem Fürsten Ludwig von Nassau-
Saarbrücken errichtet wurde. Ihre prächtige innere und äußere Dekoration
stellt den Ausklang des Rokokostils dar.
Die Hauptströmung des protestantischen Kirchenbaues von der Mitte des
17. bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus verläuft also in der glei-
122
Abb. 57. Altar der Garnisonkirche in Potsdam, um 1730
123
chen Richtung wie die des katholischen, trotz der so starken Abweichungen
im einzelnen und in dem inneren Wesen. Wir müssen uns versagen, auf die
■^'eiteren bemerkenswerten Schöpfungen einzugehen, unter denen die der
süddeutschen Enklaven wohl besondere Erwähnung verdienten (z. B. die
durch ihren ovalen Predigtraum ausgezeichnete Ägidienkirche in Nürnberg
von Troost, 1711 — 1718). Auch die große Reihe der an der einfachen recht-
eckigen Form des Betsaales festhaltenden schlichteren Stadt- und Dorfkir-
chen muß sich hier mit diesem kurzen Hinweis begnügen. Sie sind vor
allem von den Reformierten und Hugenotten, auch von den Herrnhutern be-
vorzugt worden (vgl. die 1756 erbaute Kirche der Brudergemeinde in Herrn-
hut). Gerade das Innere der einfachen protestantischen Kirchen mit den
weißgetünchten Wänden, den schlichten Holzemporen und den hellen Fen-
stern atmet einen Geist der Sachlichkeit, der sie dem modernen Empfinden
wohltuend macht. Es ist erstaunlich, mit welcher Sinnlosigkeit der Prote-
stantismus diesen bis über das 18. Jahrhundert hinaus gepflegten Schatz,
gesunder künstlerischer Denkweise durch falsche Romantik und frömmelnde
Unsicherheit im 19. Jahrhundert zerstört hat. Auch das Äußere gerade
der schlichten protestantischen Kirchen zeugt von der bodenständigen,
bei aller Schmucklosigkeit nicht gefühlsarmen Denkweise der prote-
stantischen Kirchenbaumeister des 18. Jahrhunderts. Das tritt vor allem
dort, wo die protestantischen Kirchen noch in der alten, gleichzeitig ent-
standenen Umgebung stehen, zutage. So an den schlichten gelbverputzten
Kirchenbauten der kleinen Städte und Kolonistendörfer der Mark Branden-
burg, wie nicht minder in den kleinen Backsteinkirchen der Eibmarschen
und in Schleswig-Holstein. So auch in den Kirchen der alten Industriestädte
des Bergischen Landes. Hier sind ihre grauen Putzwände, ihre schwarzge-
schieferten Dächer und die gleichfalls schwarzgeschieferten bauchigen
Zwiebelhauben der dicken Viereckstürme mit den Schieferhäusern lebendig
verwachsen. Eine solche Gemeinde fleißiger Garnbleicher, Weber oder
Schleifer in den Tälern der Wupper und Lenne oder auf den Höhen
von Berg und Mark, eine solche Stadt mit dem schlichten, aus Schornsteinen
und Essen herausragenden Gotteshaus ist im Bilde des deutschen Volks-
tums des 18. Jahrhunderts so wenig zu vergessen wie die ausgedehnten
Klosteranlagen in den Donau- und Mainlandschaften.
124
Abb. 58. Waisenhaus in Oranienburg, um 1670
12. DIE WELTLICHE ARCHITEKTUR DES BAROCK
DIE SCHLÖSSER, ABTEIEN, BÜRGERHÄUSER USW.
Die künstlerische Entwicklung der weltlichen Architektur des Barock und
Rokoko geht selbstverständlich aufs engste zusammen mit der der kirch-
lichen Baukunst, die in den vorhergehenden Abschnitten umrissen worden
ist. Indessen machen die so völlig anders gearteten praktischen Bedingnisse
und stilistischen Einwirkungen eine getrennte Darstellung namentlich des
historischen Verlaufs der Schloßbaukunst notwendig. Auf diesem Gebiet tritt
alsbald auch im Süden Deutschlands die Vormachtstellung der italienischen
Kunst zugunsten der französischen zurück.
Das Vorbild des Sonnenkönigs und seiner Schöpfung Versailles facht die
deutschen Fürsten, vom Kaiser angefangen bis zum kleinsten Reichsgrafen,
zur Nacheiferung an. Am Ausgang des 17. Jahrhunderts scheinen sie von
einem wahren Baufieber ergriffen zu werden. Die Pläne riesiger Residenzen
und Lustgärten tauchen in ihrem Geiste auf. Joseph I. beginnt mit Fischer
von Erlach die Riesenentwürfe für das Lustschloß Schönbrunn auszuarbei-
125
ten (Abb. 29). Friedrich I. von Preußen schreitet mit Schlüter und August
der Starke von Sachsen und Polen mit Pöppelmann zur Ausführung weit-
läuftiger Residenzen, die der Königsv:?ürde Ausdruck geben sollen. Die aus-
schweifende Phantasie des Jan Wilhelm von der Pfalz ergeht sich in der
Vorstellung eines ungeheueren Residenzschlosses in Düsseldorf am Rhein,
das über die Entwurfszeichnungen Albertis nicht hinausgekommen ist. Zu
welcher Leidenschaft die fürstliche Baulust gesteigert war, darüber belehren
uns die Briefe der Kurfürsten Max Emanuel und seines Bruders Joseph
Clemens, die sie aus ihrer französischen Verbannung schrieben. Während
ihre Lande vom Feinde besetzt und in höchster Not sind, lassen die beiden
fürstlichen Brüder nicht einen Augenblick von ihren weitausgreifenden Bau-
plänen ab. Viele der ausgeführten Schlösser gehen bedeutend über die Mittel
der Bauherrn hinaus, wie die des Max Emanuel in Nymphenburg und Schleiß-
heim, das Karl Philipps in Mannheim, das Markgräflich Baden-Badensche
in Rastatt, die herzoglich württembergischen in Ludwigsburg und Stuttgart,
die markgräflichen von Ansbach. Bayreuth und Schwedt. Die kleineren
Dynasten und der Landesadel blieben nicht zurück. Auch die Äbte der gro-
ßen Klöster befriedigten ihren Ehrgeiz als große Bauherrn. Eine zunehmende
Schuldenwirtschaft vieler fürstlichen und klösterlichen Finanzverwaltungen
war die Folge der ungehemmten Bautätigkeit und die Ursache zu endlosen
wirtschaftlichen Verwicklungen.
Es ist hier noch einmal auf die grundlegende Bedeutung hinzuweisen, die
dem gesellschaftlichen Leben und der Etikette für die Ausbildung der Schloß-
architektur zukommt. Das Residenzschloß und die darauf zugeschnittene
Umgebung mit den Anfahrtsalleen, den Vorplätzen, den Wachtgebäuden,
den umgitterten Ehrenhöfen, mit den Rampen und Treppen auf der Vorder-
seite und den Terrassen auf der Rückseite, hat der Entfaltung des fürst-
lichen Glanzes und der höfischen Gesellschaft zu dienen. Diesem Zweck sind
auch die vornehmsten Räume des Innern gewidmet. Das Vestibül und das
große Treppenhaus leiten hinauf zu dem durch mehrere Geschosse reichen-
den Hauptsaal. Die links und rechts anschließenden, in einer Reihe, ,,in En-
filade" gelegenen Prunkgemächer — unter denen eine Galerie nicht fehlen
durfte — , waren gleichfalls den festlichen Gesellschaften bestimmt. Selbst
die Wohnräume des Fürsten, die Gesellschafts-, Rauch-, Spiel- und Arbeits-
zimmer des Fürsten und der Fürstin, sogar ihre Schlafzimmer standen unter
dem Zwang der Etikette und wurden wie die Paradezimmer möglichst reich
verziert. Nun blieb aber noch eine endlose Flucht von Räumen, im Erd-
geschoß, in dem Obergeschoß und in den Flügeln, für Wohnungen der Kava-
liere und Hofdamen und der Gäste, für die fürstliche Verwaltung, für Re-
126
Abb. 59. Bischofshof in Münster, L. von Corfey, 1732
gierungsbehörden, für Küche und Dienerschaft übrig. Die Kopfbauten der
Flügel erhielten in den großen Schlössern eine Kapelle und ein Opernhaus.
Trotz alledem ist uns Heutigen die Benützung der Riesenschlösser oft kaum
verständlich. Ihre Baugeschichte lehrt uns, daß sie in großen Teilen jahr-
zehntelang ohne Möbel, ja ohne irgendwelche Ausstattung blieben. Man
■wollte um jeden Preis die größten Ausmaße des Gebäudes. Die Schöpfungen
der Art sind mithin mehr Denkmäler der monumentalen Baukunst, als eigent-
liche Wohngebäude. Zu ihnen gesellen sich die Residenzgebäude der Äbte
und Domherren, die Stadt- und Landschlösser des Adels, die Jagdschlösser
und zahlreiche kleinere Gattungen von Gesellschaftsgebäuden in den Parks,
wie die Favoriten und Orangerien.
Auch im Schloßbau hatten sich die Grundsätze der Renaissance, die vor
allem auf Regelmäßigkeit hinausliefen, schon vor dem Dreißigjährigen
Kriege in Deutschland durchgesetzt. Die in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts entstehenden Schloßbauten setzen also teilweise genau wie die
gleichzeitigen Kirchenbauten die bereits eingeschlagenen Bahnen fort. Ins-
besondere ist die um einen viereckigen Hof gruppierte vierflügelige Anlage
mit wuchtigen Viereckstürmen, die das Schloß Friedenstein in Gotha und
127
zahlreiche niederrheinische und westfäUsche Landschlösser der Jahrzehnte
nach dem Dreißigjährigen Kriege aufweisen, bereits in dem Fürstbischöf-
lichen Schloß in Aschaffenburg und anderen Bauten des frühen 17. Jahr-
hunderts aufgenommen worden. Doch tritt eine Umgestaltung des Schloß-
baues zu einer höheren Kunstform im Sinne des Barock unverkennbar erst
unter der Einwirkung der italienischen und der holländischen Architekten
ein. Seit den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts hat die holländische
Baukunst, die Schule Kampens, Posts und Vinkenboons, den Schloßbau Nie-
derdeutschlands entscheidend gefördert, sei es durch die eingewanderten
Niederländer selbst, sei es durch ihre Kupferwerke. Der niederrheinische
Adel, die Fürstbischöfe und Adeligen im Stift Münster, der Große Kurfürst
und sein Statthalter Johann Moritz von Oranien in Cleve und Brandenburg,
der Fürst von Anhalt und seine oranische Gemahlin, die Hansastädte und der
Adel Schleswig-Holsteins: sie alle haben die Formen des holländischen Schloß-
baues übernommen (Abb. 58). Selbst bis nach Mitteldeutschland finden sie Ver-
breitung, wofür das von dem Prinzen Friedrich von Homburg dortselbst er-
baute Residenzschloß zeugt. Die äußerste Klarheit im Aufbau unter spar-
samer Anwendung strenger Pilaster, die Verbindung der Lehren Palladios
mit den knappen heimischen Backsteinformen und dem steil abgewalmten
hohen Ziegeldach kennzeichnet diese für unsere Zeit so bedeutungsvolle
Architekturschule. Vornehmlich findet sie in den protestantischen Ländern
Eingang und zwar auch nach England, Dänemark und Schweden als ein
Gegenstück des holländischen Kirchenbaues. Doch hat sie auch im Stifte
Münster durch die dänische Architektenfamilie Pictorius Fuß gefaßt (Abb. 59).
Der gleichzeitige Schloßbau Süddeutschlands erhält durch die italieni-
schen Schloß- und Festungsbaumeister den Anstoß zu höherer Kunstgestal-
tung. Mit den Schloßbauten der holländischen Schule haben die der italieni-
schen Schule im Süden Deutschlands die klare und schlichte Gliederung ge-
rriein. Die Fassaden, im Süden meist weiß verputzt, sind flach gehalten, und
ihre Gliederung beschränkt sich auf wenige vortretende Pilaster oder gefugte
Mauerstreifen. Beliebt ist auch die Teilung der Flächen durch in den Putz
geschnittene rechteckige Felder. Folgende sind einige der wichtigsten Denk-
mäler : der für Leopold I. erbaute Trakt der Wiener Hofburg, der hohe vier-
eckige Mittelbau des Schlosses Nymphenburg, als Villa für die Kurfürstin
Adelaide von Savoyen von Barella, die Villa Lustheim in Schleißheim fün
Max Emanuel von Enrico Zuccali, die ebenfalls von Zuccali 1697 begonnenen
Teile der Residenz des Clemens Joseph in Bonn; die in demselben Jahre be-
gonnene Residenz in Rastatt für Ludwig Wilhelm von Baden, die von dem
aus Wien berufenen Egidio Rossi entworfen wurde, sowie nach den Plänen
128
des gleichen Meisters die Markgräfliche Residenz in Durlach, von der nur
ein Flügel ausgeführt ist. Die Residenz in Rastatt, deren Korps de Logis
1705 vollendet war, wurde durch den böhmischen Baumeister Ludwig
Rohrer fortgesetzt. Dieser Rohrer war durch die Markgräfin Susanna, die
einem böhmischen fürstlichen Hause entstammte, ins Badische berufen wor-
den. Für die Markgräfin baute er das Lustschlößchen Favorite und das ein-
fache Schloß in Scheibenhardt, für den ihr befreundeten Speyerer Fürst-
bischof Damian Hugo von Schönborn die Eremitage von Waghäusel und ist
beteiligt an dessen Residenzschloß in Bruchsal. Noch ein zweiter Strom der
böhmischen Schloßbaukunst führt um 1700 nach dem Süden Deutschlands
und zwar vertritt ihn die Familie Dientzenhofer. Der ältere der beiden Brü-
der, Georg Dientzenhofer, ist an dem nach den Plänen des Prager Architek-
ten Abraham Leuthner ausgeführten Bau des Klosters Waldsassen beteiligt
gewesen. Der zweite, Joh. Leonhard Dientzenhofer, erbaute als Bamberger Hof-
baumeister unterLothar Franz von Schönborn das umfangreiche Benediktiner-
Kloster auf dem Michelsberg, zum großen Teile das Kloster Ebrach und vor
allem, um 1695 beginnend, die große, im rechten Winkel den ehrwürdigen
Domplatz begrenzende Residenz in Bamberg. Die durch Gesimse und Pila-
sterstellungen gegliederten Fassaden der Residenz beweisen mit voller Deut-
lichkeit, wie stark diese ältere deutsche Schule geradezu noch an den Renais-
sanceformen Palladios und seiner Nachfolger festhält. Sie berührt sich darin
mit den Meistern des älteren holländisch-französischen Klassizismus, der ja
gleichzeitig im Norden Deutschlands Fuß gefaßt hatte. Bemerkenswerter-
weise hat der von Hause aus handwerksmäßige Leonhard Dientzenhofer in
eben diesen Jahren das Kupferwerk des Palladio- und Scamozzinachahmers
Dieussart neu herausgegeben, eines Meisters, der über Mecklenburg nach
Bayreuth kam, wo er die alte Residenz erbaute. Jedenfalls ist es ungemein
wichtig festzustellen, daß im letzten Drittel des 17. Jahrhunders diesseits und
jenseits des Maines eine nach Strenge und Klarheit strebende, grundsätzlich
architektonisch gerichtete Schloß- und Klosterbaukunst entstanden war. Die
großen Schloß- und Klostergebäude des jüngsten und bedeutendsten der drei
Dientzenhofer, des auch als Kirchenbaumeisters so trefflichen Johann Dient-
zenhofer, das Kloster Banz und die Fürstbischöfliche Residenz in Fulda, die
Seitentrakte des Schönbornschen Schlosses Pommersfelden, zeigen diese
klare Form in der höchsten Reife. "Einzelne Teile, so die Mittel- und Seiten-
partien, werden durch flache, das erste und Obergeschoß zusammenfassende
Pilaster betont, während in den glatten übrigen Flächen die Fenster über-
einander durch profilierte Tafeln lebhafter verknüpft sind, eine Gewohnheit,
die auch die Bamberger Privathäuser im Stile Dientzenhofers kennzeichnet.
Schmitz, 18. Jahrh. g I29
Die monumentale Form, die den fränkischen Klosterbauten durch die Dient-
2enhofer gegeben wurde, ist bis tief ins i8. Jahrhundert beibehalten worden.
Diese schlichten und massigen, mit kräftigen Dächern zusammengefaßten
vielfenstrigen Gebäulichkeiten in Quaderbau bilden ein Gegenstück zu den
Kasernen, Magazin- und sonstigen Nutzbauten etwa der Berliner Bauschule
unter Friedrich Wilhelm I. Nicht genug kann der Architekt der Gegenwart
die Disposition dieser Gebäudegruppen innerhalb der alten Städte, auf Höhen
vind in Tälern studieren. Niemals wäre die falsche Barocknachahmung un-
serer Vätergeneration möglich gewesen, wenn man beachtet hätte, daß neben
den Prunkbauten dieses Jahrhunderts die schmucklosen Nutzbauten einen
mindestens gleich großen Platz einnehmen.
Am Ausgang des 17. Jahrhunderts treten im Schloßbau, wie das auch im
Kirchenbau beobachtet wurde, einige große jüngere Meister hervor, die den
strengen und flachen Stil des älteren Barock mit kräftigerem Ausdruck
durchdringen. Auch hier ist die unmittelbare Fühlungnahme mit dem Barock
in seiner italienischen Heimat charakteristisch. Die Meister, die somit die
deutsche Schloßarchitektur aus den strengen Fesseln des 17. Jahrhunderts
gelöst haben, sind in erster Linie Andreas Schlüter am preußischen Hofe,
Johann Bernhard Fischer von Erlach, der Baumeister Kaiser Josephs I. und
Karls VI., Lukas von Hildebrand, der Baumeister des Prinzen Eugen und der
Grafen Schönborn, sowie Pöppelmann, der Baumeister Augusts des Starken.
Schlüter, von Hause aus Bildhauer, gebürtig aus Hamburg, war bereits
im polnischen Danzig und namentlich in Warschau durch die Künstler
Johann Sobieskis mit der Kunst der italienischen Stukkaturen und Architek-
ten in Berührung getreten. Auch in Berlin, wohin er dem Rufe Friedrichs III.
folgte, fand er bereits eine italienische Künstlerkolonie vor. Der Kurfürst
hatte bald nach seiner Thronbesteigung um 1690 den großen inneren Hof
des alten Berliner Schlosses durch Italiener mit einem großartigen Säulen-
bau bekleiden lassen. Als mit der wachsenden Aussicht auf die Königswürde
in dem Fürsten der Gedanke eines neuen gewaltigen Residenzschlosses her-
anreifte, fand er in Schlüter den geeigneten Mann zur Verwirklichung.
Die beiden Fassaden des von Schlüter seit 1699 im Anschluß an den Renaissance-
bau errichteten Palastes sind in ihren Rücklagen Nachbildungen des fünfzig
Jahre älteren Palazzo Madama in Rom. Ganz im Gegensatz zu all den ge-
nannten voraufgehenden und gleichzeitigen flachen und strengen Fassaden
der italienisch-deutschen Meister greift Schlüter als erster auf den mächtigen
römischen Barock, wenn auch einer etwas älteren Epoche zurück. Allein er
verstärkt den plastischen Ausdruck zunächst in dem obersten Mezzaninge-
schoß, wo Adler mit ausgebreiteten Schwingen und Fruchtkränze zwischen
130
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131
den Fenstern gegen das reiche Kranzgesimse drängen. Die stark schatten-
den Fensterverdachungen sind dem römischen Vorbild ähnlich. Dagegen ent-
steht ein völlig abweichendes Gepräge durch die in der Mitte der Fassade
eingesetzten dreiachsigen Vorsprünge. Der nach dem Lustgarten zu hat in
der Mitte einen von zwei Atlanten getragenen Balkon (Abb. 6i), der nach dem
Schloßplatz hat vier gewaltige freistehende korinthische Säulen über dem kräftig
gefugten Erdgeschoß (Abb. i6). Diese Betonung der Mittelachse, die dem
römischen Palastbau fremd war, spricht für die Bekanntschaft Schlüters mit
dem französischen Barock, wie denn auch manche Einzelheiten auf Kenntnis
der kurz vorher vollendeten Bauten des Louvre deuten. Die souveräne Ge-
staltungskraft Schlüters enthüllt sich am großartigsten in dem Hofe. Vor die
kräftigen Vorsprünge der drei Flügel, hinter denen die Treppenhäuser
liegen, hat Schlüter die mächtigen korinthischen Säulen gesetzt, die von
Italienern für den eben genannten Arkadenhof gearbeitet waren (Abb. 60). Die
vierte Seite des rechteckigen Hofes nach Westen wollte Schlüter durch
eine Kolonnade abschließen. Das Haupttreppenhaus liegt hinter dem
mit sechs Säulen besetzten östlichen Vorsprung. Es führt in zwei
Armen, die im rechten Winkel um zwei Pfeiler geordnet sind, zu dem
Schweizersaal empor — wo die Trabanten gewöhnlich den König mit klin-
gendem Spiel empfingen — und von dem aus nach beiden Seiten, die En-
filade der Zimmer rechteckig umbiegend, links zum Rittersaal am Lust-
garten und rechts zum Elisabethsaal am Schloßplatz führt. Durch das große
Portal am Schloßplatz hielt der neugekrönte König im Jahre 1701 seinen
Einzug. Vor Schlüters Schöpfung muß man sich immer und immer ver-
gegenwärtigen, daß sie nur die Hälfte des heutigen Schlosses umfaßte,
daß seine Fassade nur einen Mittelvorsprung und jeder seits davon nur sechs
beziehungsweise sieben Fensterachsen umfaßte. Sie stellte also einen ver-
hältnismäßig kurzen und hohen Bau dar, ganz im Sinne der römischen
Paläste. Leider ist durch die seit dem Jahre 1707 durch Eosander von
Goethe vorgenommene Verdoppelung des Gebäudes nach Westen die Schlü-
tersche Komposition ihrer gedrängten Kraft erheblich beraubt worden. Eosan-
der, ein Schwede und also ein Landsmann Tessins, der gleichzeitig das riesige
Stockholmer Schloß in ähnlichen römischen Barockformen erbaute, schloß
den so entstehenden äußeren Hof im Westen durch einen Querbau ab. In der
Mitte dieses Westbaues errichtete er ein mächtiges Portal nach dem Vor-
bild eines römischen Triumphbogens, auf das erst im 19. Jahrhundert von
Stüler die achtseitige Kuppel aufgesetzt wurde. Die leere Pracht dieses von
posaunenblasenden Genien belebten Triumphbogens unterscheidet sich von
dem echten Pathos des Schlüterschen Hofes. Eosander war der bevorzugte
132
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Abb. 6i. Lustgartenfassade des Berliner Schlosses, von A. Schlüter, 1700
133
Festdekorateur des Königspaares. Die lange Galerie, die er seit dem Jahre
1707 als Fortsetzung der Schlüterschen Paradekammern einrichtete, ist das
Glanzstück der jetzt in den deutschen Schlössern nach dem Muster von Ver-
sailles und dem Louvre Mode werdenden Galerien, die den festlichen Emp-
fängen dienten. Die Komposition der überreichen Stuckfiguren und Gemälde
ander Decke bleibt aber auch hier weit zurück hinter der zusammenfassenden
plastischen Gestaltungskraft, mit der Schlüter im Elisabethsaal und vor-
nehmlich im Rittersaal die Figurenmassen dem Räume einzuordnen versteht.
Nach Schlüters Projekt sollte das Schloß ein Gegenstück erhalten in dem
gleich gebildeten Marstallgebäude — die Lange Brücke mit dem Kurfürsten-
denkmal hätte auf die Mittelachse hingeführt. Den hinteren Abschluß des so
entstehenden tiefen Schloßhofes sollte der zentrale Kuppelbau des Domes,
ähnlich dem St. Peter in Rom, bilden. Die Zeitgenossen priesen Schlüters
Schloßbau als das bedeutendste Architekturwerk in Deutschland. Sie muß-
ten darin die Offenbarung eines über alle bisherigen Versuche hinausgehen-
den monumentalen Könnens erblicken. Allein die ältere strenge Schule,
die, wie wir sahen, im letzten Drittel des Jahrhunderts in Deutschland Fuß
gefaßt hatte, tadelte den Bau als den Regeln der Architektur zuwider. Die
kühne Behandlung der Säulenordnungen und Gesimse konnte natürlich den
Beifall der Akademiker nicht finden. So hat der um die Theorie des prote-
stantischen Kirchenbaues verdiente Mathematikarchitekt Sturm den Schlü-
terbau stark bemängelt. Eosander, Schlüters Mitbewerber, hat ebenfalls,
wenn auch indirekt, daran getadelt. Es war gewiß ein tragisches Verhäng-
nis für Schlüter, daß gerade diese beiden Männer nebst dem ebenfalls schul-
gerechten Grünberg über ihn zu Richtern gesetzt wurden, als der eben auf-
geführte Münzturm an der Nordwestecke des Schlosses sich zu senken be-
gann. Der Turm, dessen Entwurf von Schlüter erhalten ist, mußte schleunigst
abgetragen werden. Die Schuld Schlüters an der mangelhaften Bauführung
war nicht abzustreiten. Der wohlgesinnte König mußte den Künstler seiner
Stellung als Oberschloßbaudirektor entkleiden. Schlüter war eben kein ge-
lernter Architekt von Hause aus, und es liegt nahe anzunehmen, daß er, der
so genial gestaltende Künstler, die Forderungen der Statik nicht mit dem
gebührenden Ernst beachtet hat. In Berlin blieb er noch sechs Jahre als
Bildhauer am Schloß mittätig. Von seinen übrigen Bauten verdienen die ab-
gerissene alte Post und das noch erhaltene Kamekesche Landhaus in der
Dorotheenstraße, jetzt Loge Royal York, Erwähnung. Im Jahre 17 13, wo
mit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms I. das Berliner Kunstleben ein-
fachere Bahnen einschlug, wurde Schlüter von Peter dem Großen nach Peters-
burg gezogen, wo er bald darauf in ärmlichen Verhältnissen starb. Damals gin-
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135
gen Eosander und Longuelune an den Hof Augusts des Starken nach Dresden.
— Auch Schlüters österreichischer Zeitgenosse, der ihm an Geniahtät gleich-
kommende Bernhard Fischer von Erlach, war von Hause aus Bildhauer.
Auch er hatte, was schon anläßlich seiner großartigen Salzburger und Wiener
Kirchenbauten bemerkt wurde, in Rom studiert. Von dort kam er um 1685
nach Wien, gerade im rechten Augenblick, als nach der siegreich überwun-
denen Türkenbelagerung eine beispiellose Baulust die Kaiserstadt umzuge-
stalten begann. Fischer und Hildebrand kommen mit der glorreichsten
Epoche Österreichs empor. Diese wird eingeleitet durch die ruhmwürdige
Schlacht vor den Toren Wiens, die ein für allemal der Türkennot ein Ende
machte. Hier war esauch, wo der größte Krieger und Staatsmann Österreichs,
Prinz Eugen, unter den Augen Johann Sobieskis als junger Dragoneroffizier
die ersten Lorbeeren pflückte. Fischer arbeitete 1687 unter Leitung Burna-
cinis an der steinernen Ausführung der Dreifaltigkeitssäule am Graben. Mit
den beiden Triumphbogen für den Einzug Josephs I. als römischen Königs
1690 errang er den ersten großen Erfolg über die Italiener. Er unterrichtete
Joseph I. in der Architektur und hat den für das Große empfänglichen und
Großes wollenden Fürsten mit den weitgreifenden Gedanken der neuen Bau-
kunst erfüllt. Um das Jahr 1695 schritten die beiden zu der Riesenanlage des
Schlosses Schönbrunn, das in seinen Grundzügen um 1700 entstand, aber
erst unter Maria Theresia vollendet wurde. Der langgestreckte Bau mit
seinem weiten Ehrenhof steht unleugbar unter dem Eindruck von Versailles.
Bei den übrigen Palästen, die Fischer jetzt für den österreichischen Hochadel
in der Stadt und am Rande derselben auf dem Gebiete der planierten
Festungswerke und Vorstädte errichtete, entfaltet sich der ihm so ganz
eigentümliche Raum- und Formensinn. Gleich seinen Kirchenbauten tragen
diese Adelspaläste ein Gepräge von wuchtiger Größe und Klarheit, das un-
sere so leidigen Fragen nach der Herkunft des Stils, nach den Einflüssen ver-
stummen läßt. Es läßt sich nur sagen, daß der kräftige plastische Ausdruck,
die starken Fensterverdachungen und reichen Konsolengesimse, die Her-
kunft aus dem italienischen Spätbarock zur Schau tragen. Sie ist auch in
der Gliederung der Fassaden der hohen, an den engen Straßen gelegenen
Stadtpaläste zu spüren, z. B. an dem 1696 für den Prinzen Eugen begonne-
nen Winterpalais, an dem um 1720 entstehenden Palais Trautson. Die vier-
eckigen Treppenhäuser mit flachansteigenden, rechteckig umbiegenden
Stiegen stellen eine Fortentwicklung aus den in Oberitalien, nament-
lich in den Palästen Genuas , üblichen Treppenhäusern dar. Das
zeigt sich noch deutlicher in den Treppenhäusern Lukas von Hilde-
brands, so in dem des oberen Belvedere. Die muskulösen Giganten,
136
Abb. 63. Belvedere in Wien, von L. von Hildebrand, um 1720
137
Abb. 64. Schloß Mirabell in Salzburg,- Treppenhaus. L. von Hildebrand, um 1720
138
die in diesem Bau und im Winterpalais des Prinzen Eugen die schwere
Last der Gebälke stützen, deuten im Vergleich mit den unter dem
Druck seufzenden Titanen in Schlüters Berliner Haupttreppenhaus darauf,
daß die drückende Schwere, die dem älteren Barock eigen war, sich zu er-
leichtern beginnt. Dort, wo Fischer von dem Bauplatz unbeschränkt war, in
den Adelspalais vor der Stadt (Abb. 62), bevorzugt er die niedrige, lang-
gestreckte, durch einen runden herausgewölbten Mittelbau betonte Schloß-
anlage mit flachen Terrassen und Vorplätzen, wofür das 1697 dem Fürsten
Mannsfeld erbaute jetzige Schwarzenberg-Palais am Rennweg das berühmte
Hauptbeispiel ist. In dieser Anlage verkörpern sich im Grundriß wiederum
Gedanken der französischen Lehre. Allein so wenig wie anläßlich der Kir-
chenbauten Fischers ist in diesen und den verwandten Palastschöpfungen die
überwiegende Schulung am italienischen Barock zu verkennen. Es war
übrigens damals die italienische Baukunst selbst bereits mit den Gedanken
der französischen Regelmäßigkeit und Symmetrie durchsetzt. Neben der
Hauptströmung des italienischen Barock, die von Boromini zu Guernieri und
endlich zu Chiaveris Dresdener Hofkirche fortging, hatte sich in Rom und
namentlich in Oberitalien eine strengere Richtung wachsende Geltung ver-
schafft. Aus ihr sind z. B. auch die beiden um 1700 von dem Italiener
Domenico Martinelli für den Fürsten Liechtenstein erbauten Wiener Paläste,
der Stadtpalast und der Gartenpalast in der Roßau, hervorgegangen. Wie
viel lebendiger ist aber doch die Bewegung der Flächen im ganzen und der
plastischen Glieder im einzelnen an Fischers Palästen. An das Ende seines
Lebens fällt der Ausbau der Wiener Hofburg, die Karl VI. aus der Anhäu-
fungwinkliger Bauteile vom Mittelalter und der Renaissance in eine moderne,
um weite regelmäßige Höfe geordnete Anlage umzugestalten unternahm.
Doch ist nur der um 1720 entstandene Reichskanzleitrakt der Hofburg ganz
nach Fischers Plänen durchgeführt. Die kräftige Sprache des Meisters reden
noch die großen Pilaster, die Doppelkonsolen der Gesimse und hermengetra-
genen Balkone. Das späteste Werk des Künstlers ist die ein Jahr vor seinem
Tode 1722 begonnene Hofbibliothek neben der Hofburg, nach dem Joseph-
platze hufeisenförmig geöffnet. Sie ist von Fischers Sohn, Joseph Emanuel
Fischer, vollendet worden. Die Fassade mit flachen Pilastern und strengem
Fugenschnitt verrät nur in dem herausspringenden, mit Viergespann bekrönten
Mittelbau die plastisch gestaltende Hand des alten Meisters, ist aber im
übrigen schon streng akademisch. In dem großen Büchersaal des ersten
Stockwerks, der sich in der Mitte zu einem von korinthischen Säulen getra-
genen ovalen Kuppelraum erweitert, erhebt sich die Raumkunst des alten
Fischers noch einmal zu der in der Karlskirche erreichten Vollendung. Ihren
139
Abschluß erhalten die Erweiterungsbauten der Hofburg in dem von dem jün-
geren Fischer erbauten Flügel der Winterreitschule, der erst in den dreißiger
Jahren ausgeführt wurde.
Lukas von Hildebrand, der im Stil etwas jüngere Zeitgenosse Fischers, hat
in verwandter Weise die bewegten plastischen Formen des späteren italieni-
schen Barock mit den von Frankreich ausgegangenen Grundrißgedanken zu
einer höchst selbständigen Architektur verschmolzen. Er ist einer deutschen
Familie in Genua entsprossen und hat längere Zeit als Ingenieur-Offizier in
der Armee des Prinzen Eugen in Italien geweilt. Er geht von dem Stil der
spätbarocken Palastarchitektur Oberitaliens aus. Seine Fassaden sind rei-
cher und zierlicher gegliedert als die des Fischer: die eleganten Stadthäuser
(Palais Kinsky, 1709 — 17 13) und Gartenpalais (Harrach und Schönborn) und
das Hauptwerk, der Sommerpalast des Prinzen Eugen, das Belvedere. Das
stattliche obere Belvedere, das er dem sieggekrönten und zu großen Reich-
tümern gelangten Feldherrn in den Jahren 1721 — 1723 errichtete, bedeutet
sowohl in der ganzen Gliederung mit höherem Mittelbau und vier Eck-
pavillons an den Seiten wie in dem reichen plastischen Schmuck eine Los-
lösung aus dem schweren älteren Barock (Abb. 63). Der in der Breite des
Gebäudes die sanft absteigende Fläche bis zum unteren Belvedere einneh-
mende Garten bezeichnet in seiner Anlage mit strengen Hecken, Fontänen
und Rampen zugleich die Meisterschöpfung der Wiener Gartenkunst des
Barock, die sich seit der kaiserlichen Favorite in so zahlreichen Schlössern
am Rande der Stadt entwickelt hatte.
Mit Schlüter, Fischer von Erlach und Hildebrand ist Daniel Pöppelmann in
Dresden als der vierte Hauptvertreter des plastisch gestaltenden reifen
Barock aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts zu nennen. Die großen Pläne
für das Residenzschloß Augusts des Starken am Eibufer in Dresden und für
das Königliche Schloß und die Lustgärten in Warschau sind allerdings nur
Projekte geblieben. In dem Zwinger aber hat Pöppelmann dasjenige Werk
hinterlassen, das den Grundzug dieser Barockströmung am vollkommen-
sten offenbart (vgl. Abb. 18). Allerdings hier in diesem steingewordenen Fest-
theater, in dieser für den Glanz des Sonnenlichtes und für den Schmuck des
dunklen Grüns berechneten Orangerie, konnte sich der plastisch formende Zug
dieser Richtung, ledig der strengen Fesseln, ungehemmt ergehen. In
Permoser, dem Fortsetzer Berninis, fand Pöppelmann den gleichgestimmten
Bildner für die Ausführung seiner Ideen. Dagegen ist das zweite erhaltene
Werk Pöppelmanns, das japanische Palais, gemäßigt in der Haltung, und
erhielt durch Longuelune eine im Sinne des französischen klassischen Barock
durchgebildete endgültige Gestalt.
140
Abb. 65. Schloß Pommersfelden, von M, von Welsch (?), um 1720
141
Hier ist eine unentbehrliche Bemerkung einzuschalten. In dem Schaffen
der vier eben genannten großen Meister macht sich bei all dem Streben nach
plastischer Belebung dennoch zunehmend das klärende strenge Bildungs-
prinzip der französischen Schule geltend. Zur gleichen Zeit mit ihnen hatte
in der Gliederung der Grundrisse und Aufrisse der klassische Regelgeist der
Pariser Architekten in Deutschland allenthalben Boden gewonnen. Dieses
Nebeneinander, dieser Widerstreit, diese Verschmelzung und Durchdrin-
gung der plastisch und malerisch empfindenden von Italien ausgehenden
Barockrichtung, die in den österreichisch-böhmischen Werken am stärksten
ausgebildet ist, mit der von Westen kommenden, grundsätzlich architek-
tonisch und mathematisch denkenden klassischen Barockströmung sind für
die deutsche Baugeschichte, vorzüglich für den Schloßbau, von der größten
Bedeutung. Wir müssen daher dieser Erscheinung noch einen Augenblick
der Aufmerksamkeit schenken.
Auf die ersten Vertreter des französischen Bauwesens, auf jene Huge-
nottenbaumeister wie Dury und la Chiese, folgten um 1700 Schüler des älteren
Blondel, unter denen de Bodt, als der Erbauer des Berliner Zeughauses, be-
sondere Beachtung verdient. Der so manche Anklänge an die Pariser Bauten
des früheren Louis Quatorze aufweisende Bau des Zeughauses entstand be-
merkenswerterweise gleichzeitig mit dem nahen Schloß von Schlüter. Also
hier der französische Barockklassizismus mit seiner strengen Pilasterord-
nung, mit dem gefugten Erdgeschoß und der flachrunden Portalnische, die
ähnlich am Louvre, und dort der Palazzo nach römischem Muster! Der be-
rühmte Kampf der Ideen zwischen Perrault, dem Architekten des Louvre,
und Bernini scheint von Paris an die Ufer der Spree verpflanzt zu sein. Allein
in dem Falle des Zeughauses machen sie ihren Frieden miteinander, denn
Schlüter und seine Schule haben die Fassade, die Dachbalustrade und den
inneren Hof reich mit plastischen Trophäen belebt und damit dem Werke
doch eine Wärme gegeben, die dem Blondelschen Klassizismus fremd ist.
Die Einwirkung von Paris und Versailles zeigt sich am Anfang des 18. Jahr-
hunderts in der Verlängerung so mancher ursprünglich palazzoartiger kurzer
Villenbauten durch langgestreckte niedrige Flügel. Eosander baut in dieser
Weise das Lustschloß der Sophie Charlotte, Charlottenburg, aus, Zuccali und
Effner, die beide in Paris studiert hatten, Schleißheim und Nymphenburg
für Max Emanuel. Es entstehen eine Anzahl Schloßbauten nach französi-
schen Plänen und selbst von Franzosen ausgeführt, die sich nicht nur in den
Grundrissen, sondern auch im Aufbau in den Grenzen des strengsten fran-
zösischen klassischen Barock halten. Man bedenke, daß, während Fischer
und Hildebrand in Wien, Schlüter in Berlin und Pöppelmann in Dresden
142
0^
Abb. 66. Schloß Pommersfelden, Mittelsaal, um 172C-30
143
Abb. 67. Schloß Pommersfelden, Treppenhaus, um 1720
144
n» ■i»i»n-»»— «7nr<ini»^»T—^^i«
wirken: Longuelune, der Schüler le Pautres, in Dresden und Um-
gebung baut, daß de Cotte, der oberste Baumeister des Königs von
Frankreich, für Joseph Clemens die Pläne zum Fortbau der Bonner Residenz
(17 15) und zum Poppelsdorfer Schlosse entwirft. Man denke ferner an die
Tätigkeit Hauberats am Schloß in Mannheim und an sein Palais Thurn und
Taxis in Frankfurt (neben der Hauptpost), und an das 17 10 von Remy de la
Fosse erbaute abgebrochene Landhaus in Hannover und das von ihm 17 15
begonnene Darmstädter Schloß. Die Mehrzahl der deutschen Baumeister
folgte den hier verkündeten Ideen strengster Symmetrie und Ordnung in den
jetzt allenthalben entstehenden fürstlichen und adeligen Stadt- und Land-
schlössern, sowie in den umfangreichen Kloster- und Kollegienbauten. Die
Kupferwerke des älteren Blondel, Davilers und Courdemoys taten das ihrige
zur schnellen Verbreitung der neuen Formen. Der Sachverhalt ist also der,
daß die deutsche weltliche Architektur des früheren 18. Jahrhunderts auf den
Grundlagen weiterbaut, die bereits im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts
gelegt worden sind; nur wird die gleichförmige Sachlichkeit der älteren Zeit
durch die neuen französischen Lehren im Sinne der stärkeren Konzentration
des Grundrisses und Aufbaues um eine Mittelachse belebt. Hierher gehören
die münsterschen Adelshöfe, Landschlösser und Klöster des Gottfried
Laurenz Pictorius (Bevervörder Hof in Münster, Schloß Nordkirchen und
Jesuitenkolleg in Büren) und die des Lambert von Corfey (Abb. 5g), in
denen die Überlieferung des Backsteinbaues der älteren holländischen Schule
fortgeführt wird. Weitere Beispiele sind das Fürstlich Waldecksche Resi-
denzschloß in Arolsen, das im Jahre 17 10 von Rothweil begonnen wurde,
zahlreiche Schlösser am Rhein, in Nassau und Thüringen (Baulichkeiten in
Gotha und Altenburg). Ja auch in den späteren Werken des Johann Dient-
zenhofer ist die Hufeisenform des Grundrisses und das herausgehobene
Corps de Logis von der westlichen Richtung übernommen, so im Fürstlich
Löwensteinschen Schlosse Klein-Heubach — zu dessen Oberleiter allerdings
de la Fosse aus Darmstadt ernannt wurde — , in der Residenz in Fulda und
im Schlosse Pommersfelden. In der Mehrzahl der Fälle nähert sich auch die
Formensprache all dieser Bauten vom ersten Jahrhundertdrittel der schmuck-
losen klaren französischen Richtung, für die im einzelnen der flache Korb-
bogen der Fenster und Türen bezeichnend ist. Namentlich dort, wo die Bau-
gelder beschränkt waren, legte man sich äußerste Zurückhaltung auf. Erst
in den mit reicheren Mitteln aufgeführten Prunkbauten, wo der freiwaltende
Kunstgeist sich ergehen konnte, drängt sich der deutsche Geschmack stärker
in den Vordergrund. Das zeigen die Werke des Mainzer Hofbaumeisters
Maximilian von Welsch. Seine Hauptschöpfung, die seit 1706 für den Kur-
Schmitz, 18. Jahrh. lo ^45
fürsten Lothar Franz von Schönborn geschaffene Favorite in Mainz, ist
allerdings zerstört. Der kräftige plastische Zug des Welsch spricht sich trotz
der übernommenen französischen Formen in den stark vorspringenden
wuchtigen Pilastern aus, die er an den fünf Pavillonbauten der Mainzer
Favorite, an der Orangerie in Fulda wie an dem Zeughaus und dem
Deutschordenshaus in Mainz anwendet. Daraufhin vergleiche man nur die
gedrängte Fülle der Fuldaer Orangeriefassade mit der kurz vorher entstan-
denen, ganz flachen der Orangerie von de la Fosse in Darmstadt und von
Dury in Kassel. Wahrscheinlich ist dem Welsch auch die Vollendung des
171 1 von Johann Dientzenhofer begonnenen Schlosses Weißenstein bei Pom-
mersfelden zuzuschreiben (Abb. 65). Der vorwärts und rückwärts vorsprin-
gende, an den Ecken abgerundete, dreifenstrige Mittelbau weist die wuch-
tigen korinthischen Pilaster und Halbsäulen des Welsch auf. Mit seiner
kräftigen Plastik, dem stark verkröpften Giebel und dem hohen, mit großen
Erkern besetzten Mansarddach springt der Baukörper kräftig aus der lang-
gestreckten Front heraus und bewirkt die dem französischen Stil fremde leb-
hafte Gruppierung. In manchem erinnert er auch an die späteren Werke Hilde-
brands, wie das Stift Göttweig, und es ist sehr möglich, daß der Bauherr,
Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn, den Wiener Baumeister der
Familie mit hinzugezogen hat. Dies scheint bei der inneren Einrichtung des
Mittelbaues zweifellos zu sein. Die ganze vordere Hälfte wird von dem breit
rechteckigen ovalgerundeten, von Galerien auf schlanken Säulen umzogenen
Treppenhaus eingenommen. Die hintere Hälfte ist im Erdgeschoß einem
Gartensaal und in dem oberen dem durch zwei Stockwerke reichenden Fest-
saal eingeräumt (Abb. 66). In denselben Jahren, um 1716, erhält ein zweiter
langgestreckter Bau der Dientzenhofer, das Kloster Ebrach, einen ähnlichen
kräftigen, durch Säulen belebten Mittelbau mit ähnlichem Treppenhaus im
Innern und zwar durch den jungen Balthasar Neumann.
Mit Balthasar Neumann tritt der fränkische Barock ebenbürtig neben den
der bisher genannten Residenzen. In seinem Hauptwerk, dem für den Fürst-
bischof Johann Philipp von Schönborn 17 19 begonnenen Residenzschloß in
Würzburg, verschmelzen sich die barocken bewegten Formen der öster-
reichisch-süddeutschen Richtung mit den Gedanken der Pariser Schule zu
einer Schöpfung von höchstem künstlerischem Range. Neumann hatte auf
Anordnung des Bauherrn die Pläne in Paris eingehend mit de Cotte und
Boffrand durcharbeiten müssen. Offenbar ist die klärende Einwirkung dieser
Franzosen dem Baue zugute gekommen. Im Gegensatz etwa zu dem gleich-
zeitigen Wiener Belvedere von dem älteren Hildebrand ist die Komposition des
plastischen Schmuckes und der Gliederung in den Würzburger Fassaden auf
146
Abb. 68. Residenzschloß in Würzburg, Mitteltrakt der Gartenseite,
von Balthasar Neumann, um 1720—30
147
starke Akzente gesammelt (Abb. 68: vgl. auch Abb. 23). Die Hauptgeschosse
sind durch die strenge Fugenzeichnung und die Pilaster, im Erdgeschoß ferner
durch dorische Säulenvorlagen einer strengen Ordnung unterworfen. Nun ist
aber doppelt wunderbar das Heraufwogen der vorspringenden Verzierungen
über den Fenstern des Obergeschosses und in der statuen- und trophäen-
geschmückten Attika, sowie ihre Zusammendrängung in den geschweiften
Mittelgiebeln zu rauschenden Akkorden. Der schwellende Reichtum der Plastik,
der von den Dientzenhoferschen und selbst den stets etwas schweren Fassaden
des Welsch absticht, deutet auf die Fühlungnahme Neumanns mit Hildebrand.
Tatsächlich beweisen einige Zeichnungen und Schriftstücke die Hinzuziehung
auch des großen Wiener Barockmeisters im Jahre 1730. Im Innern geht Neu-
mann kühn über alles bisher in der Schaffung von Weiträumigkeit in Wien
Geleistete hinaus. Das ungeheure zweiarmige Treppenhaus des ersten Planes
wurde freilich durch de Gottes Eingriff auf den linken Arm beschränkt.
Dieser großartige Raum sowie die beiden Festsäle in der Mittelachse erhiel-
ten ihre Ausstattung erst in der Mitte des Jahrhunderts und sollen deshalb
mit dem Rokokostil zusammen gewürdigt werden.
Noch einige andere Meister haben in den zwanziger und dreißiger Jahren
des 1 8. Jahrhunderts die Verschmelzung der französischen Grundsätze in An-
ordnung und Aufbau mit dem deutschen Geschmack für lebhafter ge-
schmückte Flächen vorgenommen. Unter ihnen bestehen natürlich Unter-
schiede. So hat Joseph Effner, trotz seines langen Aufenthaltes in Paris,
seinen Münchner Adelspalästen — der bedeutendste ist das Preysingsche
Palais neben der Feldherrnhalle (Abb. 69) — die Flächen mit plastischen Ver-
zierungen übersponnen, die wohl den Landsmann der Asam, aber nicht den
französisch geschulten Architekten erkennen lassen. Die hohen vierstöckigen
Münchner Adelspaläste, die an den engen Gassen der mittelalterlichen Stadt
aufwachsen, stehen in ihrer ganzen Anlage mehr den Wiener Stadtpalästen
nahe. Eine breite Lagerung um einen weiten abgeschlossenen Ehrenhof, die
in Münster, in Aachen und Krefeld und in Berlin die Paläste zeigen, war hier
nicht möglich. In Berlin entstanden unter Friedrich Wilhelm I. eine Reihe
Paläste an der Wilhelmstraße von Wiesend, Gerlach, der auch das Berliner
Kammergericht und die Stadtschule in Potsdam erbaute, und von Kemmeter,
dem Erbauer des rechten Rheinsberger Schloßflügels für den jungen Fried-
rich, und dem Lehrer Knobelsdorffs. Das Schloß in Schwedt an der Oder
von Richter nähert sich dem Stile dieser Bauten. Aus Süddeutschland ver-
dienen als wichtigste Zeugnisse dieses spätesten Barock unter französischer
Einwirkung genannt zu werden die von Frisoni erbauten Flügel, Kavalier-
und Verbindungsbauten im Ludwigsburger Schlosse und ebendort das den
148
SüMiy
Abb. 69. Preysing-Palais in München, von Effner, um 1730
149
riesigen Rechteckshof abschließende, nach Frisonis Plänen von Paolo Retti
errichtete, vordere Corps de Logis, und endlich der Hauptbau des Schlosses
in Ansbachs). Die Merkmale all dieser um 1730 entstandenen Gebäude sind
die zusammenfassenden Pilaster und die plastische Belebung der Fensterver-
dachungen, der Giebel und derAttiken, womit in erster Linie die dreiachsigen
Mittelvorsprünge betont v^^erden. Wir sind damit in die Zeit getreten, wo
der Barock, wenn wir nach dem Kirchenbau urteilen, in den Rokokostil über-
geht. Allein diese Wandlung ist an dem weltlichen Außenbau nur in sehr be-
schränktem Maße wahrzunehmen. Dagegen schreitet die Innenausstattung,
die ebenfalls die stärksten Einwirkungen von der französischen Regence er-
fahren hat. im Verlauf der dreißiger Jahre deutlich zu einem anderen Stile,
eben dem Rokoko über.
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Abb. 70. Fontäne im Park des Belvedere in Wien, um 1720
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13. DIE SCHLOSS- UND H AUS AR CHITEKTUR IM
ROKOKOZEITALTER
Die Grundlagen, auf denen sich die deutsche weltHche Architektur des Ba-
rock im ersten Drittel des Jahrhunderts aufbaute, bleiben in dem zweiten
Drittel des Jahrhunderts, in dem Zeitalter des Rokoko, zunächst im wesent-
lichen unverändert. Die Wandlungen erstrecken sich mehr auf den Grad der
Empfindung. Im äußeren Gewände der Gebäude drückt sich diese Änderung
vorwiegend im Einzelnen, in der Ornamentik aus. Das Innere dagegen setzt
die Steigerung der Raumbewegung und die Lockerung der Glieder fort, die
in dem späteren Barock in Fluß gekommen war. In diesem letzteren Punkt
hält die Schloßarchitektur gleichen Schritt mit der kirchlichen. Eilen wir
sogleich den Höhepunkten der Raumkunst des weltlichen Rokoko zu. Es
sind das die von Balthasar Neumann um die Mitte des Jahrhunderts — also
zugleich mit Neresheim und Vierzehnheiligen — geschaffenen Haupträume
des Schlosses in Würzburg und in Bruchsal. Das Treppenhaus des Würz-
burger Schlosses ist wohl unstreitig der großartigste Raumeindruck in
Deutschland. Auf der breiten, mit sanfter Neigung steigenden Treppe fühlt
151
sich der Hinaufschreitende mit ungeahnter Leichtigkeit emporgeführt. Es
öffnet sich über ihm der unendHche blaue Himmel, im weiten Umkreis von
bunten Völkerscharen begrenzt — immer neue der in majestätischer Ruhe
hingelagerten Gestalten erschließen sich dem Höherkommenden, gemalt von
Tiepolos Meisterhand. Mit dem Stiegenhaus wetteifert der große, in dem
ausgerundeten Mittelteil nach dem Garten gelegene breitovale Kaiser-
saal (Abb. 71). Schlanke korinthische Halbsäulen tragen die zierlichen
Gesimse, über denen die hohen, von tiefen Stichkappen durchschnittenen,
von den Oberfenstern erleuchteten Gewölbe aufsteigen. Die Wände sind
vorwiegend weiß, von zarten, grün- und rosafarbenen und vergoldeten Glie-
dern durchsetzt. Die nämliche Lockerung aller Formen, bis zu den zerfran-
sten Kapitellen und Rocailleschnörkeln aus Stuck zugleich mit der höchsten
Erweiterung des Raumes, wie sie die genannten Kirchen schon veranschau-
licht haben. Auch hier vervollständigt das Werk des größten deutschen
Raumkünstlers der größte italienische Deckenmaler des 18. Jahrhunderts. Ein
Zusammentreffen auf dem Höhepunkt des 18. Jahrhunderts, das für den Ge-
samtverlauf der europäischen Kunst des Barock und Rokoko eine tiefgehende
Bedeutung hat. Eine faltenreiche Stuckdrapierung wird von Engelkindern
beiseite geschlagen, und es eröffnet sich der Blick auf eine sonnenüberglänzte
Festversammlung unter lachendem Himmel : die Belehnung des Bistums
Würzburg mit dem Herzogtum Franken durch Kaiser Barbarossa. Eben-
bürtig ist dem Würzburger Kaisersaal der gleichzeitige Festsaal des Bruch-
saler Schlosses, im Mittelteile nach der Gartenseite. Das dortige Treppen-
haus ist nur ein Umbau aus einem älteren des, wie gesagt, dreißig Jahre zu-
rückliegenden Schloßbaues. Was hat aber Neumanns Meisterhand daraus
gemacht! Er durchschnitt den rundovalen Raum durch einen säulengetragenen
Unterbau, der im Erdgeschoß einen Grottensaal aufnimmt. Die Läufe der
Treppe winden sich um diesen Einbau im Bogen aufwärts. Dem Hinauf-
steigenden enthüllen sich also schrittweise die Blicke in das obere Vestibül
und auf das Gewölbe, das Johannes Zick mit einem Fresko bemalt hat. Reiche
Stuckschnörkel von Feichtmeyers Hand fluten an den Wänden ringsum
gegen die Gesimse und darüber empor und finden ihre Fortsetzung in den
gemalten Grotten- und Schnörkelarchitekturen des Zickschen Freskos, durch
deren Öffnungen der lichte Himmel hindurchscheint. Auf Stufenbauten am
Rande des Bildes thronen die Fürstbischöfe von Speier, Damian Hugo von
Schönborn, des Schlosses Erbauer, und gegenüber Hütten, der Vollender,
umgeben von ihren Künstlern und Kavalieren. Von den Treppenhäusern in
Würzburg und Bruchsal schweifen unsere Gedanken rückwärts zu dem in
den vierziger Jahren von Neumann für Clemens August ausgestatteten
152
Abb. 71. Kaisersaal im Würzburger Schlosse, von Balthasar Neumann
Mitte 18. Jahrhunderts
prunkvollen Treppenhause des Schlosses Brühl, das noch starke Züge des
schweren Barock aufweist, und weiter zurück zu dem von Effner erbauten in
Schleißheim, ferner zu dem im Schlosse Mirabell bei Salzburg von Hildebrand
(Abb. 64) und dann zu dem von Pommersfelden (um 17 18) und gelan-
gen schließlich zu dem am Anfang dieser Reihe stehenden von Schlüter im
Berliner Schlosse und dem des Prinz-Eugen-Palais des Fischer von Erlach
um 1700. Welch eine stufenweise Entwicklung vom Gebundenen und Engen
153
zum Freien und Gelösten in diesen fünfzig Jahren. Den gleichen aufsteigen-
den Gang nehmen die Raumformen und Gliederungen der großen Säle, um
nur den Mittelsaal des Palais im Dresdener großen Garten, den Rittersaal im
Berliner Schlosse, den großen Saal in Schleißheim von Effner, den der Oran-
gerie in Fulda, den des Schlosses Pommersfelden und endlich den des oberen
Belvedere in Wien als Vorstufen zu den großen Sälen von Würzburg und
Bruchsal aufzuzählen.
In der äußeren Architektur dieser Epoche bleibt das merkwürdige oben
gekennzeichnete Nebeneinander der strengen Richtung und einer mehr auf-
gelockerten bestehen. Verfolgen wir zunächst die letztere, so sind einige um
die Jahrhundertmitte entstandene Bauten Neumanns wegen ihrer reichen
aufgelösten Rokokoornamentik voranzustellen, der Mittelteil des Schlosses
von Bruchsal, das Haus zum Falken in Würzburg und der ihm nahestehende
Rathausturm auf der Mainbrücke in Bamberg (vgl. Abb. 25). Im Übrigen kenn-
zeichnet die späteren Werke Neumanns, wie etwa den Dikasteralbau in
Ehrenbreitstein, die Abwesenheit reicherer Plastik. Dagegen erlebt die
Rokokodekoration am Außenbau einiger jüngerer rheinisch-westfälischer
Meister um die Mitte des Jahrhunderts eine reiche Ausprägung. Die wich-
tigsten sind der Osteiner Hof in Mainz und das schön bewegte Palais Kessel-
stadt von dem Mainzer Generalmajor Thomann (Abb. 72), die Residenz in
Trier von dem kurfürstlichen Baudirektor Seitz, einem Schüler Neumanns
(1756); der Erbdrostenhof in Münster und das dortige Fürstbischöfliche
Residenzschloß, erst nach dem Siebenjährigen Kriege begonnen, bei-
des die Hauptschöpfungen des Münsterschen Generalmajors und Oberbau-
direktors Johann Konrad Schlaun. Das über vierzig Jahre umfassende Wir-
ken dieses hervorragenden Baumeisters veranschaulicht uns mit seltener
Deutlichkeit die Umwandlung der deutschen Schloßarchitektur von dem
Barock der zwanziger Jahre bis zum Höhepunkt des Rokoko um die Jahr-
hundertmitte. Seine Frühwerke, das Äußere des Schlosses Brühl, der Schmie-
singhof in Münster und das Jagdschloß Clemenswerth auf dem Hümling,
erläutern die Durchdringung des strengen heimischen Backsteinbaues mit
den französischen Grundriß- und Aufrißformen, aber auf der anderen Seite
auch die wachsende plastische Belebung, die dann in den beiden großartigen
Hauptschöpfungen ausgereift ist. Nicht unerheblichen Einfluß hat auf deren
üppige Steinmetzenarbeit der ausführende Bildhauer Feill gehabt, ein
Meister, der aus dem Mainzischen nach Münster kam. Er bringt von dort
den virtuosen bildnerischen Stil mit, der im main- und rheinfränkischen
Rokoko am glänzendsten durch Tietz aus Bamberg, den Bildhauer der
Trierer Residenz, vertreten wird. Die um die Jahrhundertmitte entstehenden
154
155
langgestreckten Residenzschlösser in Stuttgart und Karlsruhe gehören schon
wieder mehr der strengen französierenden Schule an. Nur einzelne Teile,
der Mittelbau des Corps de Logis in Stuttgart und die Eckpavillons in Karls-
ruhe weisen reichere Plastik auf und folgen darin mehr dem Stile Neumanns,
der für diese wie für so viele andere Residenzen zunächst hinzugezogen war.
Beim Stuttgarter Schloß gesellte sich dem Erbauer Retti später der Fran-
zose de la Guepiere zu.
Wie schwierig es ist, bei den verschiedenen sich kreuzenden Strömungen
die deutschen Baumeister des Jahrhunderts durch unsere einseitig festgeleg-
ten Stilbegriffe zu kennzeichnen, beweisen vor allem die auf dem Höhepunkt
des Rokoko entstehenden Bauwerke des Baumeisters Friedrichs des Großen,
des Clemens Wenzeslaus von Knobelsdorff. Auch er hat Verbindungen mit
der plastischen Richtung des späten deutschen Barock, die sein Lehrer, der
schon genannte Kemmeter, vertrat. Durch den Aufenthalt in Italien im
Jahre 1736 hat sie neue Nahrung erhalten. Im Jahre 1740 nach der Thron-
besteigung sandte der König seinen Baumeister nach Paris. Hier hat er die
Werke Boffrands, des eben berühmt werdenden Blondel und selbst die um
eine Generation älteren Schöpfungen Mansards in Versailles studiert. Die
Gliederungen und Säulenstellungen der älteren Franzosen überträgt er nach
Berlin und Potsdam. Er glaubt in ihnen die Kunst der Römer und Griechen
zu finden. Aus seinen Briefen, die er seinem Bauherrn und Freunde von
Italien und Frankreich sendet, klingen immer wieder die Lobeshymnen auf
,,die Kunst der Griechen und Römer" hervor. Nun müssen wir uns aber sehr
hüten, bei Knobelsdorff ein unmittelbares Zurückgreifen auf die Antike zu
suchen. Nein, in gleicherweise wie der große König seine antiken Helden und
Schriftsteller in der französischen Umbildung kennenlernte, so hat auch
Knobelsdorff die Kunst der Römer und Griechen nur in der modernen
italienischen und französischen Verkleidung gesehen. Darin steht er auf
einer ähnlichen Stufe, wie Bernini, der immer wieder das Studium der
Antike von den Künstlern forderte, und doch nur so zeitgemäß wie nur einer
empfand. Und so ist Knobelsdorff ein echter Meister des deutschen Rokoko.
Seine Werke sind, so verschieden ihr ganzes Gepräge sein mag, mit denen der
gleichzeitigen süd- und westdeutschen Rokokomeister durch innere Wesens-
züge verbunden. Vergleicht man seine korinthischen Säulen und Gebälke der
Kolonnaden am Potsdamer Stadtschloß (Abb. 73) und in Sanssouci (Abb. 75)
mit denen Balthasar Neumanns im Würzburger Kaisersaal und in Vierzehn-
heiligen, so bemerkt man die gleiche Auflockerung der korinthischen Kapi-
telle, die ins Schlanke umgesetzten Verhältnisse, die zierlich profilierten Ge-
simse. Auch in der Raumbildung erreicht Knobelsdorff eine ähnliche Voll-
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Abb. 76. Schloß Sanssouci, Potsdam, Mittelsaal von Knobelsdorff
Mitte 18. Jahrhunderts
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endung, wie im gleichen Zeitpunkt sein großer Würzburger Zeitgenosse.
Die Hauptschöpfung, das Berliner Opernhaus, ist freilich in dem vielgerühm-
ten Inneren völlig umgestaltet worden. Doch zeugen die goldene Galerie in
Charlottenburg, das Treppenhaus des Potsdamer Stadtschlosses und der
runde Saal in Sanssouci noch von dem Können Knobelsdorffs auf dem Felde
der Raumkunst (Abb. 76). Die Knobelsdorffsche Kunst unterscheidet sich
freilich von der des Balthasar Neumann durch ein gemäßigteres Tempera-
ment. Während Neumanns Schöpfungen von einem mächtigen sinnlichen
Empfinden belebt sind, spricht aus Knobelsdorffs Formen eine stärkere
Geistigkeit, wobei gewiß der Genius des großen Königs seine Einwirkung
geltend machte. Neumanns Werke stellen den Höhepunkt der süddeutschen
Baukunst des 18. Jahrhunderts und Knobelsdorffs die der norddeutschen,
der brandenburgisch-preußischen dar. Immer von neuem müssen wir be-
tonen, daß nicht die fremden Einwirkungen bei der Beurteilung der deut-
schen Baukunst des 18. Jahrhunderts entscheidend sein dürfen, nicht der so-
genannte ,, klassizistische" und nicht der sogenannte ,, barocke" Einfluß: son-
dern der lebendige architektonische Formensinn. Und wenn irgendwo, so
gilt dies von Knobelsdorffs Werken mit doppeltem Recht. Die Vorderseite
von Sanssouci ist in der Art von Pöppelmanns Zwingerfassaden mit frei-
plastischen bewegten Waldgöttern belebt, und die Rückseite ist durch
strenge Doppelpilaster ä la Mansard gegliedert. Aber in einem wie im an-
dern tritt uns bei unvoreingenommener Betrachtung das sprühende Empfin-
den des deutschen Rokokomeisters entgegen. Knobelsdorffs Fassaden stellen
überhaupt in dem vorgesetzten Säulen- und Pilasterschmuck die Lockerung
vor Augen, die diese Epoche der Gebundenheit des Barock gegenüber kenn-
zeichnet. Das deutlichste Zeugnis ist die reiche, 1745 entstandene Haupt-
front des Potsdamer Stadtschlosses nach dem Lustgarten. Man versteht
nun doch, was Friedrichs Schwester, die ihm so geistesverwandte Wil-
helmine von Bayreuth, damit meint, wenn sie sagt : das Schloß von Pom-
mersfelden wirke wie ein großer plumper Steinhaufen. Wilhelmine hat selbst
in der Orangerie und dem Sonnentempel der Eremitage von Bayreuth durch
den Franzosen Joseph St. Pierre um 1750 die gelockerten Doppelsäulen
ähnlich wie Friedrich ausgiebig anwenden lassen.
Friedrichs Sanssouci und diese Gebäude seiner Schwester sind zugleich die
wichtigsten Beispiele der von dem Rokoko bevorzugten kleinen Sommer-
sitze, die ein Beweis für die gesteigerte Abwendung von dem prunkvollen
gesellschaftlichen Leben des Barockzeitalters darstellen. Die frühesten Werke
dieser Gattung sind die Amalienburg im Nymphenburger Park für Karl
Albert und das Schlößchen Falkenlust und andere Bauten im Brühler Park
Schmitz, iS.Jahrh. li l6l
für seinen Bruder Clemens August, beide nach Plänen Cuvillies in den drei-
ßiger Jahren errichtet. In Sanssouci finden in reicherem Maße die dort schon
angeschlagenen Grundrißideen der jüngeren französischen Schule Anwen-
dung. An die Mittelachse, die vom großen runden Saal und dem rechtecki-
gen Vestibül gebildet wird, reihen sich beiderseits die kleinen Zimmer. Eine
schmale Galerie auf der Rückseite stellt eine durchlaufende Verbindung her.
Das sind die Forderungen der größeren Bequemlichkeit, der ,,Comoditee",
die mit den älteren Grundsätzen der „Ordonnance" und der „Bienseance" ver-
knüpft werden und in den Grundrißlösungen der Landhäuser des jüngeren
Francois Blondel zur höchsten Kunst ausgebildet wurden. Sein 1737 erschie-
nenes Kupferwerk Distribution des Jardins de Plaisance hat zu ihrer Ver-
breitung in Deutschland ungemein beigetragen.
Was für den Anfang des Jahrhunderts de Cotte, das bedeutet für dessen
Mitte, für das Zeitalter des Rokoko, der jüngere Franqois Blondel. Er ist
der Lehrmeister der damals aufkommenden Architektengeneration Deutsch-
lands gewesen. Seine Kunst der Einteilung des Inneren und der strengen
Anordnung des Äußeren ist durch seine Kupferwerke und namentlich durch
seine berühmte Pariser Bauschule verbreitet worden. Am Rhein sind die
Bauten des Ritter von Grünstein, der 1730 Welschs Nachfolger im Mainzer
Bauwesen wurde, in Saarbrücken und den Nassau-Usingschen Gebieten die
Werke Stengels von Blondels Geiste berührt. Seine unmittelbaren Schüler
sind Simon Louis Dury in Kassel, der Sohn des Charles Dury und der Voll-
ender des Schlößchens Wilhelmsthal bei Kassel (Abb. 77), Leveilly, der
Schöpfer des Bonner Rathauses und des dortigen Michaeltores, ferner Roth,
der bereits als Erbauer der Jesuitenkirche in Büren begegnet ist, der Schöp-
fer des untergegangenen Jagdschlosses des Clemens August, Herzogsfreude
bei Bonn, dann Karl von Gontard, der einige Häuser in Bayreuth erbaut©
und nach dem Siebenjährigen Kriege der Hauptbaumeister Friedrichs des
Großen wurde. Auch Couven, der Aachener Stadtbaumeister, folgt in seinen
jetzt entstehenden Patrizierhäusern in Aachen, mit dem für Karl Theodor
entworfenen Schlößchen Jägerhof in Düsseldorf den Blondelschen Lehren. In
selbständiger Weise vertritt sie endlich der Lothringer Nicolas de Pigage,
der um 1755 das Schloß in Mannheim durch den linken Bibliotheksflügel so-
wie die von Rabbaliati begonnenen Zirkelbauten in Schwetzingen vollendete.
Sein Hauptwerk ist das köstliche, um 1760 begonnene Lustschlößchen Karl
Theodors in Benrath bei Düsseldorf, das erst nach dem Siebenjährigen
Kriege beendet wurde. Es ist ein Musterbeispiel der geistvollen Grund-
rißaufteilung im Sinne Blondels. Darin gleicht ihm das Jagdschloß Soli-
tüde bei Stuttgart, ebenfalls ein Meisterwerk in der Gruppierung kleiner
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Räume um den runden Mittelsaal, die sich mit höchster Kunst in der Anlage
nierenförmig gebildeter, kleiner Arbeitskabinette in den runden Ausbuchtun-
gen der Flügelendungen betätigt. Das Schloß ist erst nach dem Siebenjähri-
gen Kriege im Jahre 1764 für Herzog Karl Eugen von dem Pariser Archi-
tekten de la Guepiere begonnen worden. Während die Innendekoration die
Rokokoformen beibehält, ist das Äußere durch seine Pilastergliederung und
die runden Büstennischen schon durch den in Frankreich aufgenommenen
Louisseizestil bestimmt.
Die Jahrzehnte um die Jahrhundertmitte brachten auch dem deutschen
Bürgerhause einen lebhaften Aufschwung. Auf diesem Gebiet ist die Wir-
kung der Blondelschen Lehren noch eingreifender gewesen. Man sieht das
auch aus den Kupferwerken, die damals über diesen Gegenstand in Deutsch-
land herausgekommen sind, um nur die von Penther und Suckow zu nennen.
Die Straßenzüge, die Stengel zusammen mit dem Schloß in Saarbrücken er-
baute, die von Dury um 1760 und 1770 errichteten Palais und Bürgerhäuser
in den neuangelegten Vierteln der Kasseler Oberstadt bezeichnen besonders
diese Richtung. Aus der großen Zahl verwandter Schöpfungen seien die in
einem Zuge neuerbaute Schloßstraße in Arolsen, ferner die Friedrichstraße
in Bayreuth hinzugefügt. Die Blüte der bergischen Schieferhäuser und die
der Krefelder verputzten vornehmen Höfe fällt in diese Zeit (Abb. 78). Vorzüg-
lich zeigen aber die unter August III. ausgebauten neuen Viertel in Dresden
Alt- und Neustadt die Einwirkung des Blondelschen Geistes, der hier ge-
wissermaßen die von Longuelune eingeleitete Formenstrenge fortsetzt. Der
Hauptmeister ist damals der Baudirektor Knöffel. In Dresden ist der Bau
vier- und mehrstöckiger Häuser, wie ihn in der Barockzeit bereits die großen
Kaufmannshäuser hier und in Leipzig entwickelt hatten, in den einfachen
Formen der Blondelschen Richtung geübt worden. Auch die hohen viel-
stöckigen Paläste sind für das Dresdener Rokoko bezeichnend (Coselsches
Palais, Hoymsches Palais). Der letzte, aber der schärfste Vertreter der
Blondelschen Schule in Dresden ist Krubsazius, der nach der Mitte des Jahr-
hunderts das Schloß Otterwisch bei Dresden und erst in den siebziger Jahren
das ganz strenge ,, Landhaus" in Dresden errichtete. Krubsazius wandte sich,
dem Vorbild seines Lehrers Blondel folgend, im Jahre 1745 in einem Auf-
satz gegen die Verwendung des ,, Grillen- und Muschelwerks", des Rokoko-
ornamentes an den Fassaden, und forderte die strengste Innehaltung der Ord-
nung nach den Regeln der Akademiker. Gerade in Dresden waren eben da-
mals einige köstliche Häuser mit reichen Rocailleverzierungen und Erkern
entstanden, deren einige noch in der Nähe der Frauenkirche erhalten sind.
In diesen Fassaden lebt der malerische Sinn fort, den die von Bahr erbauten
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Abb. 78. Haus Wülfing in Elberfeld, um 1770
Barockfassaden mit ihren schweren Säulenvorlagen, unbekümmert um die
strenge Richtung Longuelunes, bewiesen hatten.
Weltliche und kirchliche Baukunst Deutschlands haben trotz der so ver-
schiedenartigen äußeren Umstände den gleichen Verlauf genommen. Am
deutlichsten zeigen das die monumentalen Räume, die Festsäle und das
Innere der Kirchen. Auf die strenge Gebundenheit des Frühbarock im
späten 17. Jahrhundert folgt die wuchtige Größe und gedrängte Kraft im
reifen Barock des ersten Drittels des 18. Jahrhunderts, und aus ihr entfaltet
sich die gelockerte Raumform des Spätbarock oder des Rokoko, deren
Gipfelpunkt um 1750 erreicht wird. Die äußere Architektur geht den gleichen
Weg vom Gebundenen und Herben zum Reichen und Schwellenden und
weiter zum Gelösten und Spielenden. Aber diese Wandlungen erfolgen, wie
wir dargetan, immer unter Einhaltung der strengen architektonischen
Grundlagen. Die tief in dem Wesen des Jahrhunderts begründete Maßemp-
findung hat den nach plastischem Ausdruck strebenden Geist immer wieder
in Schranken gehalten. In Bezug auf die Raumkunst gibt uns die Entfaltung
der Deckenmalerei noch weitere Aufschlüsse über die Kräfte des Jahrhunderts.
165
Abb. 79. Ölskizze zu einem Deckenfresko von Dan. Gran, um 1730
Wien, Staatsgalerie
166
14- DIE DECKENMALEREI
Der Kirchen- und Festraum des Barock wird vervollständigt durch die
Deckenmalerei. Als ein wichtiger Zug in der Raumbildung des Barock er-
schien uns bereits die Konzentration des plastischen und malerischen Zie-
rats an der Decke. Während in dem älteren Barock die Stuckarbeit mit der
Malerei sich in die Schmückung der Decken geteilt hat, gewinnt im weiteren
Verlauf die Deckenmalerei zusehends das Feld. In Deutschland vollzieht
sich diese Wandlung mit dem Eintritt in das 1 8. Jahrhundert, d.h. zugleich
mit der Reife des deutschen Barock. Die Entfaltung der Deckenmalerei
bleibt allerdings in der Hauptsache auf die österreichischen und die süd-
deutschen, also auf die katholischen Gebiete beschränkt. Der Grund dafür
ist die enge und dauernde künstlerische Verbindung dieser Landschaften mit
Italien. In der Heimat des Barock, insbesondere des barocken Kirchenbaues,
ist auch die Deckenmalerei im 17. Jahrhundert erwachsen. In Parma, in
Bologna liegen ihre frühesten Anfänge, aber in Rom erreicht sie in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre höchste Vollendung. Annibale Carracci,
Guercino und Domenichino sind ihre Bahnbrecher. Um die Mitte des Jahr-
hunderts wird sie durch Pietro da Cortona zur Reife gebracht.
Cortonas Stil hat im späteren 17. Jahrhundert zugleich mit den neuen
Bauformen in Deutschland Fuß gefaßt. Durch den Aufenthalt Joachim
Sandrarts in Rom sowie durch die Tätigkeit der Tiroler Deckenmaler Ge-
brüder Schor in Rom wird die Verbindung Deutschlands mit der römischen
Malerei am Ausgang des Dreißigjährigen Krieges eingeleitet. Einwandernde
italienische Freskomaler führen sie in Wien und an den süddeutschen Höfen
und vereinzelt in Norddeutschland ein. Am kurbrandenburgischen Hofe
wird sie durch flämische Niederländer, durch Rütger von Langesfeld und
Vaillerant, vertreten, wofür die Decken in der Wohnung des Kurfürsten
Friedrichs III. im Berliner Schloß um i6go zeugen.
Die Deckenmalerei im deutschen Frühbarock beschränkt sich auf kleine
ovale und paßförmige Felder in reicher Stuckumrahmung. Die Bilder wir-
ken meist wie an die Decke übertragene Ölgemälde. Die Figuren tragen das
Gepräge des schweren römischen Barockstils. Die Tracht ist antikisierend,
ob es sich um die Heiligen an den Kirchengewölben oder um die Götter
und Helden des Altertums handelt. Die Farben sind dunkel und plastisch
modelliert (altes Schloß in Benrath, Kalvarienkirche in Bozen 1685).
167
Mit der eintretenden Blüte des deutschen Barock um 1700 ändert sich
einmal das Verhältnis der gemalten Flächen zu den plastischen stuckierten
Teilen : die Malerei breitet sich in größeren Feldern aus und die Stuckierung
zieht sich als Umrahmung nach den Rändern der Decke hin zurück. Zwei-
tens wandelt sich innerhalb der Gemälde das Verhältnis der Figuren zum
Räume. Während in den älteren deutschen Deckenfresken große und wenige
Figuren die Fläche ausfüllen, ballen sich jetzt die kleiner gewordenen Figuren
zu Gruppen zusammen und lassen luftige Zwischenräume frei. Marksteine
dieser noch immer von Cortona ausgehenden deutschen Deckenmalerei des
beginnenden 18. Jahrhunderts sind das Deckenfresko im Berliner Rittersaal,
darstellend die Verherrlichung der Kunsttätigkeit Friedrichs I., im Jahre
1701 von Wentzel gemalt, sowie das große Deckenbild im Landhaussaale in
Wien von Beduzzi, das kurz darnach entstand. Wentzel war eigenst zur
Ausbildung in der Deckenmalerei auf Kosten des Königs fünf Jahre in
Italien gewesen. In Wien und von dort aus in den österreichischen und süd-
deutschen Kirchen und Schlössern haben in ähnlichem Sinne Carlo Carlone,
Antonio Pellegrini, Marc Antonio Chiarini und in München unter Max Ema-
nuel Amigoni gewirkt. Zu ihnen gesellen sich alsbald eine Reihe deutscher
Meister, die die weitere Entwicklung entscheidend bestimmen. Diese erhält
jetzt einen bedeutsamen Anstoß nach vorwärts durch den in Italien gemach-
ten Fortschritt in der Perspektive. Der Jesuitenpater Andrea Pozzo, der zu-
erst in dem großen Deckengemälde in St. Ignazio zum Erstaunen der Kunst-
welt die Verkürzungen nach einem Augenpunkt auf die Decke übertragen
hat, somit hier eine wirkliche Raumerhöhung vortäuschend, wurde der
Bahnbrecher auch für die Deckenmalerei diesseits der Alpen. Seine spätere
Tätigkeit in Tirol und in Wien, wo er starb, vornehmlich aber sein großes
in mehreren Auflagen erschienenes Kupferwerk ,,Prospettiva de' Pittori"
ist den Wiener, den Tiroler, den Münchner und Augsburger Decken-
malern der Ansporn zur Durchbrechung der flächenhaften plastischen Über-
lieferung des früheren Barock geworden. Johann Michael Rottmayer in
Wien und Cosmas Damian Asam zeigen am besten den allmählichen Über-
gang zur Weiträumigkeit in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts.
Auch Asam hatte die Freskomalerei in Rom erlernt.
Wien ist der Mittelpunkt der deutschen Deckenmalerei des reifen Barock-
stils. Im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts besitzt es darin weitaus
den Vorrang vor den beiden neben ihm wichtigsten Pflegestätten München
und Augsburg. Die Wiener Deckenmalerei erblüht im Gefolge der groß-
artigen Bautätigkeit Fischer von Erlachs, Lukas von Hildebrands und ihrer
Schule. Die berühmten, früher aufgeführten Kirchen-, Kloster-, Bibliotheks-
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und Schloßbauten aus der Epoche Karls VI. enthalten eine solche Zahl be-
deutender Deckenmalereien, wie sie kein anderer Kunstkreis in Deutsch-
land aufweisen kann. Die weitgespannten Gewölbe und Kuppeln der Säle
und Kirchen werden mit mythologischen und allegorischen Bildern bedeckt.
Die Figuren haben sich von der Fläche gelöst und scheinen wirklich im
Räume zu schweben. Sie schließen sich zu Gruppen und Zonen zusammen,
teilweise in völliger Untersicht verkürzt. Vereinzelte schattige Figuren und
Wolkenmassen am unteren Rande, und nach oben zu in lichteren Sphären
verschwimmende zartgetönte Gestalten steigern die Absetzung des Bildes
vom architektonischen Rahmen und die Verräumlichung. Die Färbung be-
hält die dunkeln und bunten Töne, die braunroten Inkarnate und die blauen
Gewänder bei. Erst allmählich im Verlauf der dreißiger Jahre weicht die)
kräftige Nebeneinanderstellung starker Farben und ihre Modellierung mit
dunkeln bräunlichen Schatten einer Auflichtung. Das Kuppelgemälde der
Karlskirche von Johann Michael Rottmayer, die Deckenfresken von Giacomo
del Po im großen Saal des Belvedere, von Solimena im Goldkabinett eben-
dort, die im unteren Belvedere und im Palais Kinsky von Chiarini, im Mittel-
saal des Palais Schwarzenberg, in Kloster Neuburg und im Schlosse Eckartsau
von Daniel Gran (Abb. 79), die von Martin Altomonte in der Kirche zu Herzogen-
burg (Abb. 80) und im Kloster St. Florian und die zahlreichen Schöpfungen Paul
Trogers sind hervorzuheben. In den Werken Trogers, so in dem großen Decken-
gemälde der Stiftsbibliothek von Melk und im Treppenhaus des Stiftes Gött-
weig (1739), zeigt sich immer noch die rötliche bunte und kräftige Farben-
stimmung des Barock. Aber in den um die Mitte des Jahrhunderts entste-
henden letzten Schöpfungen des Meisters erscheint eine Zusammenfassung
der Farben zu einem lichteren Gesamtton. Die Einwirkung der Venezianer,
des älteren Guardi, des Piazzetta und des Tiepolo hat die Wandlung zu dem
zarteren und verfließenden Rokokogeschmack in der österreichischen und
Tiroler Malerei befördert. Die Wiener Deckenmalerei des Barock bildet also
die Begleitung zu der Raumkunst Fischers und Hildebrands. Architektur
und Malerei sind hier von der gleichen raumschaffenden Kraft erfüllt. Die
Wiener Freskomalerei hat auch in Böhmen und Schlesien, besonders in den
Jesuitenkirchen, Schule gemacht.
Mit dem Übergang vom Barock zum Rokoko tritt die Deckenmalerei Bay-
erns, Tirols und Schwabens in den Vordergrund. Der wichtigste Übergangs-
meister ist der schon genannte äußerst fruchtbare Cosmas Damian Asam in
München. Seine Hauptwerke, die Kuppelgemälde in der Abtei von Wein-
garten, die Deckenfresken in St. Jakob in Innsbruck, im Freisinger Dome (1723)
und in St. Anna in München (1729) überwinden stufenweise den flachen Illustra-
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tionsstil unter Zuhilfenahme der Pozzoschen verkürzten Säulenstellungen und
Kuppelräume. Im allgemeinen halten die bayerischen und schwäbischen Decken-
maler, wie Johann Georg Bergmüller in Augsburg (vgl. die Zeichnung auf
S. 47) und Johannes Zick, länger an einer volkstümlichen Illustrationsweise fest,
als dies in dem Mittelpunkt des höfischen Barock in Wien möglich war. Im
Gegensatz zur Wiener Deckenmalerei bleibt die bayerisch-sch\väbische in
engster Verbindung mit der Stuckdekoration. Mit ihr zusammen erlebt sie
ihre große Blüte seit den dreißiger Jahren, als die Kirchenbauten Johann
Michael Fischers, Dominikus Zimmermanns und ihrer Zeitgenossen nach
Ausstattung verlangten. Cosmas Damian Asam hat zusammen mit seinem
Bruder, dem Stuckierer Egid Quirin Asam, zahlreiche Kirchen ausge-
schmückt, deren oben schon gedacht wurde. Die wachsende Bewegung der
Stuckschnörkel geht hier Hand in Hand mit einem Hellerwerden der Töne
an den Wänden und in den Deckengemälden. Dem vollen Rokoko gehört
Asams Deckengemälde in der Kirche zu Weltenburg an, die triumphierende
Kirche verherrlichend. Die neue Empfindung hat zuerst malerischen Aus-
druck gefunden in den wenigen am Ende der dreißiger Jahre entstandenen
Werken des in Eichstätt tätigen, jung verstorbenen Tirolers Johann Evan-
gelist Holzer. Das 1739 gemalte Kuppelfresko der Wallfahrtskirche St. An-
ton in Partenkirchen, die Verherrlichung des hl. Antonius von Padua, ver-
einigt die aufwärtsströmende religiöse Empfindung mit den großen fluten-
den Licht- und Schattenmassen in einer Weise, die wir bei Holzers Lehrer,
dem Augsburger Bergmüller, vergeblich suchen. Auch ein weltliches Dek-
kenbild von Holzers Hand, die Allegorie des Frühlings in der Fürstbischöf-
lichen Sommerresidenz in Eichstätt, zeichnet sich durch die zartere Far-
benstimmung und die Erleichterung der Bewegung vor den älteren Barock-
werken aus. Hier erscheint Phöbus Apoll auf dem Sonnenwagen und
Flora, von Chariten und Grazien umringt, über lichten Wolken schwebend.
Ein Gegenstand, den übrigens zur gleichen Zeit Antoine Pesne für den Kron-
prinzen Friedrich im Festsaal des Schlosses Rheinsberg zu malen hatte. Der
früh berühmt gewordene Holzer war ausersehen, die eben vollendete Abtei-
kirche in Münsterschwarzach, eine der bedeutendsten Schöpfungen Balthasar
Neumanns, mit Deckenbildern zu schmücken. Indessen kam die Arbeit nicht
zustande, und nur eine Skizze zum Kuppelfresko, die Glorie der Heiligen
des Benediktinerordens, ist uns erhalten. Auch hier offenbart sich in der
kühnen Zusammenfassung der Licht- und Schattenmassen der lebhafte
malerische Sinn des Meisters. Er starb bereits im Jahre 1740, kaum dreißig
Jahre alt, als ihm eben eine Berufung des Kölner Kurfürsten Clemens August
die Möglichkeit der freien Entfaltung seines Genius versprach. In diesem
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Zeitpunkt erreicht die bayerisch-schwäbische Deckenmalerei als Vollenderin
der großen Rokokokirchen ihren Gipfel. Johann Baptist Zimmermann, der
Bruder des genannten Architekten, und Matthaeus Günther (1705 — 1788)
aus der Gegend von Wessobrunn, die Tiroler Johann Jakob Zeiler, dessen
Vetter Franz Anton Zeiler und Anton Zoller, sowie der aus dem südlichen
Schwaben gebürtige Johann Zick sind ihre wichtigsten Namen. Aus der
großen Zahl ihrer Schöpfungen verdienen Erwähnung : Zimmermanns Kuppel-
fresko der Kirche in Berg am Laim 1739 und die Decke der Wallfahrtskirche
in Andechs 1754, Günthers Kuppelfresken der Kirchen in Indersdorf, Schon-
gau, Amorbach, Rott am Inn und auf Tiroler Gebiet der Kirchen in Gossensaß
undWilten ( Abb. 8 1 ) Johann Jakob Zeilers Hauptkuppel der Stiftskirche in Ettal,
Verherrlichung des hl. Benedikt, und Deckenfresken in Kloster und Kirche
von Ottobeuren, endlich Zicks Deckengemälde im großen Saal und im Trep-
penhaus zu Bruchsal (Abb. 83). Diese um die Jahrhundertmitte geschaffenen
Deckenbilder kennzeichnet die völlige Beherrschung in der Wiedergabe licht-
und lufterfüllter Räume. Es sind die von Pozzo eingeführten Mittel
der verkürzten Säulenarchitekturen und Hallen, aber durch eingeschobene
Mauerkulissen, durch schräggesehene Treppenbauten und selbst durch Land-
schaften bereichert. Überschneidungen und Durchblicke verstärken die Tie-
fenwirkung — hier scheinen die aufs höchste gesteigerten Bühnenprospekte
und Theatra Sacra des Giuseppe Galli Bibiena, von denen noch die Rede sein
wird, starke Anregungen gegeben zu haben. Das Licht bricht durch die
Kuppelöffnungen und erleuchtet die weiten Hallen und die Landschaften,
schwebende Wolken und Figuren werfen Schlagschatten über die Szene.
Das Verhältnis der Figurengruppen zu den Räumlichkeiten ist jetzt völlig
gegenüber dem Frühbarock geändert. Der weite und tiefe Raum ist beherr-
schend. Die Menschen treten dagegen zurück, sie tauchen darin unter. Und
so ist in der Tat die süddeutsche Rokokomalerei ein Abbild der Kirchen-
räume, die sie schmückt. Das Gleiche gilt natürlich von den Deckengemäl-
den der Festsäle und Stiegenhäuser in den Schlössern. An den Deckenfresken
des großen Saales und des runden Treppenhauses in Bruchsal, die der alte
Johann Zick im Auftrage des Fürstbischofs Franz Christoph von Hütten
1751 und 1752 ausführte, die Kulturtätigkeit des Bistums Speier verherr-
lichend, ist zu spüren, wie sehr der mächtige Raumsinn Balthasar Neumanns
den Geist des Deckenmalers beflügelt hat. Hier lernt man auch das glück-
liche Zusammenwirken des Deckenmalers mit dem Stukkator — Johann
Michael Feuchtmaier aus Wessobrunn — erkennen. Überallhin von Bayern
nach Schwaben, in die Bistümer am Main und Mittelrhein und selbst bis in
die Länder des Clemens August von Bayern am Rhein und in Westfalen
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Abb. 83. Deckenfresko im Treppenhaus in Bruchsal, von Joh. Zick. Mitte 18. Jahrh.
haben die Stukkaturen von Wessobrunn, von München und Augsburg die
Freskomaler begleitet. Die großen Rokokokirchen Oberbayerns, Tirols und
Schwabens sind die Höhepunkte dieser Vereinigung malerischer und pla-
stischer Kunst. Die Ränder der Stuckverzierungen sind oft wie in Zacken
ausgebrochen, sogar durchlöchert. Die feste Decke scheint sich in Schaum
aufzulösen. Rahmen und Gemälde durchdringen einander, jede Begrenzung
scheint verwischt.
Als es sich darum handelt, die zwei großartigsten Festräume des süddeut-
schen Rokoko auszumalen, Treppenhaus und Kaisersaal im Würzburger
Schlosse, da ziehen der Fürstbischof Philipp von Greifenklau und Balthasar
Neumann den Venezianer Giovanni Battista Tiepolo heran, und nicht den
alten Zick, der kurz vorher den Gartensaal des Würzburger Schlosses mit
einem Fresko geschmückt hatte. Der Umstand, daß dieser Aufgabe kein
Meister der fruchtbaren süddeutschen Deckenmalerei, sondern nur Tiepolo
für würdig gehalten wurde, zeigt an, daß der hochgebildete Bauherr und der
große Baumeister an dieser ausgezeichneten Stelle nur die höchste Kunst
zuließen (Abb. 82). Und gewiß trotz der gerechten Würdigung, die unsere
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Schmitz, i8. Jahrh. 12
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Zeit den Fresken der deutschen Rokokomeister entgegenbringt: sie alle treten
zurück im Gedächtnis des Reisenden, wenn er die Erinnerung an Tiepolos
Schöpfungen vor seinem geistigen Auge wachruft. Alles andere verblaßt
gegenüber dieser lichten Klarheit der Töne, dieser erhabenen Ruhe und be-
seligenden Weite. Die Würzburger Deckenfresken sind der Gipfelpunkt der
italienischen, ja der europäischen Deckenmalerei des i8. Jahrhunderts. Sie
gehören der späten Zeit des großen Venezianers an. Nachher malte er die Fresken
in Madrid, wo er im Jahre 1770 starb. Zugleich mit Chiaveris Dresdener Hof kirche
und den Opernhäusern und Dekorationen der Galli Bibiena zeigen seine Fres-
ken die glänzende Entfaltung des italienischen Rokoko auf unserem deutschen
Boden. Ein Beweis dafür, wie empfänglich unsere Vorfahren noch um die
Mitte des 18. Jahrhunderts für das italienische Kunstwesen waren. Unge-
schwächt war damals noch auch die Herrschaft der italienischen Oper und
Komödie an den deutschen Höfen. Es sind das die Jahre, wo Goethes Vater
einen Karneval in Venedig verbringt, und wo er das Frankfurter Haus mit
malerischen römischen Ansichten schmückt.
Die deutsche Deckenmalerei ist über die Mitte des Jahrhunderts hinaus
auf den einmal eingeschlagenen Bahnen bis in das letzte Viertel des Jahrhun-
derts hinein fortgeschritten. Das Vorbild Tiepolos und die innere Entwick-
lung haben zu einer weiteren Auflichtung und durftigeren Farbengebung
geführt. Dieser Richtung folgen die Fresken des Januarius Zick, des Sohnes
des Johannes Zick, die Deckengemälde im Mittelsaal des Schlosses zu Engers
bei Koblenz, 1758 — 1760 für den Trierer Kurfürsten von Walderdorf gemalt,
Verherrlichung der Jagd und des Weines (Abb. 84); die Kuppelgemälde in
der Klosterkirche zu Wiblingen bei Ulm aus den siebziger Jahren und selbst
noch die bereits den achtziger Jahren angehörenden allegorischen Decken-
bilder im Akademiesaal des Mainzer und im Audienzsaal des Koblenzer
Residenzschlosses. Ihr folgen ferner die Deckengemälde des Münchners
Christian Winck sowie die nach dessen Kartons gewirkten Münchner Gobe-
lins, deren helle Töne den Boucher-Gobelins ähneln. In Wien, wo die schönen
Fresken Guglielmis in Schönbrunn die Rokokomalerei einleiten, sind Maul-
pertsch (Abb. 85) und Kremser-Schmidt die fruchtbarsten Deckenmaler des
späteren Rokoko. Aus Tirol gehen Martin Knoller und Joseph Schöpf her-
vor, die beide in Rom unter Mengs und Winckelmanns Einfluß studiert
haben. Aber es ist nichts denkwürdiger für die fortwirkende malerische
Kraft des süddeutschen Rokoko, als daß beide Meister, über die Alpen zu-
rückgekehrt und zur Ausstattung süddeutscher Rokokokirchen herangezogen,
dem von Günther und seinen Zeitgenossen entwickelten Stil folgen. Die um
1770 durch Knoller erfolgte Ausmalung der sieben Kuppeln in der von Balthasar
178
Neumann erbauten Abteikirche von Neresheim (vgl. Abb. 5 1 ) greift keineswegs
störend in das Raumganze ein, und ebenso sind seine Fresken in der Ser-
vitenkirche in Volders, im Münchner Bürgersaal und in Kloster Ettal immer
noch voll malerischer und raumerweiternder Wirkung. Fast bis ans Ende
des Jahrhunderts haben Zick, Knoller und Schöpf die Überlieferungen der
süddeutschen Freskenmalerei fortgesetzt. Ein bezeichnender Zug nament-
lich der bayerisch-schwäbischen Kirchenfresken ist die Aufnahme von Ge-
stalten aus dem heimatlichen Leben in die idealisierte Welt der himmlischen
Figuren. Das bunte Volksleben der Zeit erscheint in den Gnaden- und Wun-
derdarstellungen der Gründungsgeschichten und Leben der Kirchenpatrone,
die so oft den Gegenstand der Kuppelbilder abgeben. Die kirchliche Decken-
malerei hat damals offenbar in dem katholischen Süden Deutschlands eine
volkstümliche Stellung eingenommen, von der wir uns keinen Begriff mehr
machen können '°).
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Abb. 85. Seidenstickerei, deutsch, um 1700. Berlin, Kunstgewerbemuseum
15. INNENAUSSTATTUNG DER SCHLÖSSER
DAS ORNAMENT DES BAROCK UND ROKOKO
Zwischen der äußeren Architektur und der inneren Ausstattung der Ge-
bäude des 1 8. Jahrhunderts bestehen, wie wiederholt angedeutet worden ist,
erhebliche Unterschiede. Während im Außenbau die stilistische Entwicklung
innerhalb der architektonischen Grenzen sich vollzieht, gestaltet sich die In-
nenausstattung nach freieren Gesetzen. Die Lebens-, Gesellschafts- und
Wohnsitten der Zeit haben natürlich die innere Einrichtung der Fest- und
Wohnräume bestimmend beeinflußt. Die Glieder der eigentlichen Architek-
tur, die Pilaster und Säulen, die Gesimse und Gebälke der Fassaden werden
nur in den großen Treppenhäusern, den Vestibülen und Sälen verwendet.
Aber auch hier schon gibt das feine Stilgefühl des Jahrhunderts den Wänden
und Decken durch die Stuckarbeit und Malerei ein leichteres Gepräge, als sie
es dem Äußeren gestattet.
In diesen Stuckdekorationen spiegelt sich in erster Linie die Geschichte
der deutschen Ornamentik, der an dieser Stelle daher einige Worte ge-
gönnt seien. Das wichtigste Ornament der Stuckdekoration und dfer Holz-
schnitzerei im älteren Barock ist eine krause, dichtgelegte Akanthus-
ranke (vgl. die Stickerei Abb. 86). Sie findet sich sowohl in den Stuck-
decken der italienischen Stukkatoren, die sich bis nach Norddeutschland
verbreiten (z. B. in den Schlössern von Meiningen, Sondershausen und
Berlin), wie in denen der Wessobrunner Stukkatoren im Süden Deutsch-
lands (die Decke in Abb. 88). Die hauptsächlichste Quelle der Orna-
mentik des früheren Barock liegt in den Kupferstichvorlagen des Lebrun,
des Le Pautre und anderer Meister des älteren Louis-Quatorze. Daneben ist
aber das italienische Ornament, das im 17. Jahrhundert schon z. B. in den Re-
180
sidenzen von Salzburg und München und vor allem im Kirchenbau Fuß ge-
faßt hatte, auch um 1700 noch in Deutschland von Einfluß gewesen. Das
stärkste Zeugnis dafür sind die unter Pietro da Cortonas Einwirkung stehen-
den Stuckdecken in den Schlüterzimmern des Berliner Schlosses, in der ehe-
maligen alten Post und der Loge Royal York in Berlin. Die schweren Kar-
tuschen, die Gebälke, die zugespitzten Pilaster, die krausen Konsolen und die
plastischen Atlanten, wie überhaupt gewisse bizarre Architektur-, Vas2n-
und Kandelaberformen, die sich bei Schlüter, aber auch bei Lukas von Hilde-
brand und bei Effner finden, verraten ihre Herkunft aus dem italienischen
Barock. Am üppigsten gedeihen sie in den Festdekorationen und in den Büh-
nen- und Theaterausstattungen. Die Opernhäuser und Kulissen der Galli Bi-
biena haben sie bis ins Rokoko geführt; noch Knobelsdorffs Opernhaus ist
davon berührt. Auch die grotesken Porzellanvasen für das japanische Palais
und das barocke Kirchengerät in Silber und Porzellan hat aus dem italieni-
schen Barockornament geschöpft. Auf diesem Gebiet, und eben am deutlich-
sten in der Stuckdekoration zeigt sich wiederum die in der großen Baukunst
schon beobachtete Durchdringung des italienischen und französischen Barock
auf deutschem Boden. Das merkwürdigste Beispiel bietet gerade die Gruppe
der von Schlüter ausgestatteten Paradekammern des Berliner Schlosses. Ge-
genüber den Decken im Stile Cortonas gehen die Türumrahmungen, die Fen-
sterleibungen und Kaminverzierungen auf den Ornamentkreis des Marot zu-
rück. Noch größeren Raum hat die Marotornamentik in den fast gleichzei-
tigen, weit besser erhaltenen Zimmern im Erdgeschoß des Charlottenburger
Schlosses gewonnen, die von Eosander für Sophie Charlotte eingerichtet
wurden. Desgleichen ist für das im Jahre 1703 von Eosander entworfene
Prunkbüfett im Rittersaal des Berliner Schlosses auf Marot hinzuweisen,
und zwar nicht nur bezüglich des Gesamtentwurfs, sondern auch der silber-
nen Geschirre. Die tiefgehendste Wirkung auf die deutsche Barockornamen-
tik, insbesondere auf die Decken- und Wandverzierungen der Stukkatoren
erlangte seit rund 17 10 der französische Ornamentzeichner Jean Berain. Er
ist der Erfinder des Bandelwerks, jener verschlungenen, bald rund, bald
eckig gelegten, mit Rosetten und Akanthusblättern, mit Vasen und Hermen
durchsetzten Bänder, die das gebräuchlichste Ornament der Pariser Kunst
zwischen 1710 und 1730, der sogenannten Regeneeepoche, wurden. Diese
Verzierungsweise findet sich in Deutschland fast allenthalben in den Schloß-
und Klosterbauten des späteren Barock. Als die markantesten Denkmäler
können gelten die Werke Lukas von Hildebrands, das obere Belvedere im
ursprünglichen Zustand und die Schlösser der Schönborn in Niederöster-
reich, deren Inneres die Stiche Kleiners wiedergeben, das Stift St. Florian
181
bei Linz (Abb. 89), ferner das Treppenhaus in Pommersf elden, der Kaisersaal im
Schloß in Fulda, ebendort der große Saal der Orangerie von Welsch, vorzüg-
lich aber die Stuckverzierungen im Treppenhaus und im großen Saal in
Schleißheim und im Palais Preysing nach Effners Zeichnung (Abb. 87), die
Galerie und mehrere Säle im Ludwigsburger Schlosse. Das durchbrochene
Steingeländer der Hauptstiege im Schloß Mirabell von Lukas von Hildebrand
(1721 — 1727 eingebaut) veranschaulicht die Umsetzung des Bandelwerkes in
die volle Plastik (Abb. 64). Ein Würzburger Kaselentwurf im echten Bandel-
werkstil erscheint in Abb. go.
Im Verlaufe der dreißiger Jahre kommt von Paris her das Rocailleor-
n a m e n t, dessen Erfinder Oppenord und namentlich der Goldschmied Meis-
sonier sind. Die Ubermittler sind vornehmlich die jungen Architekten, die bei
Blondeld.J. studiert hatten. Derwichtigste istFrancoisCuvillies. Seine Haupt-
schöpfungen, die Reichen Zimmer in der Münchner Residenz und das Innere
der Amalienburg, sind die frühesten Zeugnisse (Abb. 91, 92). Durch ihn
wird das Rokoko in die Schlösser des Clemens August am Rhein eingeführt. Die
Münchner Arbeiten bezeugen eine selbständige Umbildung der französischen
Anregungen. Bezeichnend ist die Durchsetzung der Schnörkel mit Pflanzen
und Tiermotiven und überhaupt eine Umformung ins Breite und Schwel-
lende. Sowohl das Cuvilliessche wie das am Ende der dreißiger Jahre begin-
nende KnobelsdorfTsche Rokoko, z. B. in Rheinsberg und Charlottenburg,
nehmen eine Reihe von Zügen aus dem heimischen Spätbaropk auf. Und das
ist ein durchgehendes Merkmal fast für das gesamte Kunsthandwerk
Deutschlands in dieser Übergangszeit, handgreiflich z. B. in der Stickerei
(Abb. 90) und der Eisenschmiedekunst. Akanthusblätter und Bandelwerk
verwachsen mit den Aufrollungen und Muschelformen, mit Blumenranken,
mit Früchten, mit Felsbildungen und Vögeln zu einem Ganzen, das von leben-
diger Bewegung durchströmt ist. Namentlich in den mit Malereien wech-
selnden Verzierungen der Decken entwickelt sich die überreiche, von barok-
ken Elementen erfüllte Zierlust des deutschen Rokoko. Undenkbar sind in
Frankreich die üppigen Decken der Amalienburg, von Brühl und Würzburg
usw. Im einzelnen machen sich mannigfaltige Unterschiede im Stil der In-
nendekoration geltend. Den breiten, ungehindert über die Wandflächen und
die Decken fortgehenden Wellenspielen der meist von Diettrich geschnitzten
Ornamente in Cuvillies Raumschöpfungen steht die maßvolle, Rahmen und
Füllung einhaltende und geistvoll sprühende Zeichnung des friderizianischen
Rokoko von Nahls und Hoppenhaupts Meisterhand gegenüber (Abb. 93).
Beide verstehen es meisterlich, den langen Zug der Rahmlinien durch
plastisch herausspringende Umrollungen zu unterbrechen. An diesen
182
Abb. 87. Stuckdekoration im ehem. Preysing-Palais in München, von Effner, um 1725
183
Stellen werden phantastische und natürliche Motive eingeflochten: zer-
löcherte Muscheln, bald sprudelnden Wasserstürzen, bald bemoosten Fels-
stücken gleichend, Weintrauben, Kürbisse und andere Früchte, Gärtner-,
Winzer-, Schäfer- und Musikergerät, Schilf und Rosenranken, Reiher,
Papageien, Chinesen- und Satyrabzeichen. Neben diesen schönsten und
phantasiereichsten Schöpfungen des deutschen Rokoko um 1740 in Mün-
chen, Würzburg und Potsdam geht eine Gruppe von Stuckdekorationen im
strengeren abstrakteren Stil her; so in Brühl und später in Mannheim. Das
Wiener Rokoko hat auf die reiche Verwendung von Naturmotiven zugunsten
eines eleganten, gedehnten, aber auch oft ermüdenden Linienzuges verzich-
tet, was die umfangreichen Ausstattungen für Maria Theresia in der Wiener
Hofburg und in Schönbrunn dartun. Die deutschen Stukkatoren in Süd-
deutschland, deren Hauptgeschäft ja die Auszierung der Kirchen war, haben
die Rocaille alsbald ins Gekräuselte und Gezackte umgebildet. Das um 1750
ausgereifte süddeutsche Muschelwerk ist durch Meister ^vie Johann Zimmer-
mann und Feichtmeyer in die Säle der Schlösser eingeführt worden. Der
große Saal in Nymphenburg (Abb. 95) von dem ersteren und das Treppen-
haus in Bruchsal von dem letzteren sind schöne Beispiele. In der Zerfran-
sung der Rocailleschnörkel wetteifern mit den Stukkatoren die Augsburger
Kupferstecher um die Jahrhundertmitte, wie Habermann und Nilson. Als
Vorlagen in den Werkstätten der Eisenschmiede, der Silberschmiede, der
Tischler, Schnitzer und Dekorationsmaler haben ihre Kupferstiche eine aus-
gedehnte Wirkung erlangt. Die zerflatternden Schnörkel haben das Wort von
dem ,, schlechten Augsburger Geschmack", dem ,, Grillen- und Muschelwerk"
gezeugt, das die sächsischen Akademiker und Winckelmann so häufig im
Munde führen.
An und für sich darf das deutsche Ornament dieser Zeit nicht beanspru-
chen, mit dem französischen auf eine Stufe gestellt zu werden. Erst im Zu-
sammenhang mit dem Bau oder dem plastischen Kunstgegenstand gewinnt
es einen Wert und steigert den Ausdruck der im großen Ganzen wirkenden
organischen Kräfte. Als Begleiterin der Architektur und der Kunsthand-
werke durchläuft es alle Stufen vom Gebundenen und Schweren des Früh-
barock, zum Gedrängten des reifen Barock über die Lockerung im späten Ba-
rock bis in d?s freiströmende Rokoko hinein. Aus diesem Grunde ist es hier
in Verbindung mit der Innenausstattung besprochen worden.
Die Art der Wandbekleidungen der Wohngemächer in den Schlös-
sern erfährt mit dem Barock mannigfaltige Bereicherung. Die gebräuch-
lichste Gattung scheint in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die farbig
bedruckte und goldgepreßte Ledertapete gewesen zu sein. Auch Sessel und
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Abb. 89. Stuckdekoration im Stift St. Florian
um 1730
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Abb. 90. Kaselentwurf. Würzburg, um 1730
Stühle wurden damit bezogen. Die Mehrzahl derartiger höchst selten erhal-
tener Tapeten kamen aus den Niederlanden, namentlich aus Mecheln. Die
großgezeichneten Muster lehnen sich hauptsächlich an die Vorlagen Ma-
rots an. In den vornehmeren Gesellschafts- und Wohngemächern waren da-
neben gewebte Samte von dunkler, meist roter Farbe beliebt, gemustert oder
ungemustert. Genua und Lyon waren die Mittelpunkte der Samtweberei.
Der reife Barock garnierte die Stoffe aufs üppigste mit Silberlitzen, Borten
und Fransen. In reicheren Fällen wurde die Reliefstickerei, die Aufnäharbeit
und sogar die kostbare Netz- oder Petitpointstickerei — die besonders in
Paris blühte — hinzugezogen. Die letztere diente auch zu Möbelbezügen.
In solcher Weise ausgeschlagene Säle und Gemächer bildeten den rechten
Hintergrund für die schweren seidenen und samtenen, blumenbestickten
Herren- und Damengewänder, für die mit Litzen, Tressen und Quasten be-
setzten bunten Uniformen der Offiziere und Kammerdiener, der Trabanten
und Garden. Die ins Einzelne gehende Beschreibung der Kleider bei den fest-
lichen Aufzügen und Gesellschaften, die den gedruckten Berichten eigen-
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Abb. 91. München, Residenz, Reiche Zimmer, nach Cuvillies, um 1730
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Abb. 92. Amalienburg, nach Cuvillies, um 1730
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tümlich ist, beweist den stark ausgeprägten Geschmack des Barock für mög-
lichst glänzende Prunkentfaltung in der Textilkunst. Die vornehmste textile
Wandbekleidung, der gewirkte Bildteppich, wurde von den deutschen Für-
sten und Vornehmen eifrig begehrt. Pariser Gobelins, Beauvais- und Au-
bussonteppiche, in erster Linie aber Brüsseler Teppiche finden sich in den
meisten deutschen Schlössern der ersten Hälfte des i8. Jahrhunderts in die
Wände eingelassen (Abb. 88). In Berlin, in München, in Würzburg, in Dres-
den, in Heidelberg, in Kassel und Erlangen wurden von Franzosen — meist
von Hugenotten — unter dem Schutze der Fürsten Teppichmanufakturen ins
Leben gerufen, von denen aber nur einige einen längeren Bestand hatten.
Eine der berühmtesten Groteskenfolgen nach Berains Zeichnungen, in Beau-
vais gewirkt, wurde in Berlin von Barraband 17 14 nachgewirkt; Berainban-
delwerk schmückt auch einen von de Cazeaux in Erlangen gewirkten Tep-
pich. Italienische Komödienfiguren in Anlehnung an Lancrets Komposi-
tionen werden von de la Vigne für das Schloß in Charlottenburg und von Pi-
rot für das Schloß in Würzburg gewirkt. Welche ungemeine Bedeutung
demnach der französischen Bildteppichkunst für den Stil der figürlichen und
ornamentalen Kunst in Deutschland zukommt, läßt sich aus solchen Tat-
sachen ermessen.
Die übrigen Wandbekleidungen können nur kurz aufgezählt werden. Zur
höchsten Vollkommenheit war schon im früheren 17. Jahrhundert die Deko-
ration mit farbigem Stuckmarmor in Süddeutschland gediehen, wofür als
Hauptbeispiele zeugen die Zimmer aus der Zeit Maximilians I. und Ferdi-
nand Marias in der Münchner Residenz sowie das untere Belvedere des Prin-
zen Eugen, das von seinen Einbauten glücklicherweise bei der Ausgestaltung
zu einem Wiener Barockmuseum befreit werden soll. In Landschlössern und
Gartensälen Niederdeutschlands — vereinzelt auch in Oberdeutschland —
werden öfters Verkleidungen in Delfter und einheimischer blauer Fliesenma-
lerei verwendet. Die Freude an schimmernder Pracht kann sich nicht genug-
tun in der Besetzung der Wände mit goldgerahmten Spiegeln. Ja, ganze Ka-
binette werden mit Spiegeln ausgestattet, die mit reichen Schnitzereien und
mit Lack- und Unterglasmalereien ausgestattet sind. In keinem vornehmen
Schloß darf ein chinesisches Lackkabinett mit farbenbunten gemalten Ver-
täfelungen in Koromandellack fehlen. Der größte Stolz waren Porzellanka-
binette, wie sie das Schloß von Charlottenburg und das in Dresden noch besitzen.
Andere waren in Monbijou, in Oranienburg und Oranienbaum. Man begnügt
sich auch mit chinesischen gemalten Papiertapeten. Wo man keine Originale er-
werben konnte, mußten heimische Nachahmungen sie ersetzen. In den Lust-
und Gartenhäusern war das eigentliche Feld der Chinesenkunst. Vom Früh-
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barock an bis ins Ende des 1 8. Jahrhunderts hat sie in der Verstellung der
Künstler und der Gesellschaft mannigfaltige Wandlungen durchgemacht.
Immer aber ist es eine erträumte heitere Chinesenwelt, in die sich das Jahr-
hundert flüchtet. Die wichtigste Wandbekleidung wurde mit dem reifen Ba-
rock das Holz, sei es in der braunen Naturfarbe oder weiß gestrichen. Die
Gliederung durch Pilaster und Füllungen war zurückhaltend, während an
Türen und Supraporten und Deckengesimsen reichere Schnitzerei Platz griff.
Die Hauptwand des Zimmers ist im allgemeinen durch den Kamin ausge-
zeichnet, der meist aus Marmor und niedrig ist und einen stuckierten Auf-
satz, einen Spiegel oder ein Gemälde erhält. Die Decken sind häufig mit Gro-
tesken im Berainstil bemalt, so in ganz köstlicher Weise in den kleinen Ka-
binetten Sophie Charlottens im linken Flügel des Charlottenburger Schlos-
ses. Weit mehr als dies bekannt ist, birgt Deutschland an gut erhaltenen
Zimmerausstattungen des Barock, allerdings in den seltensten Fällen mit der
ursprünglichen Möbeleinrichtung. Der Vorrang gebührt den Gemächern der
Sophie Charlotte im Charlottenburger Schlosse, vor allem der Flucht im Erd-
geschoß nach dem Garten, wahrscheinlich von Eosander ausgestattet. Die viel
reicheren Paradekammern Friedrichs I. im Berliner Schlosse von Schlüter
haben bis auf das rote Samtzimmer ihre alten Wandbekleidungen eingebüßt
und zahlreiche beklagenswerte Umänderungen erfahren. Die Wohnung, die
sich Friedrich bereits als Kurfürst im Spreeflügel einrichtete, die Gemächer
der Markgräfin Susanna in der Favorite, die Wohnung Augusts des Starken
und die Ausstattung des Grünen Gewölbes im Dresdener Schlosse, der holz-
vertäfelte Saal Friedrich Wilhelms I. im Jagdschloß Stern, einige Überreste
der Wohnung Sophie Charlottens in Monbijou, die für Max Emanuel erbaute
Badenburg und Pagodenburg seien als Belege für das Gesagte genannt.
Übrigens finden sich auffallend verwandte Ausstattungen in den schwedi-
schen und dänischen Königsschlössern (Drottningholm, Rosenborg). Kopf-
schüttelnd steht der moderne Mensch in diesen überreich ausgestatteten
Wohngemächern, in dem prunkenden Schlafzimmer Susannas von Baden
und Friedrichs I. Es ist eben auch die Zimmereinrichtung der Schlösser des
Barock nur im Zusammenhang mit der Etikette dieser Epoche zu verstehen.
Wie Ludwig XIV. so bildeten die deutschen Fürsten ihre Lebensführung,
selbst das Aus- und Ankleiden mit Hilfe von Zofen und Pagen zu feierlichen
Zeremonien aus. Das Schlafzimmer diente auch zu Empfängen. Das Bett
wurde durch eine Balustrade abgegrenzt. Noch im Rokoko wurde daran fest-
gehalten, wie das köstliche mit Silberlitzen und silberner Balustrade ausge-
zeichnete Schlafzimmer Friedrichs des Großen im Potsdamer Stadtschloß
dartut. Es ist aber bezeichnend, daß der große König hier eine Feldbettstelle,
192
Abb. 94. Decke aus dem Schloß in Würzburg. Mitte 18. Jahrhunderts
Schmitz, 18. Jahrh. 13 I93
in der er schlief, in dem Alkoven hinter einem Bücherschrank aufgehängt
hatte.
All die reichen im Barock aufgekommenen Gattungen der Wandbeklei-
dung werden in den Staatsgemächern des Rokoko beibehalten. Der
höchste Prunk mit Spiegeln, Vergoldungen und Lackmalereien und Schnit-
zereien entfaltet sich noch z. B. in den um die Mitte des Jahrhunderts ausge-
statteten Gemächern des Würzburger Schlosses. Doch hat sich mit dem Ein-
tritt des Rokokostils der Geschmack helleren und leichteren Dekorationen
zugewendet. Die Hauptrolle fällt seit dem Spätbarock der weiß oder in hellen
Farben gestrichenen Holzvertäfelung zu. Sie hatte in Paris unter de
Cotte und Boffrand eine vollendete Eleganz in der Einteilung, in der Zeich-
nung der Rahmen und in dem zarten Relief der geschnitzten Ornamentik er-
reicht. Wiederum ist München in der Übernahme der Holzvertäfelung im
Pariser Stil vorangegangen. Eine Reihe von Zimmern des Schlosses Schleiß-
heim, die in den zwanziger Jahren unter Effners Leitung dekoriert wurden
— darunter zwei mit hervorragenden gewirkten Kriegsbildern aus Brüssel — ,
stehen am Anfang ; die Paneele und Leisten sind noch im Regencestil ver-
ziert, vergoldete Schnitzerei auf weißem Grund. In näherer Beziehung zu
den Pariser Rokokovertäfelungen stehen die seit den dreißiger Jahren für
Clemens August boisierten Gemächer in Brühl usw.; auch was um die Mitte
des Jahrhunderts in Bruchsal unter dem Fürstbischof von Hütten, was spä-
terhin von Pigage in Mannheim und Benrath, von de la Guepiere in der Soli-
tüde an Vertäfelungen geschaffen, hält sich in den strengeren Formen der
Franzosen, während das Cuvilliessche Rokoko in München und das frideri-
zianische in Berlin und Potsdam auch in der Holzvertäfelung jenes oben ge-
kennzeichnete abweichende Gepräge ausgebildet haben. Zahlreiche Zeugnisse
wären aus deutschen Schlössern anzufügen. Allein die höchste Vollendung,
die etwa Nahls Türen im Charlottenburger Ostflügel und Vertäfelungen im
Potsdamer Stadtschloß darstellen (Abb. 93), wird nur in den seltensten Fäl-
len erreicht. Von Nahl selbst verdient die Ausstattung des Schlößchens Wil-
helmstal bei Kassel aus den fünfziger bis sechziger Jahren rühmende Erwäh-
nung. Die Schnitzereien in den Schlössern von Ansbach und Bayreuth kön-
nen nur im Ganzen damit wetteifern"). Im einzelnen merkt man, daß hier die
Mittel fehlten, um Künstler so hohen Ranges zu beschäftigen, wie dies Kur-
fürst Karl Albert und Friedrich der Große konnten. Gerade die jetzt der
Öffentlichkeit zugänglich gemachten Schlösser von Stuttgart und Karlsruhe
machen den weiten Abstand deutlich, der zwischen solchen durchschnitt-
lichen Rokokoleistungen und denen ersten Ranges besteht, wie sie vor allem
die öfters genannten Schöpfungen Diettrichs in München, Nahls und Hoppen-
194
haupts in Potsdam bezeichnen. Doppelt notwendig ist eine kritische Betrach-
tung des Rokoko für Künstler, die die Schöpfungen der Zeit als Vorbilder
benutzen wollen. — Mit rühmlicher Feinheit sind die farbigen Vertäfelungen
behandelt. Feine Zusammenstellungen von goldenen und silbernen Leisten
mit roten und blauen und grünen Füllungen finden sich in fast all den
aufgeführten Schlössern. Öl- und Lackmalereien mit Schäfer-, Gesellschafts-
und Chinesenfiguren, mit Blumenranken und Rocailleornamenten wurden in
München, in Berlin und am Main und Rhein geübt. Das Watteau-Kabinett
von Zick im Schloß in Bruchsal sei hervorgehoben, während als besonders
schöne farbige Räume der goldene und blaue Saal in der Amalienburg wie
das silberne und grüne Musikzimmer Friedrichs des Großen im Potsdamer
Stadtschloß voranstehen (Abb. 93).
Gerade auf dem Gebiete der Innendekoration enthüllt sich der ungemeine
Reichtum im deutschen Schaffen des 18. Jahrhunderts. Das Fehlen der ge-
schlossenen und strengen Schule der Pariser Innendekoration hat eine außer-
ordentliche Mannigfaltigkeit ermöglicht. Freilich das unbedingte Maßhalten
der französischen Künstler, das gerade in den geschnitzten Vertäfelungen
sich offenbart (Hotel Soubise), darf man in den deutschen Rokokoschöpfun-
gen nicht suchen wollen.
Abb. 95. Rokokodekoration, von Zimmermann in Nymphenburg, um 1750
13- 195
Abb. 96. Aufsatzschränkchen. Bayerisch, um 1750
Berlin, Schloßmuseum
16. DIE MÖBEL DES BAROCK UND ROKOKO
Im Anschluß an den Entwicklungsgang der Wohnungskunst ist ein Über-
blick über die damit zusammenhängende Formenbildung des deutschen
Möbels im Barock und Rokoko geboten.
Die deutschen Möbeltischler hatten unter dem Eindruck der neuen archi-
tektonischen Ideen am Ende des 17. Jahrhunderts die kleinteiligen Gliede-
rungen der Schränke aufgegeben. Die Uberspinnung der Schrankfassaden
mit plastischen Verzierungen, die in den süddeutschen Reichsstädten bis
über den Dreißigjährigen Krieg üblich geblieben war, hatte einer strengeren
Aufteilung Platz gemacht. Gedrehte und glatte Säulenvorlagen, kräftig pro-
filierte Gesimse und Verdachungen geben den Nürnberger, den Hamburger
und Danziger Schränken seit den 80er Jahren des alten Jahrhunderts ein
zeitgemäßes Äußere. Die Türen und Schubläden werden mit heraustreten-
den, mannigfaltig verkröpften Umrahmungen eingefaßt. Also auch die früh-
barocke Schranktischlerei kennzeichnet ein Zug architektonischer Strenge.
Und diesem Handwerk war er besonders wohltätig, da die Roll- und Knor-
pelwerkschnitzerei des Dreißigjährigen Krieges eine ungebührliche Herr-
196
Abb. 97. Süddeutscher eingelegter Schrank, um 1730. Berhn, Schloßmuseum
197
Schaft in der Möbelkunst errungen und sich in den Vorlagewerken noch
lange breit machte (Kupferstiche von Unteutsch). Hat man doch geradezu
diese Auswüchse der deutschen Spätrenaissance in der Baukunst als ,. Schrei-
nerarchitektur" bezeichnet. Als wenn den Schreinern daran das Hauptmaß
an Schuld beizumessen sei. In der Zweigeschossigkeit der frühbarocken
Schrankgattung lebt noch ein Nachklang der Spätrenaissance fort. Mit dem
Durchbruch des vollen Barock — um 1700 — verlassen die Schranktischler
die Zweigeschossigkeit. Nun werden die Fronten einer zusammenfassenden
Ordnung unterworfen. In den Hansastädten entsteht damals der „Schapp"
genannte Dielenschrank mit drei vorgelagerten starken Halbsäulen oder Pi-
lastern korinthischer Ordnung und weit ausladendem reichgetrepptem und ge-
brochenem Gesimse. Üppige Rankenschnitzerei in der Weise der vor Schlü-
ter herrschenden Laubornamentik der hanseatischen Bildnerei wird auf die
Mittelgiebel, die Kapitelle und einzelne Friese beschränkt. Hamburg, Bre-
men, Danzig und Lübeck waren Hauptsitze dieser Kunst; ihr Wirkungsbe-
reich erstreckt sich aber bis tief in das Binnenland hinein. Die Schnitzer —
welche innungsgemäß auch jetzt wie früher als eigentliche Holzbildhauer
von den Tischlern zu trennen sind, sind die gleichen wie die der krausen
Laubwerkfriese und Bekrönungen an den Gestühlen, Orgelemporen, Kapel-
lengeländern und Altären der Hansakirchen. Den bestimmenden Charakter
verleiht diesen Barockschränken indessen die wuchtige Ausladung und Ver-
kröpfung der rahmenden Gesimse, deren weit herausspringende, ein- oder
auswärts geschweifte Leibungen durch den Spiegelglanz der polierten Nuß-
holzfurniere gehoben werden. Die norddeutsche Tischlerei hat damit dem Ba-
rock einen besonders lebendigen Ausdruck gegeben. Ähnliches gilt von den
Tischen und Stühlen, deren mächtig angeschwollene schraubenförmige Ba-
lusterbeine im Rückblick auf die älteren holländischen Kugelbeine den eige-
nen Formensinn des niederdeutschen Barock auf der Höhe zeigen. Die
gleichzeitigen süddeutschen Schränke geben den geschwellten Profilen und
Verkröpf ungen noch ausschließlicher Raum; mit Vorliebe werden die ganzen
Türen und Seitenwände wellig bewegt. Vorzüglich schöne Beispiele dieser
Art in geflammten Nußholzfurnieren schufen die Tischler in Frankfurt am
Main (Landesmuseum in Kassel).
Bevor der weitere Verlauf der Möbelgeschichte in dem späteren Barock
verfolgt wird, ist ein kurzer Blick auf die Prunktischlerei zu werfen, die sich
mit der Ausstattung der fürstlichen Repräsentationsräume befaßte. Als Erb-
schaft der Spätrenaissance spielten bis in die ersten Jahrzehnte des 18. Jahr-
hunderts die aufs reichste geschmückten ,, Kunstschränke" und Prunkkabi-
nette eine wichtige Rolle in den fürstlichen Prachträumen und Kunstkam-
198
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199
mern. Alle in Augsburg und Nürnberg während des 17. Jahrhunderts blü-
henden Kunstzweige hatten sich an den hier geschaffenen Werken der Art
mit den Tischlern vereinigt: die Silberschmiede, die Emailmaler, Bernstein-
und Elfenbeinschnitzer, Glas- und Steinschneider, Maler, Graveure und viele
andere. Es scheint hier eine wichtige Quelle zu liegen für die überreiche,
mit den mannigfaltigsten Stoffen arbeitende Raumausstattungskunst des
deutschen Barock um 1700. Für diese Prunkeinrichtungen kommen die
durch verschwenderische Schnitzerei, Vergoldung und Bemalung gekenn-
zeichneten Prachtmöbel auf, die in Berlin unter Schlüters Ägide eine glück-
liche Gestaltung erfahren (Abb. 98). Mit dem übermächtigen Einfluß des
französischen Hofes finden in den zwanziger Jahren die Kommoden, Tische,
Dielenuhren und Kabinette Andre Boulles und seiner Richtung Eingang in
die deutschen Schlösser. Die Bekleidung dieser schweren Möbel mit ausge-
schnittener vergoldeter Bronze und Schildpatt in reicher Berainornamentik
und mit plastischem Goldbronzedekor kam dem Hang der deutschen Fürsten
nach schimmernder Pracht entgegen. Vor allen hat Max Emanuel von
Bayern dieser Möbelkunst wie dem französischen Bronzeguß seine Neigung
geschenkt. Er hat selbst in München eine Hoftischlerei durch Franzosen für
die Herstellung von Boullemöbeln ins Leben gerufen. Auch in Augsburg
sind die BouUemöbel nachgebildet worden, wofür die 17 11 hier gefertigte,
reich mit Silber geschmückte Landschaftsuhr im Schlosse in Altenburg ein
Beweis ist.
Die bürgerliche Möbelkunst wird seit den zwanziger Jahren des Jahrhun-
derts durch eine Reihe neuer Schrankformen bereichert, die nur teilweise auf
französische Ein\virkungen zurückgehen. In erster Linie sind die Augsbur-
ger Kupferstecher an der Verbreitung dieser zugleich mit dem Bandelwerk
übernommenen Regenceformen beteiligt. Es kommen jetzt die Schreibka-
binette und Sekretäre, die Spiegel- und Eckkommoden, geschweifte Tisch-
und Sitzmöbel auf. Die ausgeführten Arbeiten zeigen in höherem Grade noch
wie die Stiche, etwa die des Silberkistlers Rumpp in Augsburg, eine völlige
Umsetzung in den heimischen Tischlerstil. In Österreich und in Süddeutsch-
land über den Main hinaus wird mit den schöngemaserten Nußfurnieren die alt-
überlieferte Einlegearbeit in verschiedenfarbigen und gebeizten Hölzern wieder
zu Ehren gebracht (Abb. 97). Das Laub- und Bandelwerk, Blumenmuster und
geometrische Rauten bedecken die Schrank- und Kommodentüren. Ferner
werden Messing-, Zinn- und Elfenbeinintarsien als Ersatz für die Boulleein-
lagen verwendet. Die reichere Einlegearbeit herrscht in Verbindung mit ver-
goldeten Schnitzereien namentlich in den österreichischen und bayerischen
Klostermöbeln. Diese sind aus den gleichen Werkstätten hervorgegangen,
Abb. gg. Würzburger Schrank, Mitte iS.Jahrh. Berlin, Schloßmuseum
201
•«V
Abb. 100, Geschnitzte Tür, Süddeutsch. Mitte iS.Jahrh.
BerHn, Kunstgewerbemuseum
die so Großartiges in eingelegten Vertäfelungen und Gestühlen geleistet ha-
ben, wie es noch jetzt in den Kirchen, Abtswohnungen, Kapitelsälen und
Bibliotheken der österreichischen, der bayerisch-schwäbischen und der Main-
klöster zu bewundern ist. Die schweren Verkröpfungen, die vorspringenden
Gesimse der Schränke treten in dem späteren Barock zurück. Die Flächen
werden möglichst geglättet, dafür beginnen die Fronten und Seiten in
Schwingung zu geraten. Auch die Giebel werfen sich. Und so schreitet —
unmerklicher als in der großen Architektur, wenngleich unter deren Führung
— die deutsche Möbelkunst mit den vierziger Jahren in das Rokoko hinüber.
202
Abb. loi. Aachener verglaster Eckschrank, Mitte i8. Jahrh.
Köln, Kunstgewerbemuseum
203
Abb. 102. Ecksofa, Mitte i8. Jahrhunderts. Würzburg, Schloß
Wieder sind es die Augsburger Stecher, die die im Westen erfolgte Stil-
wandlung den Handwerkern Deutschlands bekannt machen, aber zugleich
zur Umbildung in die heimische Formengebung anleiten. Die behaglich ge-
bauchten, in lustigen Bekrönungen ausgeschweiften Schränke und Kommoden
des süddeutschen Rokoko stellen die selbständige Kraft der deutschen Rokoko-
tischlerei vor Augen (Abb. 96). Bezeichnenderweise haben die altbayerischen,
die südschwäbischen und allen voraus die Mainlandschaften dem Rokokostil
in ihren Möbeln den schönsten Ausdruck gegeben. Den Höhepunkt bilden
die Würzburger und die Mainzer Schränke, in der Formenbildung wie in der
trefflichen Furnierung. Der Höhepunkt der plastischen Bewegung der Kör-
per und Gesimse und der Lockerung der geschnitzten Bekrönungen stellt
sich in den von der Mitte des Jahrhunderts bis gegen 1770 geschaffenen
Stücken dar (Abb. 99). An den Zeichnungen der Mainzer Möbeltischler-
204
Abb. 103. Kaminschirm Friedrichs d. Gr., von Hoppenhaupt, um 1750. BerHn, Schloß
Innung der Bibliothek des Berliner Kunstgewerbemuseums, jedes Blatt ein
Schrank in maßstäblicher Zeichnung zur Gesellenprüfung, ist die Entwick-
lung Jahr für Jahr festgelegt. Die Rocaillen der Intarsien und geschnitzten
Bekrönungen sind in den gleichen zackigen Formen gehalten, die der main-
und rheinfränkische Barock, namentlich seit dem Eingreifen der bayerischen
Stukkateure und Holzschnitzer, ausgebildet hatte. Die Entwicklung der Ver-
hältnisse des Schrankes aus den nebengestellten Säulenordnungen ist ein Be-
leg dafür, wie streng das Rokoko selbst hier die mathematischen Grundlagen
beibehalten hat, die als eine wesentliche Eigenschaft in dem baukünstle-
rischen Schaffen des 18. Jahrhunderts in dem fünften Kapitel gekennzeichnet
worden ist.
Während die furnierten und eingelegten Möbel über den Main hinaus auch
in Sachsen und Brandenburg hergestellt wurden, pflegte der Niederrhein, un-
ter Einwirkung vom nahen Lüttich her, das eichengeschnitzte Mobiliar
205
(Abb. loi). Aachen war ein Sitz dieser Kunst. Die Vertäfelungen aus dem
Wespienschen Hause und eine Reihe von Schränken, Kleiderschränken, Auf-
satzschränken mit verglastem Oberbau, halbrunden Eckschränken, Dielen-
uhren und Sitzmöbeln zeugen von der Vollendung in der Rocailleschnitzerei,
die unter Couvens Ägide in der alten Reichsstadt für die Häuser der reichen
Kaufmanns- und Fabrikantenfamilien erreicht wurde. Die Gattung fand auch
am rechten Ufer des Niederrheins, in den Industriestädten des Bergischen
Landes bis ins Westfälische hinein Verbreitung; doch ist der Charakter die-
ser Eichenmöbel mehr bürgerlich und derb, ähnlich wie in den sparsamen
Flachschnitzereien der bergischen Schieferhäuser. In den Hansastädten
konnte sich das Rokoko an den Möbeln natürlich weniger frei entfalten. Der
im Mittelpunkt des Handwerks bleibende große, von Pilastern gegliederte
Kleiderschrank, der Schapp, behält seinen barocken Grundzug bis in die
Spätzeit des Jahrhunderts. Eigentümlich ist die frühe Einwirkung der eng-
lischen Möbel, die sich z. B. in den Chippendaleformen der Hamburger Stühle
kundtut. Die Möbel Altonas und Schleswig-Holsteins erinnern in der
schmucklosen und klaren Flächen- und Linienführung an die dänischen. Es
gilt hier das Gleiche wie in der Baukunst: Die freie Entfaltung des Rokoko,
dessen Schauplatz das südliche Deutschland ist, ist von dem Norden, insbe-
sondere von den Küstenländern nur in gewissen Grenzen mitgemacht
worden.
Viel unmittelbarer als die vornehme bürgerliche Möbelkunst, die im Vor-
stehenden überblickt worden ist, spiegelt sich naturgemäß die Stilwandlung
vom Barock zum Rokoko in den Prunkmöbeln der Schlösser. Waren doch
zumal die reichen Konsoltische mit den Spiegeln darüber, die Kanapees, die
Sessel und Schemel Teile der reichen Zimmerausstattungen. Von Schüblers
und Deckers Vorlagewerken bis zu den gestochenen Wandentwürfen Hop-
penhaupts sehen wir ihren Stil in Verbindung mit der Wandornamentik fort-
schreiten. In den Formen der Schnitzereien zeigen die Prachtstücke in den
..Reichen Zimmern" der Münchner Residenz und den anderen Zimmerein-
richtungen des Kurfürsten Karl Albert den üppigen Reichtum Cuvillies; die
Garnituren der Würzburger Residenz aus der Mitte des Jahrhunderts den
freien Zug der spätesten Weise Balthasar Neumanns (Abb. 102) : diejenigen in
den Schlössern Friedrichs des Großen Nahls Geist und den des Hoppenhaupt
(Abb. 103), während solche aus der Mannheimer Residenz und vom Rhein das
gemäßigte Rokoko in der Art des Pigage durchblicken lassen. Für die Münch-
ner Schloßeinrichtungen sind weißlakierte, durch vergoldete Rocailleschnit-
zerei gehobene Kommoden usw. bezeichnend. Die Schrankmöbel, die Schreib-
tische, die Kabinette, die Bücher- und Medaillenschränke der Schlösser un-
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terscheiden sich sonst gemeinhin nur durch den reicheren Aufbau, die feinere
Einlegearbeit und sorgfältigere Schnitzerei von den bürgerlichen Schrankmö-
beln. Schöne Beispiele bergen die Gemächer der geistlichen Fürsten im Sü-
den. Nur Friedrich der Große hat die in Paris durch Caffieri und andere zur
höchsten Meisterschaft entwickelte Bronzedekoration der Prachtmöbel für
seine Schlösser eingeführt. Die von dem 1748 berufenen Melchior Kambly
garnierten Möbel mit Bronze in den Potsdamer Schlössern kommen in der Blu-
menintarsia wie im Aufbau den besten Pariser Möbeln des Louisquinze nahe.
Doch äußert sich trotz gelegentlicher genauer Anlehnung in den Bronzen
Kamblys die Neigung zur Lockerung der Rocaillen, zur stärkeren Durchset-
zung der Schnörkel und Gitter mit Blumengehängen und Ranken. Die brei-
tere Form seiner Beschläge und ihre Führung quer über das Möbel fort sind
unterscheidende Kennzeichen im Vergleich mit den Caffierimöbeln. Ein wie-
viel günstigeres Feld für die Luxusmöbelkunst muß Paris unter Ludwig XV.
und XVI. dargeboten haben als die deutschen Fürstensitze, da doch die be-
sten Möbelkünstler hier Deutsche, und zwar meistens Rheinländer gewesen
sind. Unter ihnen haben Schwertfeger, Oeben und Riesener den größten Ruf
erworben.
208
17- DIE BILDHAUERKUNST DES BAROCK
Die Jahrzehnte nach dem Dreißigjährigen Kriege haben auch in derBildner-
kunst die Überreste des kleinhch gewordenen Ziergeistes der Spätrenais-
sance überwinden müssen. Mit dem größeren Stil der Baukunst drang in die
deutsche Bildnerei die zusammenfassende Gestaltungsweise des Barock ein.
Man betrachte die seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts entstehenden
Grabmäler, die Epitaphien in den Kirchen. Durchgehende Säulen großer
Ordnung und ausladende Segmentgiebel bilden den Portikus für die meist
lebensgroße kniende oder hingelagerte Gestalt. Wie alles Kleinliche des Or-
namentes vermieden — das krause Roll- und Knorpelwerk des Dreißigjäh-
rigen Krieges durch großgeformte Kartuschen verdrängt wird, so baut sich
auch die Figur monumentaler auf. Ihre Haltung ist feierlicher, die Falten
des Gewandes fallen in volleren Massen herab. Die Züge des von der Allon-
geperücke umrahmten Kopfes sind in größeren Flächen zugeschnitten. Ge-
genüber den in starrer Beterstellung knienden Grabmalsfiguren des älteren
17. Jahrhunderts erscheinen die Fürsten, Bischöfe und Generäle der Barock-
epitaphien als Vertreter einer modernen Menschheit. (Grabmäler des Georg
Christian von Hessen-Homburg [f 1677] im Mainzer Dom von Arnold Har-
nisch, des Bischofs Bernhard von Galen von Joh. M. Gröninger im münster-
schen Dom um 1678 und des Feldmarschalls von Sparr in der Berliner Ma-
rienkirche von Quellinus d. J. [?] von 1663.)
Die äußeren Grundlagen der Barockbildnerei sind die gleichen wie die der
Baukunst. In Süddeutschland und Österreich empfängt sie Anregungen von
den Italienern; am Rhein, in Westfalen und im übrigen Niederdeutschland
von den Niederländern. Beide Bildnerschulen waren in Beziehung miteinan-
der um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf den Höhepunkt des Barockstils
emporgestiegen. Rom war der Hauptschauplatz dieser Entfaltung. Hier gab
Bernini dem plastischen Wollen des Barockzeitalters den gewaltigsten Aus-
druck. Von hier gingen Düquenoy und der ältere Quellinus aus, die Begrün-
der der niederländischen Barockbildnerei. Die neue Auffassung in der Grab-
malsgestaltung hat von diesem Kreise ihr Gepräge erhalten. Eine neue
Menschlichkeit drückt sich in den plastischen Bildnissen der Meister aus.
Schmitz, iS.Jahrh. 14 209
Ihre besondere Kunst betätigt sich in der virtuosen Verschmelzung eines ver-
tieften Naturstudiums mit großzügigem Stilgefühl. Die Hautoberfläche, die
Haarlocken, die Spitzenkragen, die Stickereien der Gewänder werden bis ins
einzelne und doch mit plastischem Empfinden wiedergegeben. Die Vorliebe
für malerische Wirkungen findet ihre Nahrung an der Verbindung verschie-
denfarbiger, weißer, gelblicher, schwarzer und roter Marmorflächen. Neben
dem Marmor und Alabaster ist die Arbeit in Stuck und in buntgefärbtem ge-
schliffenem Stuckmarmor von den Italienern in Deutschland bei der plasti-
schen Ausschmückung der Altäre, Grabkapellen usw. gefördert worden.
Bald nach dem Dreißigjährigen Kriege erscheint in Salzburg unter Erz-
bischof Guidobald von Thun der Italiener Antonio Daria, der Schöpfer des
Hofbrunnens, dessen Seepferde, Felsen und Schalen mit den schäumenden
Wasserstürzen zum erstenmal den Berninischen Geist verkünden. Gleichzei-
tig arbeiteten für den Großen Kurfürsten die Holländer Quellinus, Eggers
und Dusart, von deren Hand das Berliner Schloß und die Potsdamer Gärten
noch Statuen und Büsten aus Marmor besitzen. Der dreißigjährige Kriegs-
winter hatte in Deutschland die besten bildnerischen Kräfte verkümmern
lassen. Nur im flachen Ornament haben sich nun zunächst einheimische Mei-
ster neben den Ausländern behaupten können, so die Stukkatoren von Wes-
sobrunn und die Schnitzer der Hansastädte, die beide die barocken Akan-
thusranken ins Krause umbildeten.
In der Freiskulptur und selbst in der dekorativen Bildnerei haben die Aus-
länder bis tief ins i8. Jahrhundert hinein neben den inzwischen aufgekomme-
nen deutschen Bildnern eine Stellung behauptet. Es seien nur die aus den
südlichen Niederlanden stammenden Meister genannt : Grupello in Düssel-
dorf, der Bronzegießer de Groff in München, Verhelst in Augsburg, die Fa-
milie von der Auwera in Würzburg; aus der späteren Zeit Verschaff elt in
Mannheim und Tassaert in Berlin. Von Italienern wirkten Simonetti in Ber-
lin, Domenico Matielli und Corradini in Wien und Dresden, Volpini in Mün-
chen, ebendort später der Porzellanmodelleur Bustelli, der zahlreichen Stuk-
katoren in Deutschland nicht zu gedenken. Vereinzelt gewannen auch fran-
zösische Bildhauer eine Stellung an deutschen Höfen, wie Dubut in Mün-
chen, Monnot in Kassel und der jüngere Adam in Berlin. Die Überlegenheit
der romanischen Bildhauerschulen über die deutschen beruhte in der plasti-
schen Bewältigung der Frei figur, insbesondere des Aktes. Abgesehen von
der größeren plastischen Begabung der Romanen bewirkte die Verbindung
der deutschen Bildhauer mit der Baukunst ihre durchgängige dekorative Ge-
bundenheit. Die deutsche Bildnerei, in dem Zusammenwirken mit der Bau-
kunst von dieser emporgetragen, hat in dem 1 8. Jahrhundert eine einzig da-
210
Abb. 105. Afrika, von Schlüter, um 1700. Rittersaal des Berliner Schlosses
Stehende dekorative Kraft entwickelt. Der hier ausgeführte Gegensatz tritt
uns in Sanssouci vor Augen. Die unten um das kreisrunde Wasserbecken
aufgestellten marmornen Götterfiguren des älteren und jüngeren Adam
aus Nancy und des Pigalle, die der Große König aus Frankreich erhielt,
sind Meisterschöpfungen freibewegter nackter Körper. Dagegen sind die
von deutschen Meistern (Nahl, Glume) gearbeiteten Sandsteinhermen an
der Fassade des Schlößchens unvergleichliche Zeugnisse des organischen
211
Verwachsenseins mit dem Körper des Gebäudes. Friedrich der Große hat
offenbar den Sachverhalt ähnlich empfunden, denn so tüchtige einheimische
Bildhauer ihm für die Ausschmückung seiner Schlösser zu Gebote standen,
so hat er doch die Bemühungen um Gewinnung französischer Bildhauer im-
mer erneuert. Die Fertigkeit der französischen Schule in der Marmor-
bildhauerei stellte diese gegenüber den in Sandstein, Stuck und Holz arbei-
tenden deutschen Werkstätten an sich schon auf eine höhere Stufe. Wie viel
mehr tritt die vorwiegend dekorative Begabung der deutschen Barock- und
Rokoko-Bildnerei noch in den Vordergrund bei den süddeutschen Meistern.
Mit der Raumkunst Balthasar Neumanns, Johann Michael Fischers und ihrer
Genossen erreichte in Süddeutschland die Rokokobildnerei mit den Auwera,
mit Straub, Günther und Egell auf der Höhe des Jahrhunderts ihre Glanz-
zeit. Die Bedeutung dieser Künstlergruppe beruht ganz eigentlich in ihrem
Zusammenspiel mit dem Orchester der Raumdekoration, worin eben die
Stärke der deutschen Kunst des Jahrhunderts liegt. Die in der Berninischen
Kunst enthaltenen malerischen Keime sind von den deutschen Bildnern auf
die Spitze getrieben vi^orden, in gleicher Weise wie die deutsche Baukunst
die Richtung Borrominis bis zum Äußersten entwickelt hat. Die italienische
und namentlich die französische Bildnerei bleibt im Vergleich damit immer
klar und bestimmt — daher auch ihre Überlegenheit im Porträt und im
Nackten. Aber ähnlich wie in der Architektur werden die in Deutschland
heimisch gewordenen welschen Meister in unsere Kunstströmung mit hinein-
gerissen, so daß beispielsweise die Italiener in Deutschland eine Lockerung
des plastischen Stiles im Rokoko mitgemacht haben, die in ihrer Heimat sel-
tener zu finden ist. Es sei an den Nymphenburger Porzellanmodelleur Bu-
stelli erinnert, der in Chiaveri, dem Schöpfer der Dresdener Hofkirche, sei-
nen Partner auf dem Gebiete der Architektur hat.
Betrachten wir den Verlauf der Stilentwicklung im einzelnen. Die figür-
liche Bildnerei in Deutschland in den Jahrzehnten nach dem Westfälischen
Frieden hat an vielen Stellen unter dem Eindruck der italienischen und nie-
derländischen Meister und durch den Einfluß der in Rom entstandenen Kup-
ferstiche Joachim Sandrarts eine größere Formengebung angenommen. Das
zeigen die Werke der Kleinplastiker, die aus der Überlieferung der deut-
schen Spätrenaissance herauswuchsen, wie die Elfenbeinstatuetten Kerns,
die figurenreichen Elfenbeinschüsseln der Maucher, die eisengeschnittenen
Statuetten Leygebes, der aus Nürnberg an den Hof des Großen Kurfürsten
kam (Leopold I. zu Pferde von 1660 in Schloß Rosenborg, der Große Kur-
fürst als Bellerophon zu Pferde in Berlin 1680), ferner die Treibarbeiten der
Silberschmiede. Die Reihe marmorner Kaiserbüsten auf der Terrasse des
212
Abb. io5. Denkmal des Großen Kurfürsten, von Schlüter, 1701. Berlin
213
Abb. 107. Sklave vom Denkmal des Großen Kurfürsten
214
Abb. io8. Sklave vom Denkmal des Großen Kurfürsten
215
Abb. 109. Sterbender Krieger, von Schlüter
um 1700, am Berliner Zeughaus
Charlottenburger Schlosses von einem Meister Günther und die in der Spät-
renaissance wurzelnden Altarfiguren Ableitners in München sind bezeichnend
für die erste Stufe der Einwirkung des Barock. Eine gewisse Schwerfälligkeit
haftet diesen Frühwerken der deutschen Barockplastik an, wofür auch die Figu-
ren an den genannten Grabmälern Joh. Mauritz Gröningers in Münster und Ar-
nold Harnischs in Mainz zeugen. Eine tiefere Erfassung der Bewegung und des
B'altenwurfs der Berninischen Kunst verkünden zum erstenmal die Figuren
auf der mehrfach erwähnten, unter Leitung Burnacinis und Mitwirkung des
jungen Bernhard Fischer von Erlach in den achtziger Jahren errichteten
Pestsäule auf dem Graben in Wien: die von Mathias Rauchmüller, Paul
Strudel und anderen gemeißelten Statuen des knienden Kaisers Leopold und
der stehenden und auf Wolken schwebenden Engel mit der oben thronenden
Dreieinigkeit.
Die Rossebändigergruppe vor dem Marstall in Salzburg von Maendl ist
ein weiteres Zeugnis der Aufnahme des italienischen Barock am Ausgang
des 17. Jahrhunderts. In diesem Zeitpunkt kommen Schlüter und Permoser
216
Abb. 1 10. Sterbender Krieger, von Schlüter
um 1700, am Berliner Zeughaus
empor. Sie ergreifen den römischen Barock mit ihrem ganzen Wesen und
schmelzen ihn im Feuer ihrer Leidenschaft ins Deutsche um. Es beginnt
die Blüte der deutschen Barockbildnerei, deren Hauptsitze Berlin, Dresden,
Wien und München werden.
Andreas Schlüter ist wie als Baumeister, so als Bildhauer bereits in War-
schau mit der Schule Berninis in Berührung gekommen. In Rom, wohin ihn
Friedrich I. sandte, hat er ihre Werke studiert. Er steigert die Bewegung
Berninis. Er bildet dessen plastische Bestimmtheit ins Schwellende um. Im
Fortschreiten wächst der Schwung und die Körperlichkeit seiner architek-
tonischen Glieder zugleich mit der Bewegung der Figuren. In dem Elisa-
bethsaal und im großen Treppenhaus des Berliner Schlosses scheinen die
nackten Giganten mit den schweren Gebälken im Streite zu liegen; in dem
späteren Rittersaal sind die reichen Figurengruppen mit den ausladenden
und geschwungenen Gebälken zu einem Ganzen verwebt. Wie wundervoll
schmiegen sich die Körper der Erdteile den gebogenen Türgiebeln an
(Abb. 105). In den Ecken der Deckenvouten durchstoßen die zu Knäueln ge-
217
ballten Figuren und Wolkenmassen die sich aufbäumenden Gesimse; einige
streben aufwärts, andere lagern sich auf die Giebel. Gedanken, die Michel-
angelo an den Mediceergräbern zuerst entwickelt, werden hier zu Ende ge-
dacht. Der einheitliche Schwung, der Schlüters Architektur und plastische
Figuren beseelt, zeichnet auch seine wichtigste Schöpfung in der Freiplastik,
das Denkmal des Großen Kurfürsten auf der Langen Brücke in Berlin, vor
allen voraufgegangenen Lösungen dieses Themas aus (Abb. io6). Anregun-
gen aus italienischen (Farnesedenkmäler in Piacenza) und gleichzeitigen Pa-
riser Reiterdenkmälern sind im Geiste des deutschen Barock fortgebildet
worden — Jacobi der Bronzegießer der Figuren hatte in Paris gearbeitet,
daher auch manche Verwandtschaften mit Girardon und Coyzevox. Alle
übertrifft Schlüter in der Durchdringung des Sockels und der Figuren der
vier daran gefesselten Sklaven und der darüber schreitenden Reiterfigur mit
dem einheitlichen Zuge seiner Empfindung. Schlüter ist nicht nur groß als
Gestalter körperlicher Bewegung, er vermag auch, diese zum Träger des tief-
sten seelischen Ausdrucks zu machen. Das oft so hohle Pathos des Barock
erhebt sich in Schlüters besten Werken zu wirklicher Leidenschaft. Die vier
Sklaven — die erst 1708 nach Glumes d. Ä., Nahls d. Ä. und anderer Schü-
ler Modellen von Jacobi gegossen wurden — zeigen alle Stufen des Schmer-
zes, von den in Kummer versunkenen und in ihre Gewänder gehüllten hin-
brütenden, bärtigen älteren Männern bis zu dem laut um Gnade flehenden
Jüngling zur Rechten (Abb. 10 7, 108). Über dieses Meer brauender und aufschrei-
ender Leidenschaft der Unterworfenen nimmt der Reiter im römischen Cä-
sarengewande seinen Siegesweg. Man wird nicht ohne Mühe Werke des Ba-
rock nennen können, in denen seelisches Leben mit solcher Tiefe gebildet ist,
vvfie in den Schlüterschen Köpfen erschlagener Krieger an den Schlußsteinen
im Hofe des Zeughauses (Abb. 1 09, 1 1 o ) . Sie sind tot, aber unter den geschlosse-
nen Augenlidern scheint noch Lebensglut zu glimmen. Von dem auf dem
Höhepunkt edler Kampfeslust gefällten jungen Helden bis zu den in der wil-
den Wut vom Tod ereilten, haßerfüllten, zerzausten alten Kriegern eine
Fülle verschiedenster Temperamente. In der Wiedergabe tragischen Schmer-
zes enthüllt sich die tiefe Natur dieses großen, von der Höhe des Glücks so-
bald in die Nacht des Elends hinabgestürzten deutschen Genius. Ergreifend
ist die Gruppe der Afrika im Rittersaal, wo ein Löwe ein junges Negerweib
tötet und der Mann, seinen Kopf im Gewand verhüllend, davoneilt (Abb. 105).
So auch das kleine Kind auf dem Grabmal Mannlichs in der Marienkirche,
das sich dem Totengerippe durch die Flucht vergeblich zu entziehen sucht,
und die weinenden Frauen an den Sarkophagen des Königs und der Königin
(vgl. Abb. 22). Man halte die Büste des Prinzen von Homburg, die Jacobi nach
218
Abb. III. Prinz Friedrich von Homburg, Bronze nach Schlüter, 1701
Schloß Homburg
219-
^ ..««^^^^y Jl I
Abb. 112. Asien, von Schlüter, 1711, in der Loge Royal York, Berlin
Schlüters Modell im Jahre 1701 goß (Schloßhof in Homburg, Abb. iii), neben
eine der ähnlich aufgebauten Büsten der gleichzeitigen römischen und Pariser
Bildhauer. Wo finden sich dieses lohende Feuer, diese gedrängte Leidenschaft
wie in dem sturmatmenden Haupte des alten Kriegshelden, des brandenbur-
gischen Reiterführers in der Schlacht bei Fehrbellin. Es ist eine deutsche
Porträtschöpfung, die den besten Bildnissen Dürers gleichkommt. Freilich
redet nicht zu uns der gefühlsreiche Jüngling, den uns Heinrich von Kleist
als Spiegel seines eigenen Wesens schildert. Wohl aber spürt man noch in
den gealterten Zügen das aufbrausende Naturell, das den jungen Kriegsfür-
sten fünfundzwanzig Jahre früher zum vorschnellen Angriff auf die Schwe-
den hingerissen hatte. Der innere Sturm umwittert den majestätischen Kopf
und die Allongeperücke und wühlt selbst in den Falten der Drapierung. Es
gibt keinen trefflicheren Ausdruck für die Mächtigkeit des Fürstenideals die-
ser Epoche des deutschen Barock. Von den späteren Bildhauerarbeiten im
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Abb. 113. Afrika, von Schlüter, 1711, in der Loge Royal York, Berlin
Berliner Schloß, seit dem Sturz des Meisters im Jahre 1708, so in den Stuck-
reliefs und Gruppen an der Decke der Langen Galerie, verfällt der Stil Schlü-
ters ins Zerrissene und trotz vieler Feinheiten scheint es, als ob er die Aus-
führung mehr und mehr seinen zahlreichen Schülern überlassen hat. Von
eigenhändiger Arbeit sind aber sicher die vier Erdteile in Stuck im Saal der Loge
Royal York (Abb. 112, 113). Die posaunenblasenden Genien am Eosander-
portal und im Eosanderhof des Schlosses gehören den letzten Regierungs-
jahren Friedrichs I. und teilweise schon dem Beginn der Zeit Friedrich Wil-
helms I. an und deuten in ihrer eleganten Bewegung und Gewandung auf den
Übergang zu einer leichteren Formengebung — man möchte auf einen Mei-
ster aus der Richtung des Coyzevox schließen — , wie ja damals hier der
Franzose Dubut wirkte. Die trefflichen Schüler, die Schlüter herangebildet,
unter denen Nahl d. Ä. und Glume d. Ä. hervorragten, konnten leider in
Berlin nicht zur Entfaltung kommen, da Friedrich Wilhelm I. ihnen keine
Abb. 114. Herkules und Omphale, Elfenbeinschnitzerei von Permoser
Anfang 18. Jahrhunderts. Berlin, Schloßmuseum
Abb. 115. Engel, von Raphael Donner
Dom in Preßburg, um 1730
großen Aufgaben bot. Eines der schönsten Werke, in dem noch Schlüter-
scher Geist nachwirkt, ist das Grabmal Glumes in der Berliner Marienkirche,
um 1725 zugleich mit der Kapelle für den Finanzminister Johann Andreas
von Kraut errichtet. Auf dem Sarkophag die Büste des Verstorbenen und
daneben die weiblichen Gestalten der Zeit und Ewigkeit, alles in weißem
Marmor.
Schlüter ist, sieht man von den Architekten ab, das größte, man kann
ruhig sagen, das einzige wahre Genie unter den deutschen bildenden Künst-
lern des Jahrhunderts. Sein Schaffen ist freilich durch die Beschränkungen
seiner Umgebung und Zeit bedingt worden. Nur vereinzelt kann er sich un-
gehemmt entfalten. In diesen Werken allerdings erreicht er eine überra-
gende Höhe. Aus ihnen spricht, befreit von allen Gewaltsamkeiten des Ba-
223
rock, die Seele des großen Menschen zu uns bis auf den heutigen Tag. Er
steht auf einer Höhe mit Bach und Leibniz. Die strömende Leidenschaft der
deutschen künstlerischen Empfindung des 1 8. Jahrhunderts, die in der Musik,
der Raumkunst und späterhin auch in der Dichtung hervorbricht, findet in
seinen Götter- und Geniengestalten den ergreifendsten plastischen Ausdruck :
wir meinen den Genius des Jahrhunderts, den der junge Goethe in Wanderers
Sturmlied besingt:
,, Vater Bromius!
Du bist Genius,
Jahrhunderts Genius,
Bist, was innere Glut
Pindarn war,
Was der Welt
Phöbus Apoll ist. —
. . . Innere Wärme,
Seelenwärme
Mittelpunkt!"
Die Einsamkeit seiner Erscheinung teilt Schlüter mit den meisten bedeu-
tenden Männern unseres Volkes. Ein Meteor im wahren Sinne des Wortes,
nur kurze Zeit alles überstrahlend und wieder zurückfallend ins Dunkel,
aus dem er hervorgebrochen'-).
Schlüters süddeutscher Zeitgenosse Balthasar Permoser, geboren 1651 in
der Nähe von Traunstein, ist gleichfalls ein Schüler der römischen Barock-
bildnerei. Seine ersten Lehrjahre verbrachte er in Salzburg unter dem Ein-
druck der Kunst Anton Darias und in Wien bei Knacker, einem der Mitar-
beiter an der Pestsäule, der später am Castrum doloris Josephs I. und an des-
sen Gruft mitarbeitete. Um 1675 begab er sich nach Italien und erfuhr die
Einwirkung von Bernini und Pietro da Cortona. Einige Zeit arbeitete er in
Florenz für Cosimo III., besonders kleine Werke in Elfenbein. Um 1689
wird er Hofbildhauer Joh. Georgs III. in Dresden. Seine Blütezeit ist das
erste Viertel des 18. Jahrhunderts. Permoser ist gleichzeitig mit Schlüter im
Auftrage Friedrichs I. auch für das Berliner Schloß tätig gewesen (zwischen
1704 und 17 10). Es werden ihm die in diesen Jahren entstandenen Hermen
an den beiden Balkons der Lustgartenseite des Schlosses zugeschrieben, die
den besten Werken Schlüters gleichkommen und unter den deutschen Bild-
hauerarbeiten des Jahrhunderts in vorderster Reihe stehen. Das Ver-
hältnis Permosers zu Schlüter verdiente eine Beleuchtung, da in der Tat Fä-
den von den Berliner Werken zu den Hermen und Atlanten am Dresdener
224
Abb. ii6. St. Martin, von Raphael Donner, am Dom in Preßburg, 1734
Schmitz, iS.Jahrh. 15 225
Zwinger führen, deren beste Stücke, so namentlich am Wallpavillon, von
Permosers Hand herrühren (um 1720, Abb. 15). Gegenüber der Ruhe der
Berliner Schloßhermen ist in den Dresdener Satyrhermen die Lockerung der
Bewegung und Schwellung der Formen gesteigert. Mit den stark unter-
schnittenen, gewaltsam gebrochenen und gerollten Gebälken und Giebeln der
Pöppelmannschen Architektur sind sie zu einem unvergleichlichen Ganzen
verwachsen. In seinen späteren Werken drängt sich ein schnörkelhafter Zug
stärker hervor; anderes wieder, wie die beiden holzgeschnitzten überlebens-
großen Heiligengestalten im Dom in Bautzen, zeichnet sich durch großen
Stil aus (Abb. 114). Die Grabmalsgruppen und die Apotheosen, wie die
um 1721 entstandenen, auf den Prinzen Eugen und August den Starken
verraten auch im Gedanklichen einen Hang zum Übertriebenen. Permoser
war als Mensch voll wunderlicher Züge, ein echter Künstler des Barock. Seine
Virtuosität in der Technik der Marmor- und Elfenbeinarbeit riß die Zeitge-
nossen zur Bewunderung hin und zog Schüler aus Berlin, aus Wien, aus
Mannheim (Paul Egell 17 12) und von anderwärts in seine Werkstatt. Na-
mentlich für Dresden wurde er der Begründer einer Bildnerschule. Sein
Schüler Benjamin Thomae, der mit ihm am Zwinger tätig war, wurde der
Lehrer des Meißener Porzellanbildhauers Kandier. In den frühesten plasti-
schen Schöpfungen der Meißner Manufaktur nach Kirchners und Kändlers
Modellen lebt Permosers Geist fort '3).
In Wien und im übrigen Österreich kommt die Bildnerei nach Beendigung
des Spanischen Erbfolgekrieges zugleich mit der Baukunst zur höchsten
Entfaltung. Die Italiener, Matielli, der Schöpfer der Gartenfiguren im
Schwarzenberggarten (17 16), der Herkulesgruppen am Reichskanzleitrakt
der Hofburg, Corradini und der vor allem in Heiligenkreuz tätige Vene-
zianer Giuliani haben eine erneute Verbindung der österreichischen Bildner-
kunst mit der fortgeschrittenen italienischen hergestellt. Ganz ähnlich wie in
der Baukunst Bernhard Fischers von Erlach und Lukas von Hildebrands hat
in der Bildnerei offenbar die Ausdehnung der österreichischen Herrschaft in
Italien den Zusammenhang der beiden Kunstgebiete gefördert. Matielli und
Corradini gingen später nach Dresden, wo sie eine Reihe von mythologischen
Figuren für den Großen Garten und Matielli die Steinfiguren auf Chiaveris
Hofkirche schufen. In Wien hatte sich inzwischen ein einheimischer Meister
erhoben, der, aus der Schule Giulianis und anderer Venezianer hervorgegan-
gen, als erster deutscher Meister den wuchtigen Barockstil in eine freiere
und zartere Form überführte: Raphael Donner. Seine Blütezeit ist um 1730.
Donner kommt in der Gestaltung seelischen Ausdrucks Andreas Schlüter
gleich. Er hat den religiösen Themen eine tiefere Fassung gegeben. Diei
226
Abb. 117. Maria und Johannes, von Raphael Donner. Bleirelief im Münzamt Wien
Pietä, die Beweinung Christi durch Maria, durch die Freunde und die Engel
hat er im Relief und in Altargruppen mit Innigkeit gestaltet. Die Gebärden
seiner klagenden und anbetenden Engel drücken Trauer und Hingebung er-
greifend aus (Abb. 115, 117). Mit der Lockerung des Faltenstils, mit der Lösung
der Bewegung und der schlankeren Bildung der Gestalten geht eine verfeinerte
Seelenstimmung Hand in Hand. Im Relief tritt eine weichere gleichmäßig
schwellende Flächenbehandlung an Stelle der oft stürmisch bewegten Un-
ruhe des älteren Barock. Das malerische Element, die Wirkung mit hellen
und dunklen Flecken tritt in den Vordergrund vor dem plastischen der Zeit
um 1700. (Vgl. Donners Reiterstatue des hl. Martinus von 1734 an der Mar-
tinskirche in Preßburg [Abb. 116] mit der des Großen Kurfürsten von Schlü-
ter). Auch die Verbindung der Heiligengruppen und Reliefs mit der
gelockerten spätbarocken Architektur der Altäre usw. zu einem dekorativen
Ganzen bekundet einen entwickelten malerischen Sinn. Donner bewegt sich
damit auf der in den späteren Werken Permosers eingeschlagenen Linie ; dieser
227
Abb. ii8. Madonna, von Egid Quirin Asam
um 1730. Kaiser-Friedrich-Museum, Berlin
228
hat wohl auch auf Donner eingewirkt (vgl. Donners Apotheose Karls VI.)-
Dagegen tritt in der plastischen Bildung nackter Körper frühzeitig eine
Mäßigung im Malerischen, eine geradezu klassische Haltung zutage,
allerdings erst in den späteren Schöpfungen, den Flußgöttern am Brunnen
des Neumarktes und den Genien am Wandbrunnen des Rathauses in Wien.
Also eine verwandte Erscheinung wie in der Wiener Architektur, in den
Werken des jüngeren Fischer von Erlach. Der Bleiguß, in dem die Mehrzahl
der Donnerschen Werke gearbeitet sind, kommt dem weichen Formenideal
des Meisters entgegen. Unter den Wiener Nachfolgern Donners ragen Ha-
genauer und Franz Xaver Messerschmied als Hauptvertreter eines tempera-
mentvollen Rokokostils hervor; von des letzteren Hand stammen neben
Heiligenfiguren in Stein und Marmor eine Reihe plastischer Kopfstudien. Im
allgemeinen wendet sich die Wiener Plastik unter Maria Theresia früher als
anderswo einem ruhigeren Stile zu. Die dekorative kirchliche Skulptur hat
unter Karl VI. zugleich mit der spätbarocken Baukunst in allen österreichi-
schen Ländern, so in Tirol, in Böhmen und Schlesien, üppige Blüten ge-
trieben.
Die kräftigste Umgestaltung der plastischen Grundzüge des Barock in
eine rein malerische Form ist von den oberbayerischen Stukkatoren und Holz-
schnitzern seit den zwanziger Jahren des 1 8. Jahrhunderts im Bunde mit der
Raumausstattung vollzogen worden. Andreas Faistenberger und namentlich
Egid Quirin Asam in München — die beide in Rom studiert hatten — haben
die äußerste Verschmelzung der figürlichen und ornamentalen Bildnerei mit
den architektonischen Gliedern herbeigeführt. Die goldschimmernden Altar-
ausstattungen Egid Quirin Asams in der Johann-Nepomuk-Kirche in München
(vgl. Abb. 45) und in der Klosterkirche in Weltenburg (1735) fließen mit den
Räumen zu einem flimmernden Bilde zusammen. Die heftigen Licht- und Schat-
tengegensätze mit den aus dem Licht auftauchenden, von hinten beleuchteten,
dramatisch bewegten Heiligengestalten versetzen uns noch einmal in die
barocke Stimmung, die in dem Feuerwerk der Feste und den Blitz- und Wol-
kenerscheinungen der Theater ihren Höhepunkt fand. Die Lockerung der
Bewegungen und des Faltenwurfs rückt die Figuren des Faistenberger, des
Asam (Abb. 118) und des Münchner Schnitzers Joachim Diettrich (Hoch-
altar der Klosterkirche in Diessen) in den Beginn des Rokoko.
229
Abb. 119. Hochaltar im Dom zu Worms, um 1750
230
i8. DIE BILDHAUERKUNST DES ROKOKO
Der Eintritt des Rokokostils am Ende der dreißiger Jahre bezeichnet in der
figürhchen Bildnerei den Anfang einer auf breitester Grundlage erwach-
senden, mehr als dreißig Jahre dauernden Blüteepoche. Nun schwingen sich
die bayerischen und mainfränkischen Bildhauerwerkstätten auf dem Gebiete
der kirchlichen Skulptur empor. Neben der Stuckarbeit, die aus dem Schöße
der Schule von Wessobrunn erwuchs, und neben der dekorativen Steinbild-
nerei erlangt die Holzschnitzerei in diesen Landschaften — seit den zwan-
ziger Jahren schon in Oberbayern — eine überragende Stellung. Die Bild-
hauer vereinigen sich mit den Tischlern in der Herstellung reichausgestatte-
ter Altäre, Kanzeln, Chorstühle und Beichtstühle. An keiner Stelle läßt sich
der Zusammenhang der architektonischen und ornamentalen Gliederbildung
des Figürlichen im Rokoko klarer empfinden, als an den Altaraufbauten, die
seit den dreißiger Jahren in großer Zahl in Bayern und Franken entstehen.
In der Münchner Schule, die an Fruchtbarkeit die anderen überragt, führen
die Altarschöpfungen Egid Quirin Asams um 1730 zum Rokoko hinüber.
Die in den vierziger und fünfziger Jahren von Johann Baptist Straub und
seinen Mitgenossen in Diessen (vgl. Abb. 46), Schäftlarn, Ettal, Für-
231
stenzell, Grafrath usw. ausgeführten Altäre veranschaulichen das rasche Auf-
blühen des Rokokostils. Seine freieste Entfaltung stellen die Altarwerke
Ignaz Günthers in Rott am Inn, Neustift, Weyarn, Starnberg, sowie in eini-
gen Kirchen von München (St. Peter, Bürgersaal) und Umgegend dar. Die
Grundform des Barockaltars mit wuchtigen Säulenstellungen, wie sie
Pozzo und Fischer von Erlach und ihre Zeitgenossen im Beginn des Jahrhun-
derts nach den Mustern des römischen Barock gestaltet hatten, bildete den
Ausgangspunkt. Mehr und mehr werden die Säulen lockerer gestellt ;
die äußeren treten hervor, der ganze Grundriß gerät in Bewegung, in dem
gleichen Maße wie die Gesimse und Giebel zu schwingen beginnen. Und mit
der Auflockerung der Kapitelle und der Verlebendigung der Gebälke hat die
Erleichterung der Bewegung und der Faltenschwung der Heiligenfiguren
zwischen den Säulen und in den Bekrönungen Schritt gehalten. Die anbe-
tend geneigten und verzückt emporblickenden Gestalten Straubs und Gün-
thers scheinen durchströmt von dem auf- und abwogenden Bewegungsge-
fühle, das die architektonische Gliederung der Altäre beseelt und in den Ro-
cailleschnörkeln der Abschlüsse verklingt (Abb. 120, 121). Die schmelzende
Empfindung geht noch über die des Raphael Donner hinaus, dessen Einfluß so-
wohl Straub wie sein Schüler Günther in Wien erfahren haben '4). Die schlan-
ken, lockigen Engelknaben der bayerischen Meister bekunden ihre Herkunft
aus Donners Schule. Im Verein mit pausbäckigen Engelkindern umschwe-
ben sie die göttlichen Gestalten, auf Wolken emporsteigend, auf Schnörkeln
kniend und an den Gesimsen hängend. In der Gestaltung weiblicher Anmut
und seliger Hingabe liegt die stärkste Seite dieser Richtung. Die jungfräu-
liche Gottesmutter auf der schlangenumwundenen Weltenkugel, die Imma-
culata in lieblicher Unschuld, die Schmerzensmutter mit dem Leichnam ihres
Sohnes auf dem Schöße, heilige Bekennerinnen liegen ihr am besten (Abb. 118).
Ebenbürtig und in verwandtem Sinne entwickelt sich in Würzburg die Altar-
bildnerei Auweras, der in der üppigeren Formen- und Faltengebung die flämi-
sche Herkunft zu bekunden scheint (Augustinerkirche Abb. 32). Er war
auch in der kirchlichen Steinbildnerei der führende Meister des Fürstbistums
am Main, wofür eine Reihe von Schutzpatronen an Würzburger Häusern,
sowie die drei obersten Stationen des Kreuzwegs zum Käppele zeugen.
In Mannheim wirkte in derselben Zeit Paul Egell, dessen holzgeschnitzter
Altar aus der Oberen Pfarrkirche in Mannheim im Berliner Museum um
1760 die letzte Entwicklungsphase des kirchlichen Rokoko dieser Ge-
genden verkörpert (Abb. 122) '5). Die aufgelöste Haltung der Statuen, der lok-
kere Zuschnitt der Gewandflächen sowie die skizzenhafte Modellierung des
Reliefs der Rückwand: alles das beweist die äußerste Erleichterung des For-
232
Abb. I20. Kirchenvater, von Ignaz Günther
Tonmodell im Kaiser-Friedrich-Museum
233
mensinnes im spätesten Rokoko. Vollends enthüllt sie sich in der Bildung
des Rahmens mit bewegten Palmbäumen und des oberen Abschlusses als ge-
kräuselte muschelartige Schnörkel. Egell, von dem auch das Giebelrelief am
Bibliotheksflügel des Mannheimer Schlosses herrührt, ist aus der Schule Per-
mosers hervorgegangen. Mit den aufgeführten Namen ist die Zahl tüchtiger
Rokokomeister nicht erschöpft"^). Die glänzende Entfaltung der kirchlichen
Rokokobildnerei auf dem Höhepunkt des Jahrhunderts ist unlösbar verknüpft
mit dem gleichzeitig erblühten Raumsinn des kirchlichen Rokoko, der in den
Bauten Neumanns, Johann Michael Fischers und ihrer Zeitgenossen wirkt. In
der vor- und rückwärts, der auf- und abflutenden Bewegung der Plastik ver-
dichtet sich körperlich das Raumempfinden dieser Generation. Wie weit der
Bildhauer in das Bereich des Architekten, oder der Architekt in das des Bild-
hauers übergegriffen, kann hier nicht näher erörtert werden. Entwürfe zu
Altären und anderen Dekorationsstücken wurden bald von diesem, bald von
jenem geliefert. In Dresden findet die kirchliche Bildnerkunst Permosers
ihre Fortsetzung in den religiösen Porzellangruppen Kirchners und Händ-
lers; der letztere hat auch einige Grabmäler in Stein gearbeitet. Neben der
Hauptströmung des kirchlichen Rokoko, in der viele Züge volkstümlicher
Kunst ans Licht kommen, hat damals der römische Barock stellenweise
nachgewirkt, wie der Statuenschmuck Mattiellis auf der Dresdener Hof-
kirche und die Bildwerke Verschaffelts an der Mannheimer Jesuitenkirche
dartun.
Die weltliche Bildnerei des deutschen Rokoko tritt gegenüber der kirch-
lichen an Bedeutung und Umfang zurück. Sie hat in der Bau- und Garten-
skulptur ihr Bestes geschaffen. Die Werkstätten am Main und Mittelrhein
sowie die von Berlin und Potsdam haben darin Ausgezeichnetes geleistet. In
den Mainbistümern steht an erster Stelle Ferdinand Tietz, ein Deutsch-
böhme '7). Seine Sandsteinarbeiten in den fürstbischöflichen Parks von Seehof
vind Veitshöchheim haben die sinnliche Bewegtheit, die uns in den ornamen-
talen Erfindungen des deutschen Rokoko entgegentrat. Die halbnackten Nym-
phen Satyrn und Putten ( Abb. 1 2 3 ) , die kokett gekleideten Kavaliere und Damen,
Jäger und Jägerinnen, Komödien- und Opernfiguren, die Garten- und Jagd-
trophäen wachsen wie Naturgebilde aus den dunkeln Hainen, aus den Laub-
gängen, aus den Felsen der Bassins und den Geländern der Balustraden und
den Treppenwangen heraus. Mit den glänzenden Aktfiguren des Adam und
des Pigalle kann man die verdrehten knusprigen Frauen- und Kinderkörper
des Tietz nicht vergleichen: sie sind mehr ornamental empfunden. Das Auf-
und Abschwellen der gerundeten Glieder ist dem Flächenspiel der Rocailleor-
namente verwandt. Und selbst in den Köpfen wirkt dieses Spiel fort. So
234
Abb. 121. Verkündigung, von Ignaz Günther. Mitte i8. Jahrhunderts
Kirche zu Weyarn
235
Abb. 122. Hochaltar der Oberen Pfarrkirche in Mannheim, von P. Egell, um 1760
BerHn, Kunstgewerbemuseum
trifft Tietz das Triebhafte der Wald- und Wassergottheiten besonders
glücklich, wie das verführerische Lächeln der Sphinxweiber, der Satyrn und
Nymphen. Auch die gleichzeitigen Garten- und Bauplastiker Friedrichs des
Großen haben gerade in der Fassung des halbmenschlichen, halbtierischen
Lebens der Naturgötter Köstliches geschaffen. Es seien die Sphinxweiber
236
Abb. 123. Steinputto, von Ferd. Tietz, um 1750
Bergrat W. Arbenz, Zehlendorf
von Ebenhecht in Rheinsberg und Potsdam, die Neptunsgruppe im Bassin
des Potsdamer Lustgartens und die Brunnengruppen unter der vorderen Ko-
lonnade als die Überreste des umfangreichen alten Bestandes genannt. Den
Naturgeist des deutschen Rokoko verkörpern mit am schönsten die Fauns-
und Nymphenhermen an der vorderen Fassade von Sanssouci (Abb. 75).
Welche Sinnenlust durchströmt die sich räkelnden, mit den Gebälken spie-
lenden Körper und die lächelnden Köpfe; wie webt sie in den Weinranken,
den Kürbisstauden, den Pansflöten, Syringen und Schellentrommeln, in den
Garten- und Musikgeräten, die um die Bäuche der Waldgötter geschlungen
sind. Und welcher organische Zusammenhang zwischen den architektonisch
gebildeten Schäften der Hermen, den rankenden Ornamenten und den her-
auswachsenden Menschenleibern. Die geistvolle Verbindung der Architektur
und der verzierenden Skulptur ist ein Kennzeichen der besten Schöpfungen
des deutschen Rokoko, insbesondere der Werke, die damals für Friedrich den
Großen entstanden. Die zarten Umrisse der Attikafiguren und Blumenvasen
auf den Bauten und Kolonnaden Knobelsdorffs sind nur die Ausklänge des
feinen Lebens seiner Pilaster, Gesimse und Gebälke. Das glänzendste Werk
solcher sprühenden Dachbekrönung sind die Pferdegruppen vom jüngeren
237
Glume auf den beiden Risaliten des Marstalls am Potsdamer Lustgarten
(Abb. 124). Trotz des wilden Aufbäumens und Ausschiagens bilden die
Pferde mit dem Unterbau eine Einheit; nur das höchste Stilgefühl war im-
stande, Gegensätze, wie die strengste Säulenarchitektur mit den zackigsten
Umrissen des Bildwerkes zu verbinden. Es geht vom jüngeren Glume über
seinen Vater bis zu dessen Lehrer Schlüter eine Linie der Schultradition zu-
rück. Die Pferde Glumes vergegenwärtigen im Rückblick auf Schlüters
Denkmal und auch auf die Gruppen der Schlüterschen Schule auf der Attika
des Zeughauses: wie die deutsche Bildnerei von dem noch gebundenen Stile
des Barock zur äußersten Lockerung des Rokoko in dem halben Jahrhundert
fortgeschritten ist. Einige andere gleichzeitige Musterlösungen verwandter
Art sind die Jagdgruppen von Manskirch auf dem für Clemens August er-
richteten Hirschberger Tor (jetzt in Arnsberg), und die Pferdegruppe
auf dem Marstall in Ehrenbreitstein. Zu den Glanzwerken der deut-
schen Bauskulptur des Rokoko gehören die Arbeiten des Tietz an der Resi-
denz in Trier, die Giebelreliefs und das in Rocaillen aufgelöste Treppengelän-
der im Stiegenhaus ; ferner der köstliche Sandsteinschmuck des Feill am Erb-
drostenhof und am Residenzschloß in Münster und die um 1765 entstandenen
Giebelreliefs und Gruppen Verschaffelts am Schloß zu Benrath. Verschaffelt
hat eine Reihe dekorativer Gruppen für den Park Karl Theodors in Schwet-
zingen geliefert, unter denen die gefallenen Hirsche am Eingang der großen
Allee hervorragen. Bemerkenswerterweise hat die Barock- und Rokokobild-
nerei das Pferd und besonders das leidenschaftlich erregte sprengende Pferd
mit höchstem Feingefühle zu gestalten vermocht. Den schon genannten
Pferdegruppen seien aus dem Rokoko noch angeschlossen das Reiterdenkmal
Kändlers für August III., das allerdings nur in dem kleinen Porzellanmodell
erhalten ist, sowie die edlen Pferdeköpfe am Marstall bei der Wiener Hof-
burg und die Pferdebändiger von Nahl in der Aue in Kassel. Der Rokokostil
hat in der Bildnerei bis in das Ende der siebziger Jahre das Feld behauptet.
Allerdings macht sich namentlich in den nackten Figuren in diesem Zeit-
punkt bereits die stärkere Einwirkung der antiken Vorbilder geltend. Das
plastische Grundgefühl des Barock bleibt aber, wenn auch abgekühlt, vor-
waltend. Diese Generation von Rokokoklassikern vertreten in Würzburg
Wagner, der Schöpfer der Stationen zum Käppele (Abb. 125), der Putten-
gruppen im Würzburger Hofgarten und mehrerer mythologischer im Park
von Veitshöchheim; in Mainz Johann Peter Melchior ''>), dessen Grabmal im
Mainzer Dom und Puttengruppe mit dem Relief des Fürstbischofs Emmerich
Joseph von der Reitbahn jetzt im dortigen Museum zu nennen sind, ferner
Pfaff, der in seinen frühesten Altargruppen noch den lockeren Spätrokokostil
238
239
Abb. 125. Job. P. Wagner, Kreuztragung. um 1770. Würzburg-
des Paul Egell aufweist, indessen seine den späteren achtziger Jahren ange-
hörenden allegorischen Figuren auf der von Mangin erbauten Dompropstei
schon klassische Formen zeigen; in Berlin gehören Elias und Wilhelm Chri-
stian Meyer, die von Meißen herüberkamen, dieser Übergangsrichtung an;
sie arbeiteten den Figurenschmuck für die von Gontard und Unger in den
siebziger Jahren erbauten Brücken und Kolonnaden. Bettkober, Bardou, Eck-
stein und andere schließen sich an, vi^ährend als Hofbildhauer an Stelle des
jüngeren Adam der im Stile Falconets arbeitende Flame Tassaert trat. Für
Karl Theodor wirkte neben Verschaffelt Conrad Linck, der Frankenthaler
240
Porzellanmodelleur, dessen Denkmäler auf der Heidelberger Neckarbrücke
Hervorhebung verdienen. In München sind Auliczek und Roman Anton
Boos, der Schöpfer mythologischer Figuren in den Hofgartenkolonnaden,
Vertreter des Rokokoklassizismus. In Wien wirkte in diesem Sinne Ludwig
Beyer, dem der Garten von Schönbrunn die Mehrzahl seiner Göttergestalten
verdankt. Zum Schluß sei die Ausstattung der Klosterkirche von Salem beim
Bodensee von Dürr und Wieland genannt, deren figürlicher Schmuck den
letzten Lebensäußerungen des Rokoko zugehört, während die architektoni-
sche Umrahmung schon ganz in den geraden Linien und glatten Flächen des
Louisseizestils gebildet ist.
So bezeichnet also das erste Drittel des Jahrhunderts den Aufschwung
eines kraftvollen körperlichen plastischen Empfindens in den Werken Schlü-
ters, Permosers, Raphael Donners und ihrer Zeitgenossen. Das zweite Drittel
des Jahrhunderts stellt die Lockerung des räumlich plastischen Sinnes, die
Auflösung ins Malerische dar. In dem letzten Drittel des Jahrhunderts end-
lich vollzieht sich die Beruhigung zum Flächigen und Linearen, die schließ-
lich, wie sich noch zeigen wird, die plastische Bildungskraft des Barockzeit-
alters zum Erlöschen brachte.
Selbstbildnis. Chr. Ludw. Lückes in Ton
Schmitz, i8. Jahrh. l6
241
19. DIE ÖLMALEREI
Vuv
Gegenüber dem geschlossenen und an glücklichen Schöpf ungen reichen Bilde,
das die deutsche Baukunst und im Zusammenwirken mit ihr die deko-
rative Bildnerei und Malerei des Barock und Rokoko darbieten, fällt die Ta-
felmalerei beträchtlich ab. An dem von innen heraus quellenden Strome der
Entwicklung, den wir bisher verfolgt haben, nimmt sie nur bedingten Anteil.
Auf diesem Felde fehlen die großen Persönlichkeiten, in denen sich die natio-
nalen Kräfte aussprechen, wie sie das Zeitalter Dürers in der deutschen Ma-
lerei gesehen hat. Es scheint, als ob die Summe des künstlerischen Genies
von den großen Raumschöpfern und Dekoratoren aufgesogen wurde. Hinzu
kommt noch, daß die Höfe die Porträtmalerei nach dem Vorbild der franzö-
sischen begünstigten. Französische und in Frankreich gebildete niederlän-
dische Maler beherrschten dieses Feld fast ausschließlich bis weit über die
Mitte des Jahrhunderts hinaus.
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Abb. 127. Supraporte, von Johann Conrad Seekatz, 1768. Darmstadt, Schloß
Die Erschöpfung der deutschen künstlerischen Kultur am Ausgang des
Dreißigjährigen Krieges zeigte sich naturgemäß auf dem Gebiete der Malerei
greller als auf dem der übrigen Künste. So werden holländische und
flämische Porträtmaler an die norddeutschen Höfe gezogen. Unter dem
Großen Kurfürsten fänden wir Mytens und Honthorst am brandenbur-
gischen Hofe; Snapphan (f i6gi) am anhaltischen in Dessau, van der
Werff und andere am kurpfälzischen in Düsseldorf. Im engsten Anschluß
an den Stil der Holländer malen Matthias Scheits in Hamburg (f 1700),
Andreas Stech in Danzig (f 1697), ebendort Daniel Schulz ihre Porträte
und Familienbilder. Gleichfalls knüpfen die Stillebenmaler, wie Abraham
Mignon und die Tiermaler wie Christoph Paudiss an die Niederländer
an. Den von Grund aus malerischen Zug, den selbst die Niederländer des
späteren 17. Jahrhunderts als einen Abglanz ihrer großen Epoche bewah-
ren, lassen ihre deutschen Nachahmer vermissen. Allzuleicht verfallen sie in
eine zeichnerische Härte, die z. B. schon Joachim Sandrarts und Matthäus
Merlans (f 1687) Bildnisse zeigen.
Die kirchliche Tafelmalerei des deutschen Barock und Rokoko, um
mit dieser die Betrachtung der einzelnen Gattungen zu beginnen, hat ihrem
Vorbild, der italienischen, gegenüber keine Bedeutung errungen. Man ver-
gegenwärtige sich die Säle mit den Italienern des 17. Jahrhunderts in der
Dresdener Galerie, dem glänzendsten Sammelplatz dieser Art, und rufe sich
ins Gedächtnis, was man von deutschen Altarbildern in den Barockkirchen
Süddeutschlands gesehen hat: so wird man das bestätigen müssen. Unter,
dem mächtigen Farben- und Goldprunk der säulen- und figurenreichen Altar-
244
Abb. 128. Supraporte, von Johann Conrad Seekatz, 1768. Darmstadt, Schloß
aufbauten scheinen die nachgedunkelten Altartafeln mit ihren Verzückungen,
Himmelfahrten, Krankenheilungen und Martyrien selten über das Dekorative
sich zu erheben. Den älteren Barock vertritt eine Reihe von Altargemälden
des Sandrart, des Onghers und des de Rül im Würzburger Dome (um 1670);
den reifen Barock die in Carlones Stuckaltären sitzenden Marterdarstellun-
gen von Rottmayer, Johann Wolf und Caspar Sing in den Seitenkapellen des
Domes von Passau. Den Übergang zum Rokoko bezeichnen Holzers tiefemp-
fundene Altarblätter, während die Altarbilder Knollers, des Maulpertsch und
des Johann Martin Schmidt in Wien, des sogenannten Kremserschmidt, den
Ausklang darstellen. Die venezianische Altarmalerei, der ältere Guardi, Pia-
zetta und Tiepolo, hat die spätere österreichische und süddeutsche Altarbild-
kunst gefördert. Eine Sonderstellung nehmen die religiösen Ölbilder des Ja-
nuarius Zick ein, die in Sammlungen und selbst im Handel häufiger begeg-
nen. Das Vorbild für sie waren vielfach die religiösen Bilder Rembrandts,
die in einem weichen, zwischen Watteau und Chardin schwebenden Stile wei-
cher Flaumigkeit auf eigene Weise umgebildet werden. Mehr der Merkwür-
digkeit halber seien aus dem protestantischen Kreise die biblischen Gemälde
der am Mittelrhein und Main tätigen Seekatz gestreift.
Nächst der kirchlichen Bildmalerei erstreckt die mythologische ihre
Wurzeln am tiefsten in das 17. Jahrhundert hinein. Auch auf diesem Felde
hat die deutsche Malerei keine Früchte getragen, die mit den Schöpfungen
der Italiener, der Niederländer und Franzosen in einem Atem genannt wer-
den dürfen. Hier beginnt auch schon der Wirkungskreis der ausländischen
Hofmaler (van der Werff, Pesne, van Loo!). Nur in Wien errang einen ge-
245
wissen Ruf durch seine kleinfigurigen Mythologien Johann Georg Platzer
(f 1760). Im allgemeinen blieben den deutschen Meistern Supraporten und
Wandfüllungen vorbehalten, die in kleineren Sälen der Schlösser und vor-
nehmen Häuser angebracht wurden. So haben Zick der Jüngere in Bruchsal,
Engers usw., Brinckmann in Mannheim und Seekatz in Darmstadt, ferner
Leydensdorf aus Mannheim in Benrath, Coppers in Münster, Harper und
Fechhelm in Berlin und Potsdam gewirkt. Neben mythologischen Gegenstän-
den liebt das Rokoko in diesen Wandbildern Darstellungen von kleinen Lie-
besgöttern, von Schäferszenen, von Idyllen, Sittenbildern, Tieren,
Stilleben, Architekturen und landschaftlichen Prospekten. Es versteht sich
von selbst, daß die Bilder und Stiche der französischen Maler aus der Nach-
folge Watteaus die Vorbilder für die deutschen Schäfer- und Gesellschafts-
stücke des Rokoko waren. Die geistvolle Malweise dieser Schule werden wir
selten finden. In der strichelnden Aufsetzung kleiner Blitzlichter kommen ihr
am nächsten die kleinen Bilder des Pragers Norbert Grund (f 1767, Abb. 126).
Einen Hauch davon atmen auch die Supraporten von Johann Conrad Seekatz
(f 1768) aus dem Schloß in Braunshardt, jetzt im Darmstädter Schlosse
(Abb. 127, 128). Sie stellen Gesellschaften des hessen-darmstädtischen Hofes in
Parklandschaften dar. Den Ausklang dieser Richtung bezeichnen die denk-
würdigen Tapetenbilder mit Monatsdarstellungen, die Seekatz im Hause des
Rats Goethe in Frankfurt für den einquartierten französischen Königsleut-
nant Grafen Thoranc gemalt hat (im Museum des Goethehauses) und deren
Entstehung zusammen mit den Landschaftstapeten von Christian Georg
Schütz und Johann Georg Trautmann Goethe im ersten Buche von Wahrheit
und Dichtung verewigt hat (Abb. 129). Die Umrahmungen bewegen sich in
dem lockeren Muschelstile des letzten Rokoko. Nicht minder denkwürdig für
uns Deutsche ist das im Goethemuseum aufbewahrte Ölbild des Seekatz,
Herrn und Frau Rat Goethe mit dem kleinen Wolfgang und der Schwester,
alle in Schäfertracht vor einer Parklandschaft mit einer römischenTempelruine
darstellend (Abb. 130). Neben den Schäfer- und feineren Gesellschaftsstücken
pflegte das bürgerliche deutsche Rokoko mit Vorliebe das Sitten- und das
Genrebild. Mehr als die französischen Meister haben in diesem Fach die Hol-
länder anregend gewirkt. Insbesondere schreibt sich von ihnen die mit der
Mitte des Jahrhunderts auftretende Malerei von Familiengruppen und Genre-
szenen in Innenräumen her. Damit kommt der Geschmack an dem Helldun-
kel in der Art Rembrandts und Ostades auf, den außer den genannten Mei-
stern Justus Juncker (f 1767) in Frankfurt und Christian Wilhelm Ernst Diet-
rich (Dieterici f 1774) in Dresden nachahmen. Auch diese Erscheinung hat im
Leben des jungen Goethe eine Rolle gespielt. Es ist bekannt, wie er als Leip-
246
Abb. 129. Johann Conrad Seekatz, Monatsbilder
Goethehaus, Weimar
247
Abb. 130. Johann Conrad Seekatz, Die Familie Goethe
Frankfurt, Goethehaus
ziger Student und unbeschadet der akademischen Lehren Ösers entzückt
vor den Niederländern der Dresdener Galerie verweilte. Den Jüngling, des-
sen leidenschaftliches Begehren war, zwischen der Kunst und dem Leben
Beziehungen zu gewinnen, überkam es wie eine Offenbarung, daß er in Osta-
248
Abb. 131. Daniel Chodowiecki, Der Hahnenschlag. Berlin
des Bildern Eindrücke gestaltet fand, die ihm täglich in der Wohnung und
Werkstatt seines Freundes, des Schuhmachermeisters, vor Augen traten.
Die Landschaftsmale r e i wurzelt genau so wie die figürliche in
dem idealen Stil des 17. Jahrhunderts. Sie ist keineswegs ein Spiegel der hei-
mischen Landschaft, wozu sich so hoffnungsvolle Anfänge in dem Zeitalter
Dürers hervorgetan hatten. Wie der deutsche Gartenbau des Barock und Ro-
koko eine ideale, auf südlichen Pflanzenbildungen aufgebaute Kunstwirkung
erstrebte, so ist auch die Landschaftsmalerei dieser Epoche von dem hohen
Stil der italienisch-französischen Landschaftsmaler ausgegangen. Die pathe-
tisch bewegten Baumumrisse und Felsen des Salvator Rosa und anderer Ita-
liener, die römischen Berg- und Flußlandschaften der späten Niederländer in
der Art des Berghem und Mouscheron und die großen Baummassen, Ebenen
und Wolken des Claude Lorrain bilden die Elemente auch der deutschen ba-
rocken Landschaftsmalerei. In solcher Art malten in Wien Anton Feisten-
berger (f 1722) und Christian Hilfgott Brand (f 1756). Von hier nehmen
Argricola und sein Schüler Johann Alexander Thiele in Dresden (f 1752)
ihren Ausgang. Der letztere geht alsbald zur Darstellung heimatlicher An-
sichten über; namentlich malte er Prospekte sächsischer und mecklenburgi-
249
Abb. 132. Salomon Geßner, Am Brunnen. Zürich
250
Abb.i33- Johann Heinrich Roos, Römische Hirten. Frankfurt a.M., Staedelsches Institut
scher Städte und Landschaften. Auch der in der Frankfurter Gegend und am
Mittelrhein tätige Künstlerkreis vollzieht nach der Mitte des Jahrhunderts
einen Übergang von dem idealisierten Landschaftsstil zur Wiedergabe vater-
ländischer Ansichten. Allein überwiegend bleibt doch auch damals, sowohl
in der Wiedergabe des Baumschlags wie des Erdreichs und der Berge der de-
korative Zug der Überlieferung bestehen. So in den Rhein- und Mainland-
schaften des Christian Georg Schütz, die an den Niederländer Saftleven und
in den Nachtbildern Trautmanns, die an Eglon van der Neer erinnern. Auch
die Tiergartenlandschaften Chodowieckis und des jungen Hackert sind mehr
idealisierte als wirkliche Natur (Abb. 131). Die reizenden Landschaftsbilder und
Radierungen Salomon Geßners in Zürich versetzen uns in arkadische Haine und
nicht an die Ufer des Zürichsees (Abb. 132). Die verschönerte Natur wirkt
251
in den Radierungen des Studenten Goethe in Leipzig nach. Der Stil der
Landschaft des i8. Jahrhunderts wird uns verständlich im Zusammenhang
mit der Gesamtanschauung von der Natur, die der Barock besaß. Sie kommt
noch deutlicher in den Theaterprospekten und in der Gartenkunst zutage. Die
großartigste Äußerung dieser von Grund aus dekorativen Stilisierung der Land-
schaft schafft das Jahrhundert in den gewirkten Bildteppichen von Brüssel,
Audenarde, Beauvais, Paris und Aubusson, die die begehrten Wanddeko-
rationen der fürstlichen und adeligen Schlösser auch in Deutschland bildeten.
Der Wirklichkeitssinn erwacht bezeichnenderweise eher in der Malerei
von Architekturen und Stadtansichten. In diesem Zweige hatte
Deutschland bereits einen trefflichen Meister in Matthäus Merian besessen.
Die architektonischen Kupferstichwerke gaben dieser Richtung Nahrung.
Von Bildern sind neben denen Thieles die Frankfurter Ansichten des Schütz
und die Berliner von Rosenberg Denkmäler des erwachenden Sinnes für die
Schönheiten der Städte. Ohne Zweifel hat die um die Mitte des Jahrhunderts
zur Reife gediehene städtische und bürgerliche Baukunst den Blick geschärft.
Aber welche Überlegenheit der malerischen Anschauung über die deutschen
Stadtveduten liegt in den Bildern, die der Venezianer Bernardo Beiotto,
genannt Canaletto, ein Neffe des berühmten Antonio Canale, um die
Mitte des Jahrhunderts von Dresden, Wien und München gemalt hat. Von
1746 — 1764 war er mit Unterbrechungen in Dresden tätig.
Mit der Landschaftsmalerei hängt die Tiermalerei zusammen. Vieh-
stücke in der Art der italienisierenden Niederländer malten Johann Heinrich
Roos (f 1685, Abb. 133) und Johann Philipp Peter Roos (f 1705), auch
Rosa di Tivoli genannt, da er den größten Teil seines späteren Lebens in
Tivoli verbrachte. Die Kuh-, Schaf- und Ziegenherden dieser Meister tra-
gen überwiegend ein dekoratives Gepräge; mit den holländischen Viehmalern
der Zeit Potters sind sie nicht zu vergleichen. In Wien wirken als Tiermaler
Franz Werner Tamm, ein gebürtiger Hamburger, und die drei Brüder Hamil-
ton, unter denen Johann Georg sich großer Beliebtheit als Pferdebildnismaler
erfreute (Abb. 134). War doch gerade Wien mit seiner Hofreitschule und
dem großen Gestüt von Lipizza ein Mittelpunkt edler Pferdezucht. Ein eifrig
gepflegter Zweig der Tiermalerei war die Jagdmalerei. Es gab an den Höfen
eigentliche Jagdmaler, die die Fürsten auf ihren Jagden begleiten mußten.
Freilich verdient vieles auf diesem Gebiet Geschaffene nur ein kulturge-
schichtliches Interesse. Der beste Jagdmaler Deutschlands gehört dem
17. Jahrhundert an. Es ist Karl Andreas Ruthart (f 1680). Er war in den
sechziger Jahren in Antwerpen und seine Bären- und Hirschhetzen haben
Züge mit den flämischen Tiermalern aus dem Kreise des Rubens, Fyt und
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253
Snyders gemein, allerdings ohne deren malerische Kraft zu erreichen. Der
eigentliche Jagddarsteller des deutschen Barock und Rokoko, der um die
Mitte des i8. Jahrhunderts in Augsburg tätige Johann Elias Ridinger, Schü-
ler des Rugendas und seit 1759 Direktor der Akademie, hat fast ausschließ-
lich für den Kupferstich gezeichnet. Seine umfangreichen Folgen wie ,,Die
Fürsten- Jagdlust", ,,Die Parforce-Jagd des Hirschen", ,,Die jagdbaren Tiere",
„Die Kämpfe reißender Tiere" usw. sind Zeugnisse der Jagdlust dieser Epo-
che. Die barocke Zeichnung der Tiere und der Felsen- und Waldlandschaft
trägt den Stempel des bizarren und malerischen Empfindens, das die Erzeug-
nisse der Augsburger Stecher dieser Jahrzehnte kennzeichnet. Für das Na-
turgefühl des deutschen Barock und Rokoko ist es beachtenswert, daß Brok-
kes, der Hamburger Naturdichter, einen Teil der Versunterschriften unter
Ridingers Blätter lieferte.
Die wichtigste Stellung hatte damals in der deutschen Ölmalerei die Por-
trätmalerei inne. Ihre Hauptpflegestätten waren die Höfe. Indem ihnen der
französische Königshof als Ideal in allen Dingen der Kunst vorschwebte,
verlangten die Fürsten sich und die Ihren auch nach dem Muster der franzö-
sischen Könige und der Hofgesellschaft von Versailles in lebensgroßen Bild-
nissen zu sehen. Majestät und imponierende Haltung der Fürsten, Grazie der
Damen, rauschender Faltenwurf, Eleganz der Erscheinung und glänzende
Farben waren in der Pariser Schule wie in keiner anderen herausgebildet.
Selbstverständlich wurden deshalb Pariser oder in Paris ausgebildete Meister
als Hofmaler an die deutschen Höfe gezogen. Sie erhielten Titel und Aus-
zeichnungen, wurden zu Akademiedirektoren ernannt und fanden bei Hof
und Adel ehrenvolle Aufnahme, indessen die Landeskinder sich mit den
untergeordneten Stellungen als Kammerdiener oder Kammermaler zu be-
gnügen hatten. So kamen Vivien und Georg des Marees (t 1776) nach Mün-
chen, Pesne, Charles Amedee van Lo nach Berlin, van der Werff nach
Düsseldorf, Goudreaux nach Mannheim, Louis de Silvestre nach Dresden
(vgl. die Abbildungen in den ersten Kapiteln), van der Schuppen und Martin
Mytens nach Wien. Die festliche Erscheinung ist der Hauptvorzug ihrer
Bilder. Doch haben Meister wie Goudreaux, des Marees und Pesne eine
Reihe von Bildnissen gemalt, die an malerischer Feinheit den Meisterwerken
der Pariser Porträtmalerei der Regence und des Rokoko nahekommen. Der
Art und Qualität der Franzosen gleichen die Bildnisse des Johann Kupetzky
Cj" 1740) und des Adam von Manyocki (f 1757). Die deutschen Porträtmaler
haben erst gegen die Mitte des Jahrhunderts neben den Ausländern an den
Höfen Fuß fassen können. Sie haben sich die Malweise und die Allüren der
Franzosen zu eigen gemacht, sie bewahren sich gleichwohl ein Streben nach
254
Abb. 135. Querfurt, Fürst Karl von Waldeck. Schloß Arolsen
schärferer Charakteristik (Abb. 135). Der schüchteren Auffassung, wozu sie
neigen, kommt die beginnende Hinwendung zur bürgerlichen Anschauung
entgegen. Im allgemeinen kennzeichnet die deutschen Porträtisten wieder
ein Hervortreten des Zeichnerischen, eine größere Glätte und Härte der
Färbung und eine Neigung zur Betonung des Einzelnen. Das Maß an male-
255
Abb. 136. Johann Heinrich Tischbein, Der Künstler und seine Tochter
Kaiser-Friedrich-Museum
256
Abb. 137. Georg Ziesenis, Marie, Gemahlin des Grafen von Schaumburg-Lippe
Durchl. Fürst zu Schaumburg-Lippe
Schmitz, 18. Jahrh. 17
257
[ Abb. 138. Raphael Mengs, Selbstbildnis
Petersburg, Eremitage
rischer Kraft ist und bleibt den gleichzeitigen Franzosen unterlegen. Dabei
hat die deutsche Bildnismalerei im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts im
einzelnen Erfreuliches geleistet und verdient die Teilnahme, die ihr von
Seiten der Sammler und Forscher neuerdings entgegengebracht wird.
Als zwei hauptsächlich in bürgerlichen Kreisen tätige, durch Natürlichkeit
ausgezeichnete Bildnismaler der ersten Hälfte des Jahrhunderts gehen
Balthasar Denner in Hamburg und Christian Seybold in Wien voran.
Unter den älteren deutschen Hofporträtisten nehmen E. A. Eger am darm-
städtischen Hofe, Johann Conrad Eichler und Bernhard Christoph Franke in
Braunschweig und allenfalls Weidemann in Berlin einen gewissen Rang ein.
Die besten Vertreter des späteren Rokoko sind Johann Christian Fiedler
(t 1768) in Braunschweig, Johann Georg Ziesenis (f 1777), der am braun-
schweigischen, am schaumburg-lippischen, am zweibrückenschen und ande-
ren Höfen wirkte (Abb. J37), Christian Friedrich Reinhold Lisiewski, Anna
25S
Dorothea Therbusch, geb. Lisiewska Cf i782)'9), Anna Rosina de Gask,
geb. Lisiewska, Georg David Matthieu in Schwerin (f 1778) und Johann
Heinrich Tischbein d. Ä. in Kassel (1722 — 1789; Abb. 136). Auch Ismael Mengs
und in seinen früheren Bildnissen sein Sohn Anton Raphael Mengs gehören
noch dem Ausgang des Rokoko an (Abb. 138). Das gilt zumal von den farben-
frischen Pastellen, die Mengs von August III. und der Dresdener Hofgesell-
schaft schuf. Die Pastellmalerei erlangte in Deutschland neben der Ölmalerei
weite Verbreitung. Die Modekünstler waren Pietro Rotari und die Rosalba
Carriera. Das Bedeutendste schuf auf deutschem Boden Etienne Liotard, ein
Franzose aus dem Kreise der großen französischen Pastellisten dieser Epoche,
von denen Fantin la Tour in jüngster Zeit eine Auferstehung erlebt hat. Als
Emailmaler, Miniaturmaler und Zeichner kam Daniel Chodowiecki nach dem
Siebenjährigen Kriege in Berlin empor; der Illustrator der Minna von Barn-
helm und des Werther führt bereits aus dem Rokoko heraus in einen neuen
Zeitabschnitt hinüber. Bevor wir dem Leser einen Einblick in diese letzte
Epoche des Jahrhunderts eröffnen, gilt es eine Umschau zu halten über das,
was die deutsche Kunst auf den Gebieten des Kunsthandwerks im Zeitalter
•des Barock und Rokoko geschaffen hat.
17*
259
Abb. 13g. Oberlichtgitter, um 1700. Berlin, Kunstgewerbemuseum
20. SCHMIEDEKUNST UND WAFFEN
In der Betrachtung des deutschen Kunsthandwerks des Barock und Rokoko
verdient die Eisenschmiedekunst voranzugehen, da in ihr die nach dem
Dreißigjährigen Kriege noch vorhandenen bodenständigen künstlerischen
Kräfte Deutschlands am deutlichsten zutage treten. Die Eisenschmiedekunst
der zweiten Hälfe des 17. Jahrhunderts ist nichts als eine unmittelbare Fort-
entwicklung der in der Spätrenaissance aufgekommenen Kunstweise. Die
Gitter der Marktbrunnen, der Kirchenportale, der Chorschranken und Vor-
hallen des Kircheninnern, die Oberlichter der Türen und der Fenster werden
bis in die Spätzeit des 17. Jahrhunderts und selbst bis in den Anfang des 18.
in der überlieferten Art geschmiedet. Sie bestehen aus gleichmäßig dünnen
Stäben von rundem Querschnitt, die durcheinander gesteckt sind. Die netz-
artigen Verflechtungen der Stäbe, ihre Aufrollungen zu Voluten mit ange-
setzten flachen Blättern bilden dichte, in einer Fläche entwickelte Linien-
spiele. (Schöner Brunnen in Neisse 1686, Floriansbrunnen in Salzburg 1687.)
Die Umbildung dieser Spätrenaissanceformen in dem Barock veranschaulicht
ein Oberlichtgitter mit der Devise Friedrichs I. aus dem Anfang des 18. Jahr-
hunderts; hier haben sich krause Blätter an die dünnen, volutenartig gebo-
genen Stäbe angesetzt (Abb. 139). Das barocke Bildungsprinzip äußert sich
innerhalb der überlieferten Technik in der jetzt beliebt werdenden Gewohn-
heit, Chorgitter und Gartentore mit perspektivischen Mustern zu verzieren
(Chorgitter von Maria Einsiedeln 1675 und von St. Ulrich in Augsburg 1712).
Selbst die Eisenschmiede folgen also einem charakteristischen Zuge der Zeit,
indem sie dem Auge eine Verkürzung vortäuschen und eine Raumerweite-
rung innerhalb der Fläche erstreben.
Der entwickelte Barock der ersten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts setzte
an die Stelle der gleichmäßigen Rundstäbe und flachen Blätter einen lebhaf-
ten Wechsel zwischen einem Gerüst von starken Vierkantstäben mit einge-
260
Abb. 140. Oberlichtgitter der „Ungarischen Garde". Wien, um 1720
füllten dünneren Rechtecksstäben, die an den Endungen und Biegungen in
ausgeschnittene Akanthusblätter aus dünnem Eisenblech eingesetzt sind. In
der gedrängten Verflechtung dieser an- und abschwellenden Figuren wie in
dem Heraustreten der plastischen Teile prägt sich der Barock aus. Es ist
kein Zufall, daß die Bau- und Gartenschöpfungen Fischer von Erlachs und
Lukas von Hildebrands in Wien die glänzendsten Stätten der Schmiedekunst
des reifen Barock sind (Abb. 1 40) . Am üppigsten entfaltet sie sich in den Garten-
toren, in denen des Belvedere und des Schlosses Schloßhof. In immer krauseren
Schwingungen und stärkeren Ausladungen schießen die Linien nach oben hin
zusammen zu einem dichten Geäst. Ihre Wirkung wurde durch Färbung und
Vergoldung gegen die Steinpfeiler und das Laubwerk gehoben (ein teilweise
noch vergoldetes Abschlußgitter des Cour d'honneur von Charlottenburg um
1710). Das Laub- und Bandelwerk der deutschen Schmiedearbeiten dieser
Zeit ist natürlich stark von den Ornamenten Berains angeregt worden. Eine
Reihe von Vorlagenbüchern, so einige bei Weigel in Nürnberg erschienene
Schlosserbücher, die Entwürfe Paul Deckers, ferner von Schlossermeistern
selbst, wie von Schmittner in Wien herausgegebene Musterbücher haben die
französischen Ornamentformen des Marot und Berain für den heimischen
Gebrauch zurechtgemacht.
In der Rokokozeit treten die süddeutschen Eisenschmiede in denVordergrund.
Ihre Vororte sind Augsburg und Würzburg (Abb. 141). Der glänzendste Mei-
ster ist Johann Georg Oegg in Würzburg (1703 — 1780), der vom Fürstbischof
Friedrich Karl von Schönborn aus der Wiener Hofschlosserei berufen wurde.
261
Abb. 141. Gittertor des Klosters Ebrach, Würzburg, um 1750
262
Abb. 142. Entwurf zu einem Gitter. Süddeutsch, um 1750
Berlin, Bibliothek des Kunstgewerbemuseums
263
Abb. 143. Deutsche Pürschbüchsen, um 1700. Berlin, Zeughaus
Der Zusamenhang mit Wien wird auch dadurch beleuchtet, daß Lukas von
Hildebrand den Entwurf zu dem nicht mehr erhaltenen Abschlußgitter des
Cour d'honneur vor dem Würzburger Schlosse geliefert hat. In der Tat sind
die reichen, um die Mitte des Jahrhunderts von Oegg geschaffenen Garten-
tore des Würzburger Schloßgartens eine Fortbildung der genannten Wiener
Schöpfungen aus dem späten Barock. Die Wirkung namentlich der an-
schwellenden, mit Wappen und Bischofskrone besetzten Bekrönungen ist
durch die stärkeren Biegungen der Gestäbe und die zerfranste Akanthus- und
264
1^.1
. 1
Abb. 144. Deutsche Hirschfänger usw., 18. Jahrhunderts. Berlin, Zeughaus
Rocailleornamentik in getriebenem Eisenblech stark belebt. Die Umbildung
der Rocaillen und ihre Durchsetzung mit schwereren Frucht- und Blumen-
kränzen kommt in den Augsburger Vorlagen für eisernes Gitterwerk noch
mehr zum Ausdruck (vgl. Johann Samuel Birkenfelds bei Engelbrecht und
Hertel erschienene Vorlagen, auch die Blätter von Baumann und Haber-
mann). Das teilweise vergoldete Gitter der Barfüßerkirche in Augsburg von
Johann Balthasar Birkenfeld, dem Vater des Stechers (1760), sei als Beispiel
für die mit den reichen Ausstattungen im Rokokostil entstandenen Vorhal-
265
len- und Chortrennungen in den südschwäbischen Kirchen erwähnt. Ein enge-
rer Anschluß an die elegante Schmiedekunst der Franzosen ist nebenher
gegangen. Diesen erstreben die um 1742 erschienenen Vorlagen für Schlosser
von Francois Cuvillies in München, die den feinen Linienzügen der Gitterent-
würfe in Blondels Jardins de Plaisance nacheifern. Die wenigen Überreste
der Knobelsdorffschen Epoche in Potsdam und Berlin folgen gleichfalls mehr
dem leichten Zug der französischen Vorbilder. Ihre Glanzleistung vollbrachte
um 1740 die französische Schmiedekunst des Louis-Quinze in den Gitterab-
schlüssen der Place Concorde in Nancy, gefertigt von Lamour unter Heres
Oberleitung für König Stanislaus Leszcynsky, die natürlich von den nach
Paris reisenden deutschen Künstlern bewundert wurden.
Im Zusammenhang mit den Eisenschmieden sind die Eisenschneider
und die Waffenschmiede zu nennen. Unter den Eisenschneidern sind
die Nürnberger Bartholomeus Hoppert und Gottfried Leygebe hervorzuhe-
ben. Von Leygebe sind außer den genannten Eisenstatuetten eine Reihe klei-
nerer Eisenschnittarbeiten, Büsten, Kapseln und Degengriffe erhalten. Seit
1668 war er in Berlin als Münzeisenschneider angestellt. Das Hauptfeld der
Eisenschneidekunst war im Barock und Rokoko das Gewehrschloß. Diese
Zeit sah die höchste Kunstentfaltung in der Herstellung der Gewehre, d. h,
vorzüglich der fürstlichen und adeligen Jagdgewehre, die in den Händen der
Büchsenmacher lag (Abb. 143). Die Büchsenmacher hatten die Oberleitung, die
Erzeugung teilte sich in den Lauf, in das Schloß und in den hölzernen Schaft, der
den eigentlichen Büchsenschäftern vorbehalten blieb. Die letzteren verzier-
ten die Schäfte mit Schnitzereien und Hirschhorneinlagen, meist Jagddarstel-
lungen in Rankenwerk. Wahre Künstler in derartiger Verzierung waren die
Büchsenschäfter Johann Michael und Christoph Maucher in Schwäbisch-
Gmünd um 1700, deren Elfenbeinschnitzereien schon Erwähnung fanden.
Treffliche Gewehrschäfte ihrer Hand birgt das Bayerische Nationalmuseum.
Von den Büchsenmachern verdient vom künstlerischen Standpunkt Erwäh-
nung Armand Bongarde, auch Eisenschneider, am Hofe Jan Wilhelms in
Düsseldorf um 1700. Zum Schluß sei der Prachtgeschütze in Bronzeguß ge-
dacht, unter denen die des Stückgießers Johann Jacobi in Berlin, des Gießers
von Schlüters Großem Kurfürsten und Prinzen von Homburg, hervorragen.
265
Abb. 145. Silberterrine, von L. Biller, Augsburg, um 1715. Berlin, Schloß
21. GOLD UND SILBER
Die Gold- und Silberschmiede des Barock haben mit den Eisenschmieden die
feste Verbindung nach rückwärts, nach der Blütezeit in der Renaissance
gemein. Unter allen Handwerkern genossen sie das höchste Ansehen. Durch
das ganze 17. Jahrhundert hindurch hatte dieses Handwerk in Augsburg und
Nürnberg und anderen Reichsstädten fortgelebt. Infolge der Beziehung zu
den Ornamentstechern waren die Goldschmiede die wichtigsten Träger der
Ornamententwicklung gewesen. Mit dem Eintritt des Barock behaupteten
sie ihre Stellung. Ja, auch die Städte des Nordens und Ostens, wie Berlin,
Danzig und Breslau, treten als Sitze fruchtbarer Goldschmiedswerkstätten
neben die süddeutschen altehrwürdigen Mittelpunkte in den Strom der Ent-
wicklung ein.
Das Arbeitsfeld der Goldschmiede erweitert sich durch den Barock in be-
zeichnender Weise. Die Kirchengeräte sind an Umfang bedeutend gewach-
sen: riesige, mit Wolken und Strahlen besetzte Monstranzen, Prachtkelche
und Ziborien, große Standleuchter, Meßkannen, breite Beschläge der Missa-
lien, lebensgroße Heiligenbüsten, Kruzifixe und Engelstatuetten, selbst ganze
Altarbekleidungen, reliefgeschmückte Vorsätze und Heiligenschreine setzen
267
das Silberschmiedehandwerk in Bewegung. Die Domschätze in Breslau und
Bamberg sind reich mit barockem Kirchensilber versehen. In Bamberg sieht
man heute noch die schimmernden Silberheiligen, -engel und -kreuze in den
Prozessionen über den Köpfen der Menge den Domberg hinaufstreben. Auch
die protestantischen Kirchen haben wenigstens in der Bestellung von Altar-
leuchtern, Tauf- und Abendmahlsgerät der barocken Leidenschaft für den
Glanz ihren Tribut gezollt. Schier ans Märchenhafte grenzt, was uns von dem
Silbetprunk der Höfe von Dresden, München und Berlin berichtet wird. Sil-
berbüfetts, wie das im Rittersaal des Berliner Schlosses, goldenes und
silbernes Tafelgeschirr, silberbeschlagene Möbel und Zimmerausstattungen
mußten den Glanz der Festgemächer in den Schlössern erhöhen. Selbst
Friedrich Wilhelm I., der haushälterische Monarch, der viele Prachtdekora-
tionen seines Vaters überweißen ließ, hat der Leidenschaft für Silberarbeit
gefrönt. Ganze Zimmer der Paradekammern im Schloß sind mit silberbe-
schlagenen Möbeln ausgestattet gewesen; im Rittersaal ließ er einen mit Fi-
guren und Trophäen überreich beladenen Musikerchor in Silber von Lieber-
kühn anbringen. Nach der Rückkehr vom Hofe Augusts des Starken soll
der König haben zeigen wollen, daß er diesen an Silberprunk noch überbie-
ten könnte — so berichtet seine Tochter Wilhelmine von Bayreuth. Aller-
dings sprach der Umstand mit, daß die Silberschätze Investierungen des
Staatsschatzes für Kriegs- und Notzeiten waren. So hat Friedrich der Große
den Silberchor in den Schlesischen Kriegen einschmelzen lassen, und unge-
zählte Silberarbeiten des Barock und Rokoko sind in den Napoleonischen
Kriegen in allen deutschen Landen zur Münze gewandert. Die silberbeschla-
genen Möbel und das Schlafzimmer mit silberner Barriere im Potsdamer
Stadtschloß zeugen noch von dem Geschmack Friedrichs des Großen für
kunstvolle Silberarbeit. Die Zunahme der Silbergewinnung im deutschen
Bergbau wie die amerikanische Silbereinfuhr haben zur Ausdehnung dieser
Kunstindustrie am Ende des 17. Jahrhunderts beigetragen. Das Kennzeichen
der Silberarbeiten des 18. Jahrhunderts gegenüber denen der Spätrenaissance
ist die Bevorzugung der Treibarbeit und des unvergoldeten weißen Silbers.
In keinem anderen Kunstzweige hat eine so geschlossene Überlieferung
von der Blütezeit vor dem Dreißigjährigen Kriege bis in das späteste 17. Jahr-
hundert fortbestanden. Die Erblichkeit des Handwerks in den Augsburger
und Nürnberger Goldschmiedefamilien hat eine ununterbrochene Werkstatt-
tradition begünstigt. Die Erzeugnisse folgen bis in das neue Jahrhundert in
manchen Städten den Renaissanceformen, z. B. ein Teil der Arbeiten des
Augsburgers Thelott. Auffallend eng ist die teilweise Verknüpfung des Ju-
welierhandwerks mit der Vergangenheit. Die mit Juwelen, edlen Steinen,
268
Abb. 146. Silberkanne, von A. Biller, Augsburg, 1698. Berlin, Schloß
269
Emaillen und Kostbarkeiten aller Art für August den Starken von seinem
Hof Juwelier Dinglinger gefertigten Tafelaufsätze und Prunkstücke setzen die
Zierkunst der Spätrenaissance fort, die in den Tischfontänen und Prachtwer-
ken Christoph Jamnitzers, Matthäus Wallbaums und des Dresdener Gold-
schmieds Kellerdahler im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts so Meisterliches
geschaffen hat. Für die barocke Phantastik sind vor allem bezeichnend die
Werke Melchior Dinglingers im Grünen Gewölbe. Köstlich ist der Tafelauf-
satz mit dem Hof halt zu Delhi von 1707. Dem Großmogul Aurang-Zeb, der
im Hintergrunde unter Palasthallen thront, ziehen von allen Seiten die Großen
des Reiches unter Baldachinen, mit Gefolge und Dienern, zu, Elefanten, Ka-
mele, Affen und andere Tiere, edles Geschirr und Juwelen dem Fürsten zum
Geburtstag darbringend. Die vordersten haben sich auf den Stufen zum
Throne des Herrschers niedergeworfen. Das Gewimmel der vergoldeten und
bunt emaillierten Figürchen, der in Juwelen und Steinen schimmernden
Schabracken und Geräte ist entzückend — eine Abbildung würde den Ein-
druck falsch wiedergeben; es weht uns ein Zauber von den Karnevalsfesten
des Dresdener Hofes entgegen. Man denkt auch der Maskeraden in fremd-
ländischen Gewändern, die diese Epoche mit so vielem Ernst betrieben hat;
an den Traum Jan Wilhelms vom abessinischen Kaiserthron und ähnlichen
politischen Blödsinn der deutschen Fürsten des Barock. Die Prachtkostüme,
die Pferdegeschirre, die Degengriffe und die einander an Glanz über-
bietenden Ordensketten boten dem Juwelierhandwerk und der Emailleur-
kunst reiche Beschäftigung. Im Rokoko hat sie das Beste in goldenen Dosen
und in der Goldfassung steinerner Dosen geleistet. Hierfür hatte Friedrich
der Große eine leidenschaftliche Neigung. Die von Berliner Goldschmieden
gefertigten Dosen des Königs im HohenzoUernmuseum zeugen davon.
Das Silbergeschirr hat mit dem Aufschwung des Barock seit dem letzten
Viertel des 17. Jahrhunderts die zierlichen Spätrenaissanceformen und Orna-
mente verlassen. Laubranken und Blumenkränze werden auf den ovalen
Schüsseln, den breiten Tellern und auf den Bechern in kräftig bewegtem Re-
lief getrieben, die Becher zuweilen mit plumpen Profilköpfen römischer und
deutscher Kaiser verziert. Wir begegnen wieder dem schweren Blumen-
und Rankendekor unter Le Pautres und des älteren Marot Einwirkung.
Wie eng auch die reicheren Gefäßformen diesem älteren Louisquatorze-
geschirr folgen, offenbaren die üppigen Becken, Kannen und Schüsseln von
den Augsburgern Biller, die um 1700 für Friedrich I. geschaffen wurden und
den Hauptbestand des einige Jahre später aufgestellten Eosanderschen Bü-
fetts im Schlüterschen Rittersaale darstellen (Abb. 146). In den Schlüter-
schen Stuckdekorationen der Paradekammern, so z. B. im Friese des Ritter-
270
Abb. 147. Silberterrine, von L. Biller, Augsburg, um 1730. Berlin, Schloß
Saales, kehren die gleichen wuchtig profilierten Becken und ebenso die in
krause Akanthusblätter auslaufenden Adlerköpfe der schwunghaften Kan-
nenhenkel wieder. Die Einwirkung des plastischen Spätstils Schlüters prägt
sich in den beiden großen geradwandigen Terrinen des Silberbüfetts aus, die
bereits der Frühzeit Friedrich Wilhelms I. um 1714 angehören (Abb. 145).
Die posaunenblasenden Genien, die Adler und die Krone des Deckels gehen
zu eng mit den gleichen Motiven an den westlichen Teilen des Schlosses zu-
sammen, als daß man nicht an einen Modelleur des gleichen Kreises denken
sollte. Es besteht eine Beziehung auch in den Kartuschen und Henkeln zu
den beiden spätesten Arbeiten Schlüters, den Sarkophagen Friedrichs I. und
der Sophie Charlotte in der Berliner Domgruft.
Deutlicher als in den übrigen Künsten spiegelt sich im deutschen Silberge-
rät der R e g e n c e Stil, jenes Zwischenstadium zwischen dem Barock und
dem Rokoko. Das für diesen Stil bezeichnende Laub- und Bandelwerk, durch
die Stiche Daniel Marots und namentlich Berains eingeführt, ist im süddeut-
271
Abb. 148. Silberbeschlagener Kaminschirm, von Lieberkühn d. J..
Um 1750. Berlin, Schloßmuseum
272
sehen Silber mit weit größerem Verständnis angewendet worden, als in den
Stuckdekorationen der gleichzeitigen Hildebrandschen, Effnerschen und Dek-
kerschen Bauten. Außer der Familie Biller ragen in Augsburg Johann An-
dreas Thelott und Pfeffenhauser als Vertreter des Regencestiles hervor; die
Ränder der Taufbecken und der Schalen für Meßkännchen boten Gelegenheit
zur Entfaltung der in feinbewegtem Relief getriebenen Ornamente.
Auch hier brachten die späten dreißiger Jahre den Umschwung zum Rokoko
(Abb. 147). Die gebauchten Terrinen mit Schnörkelhenkeln und -fußen, runde
Suppenschalen mit Deckeln und Untertellern, Pastetenbüchsen, Tischleuchter
mit bewegten Schäften und Lichttüllen müssen das Feld teilen mit den
schnelle Verbreitung findenden Geschirren für Tee, Kaffee und Schokolade.
Die Pariser Silberschmiede Meissonier und Pierre Germain haben durch ihre
Vorlagefolgen dem Rokokostil in Deutschland zur Verbreitung geholfen. Wie-
derum betätigt sich das deutsche Formempfinden in der Lockerung der Ro-
caillen. Augsburg bleibt wie in der Ornamentstecherei so in der Silbertreib-
arbeit nach wie vor der erste Platz. Noch bis in die siebziger und achtziger
Jahre hinein erscheinen die Augsburger Silberarbeiten des Rokoko als Haupt-
artikel der deutschen Luxusindustrie auf den Messen. Den feinsten Geschmack
entwickeln die Berliner Silberschmiede in der ersten Hälfte der Regierung
Friedrichs des Großen. Die belebte Zeichnung der Rocaillen und ihre
Durchsetzung mit lebensvollen Weinranken und Blättern an den Terri-
nen und Tabletts des jüngeren Lieberkühn erinnern an die in dem gleichen
Jahrzehnt, von 1740 bis 1750, entstandenen geschnitzten und stuckierten
Wandornamente des friderizianischen Rokoko. Ebenso ist in den Rocaillen
und den Blumengehängen des von Lieberkühn für die Markgräfin von
Schwedt, die Schwester Friedrichs, getriebenen silbernen Kaminschirms im
Berliner Schloßmuseum der Zusammenhang mit diesen Dekorationen kaum
zu verkennen (Abb. 148). Der Siebenjährige Krieg hat dem Berliner Silber-
handwerk schwere Schädigung gebracht.
Dem silbernen Büfett- und Tafelschmuck waren im Beginn des 18. Jahr-
hunderts zwei bedeutsame Nebenbuhler erstanden, das Porzellan und die
Fayence, zu deren Betrachtung wir nun übergehen.
Schmitz, 18. Jahrh. i8 273
22. DAS PORZELLAN
Auf deutschem Boden ist nicht nur zu Beginn des 1 8. Jahrhunderts daseuFO-
päische Porzellan erfunden worden: hier hat auch die Porzellankunst des
i8. Jahrhunderts ihre fruchtbarste und glücklichste Epoche erlebt. Eine Reihe
der trefflichsten Bildhauer, von denen die Mehrzahl bereits in der Steinskulp-
tur hervorgetreten sind, haben sich in den Dienst der zahlreichen, durch den
Wetteifer der Fürsten ins Leben gerufenen Porzellanmanufakturen gestellt.
Die dekorative Malerei trat hinzu, und so entstand die köstliche kleine Welt
des deutschen Porzellans, in der sich Geist und Ideen unserer Vorväter aus
dem 1 8. Jahrhundert einen so bezeichnenden künstlerischen Ausdruck gege-
ben haben.
Im Rahmen dieser Gesamtdarstellung ist es wichtig zu erfahren, wieso die
deutsche Porzellankunst des 1 8. Jahrhunderts mit dem Entwicklungsgange
zusammenhängt, den die Leser in den voraufgehenden Abschnitten kennen-
gelernt haben. Welche Kräfte wirkten zusammen, um der Porzellanplastik
und -geschirrkunst in dem deutschen Spätbarock und Rokoko diese glän-
zende Laufbahn zu bereiten? Welche Fäden verknüpfen die Formen- und
Farbenbildung des deutschen Porzellans mit dem Stil der übrigen Künste?
Wie wandelt sich in Verbindung mit diesen die Porzellanbildnerei und -ma-
ierei im weiteren Verlauf des Jahrhunderts?
Die Liebhaberei der deutschen Fürsten für das Porzellan wurde im letzten
Drittel des 17. Jahrhunderts durch die Einfuhr großer Mengen chinesischer
274
Abb. 149. Terrine aus dem Schwaiiünservice, von Kandier, um 1730
Porzellane geweckt, die besonders über Holland ins Land kamen. In ganz
und gar mit chinesischen Porzellanen ausgestatteten Sälen fand der Ge-
schmack für die chinesisch« Kunst, der uns in der Einrichtung chinesischer
Lackkabinette und in der Einlassung chinesischer Vertäfelungen und Tape-
ten in den Schlössern des Barock begegnet ist, seinen Höhepunkt. Solche
Porzellankabinette entstanden in Charlottenburg, Oranienburg, Oranien-
baum, in den Dresdener Schlössern und anderwärts. Der leidenschaftlichste
Porzellansammler unter den deutschen Fürsten, August der Starke, faßte den
Plan, ein ganzes Palais, das eben im Außenbau vollendete japanische oder
damals holländische Palais in Dresden-Neustadt, im Innern durchaus mit Por-
l8*
275
zellan auszustatten. Der Wunsch, die für chinesisches Porzellan außer Lan-
des gehenden Riesensummen im Lande zu behalten, hatten den König be-
stimmt, Versuche zur Herstellung der echten Porzellanmasse anstellen zu
lassen. Sie führten im Jahre 17 13 zur Erfindung einer dem chinesischen Por-
zellan ähnlichen kaolinhaltigen Masse durch Johann Friedrich Böttger und
zur Gründung der Meißener Porzellanfabrik im Jahre 17 10. In den zwanziger
Jahren hob sich die Leistungsfähigkeit der Fabrik so sehr, daß der Kurfürst
daran denken konnte, sie zur Ausstattung des japanischen Palais neben sei-
ner ostasiatischen Porzellansammlung heranzuziehen. Nun ist zwar diese
Ausstattung nicht zustande gekommen; nur Zeichnungen und Pläne geben
uns eine Vorstellung dessen, was beabsichtigt war. Aber eine Reihe von pla-
stischen Arbeiten, namentlich von Geschirren und von großen Tieren ist in
Porzellan ausgeführt worden und in den Dresdener Sammlungen erhalten.
Die Porzellantiere, in der Mehrzahl nur weiß glasiert und zuweilen kalt bemalt,
sind unabhängig von der ostasiatischen Formenwelt und Zeugnisse dafür,
mit welcher Kraft der deutsche Spätbarock den neuen Werkstoff mit seinem
plastischen Lebensgefühl durchdrungen hat. Die architektonisch-ornamen-
talen Teile, z. B. des Glockenspiels, sind deutlich von der Zwingerarchitektur
bestimmt. Denkmäler bizarrer Barockphantasie sind die großen dickbauchi-
gen Vasen mit grotesken Gnomen, Chinesen- und Tierköpfen, teilweise nach
dem Vorbild italienischer Kupferstiche geformt. Echte Geschöpfe des Barock
sind ferner die von dem Modellmeister Gottlob Kirchner um 1728 — 1730 mo-
dellierten exotischen Tiere, wie das Nashorn, der Elefant, das Löwenpaar und
der Luchs, in denen noch jene halb komische, halb tragische vermenschlichte
Tierheit steckt, die dem eigentlichen Barock — um nur an Schlüters Löwen,
Elefanten und Kamele zu erinnern, so gemäß war. Natürlicher ist schon ein
großer Affe von Kirchner. Kirchner hat noch einige andere Gruppen geschaf-
fen, so den hl. Wenzeslaus, die Madonna mit dem hl. Antonius, sämtlich
weiß, in denen der Geist der religiösen Barockskulptur in der Art des Per-
moser und des Donner nachwirkt. Eine Tischfontäne und eine Uhr klingen
in den Rollwerk- und Muschelformen und in den Faunen und Genien entfernt
an die Zwingerskulpturen Permosers an.
Kirchners Mitgenosse, der ihn bald überflügeln sollte, Johann Joachim
Kandier, ist als Schüler Thomaes gleichfalls aus diesem Kunstkreise heraus-
gewachsen. Die von ihm geschaffenen Modelle der Figuren und Prunkge-
schirre des Brühischen Schwanenservice (Abb. 149) und des Sulkowskischen
Services, sowie anderer Terrinen, Tischleuchter, Schalen usw. tragen viele
Züge der von Permoser begründeten Dresdener Barockbildnerei. Daneben
haben zu den Formen der Terrinen usw. teilweise auch deutsche, namentlich
276
Abb. 150. Konfektschale, von Eberlein. Meißen, um 1730
Berlin, Schloßmuseum
277
Augsburger Silberschmiedearbeiten der Zeit Modell gestanden. Diese
Beziehung entstand teilweise dadurch, daß die Prunkbüfetts und -kabi-
nette in Porzellan einen Ersatz bildeten für die in Silber ausgestatteten, wie
deren ja z. B. August der Starke zu den Vermählungsfestlichkeiten von 1719
hatte herrichten lassen. So ist eine Verwandtschaft der Figuren, Henkel,
Schnörkel und Ränder der Prunkterrinen von dem Augsburger Silberschmied
Biller d. J. um 1715 im Silberbüfett des Berliner Schlosses und den Formen
Kändlers unverkennbar (vgl. Abb. 145). Nur setzt Kandier sie in eine schwung-
vollere Gestalt um. Die starken Einziehungen und Schwellungen der Kör-
per, die lebhaft gerollten Schnörkel der Henkel und Füße sowie die Schwin-
gung des Reliefs sind das Eigentum des großen Bildners. Diese am Ende der
dreißiger Jahre geschaffenen Ziergeschirre gehören zu den wichtigsten Denk-
mälern des Übergangs zum Rokoko. Auch die Bewegung der Figuren, zumal
der Najaden mit den sinnlich beseelten Köpfen führen vom Barock zum Ro-
koko hinüber — die unter Kändlers Einwirkung von Eberlein modellierte
Najade mit der Konfektschale im Schwanenservice gehört hierher (Abb. 150).
Die Hauptwerke Kändlers für die Figurenplastik in dieser Frühzeit (um 1735
bis 1740) liegen auf dem Gebiete der Tierbildnerei. Die großen meist nur
weißglasierten Tiere, die er als Nachfolger Kirchners für das japanische Pa-
lais modelliert hat, stehen unter den deutschen Kunstschöpfungen des Jahr-
hunderts in der vordersten Reihe. Der Auerochse im Kampf mit dem Wild-
schwein, der liegende Ziegenbock (Abb. 151), der junge Bär, der Pelikan, der
Reiher, der Paduanerhahn und der abwärts kletternde Papagei sind plastische
Gestaltungen der Tierwelt, die dem Größten dieser Art zur Seite stehen. Und
ferner die ganze Gesellschaft mittelgroßer, mit wenigen aber herrlichen
Farben bemalter Vögel und Tiere: die Rohrdommeln, Truthennen, Perl-
hühner, Wiedehopfe, Spechte, Trommeltauben, Papageien und Kakadus,
Wellensittiche, die Elstern und Häher bis zu den Finken und Meisen herab!
Wie unübertrefflich ist der Charakter jedes dieser Wesen getroffen, wie ist
ihr Bau und ihr Gefieder lebendig und doch in einem großen plastischen Stil
modelliert. Zumal die Affen, der Marder, das Eichhörnchen, die Springmaus,
die Möpse und das Bologneserhündchen, dessen Knurren man zu hören
glaubt : all diese Lebewesen sind in ihrer schnurrigen Erscheinung und ihrem
putzigen Getue unvergleichlich gekennzeichnet. Das tiefe Hineinversenken
in unsere vierbeinigen und gefiederten Mitgeschöpfe rückt den großen deut-
schen Rokokomeister in die Nähe der deutschen Tierplastiker der Gotik. Um
1740, mit dem endgültigen Eintritt des Rokoko, beginnt Kandier sich der
Schöpfung jener kleinen Figuren und Gruppen zuzuwenden, die den Ruhm
Meißens verbreitet haben. An der Spitze stehen die Liebesgruppen aus der
278
Abb. 151. Ziegenbock, von Kandier. Meißen, um 1730
Kunsthandlung Glenk, Inh. E. Worch, Berlin
italienischen Komödie (vgl. Abb. Kap. 25) und der französischen Oper, die Grup-
pen von Kavalieren und Damen in Krinolinen, von Schäfern und Schäferinnen,
deren beste, in der kurzen Zeitspanne von 1740 bis 1745 entstandene Stücke
die begehrtesten Werke der Porzellansammler sind. Und eine unbefangene,
von den späteren Versüßlichungen dieser Vorwürfe absehende Betrachtung
der seltenen alten Ausformungen kann die Wertschätzung begreifen. Das
vollschwellende plastische Gefühl, das Kändlers Prunkgeschirre und Tiere
atmen, wirkt ungemindert. Unsere Bewunderung ist um so größer, da die
genremäßigen Gegenstände, die von Hause aus mehr für die Erzählung auf
der Fläche geschaffen waren, ins Räumliche umzusetzen waren. Die Quelle
für den ganzen Kreis dieser Krinolinen-, Schäfer- und Komödiengruppen
liegt in den französischen Gemälden und Stichen aus der Nachfolge Wat-
teaus. Einzelne unmittelbare Entlehnungen aus französischen Stichen sind
nachgewiesen worden. Aber das nimmt den Schöpfungen Kändlers nichts
von ihrem entzückenden Leben. Die feurige Bemalung, teilweise mit groß-
stilisierten bunten Streublumen auf den Gewändern, gehoben durch einzelne
Partien in tiefglänzendem Schwarz erhöht die sprühende Wirkung der klei-
279
T^-.-r::V\
Abb. 152. Vase mit Heroldchinesen, um 1725
Charlottenburg, Schloß
280
nen Bildwerke, in denen sich uns Nachgeborenen die Stimmung der höfischen
Gesellschaft des deutschen Rokoko so ganz besonders zu verkörpern scheint.
Sie sind ein Abglanz der höfischen Feste, Tänze, Menuetts, Schäferspiele,
Bergmannsfeste, ,, Wirtschaften", Opern und Komödien des Dresdner Hofes.
Kandier schuf in diesen und den Folgejahren eine Menge Gruppen und Figu-
ren von Vc":stypen, Soldaten zu Fuß und zu Pferde, Jäger, Handwerker,
Bergleute (solche auch von Reinecke), Krämer, Orientalen, Bauern und Bett-
ler. In den späteren vierziger Jahren gewann die antike Götterwelt einen'
wichtigen Platz im Schaffen des Meisters. Mit dem Ende dieses Jahrzehntes
beginnt seine Vollkraft nachzulassen. Er arbeitet unermüdlich immer neue
Modelle und bewahrt bis zuletzt eine stets achtunggebietende Höhe — aber
die allegorischen und nackten Göttergestalten nehmen einen gleichmäßigen
Charakter an — die in Dresden früher als anderswo einsetzende Neigung
zum Klassizismus färbt auf Kändlers spätere Plastik ab. Die große Zeit der
Meißener Porzellanbildnerei bis zur Mitte des Jahrhunderts war auch die der
farbigen Dekoration. Hier hatte Meißen ebenfalls das Glück, eine bedeutende
Künstlerpersönlichkeit zu gewinnen in Johann Gregor Herold, der im Jahre
1720 berufen wurde und die Malerei über die bescheidenen Anfänge der Epo-
che Böttgers hoch hinausführte. Im Anschluß an die Malerei der ostasiati-
schen Porzellane entwickelt sich die Blumenmalerei in leuchtenden grünen
und blauen Schmelzfarben und in Eisenrot unter der Glasur, die namentlich
auf den glatten Gefäßkörpern der Vasen und Teller nach chinesischen und ja-
panischen Mustern Anwendung findet. Neben den Blütenzweigen, haupt-
sächlich Päonien, daneben Lotos, Kirschblüten, Kiefern, Bambus, und den
bizarren chinesischen Felsbildungen werden Tigermuster, Drachen- und
Schmetterlingsmuster und großstilisierte Chinesenfiguren übernommen. Diese
um 1720 bis zum Ende der dreißiger Jahre in Blüte stehende Dekoration gibt
an Schmiß der Zeichnung, an Kraft der Farben und an flächenmäßiger Emp-
findung den chinesischen Porzellanen des 17. Jahrhunderts nichts nach. Es
ist dies ein Fall, wo das europäische 18. Jahrhundert dem Wesen des chine-
sischen Stils nahekommt, während die übrige Chinesenkunst des Barock und
Rokoko nichts weiter als eine Übersetzung in den burlesken und grotesken
Stil ist, die sich alle exotischen ebenso wie alle geschichtlichen Gegenstände
gefallen lassen mußten. Zwei Punkte trennte vor allem die Kunstsprache des
europäischen Barock von der des fernen Ostens: die Symmetrie und das Stre-
ben nach plastischem Ausdruck. Diese Eigenschaften finden sich in den rein
europäischen Dekorationsformen der frühesten Meißener und der mit ihnen
zusammenhängenden frühesten Wiener Porzellangeschirre. Der Spitzen-
dekor, meist in Gold oder Schwarz, beruht auf dem Laub- und Bandelwerk,
281
Abb. 153. Der stürmische Liebhaber, von Bustelü. Nymphenburg, um 1760
Kunsthandlung Altkunst G. m. b. H., Berlin
dessen Blüte in der deutschen Dekoration, sowie in Deckers und in Kleiner»
Kupferstichwerken um 17 10 — 1730 geschildert ^vorden ist. Den größten Ge-
gensatz gegenüber den Grundsätzen der ostasiatischen Flächenverzierung be-
zeichnen aber die von sogenannten Hausmalern, Bottengruber in Breslau und
Wien u. a., um 1720 — 1740 überdekorierten Geschirre und Service. Ihre bild-
mäßig dargestellten mythologischen Szenen und die üppigen Akanthus- und
Laubranken wurzeln in dem Stil der Malerei des deutschen Barock. Im Ver-
gleich damit offenbart sich in den unter Herolds Ägide geschaffenen ost-
asiatischen Dekorationen der Meißener Manufaktur, welche befreiende Ein-
Abb. 154- Der Juni, von Konrad Linck. Frankenthal,
um 1765. Berlin, Schloßmuseum
Wirkung die chinesische Flächendekoration auf die deutsche, zumal auf die
Verzierungsweise der Keramik, ausgeübt hat. So mag der chinesische Dekor
in der Tat zur Entwicklung des Rokoko beigetragen haben, besonders in Be-
283
zug auf die Leichtigkeit der Flächenbehandlung und die lebendige Auffassung
der Pflanzen und Blumen. Das läßt sich auch in den gleichzeitigen franzö-
sischen Ornamentstichen von Watteau und Huet wahrnehmen, die in den
deutschen Kunstwerkstätten Nachahmung fanden. Wie jene Franzosen, so
hat Herold chinesische Anregungen mit dem europäischen Ornament durch-
drungen. Er schuf damit den eigentlichen Herolddekor, der neben Kändlers
Krinolinengruppen der größte Ruhmestitel von Meißen wurde (Abb. 152). Es
sind das kleine, mit zierlichem Pinsel in Eisenrot, Purpur und einzelnen
Schmelzfarben gemalte Bildchen von Chinesengesellschaften beim Teetrin-
ken, beim Essen, beim Musizieren usw., unter Palmen und phantastischen
Bäumen oder in Tempeln und Pavillons, meist umrahmt von feingeschwunge-
nem Laub- und Rankenwerk in Gold- und Purpurlinien. Daneben treten spä-
ter Bildchen europäischen Inhalts auf, Hafenszenen, Gesellschaften, Jagden,
mit fein gemalten Fernen, in denen das Vorbild Watteaus und seiner Nach-
folger durchschimmert. An Schwung der Malerei stehen die zwischen 1720
und 1730 gemalten Chinesenbilder — zuweilen in ausgesparten Feldern far-
biger Fondvasen (Augustus-Rex-Vasen) — voran. Diese Heroldmalerei, die
zu den schönsten Blüten des deutschen 18. Jahrhunderts zählt, bleibt bis in
die vierziger Jahre in Übung ; etwa gleichzeitig mit der großen Epoche Känd-
lers endet auch die des Heroldstils im Meißener Dekor. Es tritt an Stelle
jener geistvoll stilisierten Figürchen teils eine Anlehnung an Stichvorlagen,
teils ein Streben nach malerischer Wiedergabe der Wirklichkeit, besonders
in den Landschaften. In der Blumen- und Vogelmalerei setzt sich gleichfalls
der europäische Naturalismus durch. Das plastische und gemalte Ornament
der Geschirre schließt sich natürlich der damals zur Reife gelangten lockeren
Form der deutschen Rocaille an. Der Abschluß der großen Zeit Meißens um
1750 wird mit bestimmt durch die Verbreiterung der Erzeugung, die sich dem
industriellen Betrieb genähert hatte.
Erst nach der Mitte des Jahrhunderts, als der Glanz Meißens bereits im
Erlöschen war, kommen eine Reihe weiterer Manufakturen empor. Die Vor-
geschichte dieser fürstlichen Fabrikgründungen, die einen Beitrag zum Bilde
des Industrie- und Monopolwesens, des Abenteurer- und Schwindlertums,
aber auch des unablässigen Strebens nach technischer und künstlerischer
Verbesserung liefert, gehört nicht hierher. Während die Meißener Plastik
und Geschirrkunst noch durch starke Fäden mit dem späten Barockstil ver-
knüpft war, fällt das Schaffen der übrigen Manufakturen — sieht man von
der frühen Wiener (du Paquier) ab — fast ausschließlich in die Epoche des
reifen, ja überwiegend des bereits abblühenden Rokokostils. Dem plastischen
und koloristischen Empfinden des Rokoko zählen noch vollständig zu die
284
Abb. 155. Die chinesische Kaiserin, von Joh. P. Melchior.
Berlin, Schloßmuseum
Höchst, um 1765
285
knusperigen, meist weißen, oder mit starken Farben, mit glänzendem
Schwarz und großen Streublumen dekorierten Figürc.hen der ersten Berliner
Fabrik von Wegely (1752 — 1757). wahrscheinlich von Reichard modelliert,
unter denen die aus dem Leben gegriffenen Bürger- und Volkstypen einen in
Berlin früher als anderswo hervortretenden Zug zum Naturalistischen spü-
ren lassen. Auch die nach dem Siebenjährigen Kriege in der von dem König
übernommenen Manufaktur von dem aus Meißen nach Berlin übergesiedelten
Modellmeister Friedrich Elias Meyer geschaffenen mythologischen, allegori-
schen und Schäferfiguren sind reines Rokoko. Sie setzen den späteren Stil
Kändlers, dessen Gehilfe Meyer bis 1761 war, ins Zierliche um. In die zwan-
zig Jahre von etwa 1755 — 1775 drängt sich die beste und meiste Plastik der
Manufakturen von Berlin, Fürstenberg, Nymphenburg, Wien, Frankenthal,
Ludwigsburg, Höchst, Fulda, Ansbach, und der kleineren thüringischen Fa-
briken zusammen. Unter den Modelleuren, die noch im Rokoko wurzeln,
ragt Franz Anton Bustelli hervor, ein Italiener, dessen Nymphenburger Por-
zellanfiguren (um 1760 — 1765) an plastischem Leben den besten Gruppen
Kändlers gleichkommen. Es sind vorwiegend Figuren aus der italienischen
Komödie, Kavaliere mit ihren Damen, Tänzer und Tänzerinnen und Schäfer-
paare, in der Mehrzahl weiß, seltener mit wenigen, aber leuchtenden Farben
bemalt (Abb. 153). Die biegsamen Körper sind meist in höchster Bewegung.
Der kecke Zuschnitt der Falten verbindet Bustellis geist- und lebensprühende
Figürchen mit den Holzschnitzwerken des Günther und der übrigen Münch-
ner Rokokoplastiker. Kändlers Krinolinen- und Komödiengruppen, die fünf-
zehn bis zwanzig Jahre früher entstanden, zeigen das Feuer der Leidenschaft
noch durch den volleren plastischen Stil des Barock gebunden: Bustellis Ge-
stalten sind aufgelöstes Gefühl bis in die zierlichen Hände und Fußspitzen
hinein. Demgegenüber haben die gleichzeitigen Rokokofigürchen der älteren
Modelleure von Frankenthal, einer Gründung des Straßburger Fayencefabri-
kanten Hannong, von Höchst und Ludwigsburg, einen mehr unbeholfenen,
doch durch die naive Frische erfreuenden Charakter (vgl. Abb. Kap. 27). Köst-
liche Naivität zeichnet auch die glattmodellierten und in lichten Farben bemal-
ten zierlichen Wiener Figürchen von Kavalieren und Damen, Kammermädchen,
Verkäuferinnen und dergleichen Typen aus. Das gilt ferner von den meist
winzigen Fuldaer Grüppchen, deren milchige Glasur der Nymphenburger
nahekommt. Für die Geschichte der deutschen Kunst des Jahrhunderts haben
größere Bedeutung die Modelleure Conrad Linck, Johann Peter Melchior und
Wilhelm Beyer. Conrad Linck, der Schöpfer des Karl-Theodor-Denkmals
auf der Heidelberger Brücke, wählt Gegenstände seiner Figuren und Grup-
pen mit Vorliebe aus dem Bereiche der antik kostümierten Götter-, Helden-,
286
Abb. 155. Violinspieler, von Beyer. Ludwigsburg, um 1765
Kunsthandlung Altkunst G. m. b. H., Berlin
287
Grazien- und Musenwelt (Abb. 154). Die zierlichen Gesten wie die weichfallen-
den Gewänder seiner überschlanken Götter und Grazien, dieRocaillesockel und
ebenso die zarte Dekoration, oft mit Streublümchen und mit plastischen Blu-
menkränzen stellen seine Schöpfungen in eine Reihe mit den letzten Äuße-
rungen des süddeutschen Rokoko. Die Empfindung geht hier in das Schwär-
merische hinüber: man darf an die letzten Werke der kirchlichen Skulp-
turen dieser Gegenden, an die Werke des Egell und des PfafT erinnern.
Melchior, der Modellmeister von Höchst, dessen Steinbildwerke schon er-
wähnt wurden, hat ebenfalls halb Rokoko-, halb klassische Musen- und
Göttergestalten geschaffen. Am liebsten ergeht er sich in der Gestaltung
von Chinesen (Abb. 155), Schäferpaaren und spielenden Kindern. Die nicht
ohne Einwirkung der Mainz nahen französischen Kunst, von Boucher und
Grenze, gebliebene Vorstellungswelt Melchiors, trägt bereits einen stark bür-
gerlichen Grundzug, wie er sich nach dem Siebenjährigen Kriege durchzu-
setzen begann. In den zarten Farben, unter denen Rosa und Gelb vorherr-
schen, spiegelt sich der Farbengeschmack des spätesten Rokoko. Die Streu-
blumen der Gewänder haben hier wie anderwärts fast ganz einfarbigen oder
gestreiften Kleidern Platz gemacht. Der letzten empfindungsvollen Phase
des Rokoko verdankt auch Ludwigsburg eine kurze Blüte der Porzellanpla-
stik: ein trefflicher Bildhauer, Lejeune, schuf um 1760 — 1765 eine Anzahl
von Gruppen und Figuren aus der höfischen und vornehmen Gesellschaft. Von
Beyer ist die Folge der Musiksoli, die den besten Werken der deutschen Porzel-
lankunst zuzählt und zugleich die Stimmung dieser beginnenden Blütezeit
des deutschen musikalischen Lebens widerspiegelt (Abb. 156). Die von Beyer
geschaffenen nackten Götter- und Musengestalten stehen schon stärker, als
die von Linck und Melchior unter dem Eindruck der neuen klassischen Ideen.
Allein das plastische Gefühl ist immer noch rege. Erst in seinen später
für den Garten von Schönbrunn gefertigten Steinfiguren mythologischer Ge-
stalten ist Beyer stärker in den Klassizismus hinein geraten. Eine ähnliche
Stilstufe vertritt in Berlin Elias Meyers jüngerer Bruder, Wilhelm Christian
Meyer, der in den siebziger Jahren zahlreiche allegorische und mythologische
Gruppen schuf, darunter den figurenreichen Tafelaufsatz, den der Große Kö-
nig 1772 der Kaiserin Katharina von Rußland schenkte. Die glänzende, ins
Helle und Zarte gebrochene Färbung, in der das Rosa eine herrschende Rolle
spielt, nähert sich wiederum der Grundstimmung des spätesten Rokoko. Der
jüngere Meyer hat eine Reihe von Steinfiguren- und -reliefs für die von Gon-
tard errichteten Gebäude, Kolonnaden und Brücken geliefert. In der Tat,
der plastische Stil des Meisters stellt einen ähnlichen Übergang vom Rokoko
zum frühen Klassizismus dar, wie ihn in der Architektur Gontard bezeichnet.
288
Abb. 157. Teller aus dem Neuen-Palais-Service, um 1765. Berlin
Von den Formen und Dekorationen der Geschirre der nach der Mitte des
Jahrhunderts gegründeten Manufakturen gilt das gleiche wie von denen der
zweiten Epoche Meißens. Neben naturalistischen Blumen- und Vogelmale-
reien spielen Landschaften und Schäferszenen, letztere unter dem Einfluß
französischer Stiche, zunächst die wichtigste Rolle. In den siebziger Jahren
treten mythologische Bilder, auch diese vielfach nach französischen Stichen,
hinzu. Das Randornament wird aus den späteren Rocailleformen mit Gitter-
füllungen und Blumengewinden entnommen. Aus der Fülle des Rokokoge-
schirres ragen die Arbeiten der Berliner Manufaktur der Zeit nach dem Sie-
benjährigen Kriege hervor. Die umfangreichen, im Auftrage Friedrichs des
Großen für das Neue Palais, für das Breslauer Schloß und für Sanssouci um
Schmitz, iS.Jahrh. ig
289
1765 — 177° entstandenen Tafelservice verdienen Bewunderung (Abb. 157).
Die lebendige Zeichnung der zerfransten Rocaillen mit Stabmustern und
Ranken steht auf der Höhe der besten Wanddekorationen Hoppenhaupts in
dem zur gleichen Zeit ausgestatteten Neuen Palais. Auch diese Geschirre
sind ein Beleg dafür, welche Lebenskraft das friderizianische Rokoko sich
durch den großen Krieg hindurch bewahrt hat. Und ebenso beweisen die
farbenbunten Chinesenbilder, daß der Große König an der Phantasiewelt des
Rokoko immer noch Vergnügen fand. Alle anderen Manufakturen übertrifft
die Blumenmalerei dieser Service. Bis in die letzten Jahrzehnte des Jahr-
hunderts ist die Berliner Blumenmalerei hervorragend geblieben.
my
290
Abb. 158. Frankfurter Fayencevase, um 1700
Berlin, Schloßmuseum
23. DIE FAYENCE
Lange bevor das Porzellan von Sachsen aus seine Laufbahn antrat und der
^ bestimmende Stoff für die Kleinplastik wie für das feinere Tafel-, Kaffee-
und Teegeschirr des Jahrhunderts wurde, hatte die Fayencekunst in Deutsch-
land Fuß gefaßt. Sie war mit der Spätrenaissance aufgekommen und hatte
in der Schweiz, in Süddeutschland, in Schlesien und Böhmen und vor allem in
Hamburg bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts Aufnahme gefunden.
Allerdings ist diese ältere, teilweise mit der italienischen Majolika zusam-
menhängende deutsche Fayencetöpferei neben den bodenständigen Steinzeug-
und Zinn- und Holzgeschirren zu keiner größeren Bedeutung gelangt. Ihre
sparsamen, meist in Blau gemalten Verzierungen wurzeln völlig in der deut-
schen Spätrenaissance.
Auch auf diesem Gebiete, wie auf so vielen anderen der Kunst und der
ig«
291
Abb. 15g. Straßburger Fayencejagd, um 1750. Berlin, Schloßmuseum
Landeskultur, kam bald nach dem Dreißigjährigen Kriege der Anstoß zu
einer Entwicklung im Geiste des Barock von Holland her. War doch hier mit
Delft als Mittelpunkt eben in den Jahrzehnten des großen künstlerischen Auf-
schwungs Hollands, in Nacheiferung der durch den ostasiatischen Handel
eingeführten chinesischen Porzellane die Fayencebäckerei und -maierei
unter glänzender Zinnglasur zu einem eigentümlichen Stil gediehen. Von
Holländern wurden die ersten Fayencefabriken der neuen Richtung in
Deutschland ins Leben gerufen; in Hanau 1661 von Daniel Behaghel und Ja-
kob van der Walle, in Frankfurt von Johann Simonet 1666, in Berlin unter
dem Großen Kurfürsten. Es wiederholt sich eine Erscheinung, die bereits in
der Porzellangeschichte begegnet ist. Einzelne deutsche Dekorateure außer-
halb der Manufakturen bemalen die neuen, von Delft und seinen deutschen
Abzweigungen erzeugten weißen Geschirre, die Enghalskrüge und breiten
Teller im Geschmack des malerischen heimischen Barockstils. Namentlich in
Nürnberg wurden in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts solche Fayence-
gefäße von den Glasmalern Joh. Schaper, Abraham Helmhack u. a. mit Land-
schaften, religiösen Bildern, Wappen, barocken Blumen und Ranken in bun-
ten, schwarzen oder purpurnen Schmelzfarben bemalt. Gegenüber dieser in
den ,, Hausmalereien" der Porzellane fortlebenden Überdekoration stützt sich
nun aber die Fayencemalerei der von Holländern gegründeten Manufakturen
selbst, in Hanau, Frankfurt und in Berlin, natürlich fast völlig auf die in
Holland übliche Weise. Chinesenfiguren und Streublumen nur in Unter-
glasurbau mit wenigen anderen Farben sind vorherrschend. Zu künstle-
rischer Höhe erhebt sich eine Gruppe von Tellern und bauchigen Vasen
meist großen Formats mit Chinesen- und holländischen Figuren und Fächer-
palmen und kiefernartigen Bäumen, die aus der Frankfurter Fabrik zu
292
Abb. i6o. Stralsunder Fayenceterrine, um 1750. Berlin, Schloßmuseum
Ende des 17. Jahrhunderts hervorging (Abb. 158). In der großzügigen Pinsel-
führung, dem kräftigen Blau und der schimmernden Zinnglasur reicht sie an
die besten Leistungen der Eynacker und anderen Delfter heran. Gröber sind
die zahlreichen, häufig mit dem ,, Pfauenmuster" bemalten plumpen Vasen
ostasiatischer Form, die im ersten Drittel des Jahrhunderts in Berlin ent-
standen und von den Sammlern bisher als „Potsdam" bezeichnet wurden-°).
Neben dem holländischen Geschmack findet im ersten Drittel des 18. Jahr-
hunderts der einheimische Barock in der Fayencekunst eine Stätte in den Fa-
briken von Nürnberg und Bayreuth. Die Nürnberger gründeten Christoph
Marx und Joh. Conrad Romedi 17 13; in den beiden Kordenbuschs erwuchsen
ihnen tüchtige Maler; die Bayreuther entstand in der eben angelegten Vor-
stadt St. Georgen am See um 1720 durch Knöller. Beiden ist die Vorliebe
für das Laub- und Bandelwerk und die Lambrequinumrahmungen und ein
blasses Blau eigentümlich. Die um 17 10 aufkommende Fabrik in Ansbach
hat in bunten, namentlich grünen und gelben Scharffeuerfarben mit Geschick
die Blumen- und Vogelmuster der chinesischen Porzellane aus der ,, grünen
Familie" nachgebildet und darin (gleichzeitig mit den Nachahmungen die-
ser und der roten Familie in Meißen!) um 1730 schöne Vasen und Teller ge-
schaffen.
293
Eine einschneidende Stilwandlung widerfuhr der deutschen Fayencekunst
mit dem Umschwung zum Rokoko um 1740. Zugleich beginnt damit eine be-
deutende Ausbreitung der Erzeugung, die bis in den Beginn der siebziger
Jahre andauert. Im Süden und noch mehr im Norden Deutschlands bis ins
schwedische Pommern und ins dänische Schleswig-Holstein, nach Königs-
berg und nach Schlesien (Proskau) dehnt sich die Fayenceindustrie aus. Ne-
ben den walzenförmigen Bierkrügen, den Tellern und Blumenvasen bilden
Bratenschüsseln, Suppenterrinen, Saucieren, Gewürzaufsätze und Potpourri-
vasen die bevorzugten Herstellungsgegenstände. Die plastisch belebten For-
men, die das Porzellan des Rokoko annimmt, finden auch bei den Fayencege-
schirren um die Jahrhundertmitte Eingang. Die plastische Bewegung der bau-
chigen Gefäßkörper, der Rocailleränder, der Schnörkelhenkel und -fuße ist in
der gleichzeitigen Fayence aber durchgehends um einen Grad schwerfälliger
und die Ausformung weicher, was sich teilweise durch die weniger scharf
ausprägbare Masse erklärt. Wie in dem Rokokoporzellangeschirr wird hier
die naturalistische Blumen- und Landschaftsmalerei vor den ostasiatischen
Dekorationen bevorzugt. Die verschiedenfarbige Scharffeuermalerei und na-
mentlich die bunte Muffelmalerei verdrängt vielerorts den Blaudekor der er-
sten Epoche. Die von dem aus Meißen 1736 geflüchteten Porzellanmaler Lö-
wenfinck in Fulda und Straßburg bemalten Fayencen sind ein Beispiel für
das Übergreifen der Porzellandekorationen auf die Fayence. Mehr als in dem
Porzellan kommt in der Fayence des Rokoko ein urwüchsiges Empfinden
zum Ausdruck. Das erscheint besonders in dem plastischen Zierat der Ge-
fäße, der gerne aus Früchten, Zwiebeln und Knollen geformt wird; nament-
lich aber in den als Kohlköpfen, Enten, Truthühnern, Rebhühnern und
Schweinsköpfen gestalteten Terrinen und Suppenschüsseln. Die Küche des
Schlößchens Favorite bei Baden-Baden und das Jagdschloß des Clemens Au-
gust von Köln, Clemenswerth, sind mit reichen Garnituren der Art aus Straß-
burger Fayence ausgestattet.
Die Straßburger Fabrik der Familie Hannong steht in ihren künstlerischen
Leistungen weitaus an erster Stelle. Ihre breitrandigen Teller und ihre
Schüsseln zeichnen sich durch die eleganten, an die Pariser Silberge-
schirre erinnernden Formen, durch die gleichmäßig leuchtende weiße Glasur
und die großzügige Blumenmalerei, namentlich in roten und grünen Muffel-
farben aus. Auch in der farbigen Fayenceplastik steht Straßburg obenan.
Dafür zeugen neben den genannten Geschirren in Tierform die vor kurzem
von dem Berliner Schloßmuseum erworbene Saujagd (Abb. 159) und ein im
Handel befindliches Affenkonzert. Später, als Paul Anton Hannong durch
das Sfevresmonopol aus Straßburg nach Frankenthal übersiedelte (1755) und
294
Abb. i6i. Stralsunder Fayenceuhr, um 1760
Berlin, Schloßmuseum
hier eine Porzellanfabrik gründete, wurden die Straßburger Modelle teil-
weise hier in Porzellan wiederholt. Auch überdies scheint die Straßburger
Fabrik von größtem Einfluß auf den Fortgang der Rokokofayence gewesen
zu sein — beinahe das, was Meißen fürs Porzellan war. Nach Westen und
Osten. Die Fabriken von Niederwiller, von Marseille und selbst die Brüs-
seller verraten das Straßburger Vorbild. Verwandtschaft damit haben von den
süddeutschen Fabriken namentlich Höchst und Hanau. Ein Gegenstück zur
Straßburger Fabrik ist die erst nach dem Siebenjährigen Kriege erblühende
Fabrik von Proskau in Schlesien, die später der Alte Fritz in Regie nahm.
Sie veranschaulicht, wie die Rokokoformen und Dekore ins Kleinbürgerliche
und Provinzielle verkümmerten. Die hier und in Hollitsch erzeugten Geschirre
in Form von Hühnern, Enten und anderen Vögeln und Tieren sind durch
einen gleich weiten Abstand von den kraftvoll modellierten und bemalten Ge-
295
Abb. 162. Fliesenwand in Blaumalerei. Norddeutsch
(Osnabrück?), um 1760. Berlin, Schloßmuseum
296
schöpfen Straßburgs getrennt. Um die Jahrhundertmitte blühten zahlreiche
kleinere Fabriken im südlichen (Göppingen, Schretzheim, München), im mitt-
leren (Rudolstadt, Erfurt) und im nördlichen Deutschland. Neben den schles-
wig-holsteinischen (in Kiel, Stockeisdorf, Kellinghusen, Rendsburg, Schles-
wig) und denen an der Unterweser (Vegesack und Lesum) verdienen die der
Familie Ehrenreich in Königsberg und vorzüglich die des Kammerrates Giese
in Stralsund Hervorhebung (Abb. i6o, i6i). Die Vorliebe für Blaumalerei
auch jetzt noch haben die Fayencen der Küstenländer mit denen Dänemarks
und Schwedens gemeinsam, was bei den politischen und Handelsbeziehungen
zu diesen Ländern selbstverständlich ist.
Die Blüteepoche der deutschen Fayence endet mit dem Rokoko im Anfang
der siebziger Jahre. Der plastische Geist und der frohe Farbensinn ließen nach.
Ihre Triumphe hatten sie beispielsweise in den mit einem luftigen Blumen-
gitter umsponnenen ,, Netzvasen" von Münden und Stockeisdorf gefeiert.
Auch in den prächtigen Fayenceöfen im lockersten Rocaillestil; Meister-
werke plastischer Modellierung bergen namentlich die österreichischen, die
Münchner und die Schlösser am Main und Rhein. Öfen mit Blaumalerei —
kleine Schäferszenen in Rocaillen — schufen neben Fliesen Hamburg und
andere norddeutsche Fabriken (Abb. 162).
^^^-«^
297
24- DIE GESCHNITTENEN GLÄSER
Von den übrigen Zweigen des Kunsthandwerks, die im i8. Jahrhundert in
Deutschland eine Blüte erlebt haben, verdient endlich eine kurzeWürdigung
die Glasschneidekunst. Besonders merkwürdig ist die Ausprägung, die der
deutsche Barock- und Rokokostil der Gestaltung und der Dekoration der
edleren Trinkgläser gegeben haben. Von der Spätrenaissance her hatte sich die
B e m a 1 u n g der Humpen, Pokale und Gläser mit Bildern und Wappen in
Schmelz- und Lackfarben bis in das Ende des 17. Jahrhunderts und teilweise
selbst bis in den Beginn des 18. Jahrhunderts fortgeerbt. Die Gläser der Hal-
loren, der altehrwürdigen Hallenser Salzherren, Bergmanns- und Jägerhum-
pen vom Fichtelgebirge, Hofkellereigläser von Dresden sind Träger dieser
Überlieferung gewesen. Eine Veredelung der Formen und der Bemalung der
Glaspokale erfolgte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zuerst in Nürn-
berg, das neben Augsburg überhaupt die Traditionen so vieler Zweige deut-
schen Kunstfleißes aus der Renaissanceepoche durch den Dreißigjährigen
Krieg hindurch gerettet hat. Hier erscheinen zuerst Pokale auf hohen Schäf-
ten, deren Kugel- und Balusterprofile an die frühbarocken gedrehten Möbel-
beine anklingen. Die Dekoration der Mehrzahl besteht in Schwarzlot- und
farbigen Schmelzmalereien von der Hand jener oben als Fayencedekorateure
schon genannten Glasmaler Schaper, Helmhack usw. Daneben treten mit
dem Rade eingeschnittene Verzierungen, Landschaften und derglei-
chen auf, deren Hauptmeister der ältere und der jüngere Georg Schwanhardt
in Nürnberg waren. Mit dem Eintritt des Hochbarock am Ende des 17. Jahr-
hunderts gewinnt dieser Schnittdekor, neben dem Tief schnitt auch der
seltenere Hochschnitt, in cier Glaskunst die Vorherrschaft. Das mit den acht-
ziger Jahren in Aufnahme gekommene kristallklare Kreideglas mit dicken
Wandungen ermöglichte der Schneidetechnik diesen Aufschwung. In den
vieleckigen Kuppaformen und in den facettierten Balusterschäften und Dek-
kelknäufen dieser gegossenen und durch Schliff bearbeiteten ,, Kristallgläser"
gibt sich das plastische Empfinden des Barock markanten Ausdruck. Gewiß
hat die Freude des Barock am Spiel des Lichtes zu der merkwürdigen Ent-
faltung der deutschen Glasschneidekunst an der Wende des 17. zum 18. Jahr-
hundert beigetragen. In diesem Zeitpunkt errang das Glas auch in der Aus-
298
Abb. 163. Becher mit Blumen. Böhmen, um 1700
Berlin, Schloßmuseum
stattung der vornehmen Gemächer eine bedeutsame Stellung, um nur an die
Spiegeldekorationen und Glasvertäfelungen der Decken und Wände in der Fa-
vorite, im Grünen Gewölbe, in der Amalienburg und in Würzburg, ferner an
die Kristall- und Glaskronen und an die Prunkschränke zu erinnern. För-
dernd mögen auf die Ausbildung des Glasschnitts in Deutschland die ge-
schnittenen Bergkristallgefäße der italienischen Renaissance eingewirkt ha-
ben, die zu den Schaustücken der fürstlichen Kunstkammern gehörten (Grü-
nes Gewölbe). Die Hauptstätten der Glasfabrikation und Schneidekunst ent-
stehen in Deutschböhmen, in Oberschlesien am Fuße des Riesengebirges im
Hirschberger Tal, in Potsdam und in Zechlin in der Mark Brandenburg. In
dem ersten Viertel des Jahrhunderts haben die böhmischen Meister den Vor-
rang (Abb. 163). Ihre Pokale zeichnen sich durch ausdrucksvolle Profile und
meist durch den ornamentalen Dekor aus. In den älteren Werken herrscht
noch das krause Rankenwerk; um 17 10 tritt an seine Stelle das Laub- und
Bandelwerk, teilweise in Anlehnung an die in diesem Jahre erschienenen Or-
namentwerke Johann Leonhard Eislers und des Schlüterschülers Paul Decker,
dessen „Groteskenwerk" im Titel ausdrücklich für Goldschmiede wie für
Glasschneider als Vorlagensammlung empfohlen wird. Somit berührt sich
299
Abb. 164. Pokal mit Monogr.
Friedr. Wilhelms I. von Gottfr.
Spiller, um 1705
Berlin, Schloßmuseum
Abb. 165. Pokal mit Chinoiserien
Schlesien, um 1760
Berlin, Schloßmuseum
auch diese abseitsliegende Kunstindustrie mit dem großen Entwicklungs-
gange der deutschen Barockformen. Neben derben mythologischen und
Amorettenfiguren werden, und dies vor allem auf den schlichter gebildeten
brandenburgischen Gläsern der Epoche Friedrichs I. und Friedrich Wil-
helms I., Fürstenbildnisse, Monogramme und Gebäude eingeschnitten (Abb.
164). Ein Meisterschneider um 1700 war der von dem Großen Kurfürsten
1683 angestellte Gottfried Spiller in Potsdam. Damals wurde von dem Che-
miker und Alchymisten Kunkel auf der Pfaueninsel bei Potsdam, die ihm
der Kurfürst geschenkt hatte, kurze Zeit das vielbesprochene rote Rubinglas
erzeugt. Bemerkenswert ist übrigens die Notiz Nicolais, daß der Eisen-
300
Abb. i66. Pokal, geschnitten von A. F. Sang in Braun-
schweig, um 1730. Köln, Kunstgewerbemuseum
Schneider und Medailleur der Kurfürsten, der aus Nürnberg übergesiedelte
Gottfried Leygebe, Formen für Zieraten der Potsdamer Glashütten herge-
stellt hat; womit sich wiederum ein Verbindungsweg rückwärts nach der al-
ten Hauptstadt der deutschen Kunstarbeit der Spätrenaissance ergibt. Län-
ger als anderswo behauptet sich das gedrängte Barockornament in den ge-
schnittenen Gläsern, bei den abgelegenen böhmischen und schlesischen Werk-
stätten noch besonders. Die große Zeit der deutschen Glasschneidekunst war
301
eigentlich die des Barock. Mit dem Erlöschen des Barock um 1740 verliert
sich die plastisch formende Kraft in der Bildung der Pokalkörper- und
-Schäfte. Das Ornament und die Bilder aus dem Schäfer-, Amoretten- und Chi-
nesenkreise geraten unter den Einfluß der Augsburger Stecher (Abb. 165).
Das Werk des Glasschneiders Chr. Gottfried Schneider in Warmbrunn, um
1740 bis in die sechziger Jahre, veranschaulicht am besten den Rocaillestil in
der Glasdekoration. Eine weitere Dekorationsweise des Rokoko ist die auf-
geklebte Vergoldung (Abb. 166). Im Beginn der siebziger Jahre wird der
spielerische Rokokozierat von den Gläsern verbannt. Wie die Gefäßformen
der Trinkgläser alsbald unter dem Einfluß der klassischen Kunstlehren sich
glätten, so erstirbt auch die Freude an dem lustigen Licht- und Schatten-
spiel der mit Schnitt bedeckten schimmernden Kristallgläser.
Auf die vorwiegend mit Goldradierung und Rot gemalten G o 1 d z w i -
schengläser (zwischen zwei Glaswandungen), die in dem Rokoko ihre
Blütezeit erlebten, sei nur hingewiesen.
302
Abb. 167. Bühnenentwurf der Bibiena, um 1740. Berlin, Bibl. des Kunstgewerbemuseums
25. DIE KUNST DES THEATERS
Die Oper und das Schauspiel haben an den deutschen Höfen des 1 8. Jahrhun-
derts eine Rolle gespielt, von der sich die Gegenwart kaum eine Vorstel-
lung machen kann. Auf den Bau, die Einrichtung und Ausstattung der Opern-
und Komödienhäuser hat die Epoche eine unbegreifliche Fülle künstlerischer
und technischer Kraft verwendet-'). Nur noch wenige Theaterräume, und nicht
die stattlichsten, sind uns aus dem 18. Jahrhundert erhalten — das Markgräf-
liche Opernhaus in Bayreuth, das Kurfürstliche Hoftheater in München,Fried-
richs des Großen Bühne im Neuen Palais, Karl Theodors Schauspielhaus im
Schwetzinger Schloßgarten und das des Prinzen Heinrich in Rheinsberg. Sie
alle sind ihrer Kulissen beraubt. Der Glanz des Zuschauerraums ist verblaßt;
kalte Moderluft weht durch die öden Räume. Verklungen ist der schmel-
zende bei canto der italienischen Sänger, das Lachen und Klagen der Scara-
muzzi und Kolombinen und die Musik des Orchesters. Aber zahlreiche Kup-
ferstiche und Entwürfe setzen uns in den Stand, das Theaterwesen des Jahr-
hunderts wenigstens vor unserem geistigen Auge auferstehen zu lassen.
303
Die italienische Oper, die mit dem Barock in der ersten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts erblüht war, hatte seit dem späteren 17. Jahrhundert — als das
wichtigste Glied der höfischen Feste — das Theater der deutschen Residen-
zen völlig in Besitz genommen. Die Oper ist der Glanzpunkt all der wochen-
langen Krönungs-, Vermählungs-, Geburts- und Einzugsfeste, in denen sich
die Höfe von Wien. Dresden. München und Düsseldorf nicht genugtun
konnten.
Prunkopem und Ballette waren auch die beliebtesten Darbietungen der
großen Karnevalsfeiem.
Die Dekorationen der Bühne und des Zuschauerhauses ergänzten einan-
der. Die festlich geputzte Zuschauermenge, um den glänzenden Fürstenhof
in der säulenflankierten und samtdrapierten Mittelloge gruppiert, in dem
Schein vieler Tausenden von Kerzen des Kronleuchters bildete mit Sängern
und Schauspielern ein Ganzes. Der Boden des Parterres und des Orchesters
wurden anläßlich der Karnevals- und Hofbälle auf eine Höhe mit dem Büh-
nenboden gehoben. In Knobelsdorffs Berliner Opernhause, das in architek-
tonischer Hinsicht die bedeutendste deutsche Schöpfung dieser Gattung war,
wurde das Bühnenhaus bei diesen Anlässen in einen korinthischen Saal mit
Kaskaden und Najaden verwandelt; der über dem Foyer gelagerte Apollo-
saal mit atlantengestützter Galerie wurde hinzugezogen. So wogte das far-
benbunte Meer der Ballgesellschaft unter dem säulengetragenen Triumph-
bogen des Proszeniums hin und her. Zuweilen nehmen die Fürsten mit ihren
Damen an den Balletten teil. Allegorische Prunkaufzüge. Ritterspiele und
Turniere, die auch im Freien, in den Schloßhöfen und in den Parks aufge-
führt wurden — die Leser erinnern sich der in dem Dresdener Zwinger abge-
haltenen Schauspiele — , wurden im Barock auch noch auf den Bühnen ab-
gehalten. Rauschende Apotheosen, die den Ruhm des Landesherrn verherr-
lichen, durften nicht fehlen. Unter Blitz und Donner, auf Wolken und stür-
mischen Meereswogen erscheinen die olympischen Götter, um in allego-
rischen Schauspielen den anwesenden Landesherrn und sein Haus zu vergöt-
tern. So geht der Oper Servio Tullio. einer von Stefani komponierten Dich-
tung des Terzago, die aus Anlaß der Vermählungsfeier Max Emanuels mit
Maria Antonia. Kaiser Leopolds I. Tochter. 1686 aufgeführt wurde, ein Pro-
log voraus, der den Servius TuUius als den Ahnherrn Max Emanuels feiert.
Trompeter- und Paukerchöre, die auf den Seiten des Parketts oder in Logen
aufgestellt waren, fielen bei den Steigerungen in die Musik des Orchesters
ein. Die Leidenschaft des Barock für das Lautschallende, für das Rau-
schende, für starke Licht- und Schattengegensätze, für wunderbare, überra-
schend eintretende Verwandlungen ergeht sich mit ungehemmter Lust. Einen
304
Abb. i68. Bühnenentwurf der Galli Bibiena, um 1740
Berlin, Bibliothek des Kunstgewerbemuseums
Schmitz, 18. Jahrh, 20
305
Anfang stellt die zur Geburtstagsfeier Josephs I. vor Kaiser Leopold 1678 auf-
geführte Oper „La Monarchia latina trionfante", ein von Draghi komponier-
tes Dichtwerk Minatos, dar. Höhepunkte sind die um 1700 aufgeführten
Opern ,,La Monarchia stabilita", die in Düsseldorf vor Jan Wilhelm und sei-
nem Gaste Karl III. von Spanien, unserem späteren Karl VI. stattfand, sowie
Stefanis Oper ,, Heinrich der Löwe", mit der das Kurfürstliche Opernhaus in
Hannover eingeweiht wurde. Damit beginnt die Glanzzeit der italienischen
Oper, deren Hauptförderer Karl VI. in Wien, sowie August der Starke in
Dresden und Friedrich der Große in Berlin während des Rokoko gewesen
sind. Die Herrschaft der Familie Galli Bibiena beherrscht den deutschen
Theaterbau und die Bühnendekoration von nun ab bis zum Abblühen des Ro-
kokostils fast uneingeschränkt. Als erster tritt in Wien Francesco Galli Bi-
biena unter Kaiser Leopold auf: es ist derselbe, der mit Fischer von Er lach
um die Dekorationen bei Josephs I. Einzug und später um die Karlskirche
konkurrierte und der Verfasser des Werkes: ,,L'archittura maestra delli Arti
che la compongono". Als Theaterarchitekt gewinnt grundlegende Bedeutung
sein Bruder Ferdinando Galli Bibiena. Am Hofe Ranuccios IL Farnese in
Parma hatte er bereits eine fruchtbare Wirksamkeit ausgeübt und in Madrid
als Fest- und Theaterarchitekt Karls III. gelebt, als ihn dieser im Jahre 1712
nach Wien berief. Hier hat er eine Anzahl der Freuden- und Trauerdekora-
tionen geschaffen, als der Nachfolger Burnacinis und zugleich mit der gewal-
tigen Bautätigkeit, die nach dem Rastatter Frieden einsetzte. Für das Bühnen-
wesen war sein Schaffen von umwälzender Bedeutung. Er setzte an die Stelle
der älteren Barockdekoration, die Kulissen und Hintergrundsprospekt pa-
rallel zur Vordergrundsebene anordnete, eine Schrägstellung der Pro-
spekte. Dadurch verkürzten sich die Linien nach verschiedenen Augenpunk-
ten. Ferdinando Bibiena befreit also die Bühnenbilder von der architektonisch
klaren Perspektive mit einem Fluchtpunkt, die in den älteren Barocktheatern
in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gebräuchlich war. Der Gipfel-
punkt darin war von Andrea Pozzo erreicht worden; der Jesuitenpater hat
gerade in der Schöpfung der ,,theatra sacra" für die Kirchen seine Vollendung
in der Perspektivkunst entwickelt. Pozzo ist deshalb in gleicherweise bahn-
brechend für die Deckenmalerei wie für die Theatermalerei um 1700 ge-
worden. Es ist bemerkenswert, daß Wien diesen großen Perspektivkünstler
an sich zog eben in dem Augenblicke, als die Raumkunst Fischer von Er-
lachs und Hildebrands aufging. Die Fortsetzer seiner Ideen in den späteren
Barock und bis zum Rokoko hinein sind die Galli Bibiena. Ihre Schöpfun-
gen sind geistesverwandt den Kirchen- und Schloßräumen, die Fischer und
Hildebrand und ihre Schule schufen. Als der Vater 1723 zurücktrat, war
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sein Sohn, Giuseppe Galli Bibiena, bereits zur Meisterschaft herange-
wachsen. Giuseppe hat die Stellung des Vaters eingenommen und den Ruhm
der Familie auf den Gipfel gebracht. Für seinen Herrn, Karl VI., schuf er
bereits 17 16 die Dekorationen zu der großen Oper ,,Die über die Alcina ob-
siegende Angelica", die auf dem Teich der kaiserlichen Favorite gesungen
wurde, im Jahre 1723 noch unter seinem Vater das offene Theater in Prag für
die böhmische Krönungsfeier, und die berühmte Dekoration der Winterreit-
schule (1740). Dem Kaiser ist auch das monumentale Prachtwerk Giuseppes
gewidmet, das das Können der Bibiena über den festlichen Augenblick ver-
ewigt hat: die ,,Architettura e prospettiva" 1740, Augsburg, gestochen von
Pfeffel, Kleiner, Schmuzer u. a. Den Siegeszug des Giuseppe durch Deutsch-
land, seine Bühnenschöpfungen in Dresden, in München zur Vermählung
Karl Alberts mit Maria Josepha, Kaiser Josephs I. Tochter, abermals in Dres-
den und Warschau für August III. und in dem Jahrzehnt vor dem Sieben-
jährigen Kriege für Friedrichs des Großen Oper in Berlin, verfolgen wir
nicht. Sein Bruder Allessandro Galli Bibiena, mit dem Vater seit 17 12 in
Wien tätig, folgte einem Rufe des Kurfürsten Karl Philipp nach Mannheim.
Hier leitete er nicht nur die Opern und Feste des Hofes und erbaute 1737 bis
1742 das zugrundegegangene Opernhaus, sondern er beherrschte auch das
fürstliche Bauwesen. Neben den Galli Bibiena waren noch andere Italiener
als Theaterarchitekten und Maler tätig, wie die Mauro in München und Dres-
den und später Bellavita in Berlin, der gemeinsam mit Giuseppe Opern-
dekorationen für das Knobelsdorffsche Gebäude malte. Sein Nachfolger
Verona führt bereits bis in den Ausgang des Jahrhunderts. Unter den deut-
schen Theatermalern hatte um 1700 der in Rom ausgebildete Harms in Dres-
den und Braunschweig Rühmliches geschaffen. In München blühte in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Familie Quaglio.
In den Bühnenprospekten des Giuseppe Galli Bibiena und seiner Richtung
enthüllt sich der in dem Barock wirkende künstlerische Geist mit seiner vollen
Gewalt (Abb. 167, 168). Ungeheure Feenpaläste, riesige Säulenhallen, gewaltige
Gewölbe und Pfeiler, Galerien und Treppen schieben sich ineinander und zie-
hen den Blick in weite Fernen. Gärten und Grotten versetzen uns in eine
Zauberwelt, die alle Vorstellungen von den Gärten der Semiramis und Ar-
mida übertreffen. Ein sinnberückender Reichtum aller erdenklichen Zieraten
ist über die Bauten gebreitet. Alle Gesetze der Architektur scheinen aufge-
hoben. Licht und Wolkenschatten verstärken den zauberhaften Eindruck.
Dieser Welt der Phantastik entstammen auch die Kostüme der Figuren, wo-
zu ebenfalls die Theaterarchitekten die Modelle lieferten. Ob es sich um die
Gestalten der italienischen Oper und Komödie, ob um die der französischen
308
Abb. 170. Scaramuz und Kolombine, nach Kandier, um 1745. Berlin, Schloßmuseum
Tragödien handelt: die Götter und Helden des Altertums, die abenteuernden
Ritter und verwunschenen Prinzessinnen der Renaissancedichtung, die Pier-
ros, Dottori und Kolombinen der italienischen comedia dell'arte, sie sind keine
Geschöpfe der Wirklichkeit, sondern der Phantasie des Barock. Der ideale
Stil der Theaterdichtung dieses Jahrhunderts ist auch der der Aufführung.
Die unter der Direktion großer Baukünstler von allen Künsten des Auges,
des Ohres und des Gedankens geschaffenen Prunkopern geben kein Abbild
des Lebens, wie es ist. Sie versetzen Geist und Sinne in einen erhöhten Zu-
stand, und alles menschliche Handeln ist zum Allgemeinen erhoben. Das Ty-
pische und Allegorische empfand diese Epoche als das im höchsten Grade
Künstlerische. Daher die Leidenschaft für die italienische Charakterkomödie.
Darum gelang dem Barock auch die Vereinigung der gegensätzlichen Künste
in der Oper: des gesprochenen Wortes, des Orchesters und der Raumkunst.
Somit ist es klar, welche belebenden Kräfte, ganz abgesehen von der unmit-
telbaren Befruchtung, aus der Opern- und Schauspielkunst dieser Epoche auf
die gesamte künstlerische Empfindung des Jahrhunderts ausströmen mußten.
Über den Rahmen dieses Buches würde eine Erörterung darüber hinaus-
309
gehen : wie sich der musikalische und dichterische Stil der italienischen Oper
und Dramatik selbst vom frühen Barock bis zum Höhepunkt des Rokoko ge-
wandelt hat. Durch eine solche Untersuchung müßten sich die tiefsten Auf-
schlüsse über die Wechselbeziehung des Raum- und Dekorationsempfindens
mit der Musik und dem dichterischen Gefühl gewinnen lassen. Insbesondere
würde das Schaffen der deutschen Komponisten interessieren, die in der er-
sten Hälfte des Jahrhunderts italienische Opernmusik geschrieben haben. Im
Barock war dies Händel, dessen Wirken zum größten Teile auf dem Boden
Londons liegt; für das Rokoko sind es Hasse, der seine größten Triumphe am
Hofe Augusts III. in Dresden feierte, und Graun, der Kapellmeister Fried-
richs des Großen bereits in der Rheinsberger Kronprinzenzeit und der Schöp-
fer der Berliner Oper nach des Königs Thronbesteigung. Die Gegenstände
der von Graun und Hasse komponierten Opern sind die der italienischen Oper,
Darstellungen der Liebesleidenschaft, der Kämpfe und Abenteuer der Helden
des Altertums, die seit der Renaissance die Lieblinge der Roman- und Dra-
mendichtung waren. Auch Glucks Opern wurzeln noch sehr stark in diesem
Kreise. Um die Mitte des Jahrhunderts beginnt vereinzelt neben der italieni-
schen Prunkoper ein durch die französische Tragödie genährter strengerer
Geschmack in den Kulissen und Prospekten Fuß zu fassen. Ein Hauptträger
dieses französischen Stils war Servandoni in Paris, der um die Mitte des
Jahrhunderts in Dresden Beifall errang.
Die Glanzepoche der italienischen Prunkoper in Deutschland erlosch mit
dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, der besonders dem festlichen Hof-
leben in Wien, in Dresden und Berlin den heftigsten Schlag versetzte.
Über die Architektur der Opernhäuser des deutschen Barock
und Rokoko müssen wenige Andeutungen genügen. Das um die Mitte des
17. Jahrhunderts in Italien eingeführte Logensystem des italienischen Thea-
ters findet sich bereits in den ersten deutschen Barocktheatern angewendet;
so in dem Wiener von Burnacini 1678 und in dem Münchner Opernhaus Sant
Salvator, das schon 1657 von Santurini errichtet wurde und zwar für den
Kurfürsten Ferdinand Maria und seine Gemahlin, die savoyische Prinzessin
Adelaide, die also auch hier, wie im Kirchen- und Schloßbau, eine Vorkämp-
ferin des italienischen Geschmacks in Deutschland ist. Diesen beiden schließt
sich an das von dem Oberlandbaumeister von Klengel für den Kurfürsten
Johann Georg III. 1667 erbaute Komödienhaus nach italienischer Art in Dres-
den. Der Aufschwung zu großartiger Gestaltung der langovalen Zuschauer-
räume und der tiefen Bühnen setzt mit dem vollen Barock am Ende des
17. Jahrhunderts ein. Das von Giusti für den Kurfürsten Ernst August er-
baute Opernhaus in Hannover, sowie die 17 18 — 17 19 erfolgte Umgestaltung
310
Abb. 171. Opernhaus in Bayreuth, von Giuseppe und Carlo Galli Bibiena, 1745
311
des Dresdener Opernhauses durch zwei Mitglieder der Familie Mauro aus
Venedig, das um 1740 von Allessandro Galli Bibiena erbaute Mannheimer
Opernhaus und das gleichzeitig entstandene Berliner von Knobelsdorff wie
das auf Betreiben von Friedrichs Schwester, der Markgräfin von Bayreuth,
von den Bibiena 1745 errichtete, noch erhaltene in Bayreuth (Abb. 171)
und endlich das um 1750 entstandene Warschauer Opernhaus Augusts III.
veranschaulichen die Entwicklung in den Hauptdenkmälern. Auch hier offen-
bart sich die Durchdringung der älteren italienischen Kunstformen mit den
französischen wie in der deutschen Schloßarchitektur. Man beachte, wie
das im prunkenden italienischen Spätbarock eingerichtete Bayreuther Opern-
haus, das in der triumphalen Komposition der Hofloge Gius. Bibienas
Meisterhand bekundet, eine Fassade im klassischen Geschmack von dem
Franzosen St. Pierre erhält. Französische Gedanken finden sich auch im In-
nern von Cuvillies Residenztheater in München und von Knobelsdorffs
Opernhaus eingemischt. Von dem bewegten Rokoko dieser Meister entfernt
sich das von Pigage erbaute Schwetzinger Theater, während das um 1765
für Friedrich den Großen im Neuen Palais errichtete Theater bezeichnender-
weise auf das Knobelsdorffsche Schloßtheater zurückgreift. Die französische
Ranganordnung zeigte wie das Schwetzinger kleine Theater auch der durch
de la Guepiere vollendete Umbau des Stuttgarter Opernhauses. Die Ausstat-
tung der Opernhäuser zog bis in diese Spätzeit des Rokoko hinein heitere
und spielerische Formen, bewegte Atlanten und verschnörkelte Konsolen als
Stützen der Logen vor. Das so ganz eigentümliche und hohe Stilgefühl die-
ses Jahrhunderts enthüllt sich am deutlichsten darin : daß die eigentliche Ar-
chitektur von dem strengsten Maßgefühl beherrscht wird, während in der
Dekoration und der Bühnenausstattung des Theaterraumes das leichte Spiel
der Phantasie zu walten scheint.
312
26. DIE GARTENKUNST
Als der wichtigste Schauplatz der Vergnügungen der höfischen und vor-
t nehmen Gesellschaft steht der Garten des Barock und Rokoko geradezu im
Mittelpunkt des künstlerischen und geistigen Lebens des Jahrhunderts. In
ihm offenbart sich das besonders geartete Verhältnis zur Natur mit der größ-
ten Deutlichkeit. Der Garten ist ein Spiegelbild des Seelenlebens dieser Epoche
— in der Folgezeit betätigt sich das dichterische Empfinden gerade in der
Ausgestaltung der Gärten — umgekehrt gehen von diesen mächtige Anre-
gungen auf die erwachende deutsche Poesie über. Der Garten ist das wich-
tigste Verbindungsglied zwischen der früheren und späteren Hälfte des
i8. Jahrhunderts.
Das Wesen des Barockgartens beruht in dem engsten Verhältnis zur Ar-
313
Abb. 172. Fontäne und Lattenwerk in Mirabell bei Salzburg, um 1700
chitektur. Er ist Architektur. Die raumbildenden Faktoren, die den Grundriß
und Aufriß des Schloßgebäudes bestimmen, gestalten auch die Anlage und
Einteilung des angrenzenden Gartens. Nur entfalten sie sich auf der Fläche
in die Breite. Die älteren Barock gärten erstrecken sich immer nur in
der Breite der Schloßfront, oder einschließlich der Nebenflügel, und ihre Tiefe
ist ebenfalls begrenzt durch die Maße des Gebäudes. Die Mehrzahl der Gär-
ten, in allen Fällen dort, wo es sich um völlige Neuschöpfungen handelt, hat
die Form eines länglichen Rechtecks, das auf den drei freien Seiten durch
Mauern, Gräben und Alleen aufs schärfste gegen die umgebende Landschaft
abgeschlossen ist (Bruchsal und Favorite). Mit Vorliebe wird auch die Rück-
seite des Gartens durch ein langgestrecktes Gebäude, eine Orangerie oder
Gloriette abgeschlossen, so daß der Gartenraum zwischen die Gebäude ein-
gespannt erscheint (ehemaliger Lustgarten in Berlin, Belvedere in Wien
[vgl. Abb. 71], Schloß Ludwigsburg und Favorite dahinter). Die Wege,
die Plätze, die Beete und Gebüsche des Gartens unterliegen der strengsten
geometrischen Anordnung.
Demgemäß geht die Entwicklung der deutschen Gartenkunst zusammen
mit der des Schloßbaues. Der Renaissancegarten war in der Zeit vor dem
314
Abb. 173. Gartentheater in Mirabell bei Salzburg, um 1700
Dreißigjährigen Kriege an den Höfen von München und Wien aufgenommen
worden. Während des Krieges entstehen bedeutende Anlagen der Art in Hei-
delberg, in Böhmen durch Wallenstein und in Dresden durch den Kurfürsten
von Sachsen. Nach dem Kriege treten die norddeutschen Höfe, vor allem
Brandenburg, in die Reihe der Gartenliebhaber ein. Es beginnt eine allge-
meine Leidenschaft für die Gartenkunst zugleich mit dem lebhaft geweckten
Interesse für edle Baum- und Blumenzucht. Mächtige Antriebe kamen durch
die einwandernden holländischen Gärtner. Durch sie wurde die Veredlung
der Ostbäume und die Pflege neuer Blumensorten, wie der Tulpen und Hya-
zinthen, begründet. Nach holländischen Mustern legte der Große Kurfürst
den Lustgarten hinter dem Berliner Schlosse an und von dort die Allee zum
Tiergarten, die heutige Straße ,, Unter den Linden". Das Wesen des Garten-
stils der Renaissance beruht in der strengen Gliederung des Gartens in eine
Reihe gleichwertiger Abschnitte. Sie werden durch Steinbalustraden,
Statuenreihen, glattgeschorene Heckenwände, Gitter, Laubengänge und
Baumreihen voneinander abgegrenzt. Im holländischen Garten ist diese
schachbrettartige Zerlegung des Grundrisses durch das ebene Terrain und
durch Einziehung gerader Kanäle am stärksten ausgesprochen. Es fand in
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Abb. 174. Park des Belvedera in Wien. Anfang 18. Jahrhunderts
Niederdeutschland und in den ebenen Teilen Sachsens Verbreitung. Dagegen
hatte der italienische Garten des 17. Jahrhunderts, der in der hügel- und
felsreichen Umgebung Roms entstanden war, eine Vorliebe für bewegteres
Relief und gedrängtere Komposition. Terrassen, Treppen, Balustraden und
Felsengrotten, die der Plastik reiche Entfaltungsmöglichkeit gaben, stür-
zende Wasserfälle und Fontänen waren hier Hauptmittel des Gartenkünst-
lers. Diese Gedanken finden sich denn auch in den älteren Barockgärten um
Salzburg (Mirabell, Schloß und Garten um 1689 begonnen wahrscheinlich
unter Leitung Bernh. Fischer von Erlachs), Wien (Schwarzenberggarten.
Belvedere [Abb. 174], in dem Zwingergarten in Dresden, in der Favorite bei
Mainz und namentlich — um das heute noch berühmteste Werk zu nennen,
in der Kaskade mit dem Herkules hinter Wilhelmshöhe. Sie wurde um 1700
für den aus Rom zurückgekehrten Landgrafen Karl von Hessen von Guer-
nieri geschaffen. Stärker noch als die meist verschwundenen oder umgestal-
teten Gärten selbst zeugen die Marmorbildwerke der italienischen Plastiker
von dem Einfluß, den die italienische Kunst in dem deutschen Garten des Ba-
rock ausgeübt hat, um nur nochmals an die Werke Darias und Mostos in
Salzburg, Mattiellis und Corradinis in Wien und Dresden zu erinnern.
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317
Eines ist dem italienischen wie dem holländischen Garten des 17. Jahr-
hunderts gemeinsam und wird auch für den Garten des deutschen Barock
bestimmend: die völlige Unterordnung der Bepflanzung unter die Linien der
Architektur. Die Bäume und Sträucher werden zu grünen Wänden, Pyrami-
den, Kugeln oder sonstigen geometrischen Körpern zugeschnitten. Sie haben
eine raumbildende Rolle, genau so wie die Gebäude und Statuen, zu über-
nehmen. In den Naturtheatern bilden sie die Kulissen. Bei den Balletten und
Reiterspielen werden immergrüne Pyramiden und Kugelbäume in Holz-
kübeln reihenweise versetzt, so im Parterre des Großen Gartens in Dresden.
Diese Erscheinung gibt über das Stilempfinden des Barock den klarsten Auf-
schluß. So völlig ist auch das Gartenschaffen dem Architekten unterworfen,
daß der Baum, die Pflanze als Einzelwesen zurücktreten. Die südlichen
immergrünen Bäume und Sträucher, Buchse, Myrten, Zypressen, Lorbeer,
Orangen, Zitronen, Oleander, Granaten und Zedern mit ihrem dunkeln und
dichten Laub sind daher seit der Renaissance in immer wachsendem Maße
die tonangebenden Gewächse auch der deutschen Parks geworden. Mit dem
Barock entwickelt sich auf deutschem Boden eine hohe Kultur dieser Gattun-
gen. Die Fürsten wetteifern in der Anlage von Züchtereien. Die Orangerie
darf in keinem fürstlichen Garten fehlen. Sie nimmt inmitten der Gewächs-
häuser einen Saal für festliche Gesellschaften auf, so daß die Gäste zwischen
den südlichen Bäumen wandelnd durch die bis zur Erde reichenden Fenster
den Garten überblicken können (Charlottenburger Orangerie mit Prachtsaal
von Eosander 1703, Orangerie von Welsch in Fulda, von De la Fosse in
Darmstadt, von du Ry in Cassel). Es werden aber auch die einheimischen
Laubbäume, namentlich die Hainbuchen und Linden zu Wänden und Figu-
ren zurechtgestutzt. Die Blumenbeete werden in künstlichen Mustern „en
broderie" angelegt. Die Berainschen und Marotschen Bandverschlingungen
der gestickten Wandbekleidungen kehren hier wieder. Eine Reihe von Vorla-
genwerken beleuchten die bis ins Spielerische gehende Leidenschaft für der-
artige Schnörkeleien. Der Barock entwickelt also seine Gartenschönheit nicht
aus der heimatlichen Natur. Vielmehr zwingt er dieser eine idealisierte
fremde Natur auf. Daher auch die Neigung zu möglichst flachen Ebenen bei
Anlage neuer Schlösser und Parks. Kein künstlerisches Empfinden für die
deutsche Berg- und Waldlandschaft. Daher auch die Freude an den mehr
plastischen Laubformen der Kastanien, der Nußbäume, der Maulbeerbäume
und Linden, mit denen die Fürsten am Ende des 17. Jahrhunderts die Alleen
bepflanzen ließen. Und betrachtet man die fremdartigen Formen der Blumen
und Sträucher, die jetzt tonangebend werden, der Tulpen, Hyazinthen, Lev-
koien, des Jasmins: zeigt sich nicht auch darin eine ähnliche Vorliebe? Von
318
Abb. 176. Malerei eines Türflügels im Würzburger Schloß, um 1740
319
hier aus gewinnt die Blumenmalerei der Wände, der Porzellane und Fayen-
cen und der Gobelinzeichner erst ihren Hintergrund (Abb. 178).
Diese Mittel einer stilisierten Natur und Gartenarchitektur waren am Hofe
Ludwigs XIV. durch Lenötre zu einer einheitlichen Wirkung zusammengefaßt
worden. An Stelle der Nebeneinanderreihung gleichwertiger Abteilungen
setzte Lenötre eine große Mittelachse, um die sich symmetrisch alles
übrige gruppierte. Die sanft abfallende Neigung des ganzen Terrains trat
hinzu, um den Eindruck des Hauptdurchblicks noch majestätischer zu ma-
chen. Versailles, mitten in eine wüste Gegend hineingeschaffen, hat die neuen
Ideen am großartigsten verwirklicht: es wird seit der Wende zum 18. Jahr-
hundert das Vorbild auch für die deutschen Parks. Französische Gärtner und
Architekten und deutsche in Paris geschulte Künstler verbreiten den fran-
zösischen Gartenstil mit der größten Schnelligkeit. Großartige Beispiele, die
freilich nur in den Hauptzügen noch die Grundgedanken bewahren, sind der
von Sophie Charlotte geschaffene Schloßgarten von Charlottenburg, der
Schloßgarten von Herrnhausen, ein Werk des Kurfürsten Ernst August von
Hannover, der Dresdener Große Garten in der Gestalt, die ihm August der Starke
gab, die Parkschöpfungen Max Emanuels in Schleißheim und Nymphenburg
(Abb. 175) und die Gärten von Schönbrunn bei Wien und von Pommersfelden.
Bezeichnenderweise sind die im Anfang des Jahrhunderts entstandenen Parks
meist Vergrößerungen von kleineren Gärten des 17. Jahrhunderts nach der
Länge hin. Auf die Gewinnung einer breiten durchgehenden Mittelachse im
Anschluß an das Parterre vor dem Schlosse wird alles vereinigt : Rasenflächen,
Blumenbeete, Alleen, Kanäle und seeartige steingefaßte Bassins, von den
strengen Linien der Baumkulissen begleitet, durchziehen den Garten der
Länge nach bis zu einem Lust- oder Jagdschlosse am anderen Ende. Damit
hat der Garten genau so wie das Schloß einen beherrschenden Mittelraum er-
halten und gliedert sich, wie das Innere des Schlosses, in eine von dort aus
abgestufte Gruppe größerer und kleinerer Raumabteilungen. Zugleich mit
den meisten oben genannten Schloßbauten im ersten Jahrhundertdrittel ent-
standen in Deutschland die Parkanlagen im französischen Geschmack. Doch
wurden auch im Anschluß an ältere Lust- und Jagdschlösser französische
Gärten angelegt, so der Schwetzinger von Kurfürst Carl Philipp, der Moritz-
burger von August dem Starken, von denen beiden noch Grundlinien erhal-
ten sind. Der Adel und die reichen Kaufleute in den Städten wetteiferten mit
den Fürsten in der Gartenkunst. Neben Dresden war Leipzig wegen seiner
Gärten berühmt (Rosenthal, die Boseschen Gärten). In Berlin zeichneten sich
die um 1730 erbauten Paläste der Wilhelmstraße durch ihre bis zumTiergar-
ten durchgehenden schmalen Gärten aus. Die selbständige Schöpferkraft der
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Schmitz, iS.Jahrh, 21
321
deutschen Meister enthüllt sich in dem Geschick, mit dem sie die neuen Ideen
nach den häufig schwierigen Bedingnissen des Geländes abwandeln. So Welsch
in der berühmten Anlage der Favorite bei Mainz und in dem Orangeriegarten
zu Fulda, Neumann in dem Schloßgarten zu Würzburg, der in dem engen
Winkel der Festungswerke liegt. Großartige Werke deutscher Gartenkunst
sind fast völlig zugrunde gegangen wie Pöppelmanns Garten des Japanischen
Palais, der mit dem Zwingergarten auf der anderen Eibseite einen Prospekt
bilden sollte.
Mit der wachsenden Raumweite hat die Gartenkunst des späteren Barock
die scharfe Abgrenzung gegen die anstoßende Umgebung verlassen. Sie geht
dazu über, durch Alleen entfernte Punkte mit dem Schloß und Garten in Be-
ziehung zu setzen. Ein schönes Beispiel ist das Alleennetz vom Schlosse
Schwedt an der Oder; eine viereckige Allee führt zu dem Lustsitz Monplai-
sier. Die Alleen um Schleißheim, Schwetzingen, Bonn, Potsdam sind noch
Zeugen dieser Zeit. Die an den Park anschließenden Wälder werden durch
strahlenartige Schneisen gegliedert, wie in Moritzburg und Benrath. Es wer-
den am Ende des Parks auf beiden Seiten Waldstücke, Haine oder ,,boschetti"
geschaffen, in denen sich der freiere Wuchs der Bäume entwickeln kann
(Schwetzingen, Rheinsberg).
Das gesellschaftliche Element im Barockgarten spricht sich aus in den An-
lagen von Gartentheatern, von Schießständen, Arenen für Kämpfe wilder Tiere
(Wien, Dresden), Plätze für Wirtschaften, Teiche und Kanäle für Gondel-
fahrten und Wasserfeste (St. Georgen am See bei Bayreuth, wo eine
Miniaturflotte auf dem See stationierte).
Der Rokokostil hat die Grundsätze des Barockgartens beibehalten.
Er hat oft nur das Begonnene fortgesetzt. Eine Wandlung des Geschmacks
bekundet sich in den Einzelheiten. Neben den Hauptachsen entstehen neue
Gartenpartien, in denen die verschiedensten Raumgestaltungen, Rondelle,
Irrgärten, Berceaus, Laubengänge vereinigt werden. Hierin äußert sich eine
Verfeinerung, eine Abkehr von dem Majestätischen wie dies auch in den Ro-
kokoschlössern wahrzunehmen ist. Sogar eine ähnliche geistreiche Raum-
gliederung und Verknüpfung durch Gänge! Die Gartenschöpfungen Fried-
richs des Großen sind die wichtigsten Leistungen der Zeit : Die von Knobels-
dorff geschaffene Umgestaltung des Tiergartens seit 1740 (Abb. 177), die
Gärten von Rheinsberg und Sanssouci und der des Neuen Palais. Stets die-
ser feine Wechsel zwischen Alleen mit runden und andersgeformten Plätzen.
Der Garten von Veitshöchheim ist eine der glänzendsten Rokokoschöpfun-
gen. Neben den großen beiden Bassins, entwickeln sich auf beiden Seiten eine
Reihe von Abschnitten mit den köstlichsten Laubengängen und heckenum-
322
Abb. 178. Gartensaal im Schloß in Schönbrunn, um 1770
zäunten Plätzen, von den Bildwerken des Tietz und Wagner belebt. Die nach
dem Siebenjährigen Kriege angelegten Parks weichen von den architektoni-
schen Formen des französischen Stils noch nicht ab. Der Garten des Neuen
Palais, der Neuplatz und der hinter dem Schloß in der Zitadelle angepflanzte
Garten in Münster nach Schlauns Plänen, desgleichen die verschwundene
umfangreiche Parkanlage der Solitüde bei Stuttgart, wie auch der Schloß-
park von Ludwigslust sind dafür Belege. Unverkennbar waltet hier noch ein
323
großartiger Zug in der Anordnung weiter, alleebegrenzter Plätze in Verbin-
dung mit ausstrahlenden Alleen und Chausseen : die Anlagen von Münster
und Ludwigslust sind zugleich Hauptzeugen der noch lebendigen städtebau-
lichen Kraft.
Nur in den Waldstücken am Rande des Parks, in den boschetti und Hainen
des Apollo hat sich inzwischen ein freierer Geist eingenistet, der die unge-
regelte Stellung der Bäume und ihr wildes Wachstum dem strengen Zu-
schnitt des Barockgartens vorzieht.
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27. DER GEIST DES DEUTSCHEN ROKOKO
Sieh den Schwan
Umringt von seiner frohen Brut
Sich in den roten Widerschein
des Himmels tauchen! . . .
Wie hebhch flüstert dort im Hain
Der schlanken Espen furchtsam Laub
Am Ufer, und wie reizend fließt
Die Saat in grünen Wellen fort
Und rauscht vom Winde sanft bewegt.
Ewald von Kleist an Salomo Geßner 1757.
Die Entstehung des deutschen Barock, seine höchste Ausbildung sowie
seine Entwicklung zum Rokoko ist somit auf allen Kunstgebieten
verfolgt worden.
Immer wieder ist der Weg von dem Gebundenen zu dem Bewegten und
schließlich zu der Auflockerung um die Mitte des Jahrhunderts hinangegan-
gen. Die tiefgreifende Wandlung von dem älteren strengen Barock des
17. Jahrhunderts zu dem vollen Barock Schlüters und Fischer von Erlachs
und weiterhin zu dem aufgelösten Rokoko des späteren Balthasar Neumann,
des Joh. Michael Fischer und des Knobelsdorff spiegelt sich in der Gliederung
325
und Raumbildung der Gebäude so gut wie in allen Zweigen der Kunst und
des Kunsthandwerks.
Es ist an der Zeit, einen Augenblick auf der Höhe des Jahrhunderts zu ver-
weilen und zu fragen, in welcher Weise die äußeren und inneren Umstände
sowie das geistige Gesicht Deutschlands sich geändert haben im Vergleich
mit der in den ersten Abschnitten entworfenen Sachlage im Anfang des Jahr-
hunderts.
Unerschüttert ist die Stellung der Fürsten, der Kirche und des Adels wie
im Beginn des Jahrhunderts. Überragend ist noch immer die höfische und
religiöse Kunst. Äußerlich ist die Vorherrschaft der ausländischen Bildung,
der französischen und italienischen Sprache in diesen und den vornehmen
städtischen Kreisen ungebrochen. Die französische Kultur hat noch tiefere
Wurzeln geschlagen. Die Schriften der Aufklärung und der galanten Dich-
tung, die Dramen und Schäferspiele üben eine bedeutende Einwirkung auf
die in den dreißiger Jahren erblühende Generation der besseren Gesellschaft.
Friedrich der Große hat bereits in den Rheinsberger Tagen Voltaire als den
neuen Genius des Jahrhunderts verehrt. Seine geistreiche Schwester Wilhel-
mine von Bayreuth, die Herzogin von Gotha und später noch Carl Theodor
von der Pfalz waren begeisterte Förderer Voltaires, seiner Schriften und
seiner Dramen. Zur gleichen Zeit mit der Loslösung des Geistes aus dem Ge-
bundenen der älteren Epoche war die Lockerung in der Architektur und allen
bildenden Künsten eingetreten. Was Meissonier und der jüngere Blondel für
die Entwicklung der neuen Bau- und Zierformen: das bedeuten Voltaire und
seine Mitkämpfer für die Umwandlung der geistigen Bildung.
Sie sind anders geartet, die Träger dieses neuen Geschmacks, die deut-
schen Fürsten des Rokoko als ihre Väter! Der Kaiser Karl VI. (f 1740) bleibt
bis ans Ende dem Barock, in dem seine Künstler die höchsten Triumphe ge-
feiert, treu. Den Übergang in die neue Zeit unternehmen am frühesten die
Söhne des Max Emanuel, sein Nachfolger Kurfürst Karl Albert (1726 — 1745),
(vgl. Abb. 7), der Schöpfer der Amalienburg, und Clemens August, der Kur-
fürst von Köln und Fürstbischof der westfälischen Stifte. Ihre frühesten Schöp-
fungen um 1730 sind die Marksteine des beginnenden, von Barockelementen
noch durchsetzten Rokoko. In Dresden zeigt sich die Wandlung nach dem
Tode Augusts des Starken, da sein Sohn, der lange in Paris gewesene Au-
gust III., die gewaltigen Unternehmungen des Vaters nicht weiterführt, son-
dern mehr die feinere Kunstpflege, das Sammeln von Gemälden und Skulpturen,
betreibt (Abb. 182). Welch ein Gegensatz zwischen dem derben Friedrich Wil-
helm I. und seinem Sohne Friedrich! Welche Vergeistigung gegenüber dem
urwüchsigen Wesen des Vaters: die Trinkgelage und Tabakskollegien im
326
Abb. 179. Friedrich der Große, von Pesne, 1739. Berlin, Kaiser-Friedrich-Museum
327
Jagdschloß Wusterhausen und demgegenüber die Tafelrunde von Rheinsberg
und Sanssouci! Die Fürsten des Rokoko haben das wüste Trinken und Essen,
das oft so rohe Treiben der Väter abzustreifen gesucht. Nur von der Jagd-
leidenschaft in den barocken Formen des früheren Jahrhunderts haben
sie sich schwerer losreißen können. Ist nun nicht die ganze Kunst, sind
die Schlösser und ihre Gemächer, die Gärten, die Bildwerke und die Porzel-
lane nicht ein Spiegelbild dieser veränderten Gesellschaft? Sind nicht die
lichtgetönten feingezeichneten Vertäfelungen des Rokoko mit sparsamen
Gold- und Silberleisten die Hintergründe eines anderen leiblichen und geisti-
gen Daseins als die prunkenden Sammet- und Spiegelverkleidungen des Barock?
■ Das Verhältnis zur Natur ist insofern unverändert geblieben : daß die ide-
alistischen Grundlagen bestehen bleiben. So muß man sich hüten, in den
Volkstypen der Porzellankunst des Rokoko ein Streben nach Wiedergabe des
Volkslebens in unserem naturalistischen Sinne zu sehen. Nein, es sind ver-
schönerte Bauern, Ausrufer und Bettler, Bergleute und Handwerker — oft
übrigens nach Pariser und Londoner Stichen kopiert — ebenso, wie die
Volkstypen der italienischen und französischen Bühne, die auch von der
fürstlichen Gesellschaft selbst bei ,, Bauernhochzeiten" und ,, Wirtschaften"
in den Lustgärten gespielt wurden. Die Schäfer und Schäferinnen und Hir-
ten sind alles andere als leibhafte Kuhknechte und Viehmägde. Also immer
noch verschönerte Natur.
Gewandelt hat sich das Tempo der Empfindung. Die schwere Allonge-
perücke ist dem Zopf gewichen; der zierliche Dreispitz und der Frack verdrän-
gen den Hut und den feierlichen Rock. Der Unterschied in der plastischen
Empfindung ist bedeutend zwischen den Werken Schlüters und Permosers
und denen des jüngeren Glume, des Günther usw. Mit der Lockerung der
Flächen geht die Verfeinerung des seelischen Ausdrucks zusammen. Die
kirchliche und die Gartenskulptur machen keinen Unterschied im Grade der
Empfindung. Tränenreicher Schmerz verkörpert sich in den Schmerzens-
muttern und Magdalenen von Straubs, Günthers und Egells Hand. Verliebte
Schwärmerei und lockende Sinnlichkeit atmen die Waldgötter und Sphinx-
weiber von Tietz, Glume und Ebenhecht.
Die rohe Körperkraft der Naturgottheiten des Barock ist gemildert. Zar-
teres Liebesleben beseelt die Faune und Nymphen in den dunkeln Hainen
und Laubengängen des Rokoko. Zuweilen scheint selbst ein Zug von Schwer-
mut Seegötter und Najaden zu umschweben, die die Fontänen, Kaskaden, die
Grotten und Felsen bevölkern. Für die feine Sinnlichkeit der Zeit möge die
köstliche schlafende Schäferin in Elfenbein von Ludwig von Lücke im Baye-
rischen Nationalmuseum sprechen (Abb. 1 80).
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Abb. i8i. Frankenthalergruppe, von Lücke, um 1760
Kunsthandlung Altkunst, G. m. b H., Berlin
Das Rokoko wird nicht müde, die Geräte der Gärtnerei und des Hirten-
lebens zusammen mit Musikinstrumenten, Pansflöten und Syringen, mit Blu-
men und Bändern darzustellen, gemalt und geschnitzt und gemeißelt
am Äußeren und im Inneren der Schlösser und Lustgebäude. Durch
die Ornamentik der felsen- und moosartigen Rocailleschnörkel wuchern Blu-
men, besonders Rosen, Schilf- und Gartenfrüchte, Kürbis, Melonen, Granaten
und Reben; die Kändlerschen Tiere und die Blumenmalereien des Porzellans
sind Zeugnisse verwandten Sinnes. Die empfindungsvolle Liebe zum Leben
im Garten und die Beseelung der Natur war dem Barock fremd geblieben.
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Abb. 182. August III. von Sachsen. Pastell von R. Mengs
Dresden, Gemäldegalerie
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Abb. 183. Nahl und Glume, Hermen am Schloß Sanssouci, um 1745
332
Sie findet in der Dichtung ihren Abdruck in der Schäferpoesie. Friedrichs
des Großen Dichtungen enthüllen sie mehrfach wie seine Schöpfung von
Sanssouci das Hauptdenkmal des künstlerischen Geistes ist. Die feinste Form
hat sie in den Oden des friderizianischen Offiziers Ewald von Kleist erhalten,
die ja in eben dem Jahrzehnt vor dem Siebenjährigen Kriege in den Pots-
damer Gärten entstanden :
„und in der Flur ein Labyrinth
Von Blumen und manch bunter Kranz,
Aus dessen Mitte Phöbus Bild
Voll Strahlen blitzt und über dem
In holden Düften Zephir schwärmt."
Am ,, Rasensitz in dickbelaubten Linden" seufzt er um seine Doris; ,,in
grüner Nacht umschattet von der Birken hangend Haar", in blühenden Hek-
ken eines Tals"; im Bach sieht er ,,am Grunde Muscheln, Gras und wankende
Blumen". Im melancholischen Hain murmelt der Bach, ,,der Rosenbüsche
tränkt und auf dem von Zephirs sanftem Hauch die kleinen krausen Wellen
fliehen". Der Dichter flüchtet aus der Stadt, aus den Palästen. Der grünen
Finsternis, dem dichten Hain, den Hecken und den Auen vertraut er sein Ge-
fühl. Zur ländlichen Beschäftigung eilt er in die Hütte, wo Doris ihn er-
wartet.
Die Anfänge der Flucht in die Einsamkeit des Gartens und des Hains sind
im Barock vorhanden, auch in der deutschen Poesie--). Die Klausen des greisen
Max Emanuel und der Markgräfin Susanna deuten auf die Neigung zur Ein-
kehr, zur Lösung aus den gesellschaftlichen Banden des Barockgartens. Die
Spätzeit Ludwigs XIV. bringt die Wendung, als der alte König sich sein
Marly abseits von Versailles schuf. Die von Joseph Clemens gegründete
Brüderschaft von Blumengärtnern, die Confrerie des fleuristes, die die Pop-
pelsdorfer Schloßkapelle mit Blumen schmückten, ist eine Schöpfung dieses
Geistes. Kein Künstler hat ihn wunderbarer verklärt als Watteau. Seine
Insel der Seligen, Cythere, ist das Sinnbild dieser Stimmung. Den größten
Bewunderer fand Watteau in dem jungen Friedrich, der Rheinsberg unter
Watteaus Zeichen umschuf. Seine Schwester Wilhelmine hat in der Eremi-
tage bei Bayreuth ein Gegenstück zu Sanssouci geschaffen. Neben dem Son-
nentempel, den Orangerien, Fontänen, Grotten, Wasserpielen mit lüsternen
Wasser- und Waldgöttern entstanden eine Kapelle und Zellen, wo die Mark-
gräfin und ihre Damen in Eremitengewändern Buße taten. Friedrich errich-
tete sich in dem Chinesenhause im Park von Sanssouci eine Stätte, wohin er
der Wirklichkeit entfliehen konnte. Auf dem Hügel hinter Sanssouci erbau-
ten Knobelsdorff und Bellavita eine römische Ruine als Point de vue des von
333
Knobelsdorffs korinthischen Kolonnaden eingerahmten Blicks durch den hin-
teren Park.
Der Umschwung zum Rokoko spricht sich endlich in der Verfeinerung des
malerischen Sinnes aus. Die gewaltsame Hell- und Dunkelwirkung der ba-
rocken Bau- und Bildwerke, der Feuerwerke und Zauberopern ist gelindert.
Watteau hat den malerischen Blick entfesselt, der in Tiepolo um die Jahr-
hundertmitte den Deutschen am gewaltigsten sich offenbarte. Haben sie
auch in der Deckenmalerei nur in beschränkter Weise diesem Gange folgen
können : Tatsache ist auch hier ein Lichterwerden, Eröffnung durchsonnter
Höhen und Verscheuchung schwarzer Wolken. In der religiösen Malerei
vollzog sich die Entfaltung mit größerer Stoßkraft und wirkte bis in die Spät-
zeit des Jahrhunderts. Die mythologische Malerei der Schlösser ist aber
nicht zurückgeblieben. Phöbus Apoll, mit seinen Sonnenrossen die Morgen-
röte am Himmel heraufführend, ist der Lieblingsgegenstand der Rokoko-
decken. Das Erwachen des künstlerischen Empfindens für das Licht und die
Sonne ist bezeichnend. Der Sonne werden Tempel in den Parks errichtet;
Friedrich feiert sie in seiner Ode auf Sanssouci.
Das politische Gesicht Deutschlands hat sich nun geändert. Friedrich, der
als Kronprinz zur Seite des greisen Prinzen Eugen unter des Kaisers Fahnen
den Polnischen Erbfolgekrieg gegen die Franzosen mitgemacht (1735), erhob
sich gegen Österreich und eroberte Schlesien. In Karls VI. Tochter Maria
Theresia war dem Hause Habsburg eine Frau gleich groß als Herrscherin,
Gattin und Mutter erstanden. In dem Siebenjährigen Kriege vereinigte sich
die Macht der Reichsstände des Südens und des Westens nochmals mit dem
Kaiserhause, im Bunde mit Frankreich, Rußland und Schweden, gegen Preu-
ßen. Friedrich, von England unterstützt, behauptete sich. Furchtbar wurden
seine Lande, aber auch die Nachbargebiete, vor allem Sachsen und Böhmen,
durch die sieben Kriegsjahre mitgenommen.
334
28. DER UMSCHWUNG ZUM FRÜHKLASSIZISMUS
IN DER BAUKUNST
Die lebendige Kraft, die in dem deutschen Rokoko wirkte, ist durch den
Siebenjährigen Krieg keineswegs gebrochen worden. Es entstehen in den
Jahren nach dem Hubertusburger Frieden noch Denkmäler der Baukunst
und Bildnerei, die das Rokokoempfinden ungeschmälert zeigen. So in Trier,
das unter dem kunst- und lebensfrohen Kurfürsten Johann Philipp von Wal-
derdorf seit 1756 eine Nachblüte des rheinfränkischen Rokokostils erlebte —
die Bekrönung des Marstalls in Ehrenbreitstein mit einer Pferdegruppe von
Feill (1762 — 1763) hält die lebhaften Umrisse fest. Eine späte starke Äuße-
rung des westlichen Rokoko ist das von demselben Feill dekorierte Fürst-
bischöfliche Schloß in Münster, 1764 nach den Plänen des greisen Schlaun be-
gonnen. Am merkwürdigsten ist das Festhalten der Innendekorationen des
1764 begonnenen Neuen Palais bei Sanssouci an dem Stile Hoppenhaupts.
Hier ergeht sich das Spiel der Rocaillen in ungehemmtem Schwünge, wäh-
rend in den gleichzeitigen Gemächern von Benrath (Pigage) und Solitüde
(de la Guepiere) das Rokoko schon gemäßigt ist. Bis rund um das Jahr 1770
ist di^ Rocarlle im Augsburger Silber, in den Porzellanen, Fayencen und Mö-
beln, im Schmiedeeisen gepflegt worden.
335
Abb. 184. Klosterkirche Wiblingen, ausgestattet von Januarius Zick, um 1770
336
Abb. 185. Salon im Schloß Benrath, von Nie. de Pigage, um 17Ö5
Am zähesten behauptet sich die Überlieferung in der kirchlichen Decken-
malerei Süddeutschlands, in den Werken Günthers, Januarius Zicks, Winks
und Knollers. Es ist von keiner Unterbrechung durch den Siebenjährigen
Krieg die Rede; im Gegenteil, das nächste Jahrzehnt bringt noch eine Steige-
rung des malerischen und räumlichen Empfindens. Auch die zahlreichen Kir-
Schmitz, 18. Jahrh. 22
337
Abb. i85. Schloß Paretz. Zimmer, um 1798
338
- ^^^ — .■..„TK^W^ Kji?^ "ii^^-X
Abb. 187. Schloß Freienwalde. Zimmer, um 1798
339
chenbauten selbst, die noch in Schwaben und Franken entstehen, unter denen
Wiblingen und Rot bei Ulm hervorragen, bewahren in den Raumgedanken
die Grundzüge des spätesten Rokoko (Abb. 184). Endlich genügt es, an die
um 1760 bis 1770 entstehenden Porzellanfiguren von Beyer, von Linck, Mel-
chior und W. C. Meier zu erinnern, um auch auf plastischem Gebiet das
Fortwirken der alten Schaffenskraft zu konstatieren.
Inzwischen hatte eine Strömung eingesetzt, die die Abkehr von dem be-
wegten Stil des Rokoko und die Hinwendung zu den strengen Formen der
Antike im Schilde führte. Am frühesten und mit durchschlagendem Erfolge
hat sie in Paris Fuß gefaßt. Der jüngere Blondel hat sie vorbereitet. Soufflot,
der Schöpfer der Kirche Ste. Genevieve, und Gabriel, der Erbauer des Schlöß-
chens Petit Trianon, sind die Bahnbrecher des klassischen Stiles in der Pa-
riser Baukunst in den beiden Jahrzehnten von 1750 bis 1770 gewesen. Wäh-
rend noch das Rokoko so vielerorts bei uns in Blüte stand, drang der neue
Stil — das Louisseize — in Deutschland ein. Seine Träger sind einmal
die Franzosen selbst, wie Antoine im Kurfürstentum Trier, Ixnard, der die
Klosterkirche in St. Blasien, eine Reihe von Schloß- und Klosterbauten im
südlichen Schwaben erbaute, sowie das von Peyre vollendete kurfürstliche
Schloß in Koblenz begann; ferner Legeai, früher schon als Schöpfer der
Hedwigskirche in Berlin genannt, nach dem Siebenjährigen Kriege Planent-
werfer der Kommuns beim Neuen Palais und der Anlage vor dem Schloß in
Ludwigslust, endlich Mangin, der die vielbewunderte, von Pfaff mit Bild-
werken geschmückte Dompropstei in Mainz erbaute. Eine Reihe deutscher
Meister, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Paris bei Blondel studiert
hatten, vollzogen jetzt den Übergang vom spätesten Rokoko zum frühklassi-
schen Stile. Als Vorkämpfer kann Krubsazius in Dresden gelten, der schon
vor dem Siebenjährigen Kriege in seinen Worten und Werken die Blondei-
schen Lehren verkündet hatte. Die hauptsächlichsten Träger des neuen Ge-
schmacks sind: Charles Louis Dury in Kassel, Roth, dessen Tätigkeit in
Bonn und an der Jesuitenkirche in Büren erwähnt wurde, Karl von Gontard,
aus Bayreuth 1764 nach Berlin berufen, der jüngere Cuvillies, fortgeschritte-
ner der Kanonikus Ferdinand Lipper in Münster, Schlauns Nachfolger. Man
verwirft mehr und mehr alle Verzierungen, die nicht einen architektonischen
Ausdruck haben. An sich sind ja diese Forderungen nicht neu. Die Leser er-
innern sich, daß neben der Hauptentwicklung des Barock und Rokoko immer
eine Strömung hergegangen ist, die die Einhaltung der strengsten Gesetz-
lichkeit betonte. Man denke an die holländischen Meister im Geiste Palla-
dios, an Leonhard Sturm, den Gegner Schlüters, an die Hugenottenbaumei-
ster, an den protestantischen Kirchenbau, an de Cotte und seinen Einfluß auf
340
n
o
o
<
341
Abb. i8g. Museum Fridericianum in Kassel, von S. L. Dury, 1769
Westdeutschland und endlich an de Bodt und Longuelune, die in Dresden an
Pöppelmanns Stelle traten. Blondel der Jüngere hat diese Strömung in Paris
wieder zur allein herrschenden gemacht. Einen entscheidenden Anstoß er-
hielt sie durch die erneute Fühlungnahme mit der antiken römischen Bau-
kunst. Um 1760 entstanden eine Reihe von Werken, in denen französische
und englische Architekten ihre Studien an den antiken Überresten veröffent-
lichten, als die wichtigsten Lerois Denkmäler Griechenlands, Woods und
Dawkins Ruinen von Palmyra und die von Baalbek, Stuarts und Rewetts
Altertümer von Athen und Adams und Clerisseaus Diokletianspalast in
Spalato.
342
Abb. 190. Berlin, Alte Münze, von Heinr. Gentz, 1798 (abgebrochen)
Das äußerliche Kennzeichen der seit rund 1770 den Rokokogeschmack auch
in Deutschland ablösenden Kunstweise, des ,,gout antique", ist die Anwen-
dung geradliniger und strenger Formen im Aufbau und in der Verzierung der
Gebäude. Aber die innere Raumgestaltung wie die äußere Flächenbehandlung
bewahren zunächst gewichtige Elemente des Rokokozeitalters. Bleiben doch
auch die Aufgaben überwiegend die überkommenen. In den schwäbisch-frän-
kischen Kirchenneubauten bleibt ein Hauch des sinnlichen Raumempfindens
lebendig, ob auch die Kuppeln flacher, die Wände gerade, die Säulenstellun-
gen und Gebälke nach strengeren Regeln gebildet werden. Allerdings tritt
die Vereinheitlichung des Raumes an Stelle der sich verschneidenden, inein-
ander wogenden Raumgruppen der großen Rokokomeister im Zeitalter Bal-
thasar Neumanns. Dort, wo die Pariser Klassizisten oder ihr Vorbild wirken,
werden die zentralen Kuppelräume aufgenommen; so Ixnards St. Blasien,
die Frauenkirche in Nürnberg von Lipper — wozu ein ähnlicher Entwurf
343
Verschaffelts aus Mannheim vorlag — , die Paulskirche in Frankfurt und
Gontards Gensdarmentürme in Berlin. Daneben wird der langrechteckige
tonnenüberwölbte Kirchenraum mit geradem Chorschluß Sitte, wofür die
Jesuitenkirche in Mainz von Jäger und die in Büren (mit Mittelkuppel), sowie
die Lutherische Kirche in Ludwigslust von Busch und Verschaffelts Kirche
in Oggersheim (1775) zeugen mögen. Gegenüber diesen auf einfachste Grund-
rißlösungen ausgehenden Kirchen behaupten die von Langhans in Schlesien
und Posen errichteten Gotteshäuser in der ovalen Anlage der Emporenlogen
— bei äußerlich rechteckiger Gestalt — einen lebhafteren Zug in der Raum-
gestaltung. Die strenge Säulen- und Pilasterstellung wird jetzt als unent-
behrlich auch für die Fassaden und Kuppeln der Kirchen gehalten.
Die Entwicklung großer Säulenstellungen nach den neustudierten römi-
schen Mustern scheint eine der vornehmsten Aufgaben der Prachtbaukunst
zu werden. Die mächtige Anlage der Kommuns beim Neuen Palais, die Gens-
darmenkirchen und die Kolonnaden und Brücken, der Freundschaftstempel
und das Belvedere : diese reichen Säulenbauten, die Gontard (und Unger)
für den Alten Fritz errichteten, finden ihre Gegenstücke in den mit Nahls
Bildwerken geschmückten Kolonnaden, in dem Museum Fridericianum
(1769) in Kassel (Abb. 189), endlich in dem Schloß Wilhelmshöhe von Charles
Louis Dury, ferner in den meisten Vorhallen der Kirchen. Die Kulisse
vor der Kirche in Ludwigslust ist ein Musterzeugnis. Auch in den Sälen wer-
den lange Reihen korinthischer Säulen beliebt (großer Saal der Akademie in
Mainz von Jäger, die ovalen Säle von Langhans in Berlin und die des Erd-
mannsdorf in Wörlitz und Berlin).
In der Schloß- und Landhausarchitektur wirken Anregungen von England,
von Chambers und seiner Schule, umbildend. Erdmannsdorf, der Baumeister
des Fürsten Friedrich Franz von Anhalt, hat in dem Schloß in Wörlitz um
1770 das erste Denkmal dieser Richtung hingestellt. Hier ist ein endgültiger
Bruch mit dem Rokoko unleugbar. Unmittelbare Studien in Rom und für
die Dekorationen in Herkulanum und Pompeji haben auch die Formgebung
im einzelnen bestimmt (Abb. 208). Ähnlich sind Weinlig aus Dresden und
Krähe aus Koblenz auf den Bahnen der alten und modernen römischen
Architektur zu ihrem Stil gelangt. Rom war die Vorstufe doch auch
für Soufflot, Gabriel und Clerisseau, die großen Meister des Louisseize in
Frankreich.
Völlig unabhängig entfaltet sich nach dem Siebenjährigen Kriege die länd-
liche Baukunst und der Kolonistenbau in Preußen; die großen Trockenlegun-
gen Friedrichs des Großen z. B. im Warthebruch und in Pommern boten die
Gelegenheit zur Schaffung vieler Hunderter von Dörfern. Aus der seit Fried-
344
345
rieh Wilhelms I. Tagen blühenden Schule ländlicher Architektur wuchs jetzt
die für unsere Zeit so bedeutungsvolle Gestalt David Gillys hervor.
Es ist nicht leicht, die umfangreiche deutsche Bautätigkeit in den Jahren
von rund 1765 bis 1800 gemeinhin zu kennzeichnen. In diesem Zusammen-
hang genügt es, festzustellen, daß sie insgesamt durch starke Fäden mit den
baukünstlerischen Grundkräften des Barock- und Rokokozeitalters verknüpft
bleibt. Die räumliche und plastische Fülle haben allerdings nachgelassen.
Glatte Flächen, gerade Gebälke, regelmäßige Raumformen haben mehr und
mehr die reiche Bewegung zum Stillstande gebracht. In den Deckengemälden
wird die Untersicht und die malerische Verkürzung endlich aufgegeben. Die
Vorliebe für die Kassettendecken bekundet schließlich die Zurückdrängung
der Raumbewegung zugunsten einer streng abschließenden Bedachung im
Sinne der Antike.
346
\ /
Abb. 192. Friedrich Wilhelm III.
und Luise. Schlesischer Eisen-
guß, um 1800
29. DIE WANDLUNG IN DEN ÜBRIGEN KÜNSTEN
Die Kunst des letzten Jahrhundertdrittels zeigt auf der ganzen Linie das
Nachwirken der räumlichen plastischen und malerischen Empfindung der
voraufgegangenen Zeit, allerdings mehr und mehr beruhigt durch die klassi-
schen Formgedanken.
In der Verbindung mit der Architektur wandelt die B i 1 d n e r e i ihren
Stil, indem sie die Reliefs flacher und die Umrisse der Bekrönungsfiguren
ruhiger macht. Den Übergang vertreten die späteren Bildwerke Nahls in
Kassel, seine Rossebändiger und das Denkmal Landgraf Karls, die Statuen
Pfaffs in Mainz, zu denen zahlreiche Tonskizzen im dortigen Museum sind,
Figuren und Reliefs W. C. Meyers und seiner Schüler an den Bauten Gon-
tards und Ungers in Berlin, die Gartengruppen Kapplungers in Ludwigslust
und endlich die späteren Werke Peter Wagners in Würzburg (Stationen des
Käppele [Abb. 125]) und im Park von Veitshöchheim. In der kirchlichen Skulp-
tur bezeichnen die Altarausstattungen von Dürr und Wieland im südlichen
Schwaben (Abb. 193), vorzüglich die in der Zisterzienserkirche Salem unfern
des Bodensees, das Nachleben der älteren Schule in dem neuen Gewände des
Louisseize. In der kirchlichen Umgebung wirken allerdings die klassischen
Säulen- und Rahmenformen, die geradlinigen Vasenbekrönungen, die Lor-
beergehänge, die Mäanderfriese des ,,ä la Grecque", die jetzt als Schmuck der
347
Altäre, der Kanzeln, der geschnitzten Chorstühle und Beichtstühle, sowie an
den Grabmälern auftreten, befremdend (Abb. 196).
Als Nachfolger des jüngeren Adam hat in Berlin der Wallone Antoine Tas-
saert die Marmorbildnerei von dem letzten Rokoko übergeführt in einen dem
Stile Falconets verwandten Geschmack. Die Nymphen, Grazien und Amo-
retten haben bei aller Glättung der Körper noch vieles von der Anmut der
Rokokobildnerei. Der in Berlin jetzt erwachende patriotische Stolz gibt zu
Darstellungen friderizianischer Generale, wie sie leibten und lebten, Anlaß,
worin Tassaert der würdige Vorläufer seines Schülers Schadow ist. Neben
den Marmorstatuen im Treppenhaus des Kaiser-Friedrich-Museums über-
mittelt die prächtige Tonskizze vom Kopf des alten Ziethen einen Begriff von
Tassaerts Frische in der Erfassung des Lebens. Sein Fortsetzer, Gottfried
Schadow, der 1785 bis 1787 in Rom weilte, hat gleichfalls das feinbewegte
Relief beibehalten, wie die Stuckfüllungen in Erdmannsdorfs Parolesaal und
Säulensaal im Berliner Schloß, die Stein- und Stuckreliefs an dem Branden-
burger Tor und an anderen Bauten Berlins beweisen. Wie vieles haben z. B.
auch seine Herkulesgruppen auf der Herkulesbrücke (1789) mit denen etwa
noch des Matielli in der Wiener Hofburg gemein. Aber selbst die Marmor-
büsten Schadows in den achtziger und neunziger Jahren verknüpft die Behand-
lung des Marmors, das Schwebende der Flächen mit dem Handwerklichen des
Jahrhunderts, und nur in der Durchführung des einzelnen, der genauen Falten-
behandlung tritt die Naturalistik hervor (Abb. 198); ein Markstein für diese
ist die Marmorgruppe der Prinzessinnen Luise und Friederike (1794, vollendet
1799). Neben Schadow sind Bettkober, Bardou und Eckstein in Berlin in der
Baubildnerei an den Bauten Friedrich Wilhelms II. beteiligt und haben im
Büsten- und Reliefporträt gearbeitet. Der gleichen Stilrichtung gehören Doli
und Klauer in Weimar an, die neben Büsten Bauskulpturen für Erdmanns-
dorfs Bauten in Dessau und Wörlitz schufen. In Wien sind Franz Xaver
Messerschmied, Balthasar Moll, der Schöpfer des bleigegossenen Reiterdenk-
mals Franz' I., J. G. Dorfmeister, Joh. Berger und der aus Ludwigsburg be-
rufene Wilh. Beyer Ubergangsmeister zu dem Stil, der in den Biskuitgruppen
Grassis und in Zauners früheren Werken (Grabmal Leopolds IL) in der Augu-
stinerkirche rein entwickelt ist. Aus der durch die Übung des Bleigusses
ausgezeichneten Wiener Modelleurkunst wächst der treffliche Medailleur
Leonhard Posch heraus, dessen schönste Werke, die Porträtmedaillen von
Mitgliedern des Kaiserhauses, in die Wiener Zeit fallen; 1804 ging er
nach Berlin, um für die neugegründete Eisengießerei zu modellieren. End-
lich wäre noch der Übergangserscheinungen in München zu gedenken, des
Roman Anton Boos, der den Stil der Straub und Günther verdrängte, und in
348
Abb. :93. Engelgruppe in der Kirche zu Salem
von Dürr und Wieland, um 1775
349
Abb. 194. Notenpult, von David Roentgen, um 1770. Berlin, Schloßmuseum
350
Abb. 195. Büro, von David Roentgen, um 1780. Berlin, Schloßmuseum
35t
Abb. 195. Sebastiansaltar im Münster zu
Salem, von Dürr und Wieland, um 1775
352
Mannheim des Verschaffelt, der ähnlich wie Tassaert, nur mit römischer
Schulung, das flämische Naturell bis in den beginnenden Klassizismus hinein
bewahrt. Er ist der Lehrer Landolin Ohmachts in Straßburg, der bereits mit
beiden Füßen in der klassischen Formengebung wurzelt. Die hauptsächlich
als Porzellan modelleure tätigen Meister Linck und Melchior streifen
jetzt mehr und mehr das Rokoko ab. Die Reliefplakette des jungen Goethe
von Melchiors Hand vom Jahre 1775 mag als Markstein des Stilwandels ge-
nannt werden. Eine entscheidende Wendung in der Porzellanplastik kommt
um 1780 zum Durchbruch, indem die farbigglasierten Porzellane durch das
weißer, schärfer auszuformende Biskuit verdrängt werden. Neben Grassis
Wiener Gesellschaftsgruppen und Büsten ragen die von Schadow für die Ber-
liner Manufaktur modellierten Werke hervor.
Die Geschirrformen des Porzellans werden jetzt den glattwandigen Urnen
und Vasen der Antike nachgebildet; die Blumen- und Landschaftsmalerei in
der leichten Rokokomanier kommt außer Mode. Architektonische Verzie-
rungen werden dem strengeren Bau des Gefäßes angepaßt. Reizvolle Service
und Ziervasen in dem Louisseizegeschmack sind in Berlin (Kurländer Mu-
ster, Blumen von Schulz), in Fürstenberg, in Höchst und Wien entstanden
(Abb. 199). Ein Beweis für das Erlöschen des höchsten Stilempfindens wird
erbracht durch die Vorliebe für marmorartige Dekorierung der Gefäße, ein
Gegenstück zu der Neigung für zartgetönte Stuckmarmorbekleidung der
Wände. Die neuen Dekore, die teilweise Anregungen von den pompejani-
schen Wandgemälden und Vasenmalereien empfingen, deuten wie die breite
und dicke Vergoldung auf das Erlahmen des dem Rokoko eigentümlichen
Sinnes für das keramische Material.
Der Umschwung wird noch deutlicher betont durch das Aufkommen des
Steinguts an Stelle der Fayence. Um 1775 ist die Mehrzahl der
Fayencefabriken eingegangen oder sie sind in Steingutfabriken umge-
wandelt worden. So die von Kassel schon 1771, die in Rheinsberg, die Pros-
kauer, die in Königsberg. Die fruchtbarste entstand in Magdeburg. Die Ge-
stalten des Steingutgeschirrs sind von ihrem Ursprung her, in der Wedg-
woodfabrik von Etruria in England auf den glatten klarlinigen klassischen
Formen aufgebaut, die in England Flaxmann, Adam u. a. nach antiken Mu-
stern geschaffen haben. Der schöne Umriß ist die Forderung der Zeit
auf allen Gebieten der Geschirrkunst geworden. Auch deutsche Baumeister
wie Dury in Kassel, Langhans in Berlin, Genelli, Friedr. Gilly usw. haben
Vorlagen für Geschirr in Porzellan und Steingut geliefert. Die frühesten
Steingutgefäße, die marmorierten von Kassel, die gelben und blauen von
Rheinsberg suchen der zarten Farbenwirkung der Wedgwoodmassen nachzu-
Schmitz, 18. Jahrh. 23 353
Abb. 197. G. Schadow, Grabmal Daries in Frankfurt a. O., 1800
eifern, aber nach und nach beherrscht das gelbliche Weiß und das Schwarz
die mehr zur Industrie auswachsende norddeutsche Steinguterzeugung ganz.
In gleicher Weise bewirken die englischen Silber gerate des letzten Jahr-
hundertviertels einen Umschwung in der deutschen Silberschmiedekunst. In
Berlin und auch in Augsburg, dem langjährigen Hauptsitz des Rocaillestils
in der Silberkunst, werden Terrinen, Gewürzaufsätze und Leuchter den glat-
ten englischen Mustern nachgebildet (Abb. 200).
Das Glas sucht dem neuen Geschmack zu folgen durch urnenmäßige For-
354
Abb. ig8. Gottfried Schadow, Friedrich Wilhelm II., Marmor, 1793. Berlin, Schloß
=3* 355
Abb. 199. Porzellanservice, Kurländer Muster. Berlin, um 1780
men der Pokale, Beschränkung der geschnittenen Verzierungen auf sparsame
Gehänge und Anbringung von schwarzen Silhouetten.
Am greifbarsten erscheint das Zurücktreten der plastischen Bewegtheit zu-
gunsten der linearen Flächigkeit in den Schmiedeeisengittern, die
jetzt aus gleichmäßig dünnen Stäben zusammengesetzt werden. Am Ausgang
des Jahrhunderts übernimmt der Eisenguß ihre Herstellung. Die Möbel-
kunst nimmt zugleich mit der Innenarchitektur gerade Formen an.
Kein deutscher Meister läßt besser den Übergangsstil erkennen als David
Roentgen in Neuwied. Die dem Auge unsichtbare Überführung der ge-
schweiften Beine in die Zarge am Rokokotisch- und Stuhlmöbel behalten noch
die frühesten, um 1770 entstandenen Roentgenmöbel bei (Abb. 194). In den
späteren tritt die Scheidung der vierkantigen zugespitzten Beine von den ge-
raden Zargen ein und die Verkröpfung der tragenden und getragenen Glieder
vArd in reinen Architekturformen behandelt (Abb. 195). Eine reiche Garnie-
rung dieser reifen Roentgenschränke, Schreibtische und Stühle mit gerad-
linigen vergoldeten Messingverzierungen und -leisten ä la grecque vervoll-
ständigt den Eindruck des klargegliederten Aufbaus an Stelle des einheit-
lichen malerischen Wurfs, der dem Rokokomöbel, etwa dem in Kamblys Art,
356
Abb. 200. Berliner Silberbowle, um 1800
Berlin, Schloßmuseum
das Gepräge gibt. Die formale Gestaltung, die blonde Mahagonifurnierung
sowie die aus farbigen und naturgetönten Hölzern mit höchstem Geschick
durchgeführten Einlegearbeiten setzen die Roentgenmöbel in eine Linie mit
den Pariser Meisterwerken des Louisseize, die in der Hauptsache ja deutsche
Künstler zu Urhebern haben. Die teilweise nach Zeichnungen von Januarius
Zick eingelegten Chinesen- und Schäferszenen, die Landschaften, Blumen
und Geräte sind in der Zeichnung und der Absetzung der Schatten Zeugen des
immer noch gesunden Empfindens für bildliche Wiedergabe mit räumlichen
Mitteln, ohne die Fläche zu zerstören. Das ist eine Erbschaft der stilisieren-
den Kraft des Jahrhunderts, die nirgendwo lebendiger geblieben war als in
der Gobelinwirkerei; Bouchers damals entstandene Folgen von Beauvais und
Paris sind dafür die Belege. In Deutschland sind auch die Blumen- und Land-
schaftsmalereien der Zimmerwände im späteren 18. Jahrhundert, meist schon
auf Papiergrund, bestimmt von der stilbildenden Fähigkeit, die die Natur in
ein dekoratives Gemälde umzusetzen vermochte, und die dem 19. Jahrhundert
fast ganz verloren ging (Abb. 186, 188).
357
Abb. 201. Römisches Haus in Weimar, erbaut von Goethe und Ahrens, 1794
30. DAS GEISTIGE LEBEN UND DIE DICHTUNG IM
LETZTEN DRITTEL DES JAHRHUNDERTS
Nicht am Ulmenbaum
Hast du ihn besucht
Mit dem Taubenpaar
In dem zärthchen Arm
Mit der freundhchen Ros' umkränzt.
Tändelnden ihn, blumenglücklichen
Anakreon,
Sturmatmende Gottheit!
Goethe, Wanderers Sturmlied.
Wie hatten sich unterdessen in Deutschland die politischen, die sozialen
und geistigen Zustände, die die äußeren Grundlagen für die Kunst
des Jahrhunderts waren, gewandelt?
Noch blieb das Gebäude des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Na-
tion unversehrt. Der fürstliche Absolutismus bestand weiter. Dem Adel blie-
ben seine Vorrechte ungeschmälert. Aber nach dem Siebenjährigen Kriege
hatte sich die Auffassung von den Pflichten des Regenten geändert. Das
Vorbild des Großen Preußenkönigs, der dem Ruhm des Kriegshelden den des
großen Friedensherrschers hinzufügte, spornte viele deutsche Fürsten an,
358
Abb. 202. Gräfin Böse, von Job. Friedr. Tischbein, 1750— 1812. Dresden, Gemäldegalerie
359
Abb. 203. Friedr. H. Füger, der Sohn des Künstlers. Wien, Akademie
alle Kräfte der Kultur ihrer Länder zu widmen. Kaiser Joseph II. begann die
Beschränkung der überzahlreich gewordenen Klöster in Österreich und er-
öffnete den Weg zu Reformen des Staatswesens. Max Joseph III. von Bayern
war ein eifriger Förderer der Wissenschaften. Die Landgräfin Henriette
Caroline von Hessen-Darmstadt, der Fürst Friedrich Franz von Anhalt,
Winckelmanns Freund und Erdmannsdorfs Gönner, Herzog Carl August
von Weimar, der Freund Goethes und Förderer Wielands, Herders und Schil-
lers, der Fürst Wilhelm von Schaumburg-Lippe und der Minister des Fürst-
360
Abb. 204. Angelika Kauffmann, Selbstbildnis. Budapest, Gemäldegalerie
bistums Münster, Freiherr von Fürstenberg, sind die Hauptleuchten unter
den weltlichen und geistlichen Regenten in den letzten drei bis vier Jahrzehn-
ten des Säkulums. Die Ideen einer neuen Menschheitskultur, der Humanität,
von England ausgegangen und von den deutschen Schriftstellern gefördert,
wirkten umgestaltend auf das Verhältnis des Fürsten zu seinem Lande. Die
patriotischen Phantasien Moesers, die Schriften Garves und Engels haben
die Verbesserung der überlebten Staatsverhältnisse zum Gegenstande der
Literatur gemacht. Jetzt tritt das Bürgertum bestimmend in das gesell-
schaftliche und geistige Leben Deutschlands ein. Aus seinen Kreisen er-
stehen das deutsche Schrifttum, die Dichtung, das deutsche Schauspiel neu-
361
verjüngt. Die Porträtmalerei sucht, was sie an dekorativer und farbiger Ro-
kokoschönheit einbüßt, zu ersetzen durch ernstere Charakteristik (Friedr.
Aug. Tischbein, Heinr. Friedr. Füger [Abb. 203] und Angelika Kauf f mann
[Abb. 204] nicht ohne Berührung mit den großen Engländern; Anton Graff
aus Winterthur in Dresden).
Noch bis in die siebziger Jahre bleibt die französische Sprache maßgebend
an den Höfen. Die Schrift Friedrichs des Großen über die deutsche Literatur
(1780) beleuchtet das ablehnende Verhältnis eines mit Racines und Voltaires
Dichtung großgewordenen Greises gegenüber den ,, ungeregelten" Erstlingen
des zum Fluge sich anschickenden deutschen dichterischen Genius. Noch im
Jahre 1774 wird dem französischen Schauspiel in Berlin eine Stätte erbaut.
Eis kurz vorher herrschte es in Mannheim und anderen Hoftheatern; in den
großen Städten, so in Frankfurt, sind französische Singspiele und Komödien
bevorzugt. Die deutschen Schauspieltruppen haben nur mit der größten
Mühe, von Ort zu Ort wandernd, sich heraufgearbeitet. Unvergänglichen
Dank erwarb sich Lessing durch die Verfechtung der deutschen Sache
gegen die französische hohe Dramatik in der Hamburgischen Dramaturgie.
Seine ,, Minna" und noch stärker Goethes ,, Götz" stellen das Charakteristische,
die Natur der Idealität und dem geregelten Rhythmus Racines gegenüber.
Der Geist des Barock- und Rokokozeitalters ist auch außerhalb der bilden-
den Kunst jetzt nicht mit einem Schlage erloschen. Die italienische Oper
lebt in der Umgestaltung durch Gluck und Mozart weiter. Der idealistische
dichterische Gegenstand und der hohe Stil der Musik — ich möchte sagen
die auch im Tragischen gewahrte heitere Formenschönheit — verbinden
selbst die späteren reifen Werke Glucks, die Armide und den Orpheus, wie
Mozarts Figaro, Entführung aus dem Serail, Zauberflöte und Don Juan mit
den Traditionen der Opera italiana. In der Beseelung freilich hat sich der
deutsche Genius Bahn gebrochen, den die Vorläufer Graun und Hasse noch
nicht gestalteten. Der Stil der Bühnenmaler dieser Spätzeit, wie des Qua-
glio, J. H. F. Zimmermann (f 1792) und Verona führt von dem Barock in die
früheste Romantik hinüber. Die Idyllendichtung Gesners und des Malers
Müller von Mannheim ist eine Fortentwicklung der Schäferpoesie und Na-
turempfindung des Rokoko, die Ewald von Kleist vertrat -3) . Die Hirten, Schä-
fer, Grazien und Nymphen sind die aus der Rokokomalerei und dem Porzel-
lan bekannten Wesen. Namentlich hat Wieland der graziösen und galanten
Welt in seinen Romanen und Dichtungen gehuldigt. Eines nur ist gegenüber
dem Rokoko fortgeschritten : die Empfindung für die Landschaft. Indes
all die lieblichen Haine, die blauen, von Zephir umflüsterten Seen und In-
seln, die Blumenwiesen und Grotten und Wasserstürze in Gesners und Mül-
362
Abb. 205. Job. H. W. Tischbein, Goethe in Rom. Frankfurt, Städelsches Institut
lers Idyllen erinnern an die arkadische Welt der Parks des Rokoko, wie auch
die Illustrationen der beiden malenden Dichter über die Grazien, Amoretten,
Schäfer und arkadischen Landschaften nicht hinausgehn. Der Landschafts-
maler Joh. Samuel Bach, aus Hamburg, ein Schüler Krügers in Potsdam
und Ösers, ist ein geistesverwandter Meister (f 1778, Abb. 206). Nur
in der Freude an den krausen Bäumen, an den Ulmen und Eichen, bricht
stellenweise eine romantische Empfindung hervor.
Goethes Gesänge aus den beginnenden siebziger Jahren durchströmt dagegen
eine neue leidenschaftliche Versenkung in die Natur. Hier erst erweitert sich
das Herz im Anblick der Landschaft. Die Seele geht über in die Gräser, in
die Blumen, in Bäume, Sträucher und Felsen, sie schäumt mit dem Wasser-
fall, „stäubt lieblich in Wolkenwellen zum glatten Fels und leicht empfangen
wallt sie verschleiernd zur Tiefe nieder". Sie rauscht in den Wipfeln und
wallt mit Wolken und Nebeln aufwärts. In den besten dieser Hymnen
walten ein rhythmisches Empfinden und eine Seelenbewegung, die uns das
Jahrhundert schon in den großen Raumschöpfungen und den gemalten Dek-
363
Abb. 2o5. Job. Samuel Bach, Landschaft, um 1770. Hamburg, Kunsthalle
ken spüren ließ. Hier ist ein Wendepunkt. Dichtung und Musik übernehmen
die Führung in dem Augenblick, wo die schöpferische Kraft der räumlich
imd plastisch bildenden Künste nachläßt. Der wirkende Genius eines großen
Volkes ist ein einziger Strom, der bald hier, bald dort seinen Weg sucht. Ist
der körperlich tätige räumliche und plastische Sinn erlahmt, so tritt ein an-
derer an seine Stelle. Zweifellos hat das seelische Empfinden nun einen Grad
erreicht, dem die begrenzten Formen der bildenden Kunst nicht mehr genü-
gen. Die Goetheschen Gesänge dieser Jahre, wie auch der Goetz, der Wer-
ther, der Hymnus auf Erwin von Steinbach und das Straßburger Münster,
sind die ersten Zeugnisse eines neuen Geschlechtes, die Vorzeichen der Ro-
mantik.
In der Gartenkunst regt sich die Durchbrechung der Stilgrundsätze des
Jahrhunderts. Auch hier sind die Fäden zu dem Rokoko nicht zu übersehen.
All die Schwärmereien und Einsiedeleien, wie sie Carl Theodor im Schwet-
zinger und Friedrich Franz im Wörlitzer, Carl August und Goethe im Wei-
marer Park schaffen, sind in ihren Ursprüngen bis in die Barockzeit zurück-
364
zuverfolgen. Die Grotten und Tempel, die immergrünen Bäume und Haine
lassen die Berührung noch dieser Zeit mit dem südlichen, dem italienischen
Wesen durchblicken. Erst gegen Ende des Jahrhunderts erwacht unter dem
Studium der englischen Gartenschöpfungen der Sinn für große malerische
Wirkungen heimischer Baumgruppen und weiter Wiesen. Der von Carl
Theodor begonnene Englische Garten in München und der von Friedrich Wil-
helm II. umgestaltete Charlottenburger Park sind neben denen von Wörlitz,
Weimar und Schwetzingen hervorzuheben.
Die aufblühende Landschaftsmalerei hat den idealisierenden Stil in ähn-
licher Weise beibehalten — schon die neuerwachende Neigung für Claude
Lorrain deutet auf die Vorliebe, deren sich die großen Formen der italieni-
schen Landschaft erfreuen. Hackert, wie Winckelmann ein Sohn der Mark,
hat in seinen italienischen Landschaften den Stil Lorrains weitergebildet.
Goethes und Knieps und Tischbeins Landschaftsdarstellungen bleiben dieser
Richtung treu. Noch Lüttke, Schinkels Lehrer, vertritt den arkadischen
Stil, um seine Bilder im Marmorpalais zu nennen. Schütz und die Kobell
in Mannheim und später in München suchen den Weg zur heimischen
Landschaft, teilweise durch die alten Niederländer. Auch die Waldland-
schaften des Pascha Weitsch und die Dresdner Landschafter streben in
dieser Richtung. Doch beginnt erst mit Caspar David Friedrich, seit 1798
in Dresden, der wahre Aufschwung dieser Gattung.
365
Abb. 207. K. G. Langhans, Brandenburger Tor in Berlin, 1789
AUSGANG DES JAHRHUNDERTS
Der in dem deutschen Barock und Rokoko waltende künstlerische Geist
hat sich also in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts zwar gewandelt
und gemäßigt, aber nicht erschöpft. Die räumliche und plastische Gestal-
tungskraft ist allmählich hinter dem Streben nach klarem Ausdruck, nach
Ruhe und Einfachheit, nach Natur und Natürlichkeit zurückgetreten.
Erst unserer Generation blieb es vorbehalten, die künstlerischen Werte zu
erkennen, die auch noch in den Schöpfungen des ausgehenden 18. Jahrhun-
derts liegen. Insbesondere ist der Baukunst unserer Zeit das Zurückgreifen
auf die Gestaltungsweise der bürgerlichen und ländlichen Baukunst dieser
Epoche zum Segen geworden. Es liegen hier greifbar die letzten Überliefe-
rungen des wahrhaft architektonischen Empfindens beschlossen, das dem
18. Jahrhundert eigentümlich war.
Allerdings treten bereits am Ausgang des Rokoko Anzeichen auf, die die
Auflösung des Stilgefühls vorausverkünden. Einer der schwerwiegendsten
Vorwürfe, womit die Spätzeit des Jahrhunderts in Bausch und Bogen abge-
366
tan wurde, ist „die Nachahmung der Antik e". Winckelmann soll
durch seine Schriften diese Nachahmung seit den sechziger Jahren herbeige-
führt haben. Daß der Einfluß Winckelmanns — der beiläufig bemerkt in sei-
nen ästhetischen Anschauungen in seiner Zeit, im ausgehenden Rokoko wur-
zelt, — erheblich oder gar entscheidend das praktische Schaffen in andere
Bahnen geleitet haben soll, ist nur Theorie. Die Künstler haben damals im-
mer noch nur von Künstlern in den Werkstätten, und auf den Bauplätzen ge-
lernt. Es sind eigentlich nur die Künstler zweiten Grades, Akademiedirek-
toren wie Oeser, Goethes Lehrer in Leipzig, und Hagedorn in Dresden, ferner
die ästhetischen Schriftsteller wie Lessing, Sulzer, Kant, Herder und späterhin
Goethe und sein Kreis, die Archäologen Hirt, Moritz und Bötticher, die die
Winckelmannschen Forderungen von der ,, Nachahmung der Antike" aufneh-
men. Was haben die besten Werke Schadows, etwa sein Ziethen und der
Alte Dessauer, die herrlichen Säle des Langhans, eine Dorfsiedlung, ein
Landhaus, eine Kaserne und Fabrik von David Gilly (Schlußvignette) mit
der Nachahmung der Antike zu tun? Man bedenke nur, daß die Kunst seit
der Renaissance doch immer bestrebt gewesen ist, der Antike gleichzukom-
men. So fordert auch der Barock, wie Berninis Worte und Schlüters An-(
Schaffungen von Gipsen schon beweisen, daß der Künstler neben der Natur
die Antike zum Ausgangspunkt nehmen soll. Sogar an Permosers Werken
rühmen die Zeitgenossen die antike Form! In der Zeit des Rokoko haben
Glume und Nahl in ihren Ringer- und Rossebändigergruppen der Antike
nacheifern wollen. Und käme es auf das äußere Kostüm an, dann wären die
als antike Heroen frisierten Fürstenbilder des Barock und Rokoko antiker,
als die Feldherrnstatuen in der Zeittracht aus der klassizistischen Epoche!
Nein, darauf kommt es nicht an. Sondern das ist der Kern der Frage: wel-
cher Art das Verhältnis zur Antike ist. Hat die gestaltende Bildnerkraft die
Anregung der Antike im Feuer der eigenen Empfindung zu neuen Bildungen
umgeschaffen? Die Beurteilung eines Kunstwerks hat nur nach dem Maß
des in ihm verkörperten räumlichen, plastischen oder malerischen Könnens
zu fragen. Und diese vorurteilslose Betrachtung verlangen auch die Schöp-
fungen des Klassizismus in Deutschland. Nur dort, wo die Forderung einer
wissenschaftlichen Nachahmung der Antike erhoben und in die Praxis umge-
setzt wurde, wie unter dem Einfluß der oben genannten Dilettanten und
Theoretiker : da liegen die Keime zur Untergrabung der künstlerischen
Schaffensweise. Diese Richtung kommt bezeichnenderweise zuerst mit den
Nachbildungen römischer und griechischer Tempelgebäude in den male-
risch umgestalteten Parks der siebziger Jahre auf.
Das archäologische und geschichtliche Interesse verquickt sich mit dem
367
romantisch sentimentalen, um neben den Werken „edler Einfalt und
stiller Größe" die „der tapferen und ritterlichen Heldenvorzeit", die im goti-
schen Stile zu stellen 2-+). Empfindungen römischer Bürgergröße und vergei-
stigte, ins Unbegrenzte schweifende Raumvorstellungen treten am Ausgang
des Jahrhunderts hinzu, durch Gedanken der französischen Revolutionsarchi-
tekten genährt, um selbst die Künstler aus dem alten Gleise zu bringen. Die
pathetischen Denkmalsentwürfe von Friedrich Gilly (Abb. 20g), von Gentz,
Louis Catel, Weinbrenner und dem jungen Klenze und Schinkel sind dafür
Beweise -5) . Man greift auf den schweren, ungegliederten frühdorischen Stil zu-
rück, um die äußerste Größe und Majestät auszudrücken. Das Unsicherwer-
den des architektonischen Instinktes äußert sich in der Loslösung von der
maßstäblichen Gesetzlichkeit, die der Grundzug des baukünstlerischen Schaf-
fens im 18. Jahrhundert gewesen war. Man verwirft die Säulenordnungen
des Vignola und öffnet der Willkür in den Verhältnissen Tor und Tür. Über-
aus kennzeichnend sind für diese Strömung die Worte des jungen Dury, die
er aus Rom an seinen alten Vater, den Erbauer des Schlosses Wilhelmshöhe,
richtet: „Die jungen deutschen Künstler gehen so weit, daß sie alle Säulen-
ordnungen und Verhältnisse verwerfen. Sie machen die Säulen und Gebälke
so hoch als ihnen gefällt und als sie glauben, daß es dienlich und schön ist.
Die Regeln sind ihnen verhaßt." Wie auf das architektonische und plastische,
so wirkte auch auf das malerische Gestaltungsvermögen die gedankliche
historische, sentimentale und archäologische Richtung um die Jahrhundert-
wende abschwächend ein. Der malerische Auftrag wird trockener, und end-
lich gilt die Kartonzeichnung nach Antiken, nach Raffael und Michelangelo,
die Carstens und etwa der Weimarer Künstlerkreis gepflegt haben, mehr
als ein frisch gemaltes Bildnis.
Inzwischen waren die äußeren und inneren Verhältnisse des Jahrhunderts
überhaupt ins Wanken geraten. Im Jahre 1790 vereinigte die Kaiserkrönung
Leopolds II. nochmals in Frankfurt die weltlichen und geistlichen Fürsten
und Stände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, indessen in
Frankreich die Revolution auf dem Marsche war. Noch einmal entwickelte
sich im Römer und im Dom der alte Glanz. An den Dekorationen wirkten
beiläufig Mangin und Goethes späterer Freund und Weimarer Oberbaudirek-
tor Coudray-'') mit. Kläglich endete der Versuch des Kaisers, Friedrich Wil-
helms II. und des Reiches, den französischen König zu retten. Sie zogen die
französischen Revolutionsheere hinter sich her und mußten ihnen das linke
Rheinufer überlassen. Die geistlichen Kurfürsten flohen aus ihren Residen-
zen. An der Schwelle des neuen Jahrhunderts wurde durch den Reichsdepu-
tationshauptschluß den geistlichen Fürstentümern und Ständen in Deutsch-
368
Abb. 208. Zimmer im Stein bei Wörlitz, von Erdmannsdorf, um 1775
Schmitz, 18. Jahrh. 24 369
Abb. 209. Friedrich Gilly, Entwurf zum Denkmal Friedrichs d. Gr. BerUn 1797
land ein Ende gemacht. Bald darauf stürzte das tausendjährige Reich und
mit ihm Preußen unter den Schlägen Napoleons zusammen. Damit gingen
zum großen Teil die Vorrechte der Fürsten, der Kirche und des Adels ver-
loren. Das Bürgertum gewann wie schon früher im geistigen so im politi-
schen und wirtschaftlichen Leben eine ausschlaggebende Stellung. Die
Städteverfassungen und die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern be-
zeichnen die Umwälzung des Staatskörpers den Verhältnissen der neuen Zeit
gemäß.
Auch das kirchliche Empfinden, das die Barock- und Rokokokunst mit em-
porgetragen hatte, war zugleich mit den künstlerischen Gefühlsmächten zu-
rückgetreten. Auf die fast schwärmerische, zuweilen sogar süßliche Reli-
giosität des spätesten Rokoko — auf der protestantischen Seite rechnet dahin
zum Teil auch Klopstocks Dichtung — , folgte mit dem Klassizismus eine
Abkühlung. Die Aufhebung des Jesuitenordens, dieses Bannerträgers der
katholischen Bewegung, im Jahre 1773, ist ein denkwürdiges Ereignis. Es
erlischt die emsige Tätigkeit der Orden und Universitäten auf dem Gebiete
der liturgischen und apologetischen Forschung. Die Aufklärung findet Ein-
gang in den geistlichen Gebieten, selbst an den Höfen der Kurfürsten Fried-
rich Karl von Erthal in Mainz, Prinz Maximilian Friedrich von Köln und
Clemens Wenzeslaus von Trier, die in dem Emser Kongreß 1786 die Rechte
des Papstes in Deutschland zu beschränken suchten. In dem Koadjutor von
Mainz, Karl von Dalberg, fanden Wieland und Forster einen Gönner. Eine
neue Art von Frömmigkeit erwuchs erst wieder an der Wende zum neuen
Jahrhundert in der erblühenden Romantik.
370
Eine Forderung ist es vor allem, die den Gegensatz der neuen (roman-
tischen) Ästhetik dem 1 8. Jahrhundert gegenüber bestimmt: das Schöne sei
zugleich das Gute. Diese von Herder geförderte und von Schiller in seinen
ästhetischen Schriften umfassend begründete Anschauung vom Wesen der
Kunst als eines moralischen Erziehungsmittels bezeichnet zusammen mit den
oben genannten Erscheinungen die Auflösung des künstlerischen Stilempfin-
dens des Jahrhunderts.
Am Ausgang des Jahrhunderts waren die Industrie, der Kohlen- und Erz-
bergbau, die Eisengießerei und das Maschinenwesen, besonders in Schlesien
und im Ruhrgebiet, sowie die Textilfabrikation am Rhein und in Obersach-
sen mächtig emporgekommen. Das technische und naturwissenschaftliche
Denken bemächtigte sich der in die Zukunft weisenden geistigen Mächte.
Auch dadurch mußte dem freiwaltenden künstlerischen Schaffensgeist Ein-
trag geschehen. Neue gewaltige Aufgaben eröffneten sich dem menschlichen
Betätigungsdrang. Die aristokratischen Ideale verloren ihren Inhalt. Die ar-
beitenden bürgerlichen Schichten und am fernen Horizont die unteren Stände
forderten ihre Gleichstellung mit den so lange herrschend gewesenen Klas-
sen. Die wirtschaftlichen Kämpfe bereiten sich vor, in denen wir heute mit-
ten drin stehen. Ein neues Zeitalter zieht herauf.
So trafen auf der Wende des i8. zum 19. Jahrhundert zahlreiche äußere
und innere Umstände zusammen, die eine gänzliche Umformung im Seelen-
leben der deutschen — wie überhaupt der Kulturmenschheit zur Folge haben
mußten. Der Umschwung kommt auch in der tiefgreifenden Wandlung
der Kunstauffassung zutage, die sich mit dem Eintritt in das 19. Jahr-
hundert vollzieht und dieses alsbald in wachsenden Gegensatz zu dem
18. Jahrhundert brachte.
M'
371
ANMERKUNGEN UND ZUSÄTZE
(Die Literaturangaben verzeichnen im allgemeinen nur die neueste Literatur und erheben keinen Anspruch
auf Vollständigkeit)
i) Zu Seite 28. Über die Lebensverhältnisse und die geistige Bildung des deutschen
Bürger- und Bauerntums im 17. und 18. Jahrhundert findet man Aufschluß im
3. und 4. Bande von Gustav Freytags Bildern aus der deutschen Vergangenheit. Ein
denkwürdiges Zeugnis des in den Hansastädten lebendigen Bürgersinnes ist der dort
mitgeteilte Brief des Hamburger Bürgermeisters Schulte an seinen Sohn in Lissabon.
2) Zu Seite 31. Reichhaltige Sammlungen deutscher Fe stliteratur des Barock be-
sitzen die Ornamentstichsammlung und Lipperheidesche Kostümbibliothek des Kunst-
gewerbemuseums in Berlin, auf deren gedruckte Kataloge verwiesen sei. Auch die
Dresdner und Münchner Kupferstichkabinette sind zu nennen. Die große Veröffent-
lichung Louis Sponsels über den Zwinger in Dresden und die damit zusammenhängenden
Feste ist leider nicht über den Tafelband gediehen. Im vorliegenden Buche ist von
der Abbildung gestochener Feste abgesehen worden, da sich darunter nichts künstlerisch
Einwandfreies, nichts, was den Vergleich mit den besten französischen Schöpfungen der
Gattung aushält, findet. Den großen Stil, den in Frankreich etwa auch die Fest- und
Trauerpredigten Bossuets erreicht haben, vermissen wir in den deutschen Stichen.
Als Gegenstück der hier beschriebenen Luft- und Wasserfeuerwerke Friedrichs I. und
Augusts des Starken sei noch das auf dem Starnberger See von dem Kurfürsten von
Bayern abgehaltene genannt, das Fleming in dem Teutschen Jäger (1724) beschreibt.
Auf dem nach dem Modell des venetianischen Buzentaurus erbauten Prachtschiffe
des kurfürstlichen Hofes findet eine Lusttaufe der anwesenden hohen Gäste statt:
„Als sich aber einige von geringerem Stande zu dieser Zeremonie präsentierten,
wurde das Wasser in größerer Menge über ihre Köpfe geschüttet, wobei sie sich
doch glücklich schätzen konnten, daß sie hohen Personen zur Kurzweil gedient
hatten."
Von weitgehender Bedeutung für die Geschichte der Feste des Barock, aber auch
der Bau- und Gartenkunst und Waldkultur sind die großen Hauptjagden und einge-
stellten Jagden, die Wasserjagden und Tierhetzen. Eine ausführliche Würdigung dieser
für den Seelenzustand der barocken deutschen Hofgesellschaft so erkenntnisreichen
Veranstaltungen mit allem, was zur künstlerischen Veredlung der Jagd gehört, wird
das von dem Verfasser vorbereitete Werk: „Waidwerk und Kunst" bringen. Für er-
gänzende einschlägige Nachrichten hierüber wäre der Verfasser zu Dank verpflichtet.
3) Zu Seite 64. Unter den Stadtregulierungen verdient die Magdeburgs durch
ihren Festungskommandanten, den alten Dessauer, noch Beachtung. Er befiehlt nicht
nur gleiche Höhe, sondern auch gleiche gelbe Farbe der Häuser; während jetzt
Magdeburg nach der Staatsumwälzung bekanntlich ein Narrengewand anlegt. Eine
hübsche Anlage ist ferner der dreieckige Platz vor der Residenz in Eichstätt,
mit den Domherrnkurien, eine Schöpfung Pedettis, jetzt leider durch eine im 19. Jahr-
hundert von dem Herzog von Leuchtenberg gepflanzte, dichte englische Gartenanlage
entstellt.
24a 373
4) Zu Seite 68. In seltenem Maße wird uns die Absicht der Kirchenau sstattung
des Barock verständlich in dem Dom zu Eichstätt, der in der vorderen Partie,
dem Willibaldschor, von Gabrielo de Gabrielis im Anfang des i8. Jahrhunderts um-
geändert wurde. Eine Brücke führt gerade auf die Fassade, deren Portal, von
Pilastern und dem flachgebogenen Giebel gleichsam perspektivisch eingefaßt, den
Näherkommenden in sich hineinzieht. Sogleich beim Eintritt sieht sich der Gläubige
einem gewaltigen goldstrotzenden Säulenziborium gegenüber, das aus dem Dunkel
des Raumes hervorschimmert.
5) Zu Seite 70. Zum Verständnis der Heiligenverehrung des Barock ist die
von Gustav Freytag mitgeteilte Geschichte der Ermordung und Beisetzung des Juden-
knaben Simon Abeles in Prag (Bilder aus der deutschen Vergangenheit Band 3) vor
vielen anderen lehrreich.
6) Zu Seite 76. Im Anschluß an die Hofkirche entstand in Neuburg selbst später
die Pfarrkirche St. Peter, dicht bei der ersteren. Als wichtige Spätrenaissancekirche
sei noch die Jesuitenkirche in Eichstätt um 1620 mit charakteristischer Fassade und
Turmbildung angeführt. Die Verwendung des blendend weißen Putzes läßt sowohl
in Neuburg wie in Eichstätt die Grenze zwischen Renaissance und Barock kaum
spüren. Vergleiche über die genannten Kirchen das Werk des Pater Braun über
die Jesuitenkirchen in Deutschland und ferner die zusammenfassende Darstellung bei
Hauttmann, Geschichte der kirchlichen Baukunst in Bayern, Schwaben und Franken
1550— 1780. 1921.
7) Zu Seite 99. Das ehemalige Benediktinerkloster Neresheim liegt in Schwaben,
zwei Stunden von Nördlingen auf einsamer Höhe. Nur der Entwurf des Innern
geht auf Neumann zurück (Abb. 51). Die Ausführung zog sich lange über seinen
Tod (1753) hinaus. Die Deckengemälde von Knoller und Schöpf, 1771-75 ausgeführt,
wirken bunt und unvermittelt in dem klassizistisch geweißten Räume. Die Altäre
sind schon reifes Louisseize. Die großartige Wirkung entsteht durch die völlige Ein-
heitlichkeit des von bewegten Wänden umgrenzten Raumes. Neuerdings ist das
Kloster, wie in Ellwangen, Weingarten, Banz und anderen süddeutschen Abteien,
wieder von Mönchen besetzt worden. — Der Eindruck des Inneren von Vierzehn-
heiligen wird durch die moderne Bemalung resp. Erneuerung beeinträchtigt. Doch
ist diese Wiederherstellung noch befriedigend im Vergleich mit der in den letzten
Jahren um sich greifenden Neubemalung und Vergoldung der Barockkirchen in
Bayern. — Über Neumanns Kirchenbauten vgl. neuerdings das oben zitierte Buch
von Hauttmann. Die Rotunde von Holzkirchen (S. 50) behandelt der wichtige Aufsatz
von Feulner : B. Neumanns Rotunde in Holzkirchen, konstruierte Risse in der Barock-
architektur, Zeitschr. f. Gesch. d. Arch., Bd. VI. Im vorigen Jahre fand im Würz-
burger Schlosse eine Ausstellung der Neumannschen Zeichnungen statt. Von mehreren
Seiten wird gegenwärtig eine Bearbeitung Neumanns unternommen. Die zahlreichen,
hier nicht zu erörternden Streitfragen werden dadurch hoffentlich der Lösung näher
gerückt. Dies wird durch die von Wien her in Angriff genommene Biographie Lukas
von Hildebrands noch gefördert werden. Zu dem Spätstil Neumanns und zur Ver-
breitung seiner Schule hat Karl Lohmeyer in Heidelberg in seinem Buche über Jo-
hannes Seiz und in anderen Forschungen wichtige Beiträge geliefert. Vgl. auch
Lohmeyers Ausgabe der Briefe Neumanns von seiner Pariser Studienreise 1723.
8) Zu Seite 118. Die Risse zur Kirche in Buch in der Ornamentstichsammlung
des Berliner Kunstgewerbemuseums sind unterzeichnet ; J C Wiesendt. Darnach
374
dürfte Conrad Wiesendt, der Erbauer des Hausministeriums in der Wilhelmstr. 73
in Berlin (1734 - 1739), die Entwürfe gefertigt und Dietrichs sie ausgeführt haben.
9) Zu Seite 150. Der ältere Teil des Schlosses von Ansbach ist der recht-
eckige, in den Ecken ausgebuchtete Hof mit (ehemals offenen, jetzt verglasten) Ar-
kadenstellungen in allen drei Geschossen von dem Oberitaliener Gabriel de Gabrielis,
dem Erbauer der Eichstätter Domfassade. Die Arkaden sind barocke Umbildungen
eines Paladiomotivs — ein Bogenfenster zwischen zwei gerade schließenden Fenstern.
Sie wirken hier wie Balkons von Theaterlogen, und in der Tat ist der ringsum davon
umzogene Schloßhof als Theaterraum für Turniere und Feste gestaltet. Die um
1730 entstandene Hauptfront von Zocha zeigt gegenüber der bewegten barocken Kom-
position Gabrielis im Hofe die mehr klassisch gebildete strenge Pilasterreihung
der französischen Richtung; durch das teilweise Fehlen der Figuren auf der Attika
kommt allerdings der Rhythmus der Fassade nicht mehr voll zur Geltung. Das um
1720 von Richter, Böhme und Dietrichs erbaute Schloß in Schwedt hat ähnliche
Pilasterstellungen.
'°) Zu Seite 179. Über die süddeutsche Deckenmalerei des 18. Jahrhunderts ist auf
die inhaltreichen Schriften von Adolf Feulner, Christian Wink (München 191 1) und
die Zick, Deutsche Maler des 18. Jahrhunderts (München 1920), Jos. Popp, Martin
Knoller (Innsbruck 1905) hinzuweisen.
") Zu Seite 194. Die Innenausstattung des Schlosses Ansbach ist haupt-
sächlich um 1725 bis 1735 entstanden und ist neben den Münchner Schöpfungen dieser
Jahre wichtig für die letzte Entwicklung der Regeneeornamentik und die Anfänge
des Rokoko. Besonders reizvoll ist das Kabinett mit der Ausstattung in Ansbacher
und Meißener Porzellan, ferner im Vorraum mit Ansbacher Fayencefliesen. Die von
Wilhelmine eingerichteten Zimmer im Schloß von Bayreuth und in der Eremitage
gehören der besten Zeit des Rokoko um 1740 bis 1750 an. Es zeigen sich Anklänge
an die Ausstattungen ihres Bruders in Potsdam — ein Zimmer mit naturalistischen
Blumenzweigen und Papageien, ein Musikzimmer mit eingelassenen Bildern, e'n zedern-
holzvertäfelter Saal fehlen nicht — allein künstlerisch ist alles geringer. Vgl. die
Schrift von Friedr. H. Hof mann, Bayreuth und seine Kunstdenkmale, München 1902.
Dr. Hofmann plant eine Herausgabe der Schlösser von Bayreuth und Ansbach und
der übrigen ehemals Kgl. Bayer. Schlösser.
12) Zu Seite 224. Von weiteren Werken Andreas S c hl ü t e rs sind noch die Stuck-
gruppen am Gesimse des großen Saales im Potsdamer Stadtschloß zu nennen, darunter
ein prächtiger Apoll (1694). Nicht von Schlüter sind die ihm zugeschriebene Mar-
niorbüste Friedrichs I. im Berliner Schloß, die Büste des Landgrafen Friedrich, ein Bronze-
guß Jacobis, in Kassel und das Kanonenrohr im Zeughaus, beide letzteren ihm erst
kürzlich zugeschrieben ; ferner haben die ihm zugewiesenen Elfenbeine im Kaiser-
Friedrich-Museum nichts mit Schlüter zu tun. Eher ist schon ein Schlütersches
Modell bei dem prächtigen Nautiluspokal von Bernhard Quippe in Berlin im Grünen
Gewölbe wahrscheinlich. Ob auch der von Mannlich für Friedrich I. gefertigte silberne
Sechsundsechzigender-Hirsch, wie Paul Seidel vermutet, auf ein Modell des großen
Bildhauers zurückgeht, vermag ich, da ich das Original nicht kenne, nicht zu ent-
scheiden. Die von Seidel herangezogene Notiz von Heinecken verdient jedenfalls höchste
Beachtung:
„So wie nun Schlüter voll von Erfindungen und dabei sehr dienstfertig war : so half
er auch gerne allen Künstlern mit seinen Zeichnungen, es mochte zum Tapetenwirken
24a' 375
oder zu Stülen oder zur Goldschmied- oder ausgelegter Arbeit sein; und dadurch brachte
er diese Stadt sehr in Aufnehmen, wie denn auch sogar die Karossen eine bessere Gestalt
und Form durch ihn erlangten, so daß sie von vielen Auswärtigen gesucht wurden."
Auf einen Entwuf Schlüters möchte ich den Prunkschlitten Friedrichs I. im Berliner
Schloß zurückführen: Pythus Apoll den Drachen Python tötend. — Die Gruppen der
Weltteile in der langen Galerie von Eosander (1708) sind nicht von Schlüter, sondern
mit Sicherheit als Werke des in Rom gebildeten Charles Dubut zu bestimmen, der
seit 1716 in München, in Nymphenburg mehrere noch erhaltene und teilweise eng ver-
wandte Stuckdekorationen schuf (f 1742).
13) Zu Seite 225. Weitere Barockbildhauer: Heinrich Pape aus Giershagen
bei Brilon; von ihm das schöne Grabmal des Prinzen Josias von Waldeck mit Türken-
schlacht und Kriegerfiguren in der Kirche zu Wildungen sowie das Grabmal Georg
Friedrichs in der Kirche zu Corbach um 1700. Der Flame Joh. Franz van Hel-
mont, von dem der holzgeschnitzte Macchabäeraltar in St. Andreas in Köln 1717. Der
Flame Gabriel von Grupello, seit 1095 Hofbildhauer Jan Wilhelms, aus der
Schule des Quellinus und in Paris weitergebildet; außer der Reiterstatue des Kurfürsten
(Abb. 4) von ihm Marmorbildwerke im Schwetzinger Park, Tonmodelle im Brüsseler
Museum. Am Hofe Jan Wilhelms wirkte auch der beste Elfenbeinschnitzer der Zeit,
Ignatius Elhafen, dessen mythologische Reliefs meist im Münchner National-
museum sind. Über die Kunsttätigkeit am Hofe Jan Wilhelms bringt das Buch von
Richard Klaphek, Die Baukunst am Niederrhein 1915, 1919, reiches Material. Mit El-
hafen wetteifern als Elfenbeinschnitzer Mathias Steinle, der Schöpfer der Reiter-
statuetten Leopolds I. (Abb. i) und Josephs I. in Wien und die Maucher, deren Haupt-
werke Schüsseln und Kannen im Berliner Schloßmuseum u. a. O. sind. Mehrere
deutsche Fürsten, so Max Emanuel, drechselten selbst in Elfenbein, wie aus dem Werke
von Joh. Martin Teuber, Drehkunst 1756, zu ersehen; dieser war Kunst- und Silber-
drechsler in Regensburg.
14) Zu Seite 232. Über Ignaz Günther vgl. die Schrift von Adolf Feulner, I. G.,
Kurfürstl. Bayerischer Hofbildhauer (1725 — 1775). Wien 1920. Jahresgabe des deutschen
Vereins für Kunstwissenschaft.
15) Der Altar von E ge 11 aus Mannheim soll im deutschen Museum aufgestellt werden.
Kürzlich sind zwei schöne zugehörige Kartuschen vom Kaiser-Friedrich-Museum er-
worben worden. Direktor Demmler wird demnächst die Arbeiten Egells — ein Altar
von ihm ist auch in Hildesheim — zusammenstellen.
16) Von neueren Publikationen über Barock- und Rokokoskulptur seien an-
geführt: C. List, Bildhauerarbeiten in Österreich -Ungarn von dem Barock bis zum
Empire, Wien, und Feulner, Münchner Barockskulptur, München, Riehn und Reusch.
— Die besten, in dem letzten Jahrzehnt sehr bereicherten Sammlungen deutscher Barock-
und Rokokobildwerke sind die des Münchner Nationalmuseums und des Kaiser-Fried-
rich-Museums. Die letztere ist durch die Fülle kleinerer Holz- und Tonmodelle aus-
gezeichnet. Eine Nennung der zahlreichen weiteren Meister müssen wir uns versagen.
17) Zu Seite 234. Vgl. über Tietz neuerdings Freiin Eva Luise von Stößel, Ferdi-
nand Tietz, ein Rokokobildhauer und seine Tätigkeit an den geistlichen Fürstenhöfen
in Köln, Trier, Speyer, Würzburg, Bamberg. Historischer Verein, Bamberg. Die zwei
in rötlichem Sandstein gemeißelten Putten, deren eine in Abb. 123 wiedergegeben ist,
stammen aus einem Würzburger Hause bei der Liebfrauenkirche. Ebendaher die beiden
jüngst ins Kaiser-Friedrich-Museum gekommenen Sandsteingruppen von Wagner.
376
i8) Zu Seite 238. Über Melchior unterrichtet die kürzlich erschienene Biographie
von Friedrich H. Hofmann: Joh. Peter Melchior, 1742 — 1825, München 1921.
19) Zu Seite 259. Von der Therbusch, geb. Lisiewska (ti782), erwarb kürzlich das
Kaiser-Friedrich-Museum das Porträt eines Sammlers mit einer Bronze von Bertholdo
vor sich, ein Bildnis von Lebensfrische und kräftiger Färbung und ohne englische
Allüren, wie sie im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in der deutschen Bildnis-
malerei Mode werden. Die Therbusch malte Verschiedenes für Friedrich den Großen.
-°) Zu Seite 293. Das Schloßmuseum veranstaltet diesen Winter eine Ausstellung
von märkischen Fayencen. Dadurch wird Berlin als der Hauptsitz der von Hol-
ländern um 1700 begründeten Fayencebäckereien in der Mark festgestellt. Der erste
holländische Porzellanmacher van der Lee wird 1678 von dem Großen Kurfürsten privi-
legiert. Eine Besonderheit der im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts blühenden Fabrik
von Funk sind Vasen mit farbigen Fonds und figürlichen Szenen und Chinesenbildern in
ausgesparten Feldern von derber, urwüchsiger Zeichnung in Blau oder Manganviolett,
ferner walzenförmige Bierkrüge mit den Devisen Friedrich Wilhelms I. usw. Es handelt
sich, wie in den meisten Orten, um mehrere nebeneinander arbeitende Fabriken. Die älteste,
von van der Lee gegründete, wurde 1683 nach der Stralauer Straße verlegt, bis 1697
führte sie Gerh. Molin, von dann ab die Familie Wolbers. Eine zweite betrieb Cor-
nelius Funk, ein Holländer, von 1699 bis 1733. Um 1740 scheint die Berliner Fabrikation
aufgehört zu haben. Damals begann in Potsdam eine Fayencefabrik ihre Tätigkeit
und setzte sie bis ins letzte Drittel des 18. Jahrhunderts fort; die Erzeugnisse sind aber
völlig provinziell. Weitere Fabriken waren in Zerbst, Frankfurt a. O. und Rheins-
berg (Lüdicke). O. von Falke und Dr. Heiland in Potsdam werden das Material in
einer Publikation bekanntmachen.
2') Zu Seite 303. Zur Geschichte des Theaters findet sich reiches Material und
reiche Literatur in dem Buche von Martin Hammitzsch: Der moderne Theaterbau.
Der höfische Theaterbau, der Anfang der modernen Theaterbaukunst, ihre Entwick-
lung und Betätigung zur Zeit der Renaissance, des Barock und Rokoko, Berlin 1906.
22) Zu Seite 333. Zur Geschichte der Einsiedeleien, der Eremitagen, die für die
Ursprünge der Romantik wichtig ist, sei verwiesen auf das Buch des Verfassers:
,,Die Gotik im deutschen Kunst- und Geistesleben." Hier noch ein Satz aus Fleming,
Der Teutsche Jäger 1724:
„Sie (d. h. hohe Standespersonen) erwählen hiezu eine gewisse Gegend, die entweder
von der Natur bereits etwas wilde und rauh ist, oder die durch die Kunst also aptirt worden.
Es werden an solchen Orten Einsiedler-Häusgen gebauet von Holtz oder groben Mauer-
steinen aufgerichtet. Die Fenster sind mit eisernen Stäben verwahret; in dem Zimmer,
welches vor einen Eremiten angelegt, siehet man ein Altärgen mit einem Cruzifix . . .
Einige lassen dergleichen Kunst-Einsiedeleyen anlegen, daß sie incognito, damit sie
von anderen Leuten nicht so gesehen werden, sich divertieren; manche bloß zu einer
Veränderung und als ein Embellissement in den Gärten; manche aber . . damit sie
Gelegenheit haben, sich hiebey die Thorheiten und Eitelkeiten der Welt desto besser
vorzustellen und allerhand guten und erbaulichen Reflexions nachzuhängen."
23) Zu Seite 362. Aus Salomon Geßners Idyllen sind einige Vignetten unseres
Buches entnommen (Seite 8, 19, 208, 297, 324, 346, 365).
24) Das Wiedererwachen der Gotik im Zusammenhang mit der Romantik seit
der Mitte des 18. Jahrhunderts behandelt ausführlich das Buch des Verfassers: Die
Gotik im deutschen Kunst- und Geistesleben, Berlin, 2. Auflage, 1922.
377
25) Die Hauptmeister des Frühklassizismus in Berlin, Dessau und Braunschweig
behandelt das vom Verfasser im Jahre 1914 herausgegebene Buch: Berliner Baumeister
vom Ausgang des 18. Jahrhunderts. Eine Ergänzung nach der Seite der Innendekoration
bildet das 1920 erschienene Werk: Vor hundert Jahren; Festräume und Wohnzimmer
des deutschen Klassizismus und Biedermeier.
26) über den allen Freunden Goethes bekannten treuen Tischgenossen des Dichters
in seinem Alter, den Architekten Clemens Wenzeslaus Coudray, seien hier aus
Familiennotizen einige Nachrichten mitgeteilt, weil sie kennzeichnend sind für diese
Architektengeneration auf der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. Die späteren Werke
Coudrays, das Mausoleum Goethes und Schillers, die Weimarer Bürgerschule und
das alte (abgerissene) Theater sind allen Goethefreunden vertraut; aus Goethes Schriften
ferner seine Verdienste um den Chausseebau im Großherzogtum.
Coudray wurde geboren im Jahre 1775 als Sohn des Hoftapezierers und Dekorateurs
Frz. Ludw. Coudray im Kurfürstlich Trierischen Schlosse Ehrenbreitstein bei Coblenz —
sein Großvater war als Bildhauer von August dem Starken aus Paris nach Dresden
berufen worden; Arbeiten von seiner Hand sind noch dort. Der Jüngling trat im
Jahre 1789 bei dem Kurfürstlichen Gardemeuble — der Kurfürst war bekanntlich Clemens
Wenzeslaus — als Tapezierer und Dekorateur in die Lehre und wirkte im nächsten
Jahre bei der Dekoration zur Frankfurter Kaiserkrönung mit. Er arbeitete als Zimmer-
dekorateur bei der Ausstattung des Koblenzer Schlosses (S. 340); doch wurde er im
Jahre 1795 durch die französische Revolutionsarmee nach Frankfurt vertrieben. Im
Auftrage der Dekorationsfirma Rumpf führte er dort ein Meublement für das Hohen-
lohesche Schloß Bartenstein aus, und baute dem Fürsten eine Orangerie in ein Theater
um. Unter Heine, einem Schüler Weinligs (S. 344) studierte er in Dresden Architektur
und lieferte, nach Frankfurt 1799 zurückgekehrt, Zimmerdekorationen für mehrere
Kupferstichveröffentlichungen (Abb. Schmitz, Vor hundert Jahren, S. 64).
Entscheidend ist für Coudray der Aufenthalt in Paris von 1799 bis 1804, wo er
Lieblingsschüler Durands an der Ecole polytechnique wurde. Er bildete sich also in
dem Kreise denkwürdigen Strebens nach einer neuen sachlichen Architektur, aus dem
der jüngere Gilly, Gentz, Catel, Thouret, Heß d. J. in Frankfurt und andere deutsche
Meister auf der Wende des 18. Jahrhunderts entscheidende Anregungen schöpften. Dies
zeigen nun die von 1804 bis 1806 in Fulda entstandenen Bauten, die Coudray für den
zum Fürsten von Fulda ernannten Prinzen von Oranien ausführte : das Landkranken-
haus und die links vom Dom in der Ecke des herrlichen Domplatzes angelegte Ge-
bäudegruppe der Wilhelm- und Dekaneistraße. Die Häuser sind völlig schmucklos,
nur durch strengste Verhältnisse wirkend. Auf diese bescheidene Anlage lenken wir
am Schlüsse unseres Buches die Aufmerksamkeit des Lesers ausdrücklich, weil in ihr
noch einmal die Kunst der Abstimmung der Verhältnisse und der Baukörper in das
ganze Raumbild offenbar wird. Neben dem Dientzenhoferschen barocken Dombau
vom Anfang des 18. Jahrhunderts stehen diese schlichten Bürgerhäuser des beginnenden
ig. Jahrhunderts als die letzten Erben einer guten Tradition und weisen zugleich in
eine neue Zeit hinein.
Der Verfasser wäre für jede ergänzende und berichtigende Mitteilung zu aufrichtigem
Dank verpflichtet.
378.
Die Abbildungen 25, 40, 43, 57, 60, 73, 76, 77, 78, iig, 124 sind nach Aufnahmen der
Preußischen Meßbildanstalt, jetzt Staatliche Bildstelle in Berlin, Schinkelplatz 6, her-
gestellt; die Vorlagen zu den Abbildungen 115, 117, 118, 120 hat Herr Direktor
Dr. Demmler aus dem Besitz des Kaiser-Friedrich-Museums freundlichst zur Verfügung
gestellt; die Aufnahmen zu Abbildung 84 und 121 stammen von Herrn Dr. Adolf
Feulner in München ; einige Porzellanaufnahmen von Herrn Dr Ludwig Schnorr von
Carolsfeld. Besonderer Dank gebührt ferner Herrn Generaldirektor von Falke, der
die Aufnahmen im Schloßmuseum gestattet hat, sowie Herrn Geheimrat Jessen, der
in bewährter Liebenswürdigkeit das Material der Ornamentstichsammlung und der
Bibliothek des Kunstgewerbemuseums zugänglich machte.
379
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